Hintergrund
Prävalenz von Kopfschmerzen bei Epilepsie
Autoren | Jahr | Rekrutierungsschwerpunkt | Untersuchte Altersgruppe | n (Gesamt) | POLE | TLE | FLE | |||
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n | Kopfschmerzen | n | Kopfschmerzen | n | Kopfschmerzen | |||||
Lee et al. [38] | 2018 | Taiwan | Im Mittel 6 Jahre | 476 | 104 | 20–37 % | 194 | 6,7 % | 178 | 3,4 % |
Ito et al. [32] | 1999 | Japan | 35 bis 40 ± 12 Jahre | 109 | 34 | 62 % | 75 | 23 % | – | – |
Ito et al. [30] | 2003 | 12 bis 60 Jahre | 199 | 37 | 59 % | 97 | 41 % | 65 | 40 % | |
Ito et al. [31] | 2004 | 12 bis 81 Jahre | 364 | 71 | 60,5 % | 177 | 32,2 % | 116 | 40,5 % | |
Wang et al. [69] | 2013 | China | 31,06 ± 11,92 Jahre | 854 | 82 | 56,01 % | 466 | 35,19 % | 306 | 38,56 % |
Yankovsky et al. [72] | 2005 | Kanada | 16 bis 42 Jahre | 100 | 14 | 57 | 60 | 62 | 26 | 53 |
Einteilung der Kopfschmerzen nach zeitlichem Auftreten in Bezug auf epileptische Anfälle
Klinische Charakteristika periiktaler Kopfschmerzen bei Parietal/-Okzipitallappenepilepsie
A | Mindestens 5 Attacken, welche die Kriterien B bis D erfüllen |
B | Kopfschmerzattacken, die (unbehandelt oder erfolglos behandelt) 4–72 h anhalten |
C | Der Kopfschmerz weist mindestens 2 der folgenden 4 Charakteristika auf: |
Einseitige Lokalisation | |
Pulsierender Charakter | |
Mittlere oder starke Schmerzintensität | |
Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten (z. B. Gehen oder Treppensteigen) oder führt zu deren Vermeidung | |
D | Während des Kopfschmerzes besteht mindestens eines: |
Übelkeit und/oder Erbrechen | |
Photophobie und Phonophobie | |
E | Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-III-Diagnose |
1. Die Differenzierung einer einmaligen oder von vereinzelten Migräneattacken von symptomatischen migräneartigen Attacken kann schwierig sein. Darüber hinaus kann die Natur einer einmaligen oder die von vereinzelten Attacken schwer zu erfassen sein. Daher werden mindestens 5 Attacken gefordert. Patienten, die ansonsten die Kriterien für 1.1 Migräne ohne Aura erfüllen, aber bisher weniger als 5 Attacken erlitten haben, sollten unter 1.5.1 Wahrscheinliche Migräne ohne Aura kodiert werden | |
2. Schläft ein Patient während einer Migräne ein und erwacht kopfschmerzfrei, gilt als Attackendauer die Zeit bis zum Erwachen | |
3. Bei Kindern und Jugendlichen (im Alter von unter 18 Jahren) können Migräneattacken 2–72 h dauern (eine unbehandelte Dauer von unter 2 h bei Kindern bedarf noch weiterer wissenschaftlicher Untermauerung) |
Pathophysiologische Zusammenhänge zwischen Epilepsie und Kopfschmerz
Wichtige Differenzialdiagnosen zu Kopfschmerzen bei Epilepsie
Epilepsie | Migräne | Schlaganfall/TIA | TGA | Synkope | |
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Auslöser/Trigger | Selten, falls ja stereotyp (z. B. Stroboskoplicht, kognitiver Trigger etc.) | Hormonschwankung, Genussmittel (z. B. Alkohol, tyraminhaltige Lebensmittel etc.), Wetterumschwung, nach Stressphasen, Verschiebung Schlaf-Wach-Rhythmus | Z. B. Dissektion, Thrombembolie, in der Regel kein klarer Auslöser, Assoziation mit kardiovaskulären Risikofaktoren | Physische und/oder psychische Belastung, Assoziation mit Migräne | Kardial, situativ, orthostatisch, Vagusreiz |
