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Erschienen in: Die MKG-Chirurgie 2/2023

Open Access 04.04.2023 | Künstliche Intelligenz | Leitthema

Einsatz von patientenspezifischen Implantaten – eine Übersicht und aktuelle Entwicklungen

Von der Einzelindikation am spezialisierten Zentrum zur klinischen Routine

verfasst von: Dr. med. Dr. med. dent. Raphael Ferrari, PD Dr. med. Dr. med. dent. Maximilian Wagner, Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Harald Essig

Erschienen in: Die MKG-Chirurgie | Ausgabe 2/2023

Zusammenfassung

Der Begriff der personalisierten Medizin wird im 21. Jahrhundert zum Fokus einer modernen Patientenversorgung. Im Bereich der rekonstruktiven Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie sind patientenspezifische Implantate (PSI) zentraler Bestandteil einer personalisierten Medizin. Dank des Einsatzes computerunterstützter Gestaltung und Fertigung (CAD/CAM) können auch komplexe anatomische Defekte präzise, vorhersagbar und individuell rekonstruiert werden. Operationssimulationen können dem Patienten das Therapieziel inklusive therapiebedingter ästhetischer Veränderungen aufzeigen und damit neben der Personalisierung auch eine verbesserte Partizipation an der Therapieentscheidung herbeiführen. Frühere Spezialindikationen werden zum Therapiestandard und die Anwendung der PSI konnte auf weitere Spezialgebiete innerhalb der MKG-Chirurgie ausgeweitet werden. Optimierte Planungs- und Herstellungsabläufe unter dem Einsatz von künstlicher Intelligenz, Visualisierung und intraoperative Unterstützung des Chirurgen durch Augmented Reality (AR) sowie der Einsatz neuer dreidimensional druckbarer Biomaterialien sind Bestandteile der aktuellen Forschung und werden das Indikationsspektrum für PSI in Zukunft nochmals erweitern können.
Hinweise

Redaktion

Tobias Ettl, Regensburg
Frank Hölzle, Aachen
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Der Begriff der personalisierten Medizin wird im 21. Jahrhundert zum Zentrum einer zeitgemäßen, individuellen Patientenversorgung. Disziplinübergreifend erfolgt ein Umdenken von „one size fits all“ hin zu spezifisch auf den Patienten zugeschnittene Therapiekonzepte. Die Komplexität und Individualität des menschlichen Gesichtsschädels fordern eine auf den Patienten individualisierte Therapie. Der Begriff der computerassistierten Chirurgie beschreibt einen Ablauf von präoperativer Planung, operativem Eingriff und anschließender Evaluation und Qualitätskontrolle. Die virtuelle Operationsplanung ermöglicht eine erweiterte Diagnostik unter Ausnutzung der Gesichtssymmetrie oder Fusion vorhandener früherer Bildgebungen als optimale Vorbereitung auf den operativen Eingriff. Intraoperative Navigation und dreidimensionale Bildgebung unterstützen den Operateur und erlauben eine direkte Qualitätskontrolle.
Durch den Einsatz von patientenspezifischen Implantaten (PSI) kann unter Ausnutzung des vollen Potenzials der computergestützten Chirurgie durch die Technologie des „computer-aided design“ und „computer-aided manufacturing“ (CAD/CAM) eine weitere Personalisierung der Therapie erfolgen. Patientenspezifische Implantate werden nach computergestützter Planung additiv durch selektives Laserschmelzen aus Titan gefertigt. Die Verbreitung ermöglichte die Kommerzialisierung von PSI und damit einen deutlich breiteren Zugang für den Patienten sowie neue Indikationsfelder innerhalb der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie.

Anwendungen in der Traumatologie

In der Traumatologie des Gesichtsschädels kommen PSI sowohl in der Primärversorgung als auch in der Sekundärrekonstruktion komplexer Frakturen zum Einsatz.

