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Erschienen in: Die Ophthalmologie 1/2024

Open Access 21.09.2023 | Verletzungen des Auges | Originalien

Sprengstoffbasierte Wühlmausfallen – ein neuartiges Verletzungsmuster im Augenbereich

verfasst von: Prof. Dr. med. C. Framme, MD, FEBO, MBA, I. Volkmann, T. Kern

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 1/2024

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Zusammenfassung

Hintergrund

Eine neuartigere Methode zum Fangen von Wühlmäusen sind pistolenähnlich anmutende Sprengwerkzeuge, die mit Bolzenschuss-ähnlicher Munition geladen werden. Bei Auslösung stirbt die Wühlmaus durch den entstehenden sehr hohen Gasdruck. Akzidentelle Auslösungen können zu Verletzungen im Gesichts‑/Augenbereich führen. Ziel dieser Arbeit war die Beschreibung des Verletzungsmusters am Patienten und die experimentelle Überprüfung, ob die Gefahr penetrierender Augenverletzungen besteht.

Methodik

Zwei Patienten stellten sich notfallmäßig in unserer Augenklinik mit Augenverletzungen nach unabsichtlicher Auslösung der Sprengstofffalle vor. Aufgrund des dabei festgestellten neuen Verletzungsmusters wurden Versuche an enukleierten Schweineaugen zur Feststellung des möglichen Schwergrades unternommen. Dafür wurde eine Wühlmausfalle in eine Halterung eingespannt und jeweils mit einer Patrone „Cal. 9 × 17 mm“ geladen. Frontal zur Mündungsöffnung wurden je 3 Schweineaugen auf Styropor in einem Abstand von 20, 40, 60 und 80 cm befestigt. Die Fremdkörpereinsprengungen in die Hornhaut wurden mittels optischer Kohärenztomographie (SD-OCT) dargestellt und vermessen. Die Schweineaugenbulbi wurden anschließend eröffnet und mittels Mikroskopie nach Fremdkörpern abgesucht. Zum humanen Vergleich wurde auch die OCT-Aufnahme eines verletzten Patienten hinzugezogen.

Ergebnis

Bei der Patientenuntersuchung findet man neben den üblichen feinen Schmauchspuren im Gesicht und im Bindehaut‑/Augenbereich insbesondere wachsähnliche, größere und schwerere Partikel von etwa 0,1–0,2 mm Größe, die von der Patronenabschlusskappe herrühren. Die Entfernung dieser zum Teil tiefer in die Hornhaut, Bindehaut und Tenon eingesprengten Fremdkörper ist deutlich schwieriger und umfangreicher als bei üblichen Explosionstraumata. Ein Hinweis für intraokulare Fremdkörper ergab sich bei beiden Patienten nicht. Ebenfalls konnten experimentell in keinem Schweinebulbus (n = 12) intraokulare Fremdkörper nachgewiesen werden. Im tieferen Hornhautstroma wurden Reste des wachsähnlichen Patronenabschlusses gefunden. Die maximale Eindringtiefe lag gemessen an der Gesamthornhautdicke bei 46 % bei 20 cm Geräteentfernung und nahm mit größerem Abstand zur Wühlmausfalle ab (Eindringtiefe bei 40 cm bei 37 %, bei 60 cm bei 28 % und bei 80 cm bei 19 %). Zum Vergleich am humanen Auge zeigte sich bei einem Abstand von ca. 40 cm eine Eindringtiefe von 54 %. Bei den Schweineaugen nahm die Anzahl der Fremdkörper pro cm2 mit zunehmendem Abstand zur Wühlmausfalle ab (Mittelwert: n = 174 Fremdkörper (FK) bei 20 cm Abstand, n = 46 FK bei 40 cm, n = 23 FK bei 60 cm und n = 9 FK bei 80 cm). Die größten eingedrungenen Fremdkörper maßen im Mittel 383 ± 43 μm mit einem Maximum von 451 μm.

