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Erschienen in: Zeitschrift für Epileptologie 1/2021

Open Access 19.12.2020 | Epilepsie | Übersichten

Kopfschmerz bei Parietal- und Okzipitallappenepilepsien

verfasst von: Denise Birk, Soheyl Noachtar, Elisabeth Kaufmann

Erschienen in: Clinical Epileptology | Ausgabe 1/2021

Zusammenfassung

Epilepsiepatienten leiden überdurchschnittlich häufig unter Kopfschmerzen. Dies gilt insbesondere für Patienten mit idiopathisch generalisierten und parietookzipitalen Epilepsien. Die Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens von Kopfschmerzen und Epilepsie überschreitet dabei die rechnerische Koinzidenz, sodass von einer Komorbidität beider Syndrome auszugehen ist. Bestärkt wird diese Hypothese durch überlappende genetische Veränderungen sowie gemeinsame pathophysiologische Mechanismen. Bis zu 62 % der Patienten mit z. B. Parietal- und Okzipitallappenepilepsie (POLE) geben Kopfschmerzen an. Diese treten v. a. nach dem Anfall (postiktal) auf und manifestieren sich am häufigsten als Migräne-ähnlicher Kopfschmerz oder Spannungskopfschmerz. Seltener kommt es zu Kopfschmerzen vor (periiktal), während (iktal) oder zwischen (interiktal) epileptischen Anfällen. Bei transienten neurologischen Ausfallsymptomen mit begleitenden Kopfschmerzen ist differenzialdiagnostisch neben der Migräne an vaskuläre Ereignisse wie Synkopen oder eine transiente ischämische Attacke zu denken.

Hintergrund

Kopfschmerzen und Epilepsie zählen zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen, und ein gemeinsames Vorkommen ist häufig. Bei 0,5–1 % der Bevölkerung besteht eine Epilepsie [3, 27, 53, 54]. Die Migräneprävalenz liegt gemäß den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzklassifikation (ICHD[International Classification of Headache Disorders]-III beta-Version) bei Frauen bei ca. 14–17 % und bei Männern bei 7–10 % [28, 65, 66]. Spannungskopfschmerzen finden sich bei ca. 22,3–38,3 % der Allgemeinbevölkerung [2, 63, 66]. Entsprechend wäre rein rechnerisch bei etwa einem Drittel der Epilepsiepatienten eine Koinzidenz mit Kopfschmerzen und bei bis zu 1 % der Migränepatienten eine Epilepsie zu erwarten. Tatsächlich leidet jedoch mit 34–65 % ein größerer Anteil der Epilepsiepatienten an Kopfschmerzen [12, 16, 21, 29, 40, 44, 48, 67] und mit bis zu 17 % der Migränepatienten an Epilepsie [1, 60], was die rechnerische Koinzidenz beider Erkrankungen deutlich überschreitet und eine Komorbidität vermuten lässt.