Primärversorgung

In der Primärversorgung mittels PSI steht die Rekonstruktion der Orbita im Zentrum und kann exemplarisch zur Erläuterung von Abläufen und deren Limitationen verwendet werden. Die Indikation ist gegeben bei Einwandfrakturen mit fehlender Auflage für ein konventionelles Orbitaimplantat oder komplexen Mehrwandfrakturen [1].
Die Verwendung von lage- und formstabilen PSI in der Therapie von Orbitafrakturen in Kombination mit intraoperativer Qualitätskontrolle reduziert das Verletzungsrisiko orbitaler Strukturen [2]. Durch die kürzere Operationszeit kann neben einer geringeren postoperativen Schwellung auch eine Reduktion der Atrophie von orbitalem Fettgewebe für die geringere Rate an postoperativem Enophthalmus und Doppelbildern erklärend sein [3, 4]. In Hinblick auf das symmetrisch rekonstruierte Orbitavolumen, den klinischen Enophthalmus, Doppelbilder und die Operationsdauer werden PSI gegenüber konventionellen Orbitaimplantaten favorisiert [5].
Der Austausch zwischen Ingenieur und Operateur ist für die hohe Versorgungsqualität entscheidend
Nachteile sind die weiterhin hohen Kosten für die Herstellung der PSI sowie eine Herstellungsdauer von aktuell bis zu 7 Werktagen. In der präoperativen Planungsphase spielt nun neben der Erfahrung des Operateurs ergänzend auch die Erfahrung des mit der PSI-Planung befassten Ingenieurs eine wichtige Rolle. Dies wird besonders bei komplexen sekundären Rekonstruktionen relevant, um die technischen Herstellungsmöglichkeiten mit dem Therapieziel und den operativen Möglichkeiten und Einschränkungen abzugleichen. Somit ist der Austausch zwischen Ingenieur und Operateur für die hohe Versorgungsqualität entscheidend.
Um die angesprochenen Nachteile der höheren Kosten und längeren Herstellungsdauer zu umgehen, kann bei weniger komplexen Frakturen der Workflow der computerassistierten Chirurgie durch 3‑D-Druck des präoperativ geplanten Modells der Orbita verkürzt werden. Das sterilisierbare Stereolithographiemodell der Orbita ermöglicht ein intraoperatives Anbiegen eines Titanmeshs mit guter Passgenauigkeit bei erhaltener intraoperativer Flexibilität, um auf unerwartete Gegebenheiten reagieren zu können [6]. Insbesondere bei vorhandenem Inhouse-3-D-Drucker und verfügbarer Planungssoftware können in sehr kurzer Zeit 3‑D-Modelle und individualisierte Titanmesh-Implantate angefertigt werden.
Nachteil dieser individualisierten Orbitaimplantate ist eine im Vergleich zu additiv lasergesinterten die geringere dreidimensionale Formstabilität, was flächigere und gleichmäßig verteilte knöcherne Auflagen voraussetzt. Insbesondere stellt daher die bei ausgedehnten Defekten der medialen Orbita fehlende kraniale knöcherne Abstützung eine Limitation der Versorgung dar.