Schlussfolgerung

Neue Wühlmausfallen mit gasbetriebener Mechanik führen zu größeren tief eindringenden wachsähnlichen Fremdkörpern in Hornhaut, Bindehaut und Tenon des Auges, welche nur chirurgisch schwierig zu entfernen sind. Trotz der erheblichen Explosion bei der Auslösung ergab sich weder am Patienten der Hinweis noch experimentell am Schweineauge der Nachweis für eine penetrierende Augenverletzung durch die Fremdkörper. Beim Umgang mit den Fallen sollte eine Schutzbrille getragen werden, um das Eindringen von Fremdkörpern in die Hornhaut und Bindehaut zu vermeiden.
Hinweise
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Die Wühlmäuse (Arvicolinae) stellen eine Unterfamilie der Wühler (Cricetidae) mit über 150 Arten dar. Zu den bekanntesten Arten gehören die Feldmaus, die Rötelmaus, die Bisamratte, die Schermäuse und die Lemminge [1]. Je nach Gattung sind die tag- und nachtaktiven Wühlmäuse zwischen 7 und 23 cm lang und wiegen ca. 80–200 g, aber auch bis 2600 g wie die Bisamratte [1]. Sie gelten als Schädlinge, da sie bevorzugt Wurzeln von jungen Obstbäumen, Gehölze und Rinden vertilgen. Die Bekämpfung von Wühlmäusen erfolgt mittels Begasungsmitteln, Giftködern oder Mausefallen [1]. Mit einer Wühlmausfalle assoziiert man als klassische Schlagfalle [2] typischerweise ein Holzgestell mit einer aufgesetzten metallenen Fangvorrichtung. Köder wie Nüsse, Rosinen, Speck oder Käse locken die Maus an, die dann durch den ausgelösten auf die Maus zuschnellenden Metallbügel in der Regel sofort getötet wird. Es gibt darüber hinaus verschiedene andere Arten von Mäusefallen [2], die teilweise – wie auch die Schlagfalle – nutzlos sein können, da die Mäuse sie über die Zeit umgehen.
Neuartigere Mäusefallen sind Wühlmausschussfallen, die sprengstoffbasiert funktionieren und zu besonderen Verletzungsmustern auch am Menschen im Gesichts‑/Augenbereich führen können. Die Fallen bestehen aus einem Metallgehäuse. Im vorderen Stück befindet sich der Auslösemechanismus (Abb. 1). In das Metallgehäuse wird eine Patrone platziert (Abb. 2), welche eine Treibladung enthält. Nach Ladung der Mäusefalle wird diese in den Wühlmausgang eingelegt. Stößt die Maus an den Auslösemechanismus, entlädt sich die Patrone. Die Tötung der Maus geschieht durch den hohen aufgebauten Gasdruck (Druckaufbau in der Lunge), der zum sofortigen Tod führen soll. Die Patronen kommen ursprünglich aus der Tierzucht (z. B. Rinder, Schweine, Pferde); (Abb. 2) und wurden ursprünglich für die umgangssprachlichen Bolzenschussgeräte – bzw. richtiger: „Kugelschussapparate“ – verwendet. Anstatt des Vortriebs eines Bolzens wird für die Wühlmausfalle allerdings der Gasdruck ausgenutzt.
Die meisten Unfälle treten im häuslichen Bereich mit zum Teil auch erheblichen offenen Augenverletzungen auf [3, 4]. Der unsachgemäße Umgang mit dieser Art von Fallen birgt durch die erhebliche Sprengkraft das potenzielle Risiko von folgenschweren Verletzungen, und es musste bereits auch schon der Verlust von Fingern beklagt werden [5]. In dieser Arbeit sollen die potenziellen Augenverletzungen sowohl am Patienten als auch experimentell am Schweineauge beurteilt werden.