Prävalenz von Kopfschmerzen bei Epilepsie

Die Assoziation zwischen Kopfschmerz und Epilepsie besteht sowohl für generalisierte Epilepsiesyndrome [19, 29, 61] als auch für fokale Epilepsien [2932, 38, 69, 70, 72]. Epilepsiepatienten berichten insbesondere nach epileptischen Anfällen über migräneähnliche Kopfschmerzen oder Spannungskopfschmerzen [21]. Risikofaktoren für das Auftreten von Kopfschmerzen bei Epilepsie sind eine antiepileptische Polytherapie, häufige epileptische Anfälle, generalisierte konvulsive Anfälle [44] und im Falle der fokalen Epilepsien ein parietookzipitaler Anfallsursprung. So treten Kopfschmerzen bei 56–62 % der erwachsenen [3032, 69, 72] und bei 20–37 % der pädiatrischen Patienten [38] mit Parietal- bzw. Okzipitallappenepilepsie (POLE) auf, im Gegensatz zu <41 % bei Patienten mit Frontallappen- (FLE) oder Temporallappenepilepsie (TLE). Die genannten Kopfschmerzprävalenzen bei fokaler Epilepsie basieren auf großen asiatischen Studien und stehen im Gegensatz zu Daten einer kleineren kanadischen Studie, die die höchste Kopfschmerzprävalenz mit 62 % bei TLE beschrieb [72]. Unklar bleibt, ob ethnische Unterschiede die Beobachtungsdifferenzen erklären, zumal sich auch die Prävalenz für Migräne und Spannungskopfschmerz in China von der der meisten westlichen Länder unterscheidet [66]. Die Prävalenz für periiktale Kopfschmerzen bei erwachsenen Patienten mit POLE war jedoch mit 56–62 % in allen Studien vergleichbar. Eine Kurzzusammenfassung von Studien zur Kopfschmerzprävalenz bei fokalen Epilepsiesyndromen findet sich in Tab. 1. Dabei wurden nur Arbeiten aufgeführt, die Prävalenzangaben zu POLE-Patienten enthielten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
Tab. 1
Häufigkeit von periiktalen Kopfschmerzen bei fokalen Epilepsiesyndromen
Autoren
Jahr
Rekrutierungsschwerpunkt
Untersuchte Altersgruppe
n (Gesamt)
POLE
TLE
FLE
n
Kopfschmerzen
n
Kopfschmerzen
n
Kopfschmerzen
Lee et al. [38]
2018
Taiwan
Im Mittel 6 Jahre
476
104
20–37 %
194
6,7 %
178
3,4 %
Ito et al. [32]
1999
Japan
35 bis 40 ± 12 Jahre
109
34
62 %
75
23 %
Ito et al. [30]
2003
12 bis 60 Jahre
199
37
59 %
97
41 %
65
40 %
Ito et al. [31]
2004
12 bis 81 Jahre
364
71
60,5 %
177
32,2 %
116
40,5 %
Wang et al. [69]
2013
China
31,06 ± 11,92 Jahre
854
82
56,01 %
466
35,19 %
306
38,56 %
Yankovsky et al. [72]
2005
Kanada
16 bis 42 Jahre
100
14
57
60
62
26
53
FLE Frontallappenepilepsie, n Patientenzahl, TLE Temporallappenepilepsie, POLE Parietal‑/Okzipitallappenepilepsie

Einteilung der Kopfschmerzen nach zeitlichem Auftreten in Bezug auf epileptische Anfälle

Kopfschmerzen bei Epilepsie werden nach ihrem zeitlichen Auftreten in Bezug auf die epileptischen Anfälle eingeteilt (Abb. 1). Dabei werden Kopfschmerzen, die mit einem zeitlichen Abstand von mindestens 24 h vor oder nach einem epileptischen Anfall auftreten, als interiktale Kopfschmerzen bezeichnet und betreffen 8,6–57,8 % der Epilepsiepatienten [17]. Präiktaler Kopfschmerz setzt 24 h bis 60 min vor epileptischen Anfällen ein und dauert bis zum Anfallsbeginn an [34, 40, 67, 69]; die Häufigkeit liegt bei 5–15 % der Epilepsiepatienten [5, 11, 72]. Iktaler Kopfschmerz tritt mit <5 % am seltensten auf [18, 34, 58] und ist gemäß der ICHD-III definiert als Kopfschmerz, der während eines fokalen Anfalls ipsilateral zu den epileptischen Entladungen auftritt und direkt oder kurz nach Anfallsende sistiert [28]. Postiktaler Kopfschmerz ist die häufigste Manifestationsform und betrifft 10–60 % der Epilepsiepatienten [11, 21, 31, 58]. Gemäß ICHD wird dieser durch einen epileptischen Anfall ausgelöst oder tritt innerhalb von 3 h nach Anfallsende auf und dauert bis maximal 72 h nach Anfallsende an [28]. Präiktale, iktale und postiktale Kopfschmerzen werden unter dem Oberbegriff der periiktalen Kopfschmerzen zusammengefasst [5]. Die Kopfschmerzdifferenzierung nach ihrem zeitlichen Auftreten kann wertvolle Informationen über deren pathophysiologischen Zusammenhang mit epileptischen Anfällen geben und in die therapeutische Bewertung miteinfließen. So ist bei periiktalen migränösen Kopfschmerzen eine Anfallsprophylaxe anstatt einer Migränetherapie vorrangig, wohingegen interiktale Kopfschmerzen in Analogie zu primären Kopfschmerzsyndromen behandelt werden sollten.