Sekundärrekonstruktion

Durch den Wegfall der nachteiligen Herstellungsdauer in der Primärversorgung sind die Indikationen von PSI in der Sekundärrekonstruktion nach Trauma bereits deutlich vielfältiger. Indikationen für eine Sekundärrekonstruktion der Orbita stellen persistierende posttraumatische Deformitäten der Orbita infolge insuffizienter oder ausgebliebener Primärversorgung mit veränderter Globusprojektion (Enophthalmus und Hypoglobus), insuffizientem Lidschluss oder Hornhautbenetzung und Doppelbildern dar. Dies kann sowohl bei isolierten Orbitafrakturen wie auch im Rahmen komplexer zentrolateraler Mittelgesichtsfrakturen auftreten. Als Schwierigkeit steht dabei das korrekte Abschätzen der benötigten Korrektur zur Wiederherstellung einer weichgewebigen symmetrischen Globusprojektion im Vordergrund [7]. Aufgrund der unterschiedlich ausfallenden Atrophie intraorbitalen Fettgewebes kann oft nicht einfach die unfrakturierte Gegenseite durch Spiegelung als Modellvorlage genutzt werden. Das Orbitavolumen muss durch eine Überkorrektur im Vergleich zur Gegenseite kleiner rekonstruiert werden. Die Korrektur des Enophthalmus wird dabei in der Literatur mit 0,4–1 mm/cm3 Volumenänderung angegeben [8]. Die zuvor als Vorteil erwähnte Formstabilität und Passgenauigkeit stellen intraoperativ dann eine Limitation der Anpassungsmöglichkeiten dar. Um trotzdem eine intraoperative Anpassung zu ermöglichen, wurden Volumen-Spacer beschrieben, die abhängig von der benötigten Reduktion an Orbitavolumen zusätzlich zum PSI eingebracht werden können [9]. Durch die schnell auftretende intraorbitale Schwellung ist die korrekte intraoperative Abschätzung der symmetrischen Globusprojektion erschwert, weswegen die präoperative Planung mit Bestimmung der benötigten Volumenkorrektur im Vordergrund steht. Für die Rekonstruktion von großen Zwei- oder Dreiwanddefekten lassen sich mehrteilige PSI anwenden.
Das Orbitavolumen muss durch Überkorrektur im Vergleich zur Gegenseite kleiner rekonstruiert werden
In der Rekonstruktion des Sinus frontalis weisen die PSI insbesondere bei Beteiligung der Supraorbitalränder (inkl. anteriores Orbitadach) mit Trümmerzone aufgrund ihrer dreidimensionalen Formstabilität gegenüber konventionellen Titanmeshs entscheidende Vorteile auf. Die multiplen Kleinfragmente können sauber gefasst werden und die Kontur des Supraorbitalrandes lässt sich symmetrisch rekonstruieren (Abb. 1 und 2). Durch die gute Passung besteht nicht die Gefahr eines abstehenden Meshs mit Beeinträchtigung des M. rectus superior und entsprechender Motilitätseinschränkung. Auch bei weiterer Ausdehnung des PSI in die Orbita kann auf eine intraorbitale Befestigung mittels Schrauben verzichtet werden (Abb. 1).
Eine weitere Indikation kann der Wunsch nach einem minimal-invasiven Zugang darstellen. Standardmäßig erfolgt die Exposition des Sinus frontalis über einen koronaren Zugang mit großflächiger Darstellung beider Seiten des Sinus frontalis zur Rekonstruktion der knöchernen Symmetrie. Die virtuelle Planung und der Einsatz von PSI ermöglichen unterschiedliche minimal-invasive Zugänge unter Ausnutzung von Narben oder Falten bis hin zu endoskopisch assistierten Zugangswegen [10].
Als Limitation zeigten sich unserer Erfahrung nach erschwerte Produktionsbedingungen bei großflächigen Implantaten, sodass wir empfehlen, ausreichend Zeitreserven für die Produktion einzuplanen.
Sekundäre Korrekturen des zygomaticomaxillären Komplexes sind indiziert bei verzögerter/ausgebliebener oder nichtkorrekter Versorgung mit klinischer Asymmetrie, Enophthalmus und/oder Hypoglobus. Ziel ist die Wiederherstellung der Mittelgesichtshöhe und -breite, der symmetrischen Projektion der Jochbeinprominenz sowie der Unterstützung für die orbitalen Strukturen.
Abhängig von der Zeitdauer zwischen Fraktur und sekundärer Rekonstruktion ergeben sich Schwierigkeiten durch die komplexe räumliche Orientierung, benötigte Osteotomien und den gleichzeitigen Verlust anatomischer Landmarken aufgrund von Vernarbung und knöcherner Remodellierung [11]. Mit dem Einsatz der virtuellen Planung ist es möglich, die korrekte Position des zygomaticomaxillären Komplexes zu bestimmen und die für die Bewegung benötigten Osteotomien zu definieren. Unter Verwendung einer Kombination aus „cutting guides“ und PSI kann die virtuelle Planung intraoperativ präzise umgesetzt werden. Dadurch wird auch eine simultane sekundäre Rekonstruktion des Orbitabodens über ein PSI ermöglicht (Abb. 3).