Material und Methode

Zwei Patienten stellten sich notfallmäßig in unserer Augenklinik mit Augenverletzungen nach unabsichtlicher Auslösung der beschriebenen Sprengstofffalle vor. Das entsprechende Verletzungsmuster wird dargestellt. Die Therapie erfolgte kombiniert sowohl chirurgisch als auch konservativ. Aufgrund des festgestellten neuen Verletzungsmusters wurden Versuche an enukleierten Schweineaugen zur Feststellung des möglichen Schwergrades von potenziellen Augenverletzungen in Abhängigkeit zur Entfernung von der ausgelösten Falle unternommen. Dafür wurde eine Wühlmausfalle (Kieferle W2 Wühlmausschussfalle, Kieferle GmbH, Gottmadingen, Deutschland) in eine Halterung eingespannt und jeweils mit einer Patrone „Cal. 9 × 17 mm“ (RWS 9 × 17 Viehbetäubung, RUAG Ammotec GmbH, Deutschland) geladen. Frontal zur Mündungsöffnung wurden je 3 Schweineaugen auf Styropor in einem Abstand von 20, 40, 60 und 80 cm befestigt. Die Fremdkörpereinsprengungen in die Hornhaut wurden mittels optischer Kohärenztomographie („Anterior Segment SD-OCT“, Spectralis OCT, Heidelberg Engineering, Heidelberg, Deutschland, Software 6.7.13) visualisiert und vermessen. Da die Hornhäute von Mensch und Schwein unterschiedlich dick sind, wird die jeweils relative Eindringtiefe angegeben. Die Schweineaugenbulbi wurden anschließend eröffnet und mittels Mikroskopie nach Fremdkörpern abgesucht. Zum humanen Vergleich wurde die OCT-Aufnahme eines verletzten Patienten hinzugezogen.

Ergebnisse

Patienten

Bei 2 Patienten ist die oben beschriebene Konstruktion einer sprengstoffbasierten Wühlmausfalle für eine Augenverletzung verantwortlich, als akzidentell die Zündung verfrüht ausgelöst wurde. Die erste Patientin stellte sich mit vermindertem Visus und multiplen Fremdkörpereinsprengungen an beiden Augen in die Hornhaut sowie tief in Bindehaut und Tenon und sogar bis in die Sklera vor (Abb. 3). Bei Erstvorstellung hatte die Patientin einen bestkorrigierten Fernvisus rechts von 0,32 und links von 1,0. Periokulär zeigten sich multiple Fremdkörper in der Haut. Ophthalmoskopisch zeigten sich multiple dunkle Fremdkörper in der Bindehaut. Die Linsen waren klar. Die Bulbi waren tonisiert. In der Fundoskopie zeigten sich vitale, gut durchblutete Papillen, unauffällige Makulae und eine anliegende Netzhaut ohne Berlin-Ödem. In lokaler Tropfanästhesie wurden zunächst die Fremdkörper aus der Hornhaut entfernt, die sehr tief bis in das Stroma eingedrungen sind. Die weitere Fremdkörperentfernung von vermeintlichen Schmauchspuren musste durch eine ambulante Operation mit Bindehauteröffnung in Lokalanästhesie erweitert werden, da die Einsprengsel sehr tief lagen und nicht oberflächlich abgetragen werden konnten. Hierbei bestätigte sich der Verdacht, dass es sich nicht, wie anfangs angenommen, um reine Schmauchspuren handelte, sondern, dass sich kleine, harte, grünliche und wachsähnliche Fremdkörper von der Patronenabschusskappe in der Bindehaut und teils deutlich tiefer auch in der Tenonschicht befanden. Die weitere Behandlung fand in lokaler Betäubung unter sterilen Bedingungen im Operationssaal statt. Unter subkonjunktivaler Infiltrationsanästhesie wurde die Konjunktiva an mehreren Stellen eröffnet, um die tief liegenden Fremdkörper mittels Vannas-Schere und Pinzette zu entfernen. Hierbei wurden insgesamt am rechten Auge ca. 25 bis 30 und am linken Auge ca. 10 bis 15 Fremdkörper entfernt. Für intraokular eingedrungene Fremdkörper ergab sich kein Hinweis. Die Visusrehabilitation erfolgte innerhalb einiger Tage. Die Ausbürstung von periokulären Fremdkörpern im Lid- und Hautbereich wurde durch die hiesige dermatologische Klinik durchgeführt. Unter lokaler Therapie mit Antibiotika und Steroiden erholte sich der Visus nach 5 Tagen auf rechts cc = 0,7.
Der zweite Patient zeigte nach akzidenteller Auslösung der Sprengstofffalle das gleiche Verletzungsbild wie die erste Patientin. Auch die chirurgische Entfernung der tief liegenden Fremdkörper gestaltete sich gleichermaßen schwierig. Das SD-OCT zeigt ein Eindringen der Fremdkörper in die Hornhaut bis über 300 µm Tiefe (Abb. 4). Die Größe der einzelnen Fremdkörper betrug zwischen 0,2 und 0,3 mm (Abb. 4 und 5). Auch hier ergab sich kein Hinweis für eine fremdkörperbedingte Penetration des Augapfels, und unter weiterer konservativer Therapie heilte der Befund gut ab.