Klinische Charakteristika periiktaler Kopfschmerzen bei Parietal/-Okzipitallappenepilepsie

Kopfschmerzen bei POLE treten überwiegend postiktal auf und sind meist migräneähnlich [21, 30, 72], seltener werden Spannungskopfschmerzen oder nicht klassifizierbare Kopfschmerzen angegeben. Migräneähnlich bedeutet, dass sie bis auf das Zeitkriterium alle ICHD-Diagnosekriterien der Migräne ohne Aura erfüllen (s. Tab. 2). Begleitend können durch die epileptische Aktivierung des parietookzipitalen Kortex visuelle Auren im Sinne von Phosphenen im kontralateralen Gesichtsfeld auftreten, die in der Regel nur Sekunden bis wenige Minuten (in der Regel <5 min) anhalten, farbig oder farblos sein können und z. T. einen horizontalen Drift aufweisen [25, 50, 51]. Im Kindesalter können periiktale Kopfschmerzen v. a. im Rahmen des sog. Panayiotopoulos-Syndroms auftreten. Hierunter versteht man eine benigne Epilepsie des Kindesalters mit okzipitalen Spikes, die sich meist zwischen dem 1. und 14. Lebensjahr manifestiert. Anfälle treten überwiegend aus dem Schlaf heraus auf und zeichnen sich durch eine lange Anfallsdauer (häufig >30 min), autonome Symptome wie iktale Übelkeit, visuelle Phänomene, Kopfschmerz und multifokale überwiegend okzipitale Spikes im EEG aus [1, 20].
Tab. 2
ICHD-III-Diagnosekriterien der Migräne [28]
A
Mindestens 5 Attacken, welche die Kriterien B bis D erfüllen
B
Kopfschmerzattacken, die (unbehandelt oder erfolglos behandelt) 4–72h anhalten
C
Der Kopfschmerz weist mindestens 2 der folgenden 4 Charakteristika auf:
Einseitige Lokalisation
Pulsierender Charakter
Mittlere oder starke Schmerzintensität
Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten (z. B. Gehen oder Treppensteigen) oder führt zu deren Vermeidung
D
Während des Kopfschmerzes besteht mindestens eines:
Übelkeit und/oder Erbrechen
Photophobie und Phonophobie
E
Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-III-Diagnose
1. Die Differenzierung einer einmaligen oder von vereinzelten Migräneattacken von symptomatischen migräneartigen Attacken kann schwierig sein. Darüber hinaus kann die Natur einer einmaligen oder die von vereinzelten Attacken schwer zu erfassen sein. Daher werden mindestens 5 Attacken gefordert. Patienten, die ansonsten die Kriterien für 1.1 Migräne ohne Aura erfüllen, aber bisher weniger als 5 Attacken erlitten haben, sollten unter 1.5.1 Wahrscheinliche Migräne ohne Aura kodiert werden
2. Schläft ein Patient während einer Migräne ein und erwacht kopfschmerzfrei, gilt als Attackendauer die Zeit bis zum Erwachen
3. Bei Kindern und Jugendlichen (im Alter von unter 18 Jahren) können Migräneattacken 2–72 h dauern (eine unbehandelte Dauer von unter 2 h bei Kindern bedarf noch weiterer wissenschaftlicher Untermauerung)

Pathophysiologische Zusammenhänge zwischen Epilepsie und Kopfschmerz

Die pathophysiologische Grundlage der Komorbidität von Epilepsie und Kopfschmerzen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch weitgehend unklar und wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert [71]. Bisherige Studien beleuchten insbesondere den pathophysiologischen Zusammenhang zwischen Migräne und Epilepsie und postulieren im Wesentlichen folgende Hypothesen:
1.
Viele der bekannten Genmutationen führen zu Kanalopathien als bekannte Ursachen sowohl für Epilepsie als auch Migräne [57]. Dies erklärt, weshalb einige Medikamente wie Topiramat (u. a. Na-Kanalblocker) und Valproat (u. a. Na‑/Ca-Kanalblocker) sowohl in der Therapie der Migräne als auch in der Therapie der Epilepsie erfolgreich eingesetzt werden.
 