Anwendungen in der mikrovaskulären Rekonstruktionschirurgie

Die knöcherne Rekonstruktion des Gesichtsschädels nach ausgedehnten Resektionen aufgrund von Tumoreingriffen oder Osteonekrosen ist insbesondere im Unterkiefer aufgrund unterschiedlicher Konturen und Winkel sowie der dreidimensionalen Positionierung eine Herausforderung für den rekonstruktiven Chirurgen. Das mikrovaskuläre Fibulatransplantat wurde durch das gute Knochenangebot, die Länge des Gefäßstiels, die geringe Donormorbidität und die guten Überlebensraten zum Goldstandard für die langstreckige knöcherne Rekonstruktion im Unterkiefer. Die virtuelle Planung und ihre Umsetzung anhand von PSI vereinfacht die prothetisch geführte Rekonstruktion mit dem Ziel der funktionellen Rehabilitation anhand eines „backward planning“ von der dentalen Einheit über die prothetisch optimale Positionierung des Knochens bis zur späteren Versorgung mit dentalen Implantaten.
Die Vorteile der CAD/CAM-Technik zeigen sich in einer signifikant reduzierten Operationsdauer (insbesondere reduzierte Ischämiezeit durch Osteotomie und Osteosynthese der Neomandibula noch gestielt am Donorgefäß) und präzisen Positionierung der Fragmente mit verbesserten funktionellen und ästhetischen Resultaten gegenüber der konventionellen Technik ([12, 13]; Übertrag der Osteotomien und Osteosynthese mit Erhalt der präoperativen Okklusion in 97,5 % vs. 85 % [14]). Darüber hinaus ermöglicht die CAD/CAM-Technik in onkologischen Fällen eine Unterstützung bei der Tumorresektion [15].
Das mikrovaskuläre Fibulatransplantat ist Goldstandard für die Rekonstruktion im Unterkiefer
Nachteile der patientenspezifischen Rekonstruktion mit mikrovaskulärem Fibulatransplantat sind insbesondere die benötigte präoperative Planungs- und Produktionszeit bei primärer Rekonstruktion onkologischer Fälle sowie die hohen Kosten für die PSI [16]. Werden jedoch die eingesparten Operationsminuten, die geringeren Komplikationsraten und der Gewinn an Lebensqualität durch kaufunktionelle Rehabilitation aufgerechnet, relativieren sich die initial hohen Kosten [17].

Anwendungen in der Fehlbildungschirurgie

Bei komplexen Fehlbildungsmustern nimmt die computerassistierte Chirurgie ebenfalls einen zunehmend wichtigen Stellenwert ein. Neben Operationsplanung und Möglichkeiten der Operationssimulation am Stereolithographiemodell bietet der Einsatz von patientenspezifischen „cutting guides“ und „reposition guides“ insbesondere in seltenen, komplexen kraniofazialen Fehlbildungen mit ausgeprägten Asymmetrien entscheidende Vorteile bezüglich der intraoperativen Planungsumsetzung mit realistisch vorhersagbarem Resultat [18]. Die präoperative Planung ermöglicht eine virtuelle Simulation unterschiedlicher Osteotomiemuster, Festlegung von Distraktionsvektoren (Abb. 4), Austausch oder Rotation einzelner Kalottenfragmente sowie Festlegung der Osteosynthese zur optimalen symmetrischen Schädelrekonstruktion unter minimalem Bedarf an Osteosynthesematerial [19, 20].
Neben der individuellen Hilfestellung für den Operateur sehen wir aufgrund der seltenen Manifestation mit entsprechend geringen Fallzahlen insbesondere großes Potenzial in der Aus- und Weiterbildung sowie dem Wissenstransfer zwischen spezialisierten Zentren.
In der orthognathen Chirurgie ist die Ablösung der klassischen Modelloperation durch die virtuelle Operationsplanung bereits weit fortgeschritten. Die Genauigkeit, Effizienz und Flexibilität sowie die einfache Nutzung und Herstellung von präzisen im 3‑D-Druck gefertigten Operationssplinten führte zur schnellen Verbreitung der computerassistierten Chirurgie [21]. In komplexen Fällen mit nichtgesicherter stabilen Fossa-Kondylen-Relation, bei Bedarf einer großen Verlagerungsstrecke, die z. B. zur Therapie einer obstruktiven Schlafapnoe (OSA) oder von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten oft benötigt wird, sowie bei geplanter Multisegmentosteotomie der Maxilla kann der Einsatz von PSI und „cutting guides“ eine vorhersagbare und schnelle knochenbasierte Positionierung der Maxilla ermöglichen [22, 23]. Der zusätzlichen Einsatz von PSI in der Mandibula vermeidet eine Fehlpositionierung des Kondylus in der Fossa. Durch den Wegfall der mechanischen Schwächung aufgrund des händischen Anbiegens von Osteosyntheseplatten und die freie dreidimensionale, lastoptimierte Gestaltung des PSI kann die Rezidivrate bei großen Verlagerungsstrecken über 10 mm (z. B. im Rahmen der OSA-Therapie) verringert werden. Neben der Simulation der Erweiterung der Atemwege kann dem Patienten zusätzlich eine realitätsnahe Simulation der meist signifikanten Veränderungen des Profils präoperativ aufgezeigt werden.
Die fehlende intraoperative Flexibilität ist als kritisch anzusehen
Einen Nachteil stellen auch hier die Implantatkosten dar und müssen gegen die verkürzte Operationszeit abgewogen werden. Insbesondere als kritisch anzusehen ist die fehlende intraoperative Flexibilität. Aufgrund nach wie vor eingeschränkter Vorhersagbarkeit von Weichgewebesimulationen ist die Indikationsstellung für PSI fallabhängig zu stellen. Konventionelle Operationstechniken ermöglichen insbesondere in der vertikalen Dimension eine größere intraoperative Flexibilität.