Experimentelle Ergebnisse

Im experimentellen Setup mit einer auf einem Tisch fixierten Wühlmausfalle und einem in gleicher Linie davor platzierten enukleierten Schweineauge konnten die entsprechend intendierten Schussversuche adäquat durchgeführt werden. Über die 4 Distanzen wurden jeweils 3 Augen entsprechend behandelt und danach zunächst mittels anterioren SD-OCTs und konsekutiv nach Bulbuseröffnung mikroskopisch untersucht. In keinem der 12 Bulbi konnten makroskopisch, im SD-OCT oder mikroskopisch intraokulare Fremdkörper nachgewiesen werden. Im Hornhautstroma konnten Reste des wachsähnlichen Patronenabschlusses gefunden werden. Die maximale Eindringtiefe lag, gemessen an der Gesamthornhautdicke, bei 46 % bei 20 cm und nahm mit Abstand zur Wühlmausfalle ab (Eindringtiefe bei 40 cm bei 37 %, bei 60 cm bei 28 % und bei 80 cm bei 19 %; Abb. 6). Zum Vergleich am humanen Auge zeigte sich bei einem Abstand von ca. 40 cm eine Eindringtiefe von 54 % (Abb. 4). Bei den Schweineaugen nahm die Anzahl der Fremdkörper pro cm2 mit zunehmendem Abstand zur Wühlmausfalle ab (Mittelwert: 174 Fremdkörper [FK] bei 20 cm Abstand, 46 FK bei 40 cm, 23 FK bei 60 cm und 9 FK bei 80 cm; Abb. 7). Die Größe der Fremdkörper änderte sich mit dem Abstand zur Mäusefalle nur unwesentlich und betrug im Mittel zwischen 344 und 423 µm (Abb. 8). Die größten eingedrungenen Fremdkörper waren maximal 451 μm groß. Beispielhaft zeigt das anteriore SD-OCT die – im Vergleich zu humanen Verhältnissen – deutlich dickere Hornhaut eines enukleierten Schweineauges nach Fremdkörpereinsprengung aus 40 cm Entfernung. Der Fremdkörper dringt zwischen 300 und 400 µm tief in das Stroma ein, bleibt aber relativ in der oberflächlichen Hälfte der Hornhaut stecken (Abb. 9).