2.
Migräne kann zu Marklagerläsionen und zerebralen Ischämien führen [6, 23, 45], was wiederum die Schwelle für epileptische Anfälle erniedrigt. Dieser einfache unidirektionale kausale Zusammenhang erscheint jedoch als Erklärung für die Komorbidität beider Krankheitsentitäten insuffizient, da hierbei eine erhöhte Migräneinzidenz vor Beginn der Epilepsie vorliegen müsste, was durch epidemiologische Daten nicht belegt werden kann.
 
3.
Des Weiteren wird vermutet, dass sich Migräne und Epilepsie gegenseitig bedingen können und epileptische Anfälle über eine trigeminoautonome Aktivierung postiktale Kopfschmerzen verursachen [62]. Andersherum sollen Migräneattacken mit visueller Aura in epileptische Anfälle übergehen können. Letzteres Phänomen wurde erstmals von Lennox und Lennox als Migralepsie beschrieben [41] und wird in der ICHD-III als Migränekomplikation aufgeführt [28]. Die bisherige Datenlage ist ausgesprochen dünn, da sich die in der Literatur beschriebenen Fälle allein auf die klinischen Diagnosekriterien (wie in der ICHD-III verankert) beziehen, ohne dabei einen Ausschluss einer epileptischen Genese als konkurrierende Ätiologie vorauszusetzen. Im Einzelfall kann jedoch ein epileptischer Anfall mit einer lang anhaltenden visuellen Aura von mehreren Minuten (>10 min) Dauer einhergehen, sodass eine klinische Abgrenzung zur migränösen Aura nur durch eine gleichzeitige EEG-Ableitung gelingt, wie in [25, 26] aufgezeigt. Ein Gegenbeweis ist jedoch elektrophysiologisch nicht möglich, da nur ca. 10–15 % aller epileptischen Auren ein Anfallsmuster im EEG aufweisen [15] und somit ein fehlendes Anfallsmuster eine epileptische Genese nicht ausschließt. Im Falle visueller Auren scheint der Beleg einer epileptischen Genese einfacher zu gelingen, da diese interessanterweise in bis zu 89 % mit iktalen EEG-Auffälligkeiten einhergehen [25].
 
Der Zusammenhang von Epilepsie und Migräne begründet sich durch deren pathophysiologische Parallelen: Es wird angenommen, dass „cortical spreading depression“ (CSD), sprich eine sich langsam ausbreitende kortikale Depolarisationswelle (2–6 mm/min), durch Aktivierung des trigeminovaskulären Systems zu den typischen Migränekopfschmerzen führt [9, 46]. CSD erhöht die neuronale Erregbarkeit [4], sodass CSD das Auftreten epileptischer Anfälle begünstigen könnte [52]. Einige Autoren gehen davon aus, dass die CSD-Schwelle niedriger ist als die Schwelle für die Initiierung eines paroxysmalen Depolarisationsshifts, der epileptischen Anfällen zugrunde liegt [36, 52]. Damit wäre die Wahrscheinlichkeit, dass ein epileptischer Anfall CSD initiiert und damit eine Migräneattacke auslöst, größer, als dass eine Migräneattacke zu einem epileptischen Anfall führt („Migralepsie“). Dies deckt sich mit epidemiologischen Daten, die ein wesentlich häufigeres Vorkommen postiktaler migränetypischer Kopfschmerzen belegen im Vergleich zu lediglich einzelnen berichteten Migralepsiefällen [3032, 59, 69, 72].
Bestärkt wird die Hypothese der Komorbidität bzw. überlappenden Pathophysiologie durch die Identifikation einer zunehmenden Zahl genetischer Gemeinsamkeiten. Für die autosomal-dominant vererbte familiäre hemiplegische Migräne (FHM) sind beispielsweise Mutationen in 3 verschiedenen Genen bekannt (CACNA1A, SCN1A, ATP1A2), die ebenfalls mit verschiedenen Epilepsiesyndromen wie dem Dravet-Syndrom oder der generalisierten Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus (GEFS +) assoziiert sind [42]. Die Penetranz von Epilepsie in Familien mit hemiplegischer Migräne ist am höchsten für die CACNA1A-Mutation (60 %, kodiert für präsynaptische spannungsabhängige Kalziumkanäle), gefolgt von SCN1A (33,3 %, kodiert für spannungsabhängige Natriumkanäle) und ATP1A2 (30,9 %, kodiert für ATPasen) [56]. Darüber hinaus sind für 2 belgische Familien mit okzipitotemporaler Epilepsie und Migräne ein ATP1A2-Gendefekt [14] und für eine finnische Familie mit gehäuftem Auftreten von idiopathischer generalisierter Epilepsie (n = 12) und Migräne (n = 33) gemeinsame Suszeptibilitätsgenloci (14q12-q23 und 12q24.2-q24.3) beschrieben worden [55].