Kiefergelenkersatz

Der alloplastische Kiefergelenkersatz wurde bereits 1970 beschrieben. Dabei wurden über die Zeit unterschiedliche Materialien für Fossa- und Kondylenkomponenten verwendet. 1993 wurde der patientenspezifische Kiefergelenkersatz unter Verwendung der CAD/CAM-Technologie eingeführt [24]. Aktuell kommen intraoperative „cutting guides“ sowie patientenspezifische Ramus- und Fossakomponenten zum Einsatz. Insbesondere patientenspezifische Fossakomponenten ermöglichen die Rekonstruktion komplexer Defekte der Schädelbasis durch die individuelle Gestaltung der Ausdehnung und Festlegung der Schraubenpositionen. Weitere Vorteile sehen wir bei geringer vertikaler Relation sowie in der Durchführung von Kombinationstherapien wie bimaxillärer Umstellungsosteotomie mit simultanem Kiefergelenkersatz oder mikrovaskulärer Rekonstruktion der Mandibula mit Fibulatransplantat und simultanem Kiefergelenkersatz (Abb. 5).

Ausblick

Künstliche Intelligenz

Die Anwendungsmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI) in der computerassistierten Chirurgie rückt zunehmend in den Fokus der Forschung, um den aktuell noch zeit- und ressourcenintensiven Arbeitsablauf der patientenspezifischen Versorgung zu optimieren. Ziel der KI-basierten Planung ist eine Steigerung der Effizienz und Konsistenz des Planungsprozesses mit gleichzeitiger Verbesserung der patientenspezifischen Vorhersagbarkeit. Bisher steht die Entwicklung von KI-basierten Einzelschritten des digitalen Workflows im Vordergrund.
Exemplarisch lässt sich dies an der Modellsegmentation aufzeigen. Eine präzise Segmentation von dreidimensionalen Bilddaten ist die Grundlage jeder virtuellen Operationsplanung. Die Segmentation von hochauflösenden computertomographischen Datensätzen anhand von „thresholding“ basierend auf den Hounsfield-Einheiten zur Herstellung von 3‑D-Modellen stellt den heutigen Standard dar. Um die Verwendung anderer Bildmodalitäten wie digitale Volumentomographie oder Magnetresonanztomographie sowie eine automatisierte Artefaktreduktion erreichen zu können, werden beispielsweise Deep-Learning-Algorithmen eingesetzt [25].
Eine grundlegende Schwierigkeit für die KI-basierte Planung im Bereich der MKG-Chirurgie besteht im Bedarf an sehr großen Datenmengen zur Erstellung und Validierung von Algorithmen. In Zukunft wird neben der Bildaufbereitung, Bildregistration und Operationsplanung auch das automatisierte Designen von PSI mit kontinuierlicher Verbesserung der KI möglich werden [26].