Diskussion

Das hier vorgestellte Verletzungsmuster könnte in Zukunft häufiger vorkommen, da sich sprengstoffbasierte Mäusefallen vermutlich weiter verbreiten werden. Diese Fallen werden mit Patronen beladen, die sonst üblicherweise für Bolzenschussgeräte verwendet werden. Nach Beladung mit der Munition wird die Schussfangvorrichtung in den Wühlmausgang eingeführt. Bei der Präparation der Fallen kommt es immer wieder zu verfrühten, akzidentellen Betätigungen des Auslösemechanismus. Die Verletzungsmuster durch solche Traumata waren bisher durch Dermatologie, Hand- und Unfallchirurgen beschrieben worden, wobei es sogar bis zu Extremitätenamputationen gekommen ist [5]. Trotz Modifikation der weiteren Versionen der Wühlmausfalle mittels eines roten Sicherheitsbügels (Abb. 1) scheint es dennoch weiterhin zu Verletzungen zu kommen. Die grünlichen Fremdkörper – dicker als übliche von Feuerwerkskörpern herrührende Schmauchspuren – entstammen am ehesten von der frontalen Deckung der Munition (farbliche Kunststoffaufsätze zum Schutz vor Eindringen von Feuchtigkeit) und dringen deutlich tiefer in das Gewebe ein. Dies führt zu einer notwendigen Erweiterung der sonst üblichen Fremdkörperentfernung an der Spaltlampe. Ähnlich gelagerte Fälle wurden in der ophthalmologischen Literatur unseres Wissens bisher nicht beschrieben.
Patientenseits zeigten sich bei Erstvorstellung die multiplen Fremdkörper in der Hornhaut. Beunruhigend waren sichtbare endotheliale Abdrücke in Form von rundlichen Trübungen, die an eine mögliche Bulbuseröffnung denken ließen. Die Größe solcher Fremdkörper und die Eindringtiefe bis nahezu der Hälfte des Hornhautstromas konnten im Vorderabschnitts-OCT dargestellt werden (Abb. 4). Eine Penetration der Fremdkörper in das Augeninnere konnte allerdings bei beiden Patienten mittels Fundoskopie und Ultraschall – auch im Behandlungsverlauf – nicht festgestellt werden. Ebenso kam es zu keinem Makulaforamen oder einer Optikusbeteiligung, wie es bei entsprechenden Druckeinwirkungen auf das Auge möglich ist [6].
In einer Untersuchung von 34 Handverletzungen zwischen 2004 und 2007 zeigte sich 14-mal der Verlust eines Fingers beim Handling mit diesen Fallen [5]. Aufgrund dieser beschriebenen, doch extrem anmutenden Auswirkungen haben wir weitere Untersuchungen am Schweineauge durchgeführt, um das Gefahrenpotenzial für offene Augenverletzungen abschätzen zu können. Die Schussexperimente ergaben, dass die Größe der in die Hornhaut eingedrungenen Fremdkörper bei variierenden Entfernungen der Mäusefalle ähnlich blieb, wohingegen sich allerdings die Eindringtiefe der Fremdkörper in die Hornhaut und die Anzahl der Fremdkörper pro Quadratzentimeter mit größerer Entfernung reduzierten (Abb. 6, 7 und 8). Ein intraokulares Eindringen der Fremdkörper konnte trotz der an der Hand beschriebenen massiven Gewebeschädigung experimentell nicht beobachtet werden. Der Grund dafür können unterschiedliche Munition sowie größere Entfernungen der Falle zum Auge sein (s. unten).
Der Aufbau der Munition ist für das vorliegende Verletzungsmuster interessant. Zum einen kann von einer deutlichen Krafteinwirkung ausgegangen werden, wenn man zugrunde legt, dass mit dieser Munition ursprünglich Rinder o. Ä. für die Schlachtung betäubt werden sollten. Zum anderen zeigt der vorne befindliche Verschluss, mit welcher Art Fremdkörper man es in diesem Falle tatsächlich zu tun hatte. Musste man als Untersucher dieser Notfallverletzung davon ausgehen, dass es sich bei den okulären Einsprengseln um bekannte oberflächlich und leicht zu entfernende Schmauchspuren handelt, waren die hier gezeigten Fremdkörper jedoch größer und fester und drangen sehr viel tiefer in das Gewebe ein. Diese wachsähnlichen Fremdkörper entstammen wahrscheinlich auch den Verschlüssen der Munition und haben verschiedene Farben, die den ursprünglichen Einsatzbereich kennzeichnen. Die hier gezeigten, bei den Patienten entfernten Munitionen hatten eine grünliche Versiegelung. Es handelte sich also am ehesten um Munition, die ursprünglich für Schweine und Kleinvieh verwendet wird (grün: schwache Ladung für Kleintiere [Schweine, Kälber, Schafe]; gelb: mittlere Ladung für Kühe, Pferde und leichte Ochsen; blau: starke Ladung für Ochsen; rot: sehr starke Ladung für schwerste Tiere [Bullen]; schwarz: diese Farbe ist der stärksten Ladungsstärke zugeordnet. Sie ist jedoch nicht für alle Kaliber frei verfügbar; [7]). Aufgrund der farblichen Fremdkörper und der entsprechenden Versiegelung der Munition ist davon auszugehen, dass die Fremdkörper von der Versiegelung stammen und nicht vom Treibmittel der Kartusche. Für die komplette Entfernung der Fremdkörper muss chirurgisch bis tief in das Gewebe vorgegangen werden.
