Erschienen in:
01.10.2009 | Notfallmedizin
Gerinnungsmanagement bei der Polytraumaversorgung
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 10/2009
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Zusammenfassung
In den letzten Jahren konnte ein verbessertes Verständnis traumaassoziierter Gerinnungsstörungen (traumainduzierte Koagulopathie) durch eine Reihe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse erreicht werden. Neben dem Gewebetrauma scheinen auch Schock und Minderperfusion für die Entwicklung einer Koagulopathie maßgeblich verantwortlich zu sein. Hypoperfusion kann über eine Endothelaktivierung zur Hyperfibrinolyse führen. Additive Effekte wie Hypothermie und Acidose verstärken diese Gerinnungsstörung. Standardgerinnungstests wie Quick-Test und die Bestimmung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) werden zwar häufig zu Therapieentscheidungen herangezogen, sind aber mit Nachteilen behaftet. Die Thrombelastometrie/-graphie scheint den Routinegerinnungtests überlegen zu sein. Da die Prophylaxe der traumainduzierten Koagulopathie einfacher als die Therapie ist, ist eine antizipierende Vorgehensweise notwendig. Während die pathophysiologischen und pharmakologischen Zusammenhänge der geschilderten Therapieoptionen schlüssig sind, fehlt jedoch für die meisten eine evidenzbasierte Bestätigung durch randomisierte, kontrollierte Studien. Zu dem notärztlichen und anästhesiologischen Konzept der „damage control resuscitation“ gehören die Begrenzung der Infusion von kristalloidem und kolloidalem Volumenersatz auf einen mittleren arteriellen Druck (MAP) von ≥65 mmHg (höher bei Schädel-Hirn-Trauma), ein aktives Wärmemanagement, die Verhinderung bzw. der Ausgleich einer Acidose auf einen pH>7,2 bzw. ein „base excess“ (BE)≤−6 mmol/l sowie die frühzeitige und ausreichende Gabe von gerinnungsaktiven Medikamenten. Da Erythrozyten auch einen beträchtlichen Anteil am Gerinnungsprozess haben, sollten bei massiver, nichtgestillter Blutung Hämoglobin- (Hb-)Werte um 6,2 mmol/l (10 g/dl) bzw. ein Hämatokrit (HKT) um 30% angestrebt werden. Ein Fibrinogenmangel entwickelt sich bei schweren Polytraumen früh und muss adäquat ausgeglichen werden. Wenn eine Gerinnungstherapie mit gefrorenem Frischplasma (GFP) durchgeführt wird, müssen ausreichende Mengen (20–30 ml/kgKG) verabreicht werden, um die Gerinnungsfaktoren entsprechend anzuheben. Prothrombinkomplexpräparate (PPSB) können bei schweren Blutungen zur Optimierung der Thrombingenerierung hilfreich sein. Da eine Hyperfibrinolyse nach schwerem Trauma häufiger ist als bislang angenommen, sollte insbesondere bei kreislaufinstabilen Patienten an den Einsatz eines Antifibrinolytikums gedacht werden. Die Thrombozytenzahl sollten bei blutenden Polytraumata 100.000/µl nicht unterschreiten. Bei thrombopathischer, diffuser Blutung kann die Infusion von Desmopressin (DDAVP) indiziert sein. Rekombinanter aktivierter Faktor VII stellt eine Therapieoption dar, allerdings nur bei strenger Indikationsstellung und wenn oben genannte Maßnahmen zur Optimierung der Gerinnungssituation ergriffen wurden.