Augmented Reality

Zur präoperativen intuitiven Visualisierung, Aus- und Weiterbildung, v. a. aber im Rahmen der intraoperativen Qualitätskontrolle scheinen Augmented-Reality(AR)-Brillen eine logische Weiterentwicklung des oben beschriebenen Ablaufs zu sein. Herkömmliche Bildbetrachtungsmöglichkeiten zeigen trotz schönerer 3‑D-Renderinglösungen keine vollständig intuitive Darstellung der komplexen Geometrie des Gesichtsschädels. Noch mehr gilt dies intraoperativ, um Realtime-Qualitätskontrollverfahren wie die intraoperative Navigation zu ersetzen.
Aktuell stellen trotz der vielversprechenden Möglichkeiten eine noch nicht ausreichende Präzision und mangelnde klinische Erprobung Hindernisse dar, die im Rahmen kommender Forschungsprojekte überwunden werden müssen.

Alternative Biomaterialien

Additives Laserschmelzen von Titan ist der aktuelle Material- und Herstellungsstandard für PSI. Der Werkstoff Titan ermöglicht die Fertigung passgenauer, mechanisch formstabiler und radiologisch darstellbarer Implantate mit guter Biokompatibilität. Der ideale patientenspezifische Ersatz von Gewebe sollte aber neben Form und Volumen auch die spezifische Dichte und das Remodellierungsverhalten des Ursprungsgewebes nachbilden können (z. B. kortikale und spongiöse Knochenanteile [27]). Poröse, resorbierbare Biomaterialien, die ein Einwachsen von Knochengewebe ermöglichen, sind in Form von beispielsweise Beta-Tricalciumphosphat (β-TCP) mit klinischer Erfahrung von 40 Jahren in der Orthopädie in Blockform verfügbar, wurden jedoch bisher nicht kommerziell als resorbierbare PSI eingesetzt. Das Material β‑TCP ist osteokonduktiv, osteoinduktiv, weist dabei ein dem Knochen ähnliches Resorptionsverhalten auf und kann durch Knochen ersetzt werden; ferner ermöglicht es eine additive Implantatherstellung unter Nachbildung der knöchernen Makrostruktur [28]. Forschungsschwerpunkte liegen aktuell neben der Überprüfung von Implantaten in In-vivo-Modellen in der Verbesserung der Makro‑, Mikro- und Nanostruktur des Implantats, um die biologischen Eigenschaften weiter zu optimieren [28].

Fazit für die Praxis

  • Die Rekonstruktion komplexer hartgewebiger Strukturen des Gesichtsschädels mit patientenspezifischen Implantaten ist etabliert.
  • Der Einsatz von PSI ermöglicht die exakte, weitgehend anwenderunabhängige praktische Umsetzung einer detaillierten präoperativen Planung in vielen Bereichen der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie.
  • Limitationen ergeben sich durch für die Planung notwendige Ressourcen und Kosten (Personal, Zeitbedarf, Produktion) sowie durch eine begrenzte Vorhersehbarkeit des beteiligten Weichgewebes.
  • Patientenspezifische Implantate bieten Vorteile in Aus- und Weiterbildung mit schnellerem Verständnis und Zugang zu komplexen Rekonstruktionen.
  • Der Einsatz von KI, AR oder alternativen Biomaterialen wird den alltäglichen Einsatz weiter vorantreiben und die Anwendungsbereiche erweitern.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

R. Ferrari, M. Wagner und H. Essig geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Einsatz von patientenspezifischen Implantaten – eine Übersicht und aktuelle Entwicklungen
Von der Einzelindikation am spezialisierten Zentrum zur klinischen Routine
verfasst von
Dr. med. Dr. med. dent. Raphael Ferrari
PD Dr. med. Dr. med. dent. Maximilian Wagner
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Harald Essig
Publikationsdatum
04.04.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die MKG-Chirurgie / Ausgabe 2/2023
Print ISSN: 2731-748X
Elektronische ISSN: 2731-7498
DOI
https://doi.org/10.1007/s12285-023-00420-6

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