Prodromi/Aura | Epigastrische Aura (aufsteigendes Hitze‑/Übelkeitsgefühl), visuelle/psychische/sensible/sensorische/vertiginöse vegetative Aura | (Visuelle) Aura, Stimmungsschwankung, Inappetenz, Heißhunger, Polydipsie, vermehrtes Gähnen | Keine, z. T. TIA im Vorfeld einer zerebralen Ischämie | Keine | Schwindel, Schweißausbruch, Ohrensausen, Schwarzwerden vor Augen, Blässe, Tachykardie |
Klinische Charakteristika | Lateraler Zungenbiss, motorische Entäußerungen, Bewusstseinsstörung | Visuelle Aura, Skotom, Photopsien, Kopfschmerzen, begleitend Photo‑/Phonophobie, begleitend Übelkeit, Erbrechen; sukzessive Entwicklung neurologischer Symptome | Plötzlich auftretende neurologische Ausfallsymptomatik, hypertensive Entgleisung | Unruhe, Ratlosigkeit, Schwindel, retro- und anterograde Amnesie, repetitives Fragen, unspezifische Begleitsymptome (z. B. Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel) | Vegetative Symptome, apikaler Zungenbiss, generalisierter Tonusverlust, in bis zu 90 % generalisierte arrhythmische Kloni [39] |
Kopfschmerzen | Prä-/postiktal oder iktal, in der Regel migränetypisch oder Spannungskopfschmerzen | Halbseitige Kopfschmerzen, pulsierend, bohrend, hämmernd, verstärkt bei Bewegung | Koinzidenziell oder als Stroke-Folge, häufiger bei Ischämie der hinteren Strombahn (73 %) im Vergleich zur vorderen Strombahn (26 %) [49], Donnerschlagkopfschmerz starker Intensität bei Subarachnoidalblutung | 58 % Kopfschmerzen [13] | Nackenschmerzen („Kleiderbügel“-Verteilung) [35] |
Dauer | In der Regel 2–3 min | In der Regel 4–72 h | TIA in der Regel wenige Minuten, Stroke anhaltend | Im Mittel 6–8 h | In der Regel <1 min |
Reorientierung | Mehrere Minuten | – | – | Über Stunden | Rasch (<1 min) |
Altersgipfel | Erstmanifestation im Kindesalter und >60. LJ. | Erstmanifestation 15. bis 25. LJ. | Ältere Menschen >65. LJ. | 50. bis 70. LJ. | Jugendliche und junge Erwachsene 10. bis 30. LJ, ältere Menschen >65. LJ |
EEG | Anfallsmuster, ETPs, postiktale EEG-Abflachung/Verlangsamung | Normal bis fokale Verlangsamung, z. T. fokale ETPs | Generalisierte Verlangsamung, EEG-Abflachung [10] | ||
Bildgebung | Z. T. fokale Läsion (z. B. Gliose, Tumor, Grau-Weiß-Differenzierungsstörung) [64] | TIA unauffällig; Blutung, Ischämie | Z. T. punktuelle Hippocampusischämien [22] | In der Regel unauffällig |
Fazit für die Praxis
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Zwei Drittel aller Epilepsiepatienten leiden unter Kopfschmerzen, insbesondere bei generalisierten und parietookzipitalen Epilepsien (POLE).
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Kopfschmerzen treten primär postiktal als migräneähnliche oder Spannungskopfschmerzen auf.
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Risikofaktoren für das Auftreten periiktaler Kopfschmerzen sind generalisiert konvulsive Anfälle, eine hohe Anfallsfrequenz und eine antiepileptische Polytherapie.
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Eine Komorbidität beider Syndrome ist zu vermuten.
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Das Konzept der Migralepsie ist zwar pathophysiologisch interessant, aber kontrovers und vermutlich nicht belegbar.
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Zur Abgrenzung gegenüber Differenzialdiagnosen wie der Migräne ist ggf. die Durchführung von EEG und Bildgebung erforderlich