Wichtige Differenzialdiagnosen zu Kopfschmerzen bei Epilepsie

Ein paroxysmales Auftreten neurologischer Ausfallsymptome zusammen mit Kopfschmerzen sowie z. T. visueller und vegetativer Symptomatik lässt ätiologisch neben der Epilepsie an eine Migräne oder kardiovaskuläre Ereignisse denken [6, 24, 25]. Als wichtigste Differenzialdiagnosen sind hierbei neben der Migräne Synkopen, eine transiente globale Amnesie (TGA) und Blutungen bzw. Ischämien im Bereich der hinteren Strombahn zu nennen. Die ätiologische Zuordnung erfolgt in der Regel anhand der Eigen- und Fremdanamnese, der klinischen Beobachtung inklusive Videoaufzeichnung der Attacken, sowie EEG-Daten und Bildgebungsbefunden. Hilfreich sind insbesondere Angaben zu auslösenden Faktoren, Dauer der Attacke sowie Begleitsymptome und Alter bei Erstmanifestation. Eine Zusammenfassung der differenzierenden Charakteristika der genannten Krankheitsentitäten findet sich in Tab. 3. Für eine ausführliche Darstellung der einzelnen Krankheitsbilder sei auf entsprechende Primärliteratur verwiesen.
Tab. 3
Gegenüberstellung häufiger Differenzialdiagnosen paroxysmaler Ereignisse mit Kopfschmerzen
 
Epilepsie
Migräne
Schlaganfall/TIA
TGA
Synkope
Auslöser/Trigger
Selten, falls ja stereotyp (z. B. Stroboskoplicht, kognitiver Trigger etc.)
Hormonschwankung, Genussmittel (z. B. Alkohol, tyraminhaltige Lebensmittel etc.), Wetterumschwung, nach Stressphasen, Verschiebung Schlaf-Wach-Rhythmus
Z. B. Dissektion, Thrombembolie, in der Regel kein klarer Auslöser, Assoziation mit kardiovaskulären Risikofaktoren
Physische und/oder psychische Belastung, Assoziation mit Migräne
Kardial, situativ, orthostatisch, Vagusreiz
Prodromi/Aura
Epigastrische Aura (aufsteigendes Hitze‑/Übelkeitsgefühl), visuelle/psychische/sensible/sensorische/vertiginöse vegetative Aura
(Visuelle) Aura, Stimmungsschwankung, Inappetenz, Heißhunger, Polydipsie, vermehrtes Gähnen
Keine, z. T. TIA im Vorfeld einer zerebralen Ischämie
Keine
Schwindel, Schweißausbruch, Ohrensausen, Schwarzwerden vor Augen, Blässe, Tachykardie
Klinische Charakteristika
Lateraler Zungenbiss, motorische Entäußerungen, Bewusstseinsstörung
Visuelle Aura, Skotom, Photopsien, Kopfschmerzen, begleitend Photo‑/Phonophobie, begleitend Übelkeit, Erbrechen; sukzessive Entwicklung neurologischer Symptome
Plötzlich auftretende neurologische Ausfallsymptomatik, hypertensive Entgleisung
Unruhe, Ratlosigkeit, Schwindel, retro- und anterograde Amnesie, repetitives Fragen, unspezifische Begleitsymptome (z. B. Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel)
Vegetative Symptome, apikaler Zungenbiss, generalisierter Tonusverlust, in bis zu 90 % generalisierte arrhythmische Kloni [39]
Kopfschmerzen
Prä-/postiktal oder iktal, in der Regel migränetypisch oder Spannungskopfschmerzen
Halbseitige Kopfschmerzen, pulsierend, bohrend, hämmernd, verstärkt bei Bewegung
Koinzidenziell oder als Stroke-Folge, häufiger bei Ischämie der hinteren Strombahn (73 %) im Vergleich zur vorderen Strombahn (26 %) [49], Donnerschlagkopfschmerz starker Intensität bei Subarachnoidalblutung
58 % Kopfschmerzen [13]
Nackenschmerzen („Kleiderbügel“-Verteilung) [35]
Dauer
In der Regel 2–3 min
In der Regel 4–72 h
TIA in der Regel wenige Minuten, Stroke anhaltend
Im Mittel 6–8 h
In der Regel <1 min
Reorientierung
Mehrere Minuten
Über Stunden
Rasch (<1 min)
Altersgipfel
Erstmanifestation im Kindesalter und >60. LJ.
Erstmanifestation 15. bis 25. LJ.
Ältere Menschen >65. LJ.
50. bis 70. LJ.
Jugendliche und junge Erwachsene 10. bis 30. LJ, ältere Menschen >65. LJ
EEG
Anfallsmuster, ETPs, postiktale EEG-Abflachung/Verlangsamung
In der Regel normales Wach-EEG, z. T. Verlangsamungen [43], reduzierte Alpha-Power [47], verstärkte Theta- und Delta-Power [8], verstärktes „photic driving“ [7, 68]
Normal bis fokale Verlangsamung, z. T. fokale ETPs
In der Regel normales Wach-EEG, z. T. linksdominante ETPs [33, 37]
Generalisierte Verlangsamung, EEG-Abflachung [10]
Bildgebung
Z. T. fokale Läsion (z. B. Gliose, Tumor, Grau-Weiß-Differenzierungsstörung) [64]
Z. T. unspezifische Marklagerläsionen, subklinische Infarkte [23, 45]
TIA unauffällig; Blutung, Ischämie
Z. T. punktuelle Hippocampusischämien [22]
In der Regel unauffällig
ETPs epilepsietypische Potenziale, LJ. Lebensjahr, TGA transiente globale Amnesie, TIA transiente ischämische Attacke

Fazit für die Praxis

  • Zwei Drittel aller Epilepsiepatienten leiden unter Kopfschmerzen, insbesondere bei generalisierten und parietookzipitalen Epilepsien (POLE).
  • Kopfschmerzen treten primär postiktal als migräneähnliche oder Spannungskopfschmerzen auf.
  • Risikofaktoren für das Auftreten periiktaler Kopfschmerzen sind generalisiert konvulsive Anfälle, eine hohe Anfallsfrequenz und eine antiepileptische Polytherapie.
  • Eine Komorbidität beider Syndrome ist zu vermuten.
  • Das Konzept der Migralepsie ist zwar pathophysiologisch interessant, aber kontrovers und vermutlich nicht belegbar.
  • Zur Abgrenzung gegenüber Differenzialdiagnosen wie der Migräne ist ggf. die Durchführung von EEG und Bildgebung erforderlich

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

D. Birk, S. Noachtar und E. Kaufmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Kopfschmerz bei Parietal- und Okzipitallappenepilepsien
verfasst von
Denise Birk
Soheyl Noachtar
Elisabeth Kaufmann
Publikationsdatum
19.12.2020
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Clinical Epileptology / Ausgabe 1/2021
Print ISSN: 2948-104X
Elektronische ISSN: 2948-1058
DOI
https://doi.org/10.1007/s10309-020-00381-1

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