In der Literatur finden sich Hinweise auf die möglichen Energien, die von den Patronen resultieren. Der entstehende Gasinnendruck in der Patrone liegt je nach Norm bei etwa 1140 bis 2760 bar [8]. Das Kaliber 9 × 17 liegt bei einer maximalen Energie von 700 J und einer Gasausbreitungsgeschwindigkeit von bis zu 2000 m/s. Eine ausgedehnte Gewebeschädigung ist durch diese hohen Gasdrücke, die Geschwindigkeit und die Kraft möglich [9]. Somit sind die unter [5] beschriebenen teilweise erheblichen Handverletzungen durchaus nachvollziehbar, und es mag – positiv erachtet – erstaunen, dass in den beschriebenen ophthalmologischen Fällen und auch experimentell keine offene Augenverletzung gesehen und/oder induziert werden konnte. Hier ist allerdings zu beachten, dass die genaue Entfernung und die direkte Achse von Wühlmausfalle und Patientenauge bei der Explosion nicht exakt bekannt sein können und die Explosionswolke diffus verläuft, somit es also auch dem Zufall unterliegen mag, ob ein Projektil genügend Kraft haben könnte, das Auge zu penetrieren. Dass hier in beiden Fällen keine offene Augenverletzung erfolgte, könnte demnach dem Zufall geschuldet sein und lässt somit nicht auf eine generelle Ungefährlichkeit schließen. Gleichermaßen muss auch bei den Experimenten mit den Schweineaugen in Betracht gezogen werden, dass die Hornhaut deutlich dicker als beim Menschen ist und somit per se eine Penetration unwahrscheinlicher wird. Nichtsdestotrotz konnte gezeigt werden, dass sowohl Eindringtiefe und Anzahl der Fremdkörper mit geringerer Entfernung deutlich zunahmen. Durch die unterschiedlichste Ausbreitung von Fremdkörpern bei Explosionen ist eine statistische Signifikanz durch die in dieser Arbeit eher geringe Anzahl an Schussversuchen nicht zu evaluieren, weshalb die Ergebnisse lediglich deskriptiv beschrieben wurden. Wir gehen davon aus, dass sich die Daten durch deutlich mehr Versuche nicht entscheidend geändert hätten.
Die experimentellen Ergebnisse haben aber gezeigt, dass die Schweineaugen eine hohe mechanische Resistenz haben und eine Penetration besagter Fremdkörper – auch bei sehr nahen Entfernungen von 20 cm – trotz der hohen Explosionsdrücke verhindern können. Bezüglich eines Patienten darf beim Handling und Beladen dieser Wühlmausfalle von einer Entfernung von 20–40 cm vor dem Gesichtsbereich ausgegangen werden, sodass akzidentelle Entladungen in Bereichen unter 30 cm ggf. doch das Potenzial für eine offene Augenverletzung haben könnten. Anamnestisch betrugen die Entfernungen bei beiden Patienten – bei entsprechender Unsicherheit – etwa 40 cm. Da, wie oben dargestellt, die menschliche Hornhaut nur halb so dick ist wie die Schweinehornhaut mit etwa 900–1100 µm, könnten insbesondere Menschen mit verdünnter Hornhaut wie beispielsweise mit Keratokonus, Zustand nach LASIK oder entzündlichen Erkrankungen mit Keratektasien schwerer verletzt werden. In diesen Fällen mag somit ein erhöhtes Gefährdungspotenzial bestehen.

Fazit

Neuartigere Wühlmausfallen mit gasbetriebener Auslösemechanik führen zu größeren tief eindringenden wachsähnlichen Fremdkörpern in Hornhaut, Bindehaut und Tenon des Auges. Diese sind nur chirurgisch schwierig zu entfernen sind. Trotz der erheblichen Explosion bei der Auslösung konnten an unseren 2 Patienten und in unserem experimentellen Aufbau am Schweineauge keine penetrierenden Augenverletzungen nachgewiesen werden. Beim Umgang mit den Fallen sollte aus Sicherheitsgründen definitiv eine Schutzbrille getragen werden, da eine penetrierende Augenverletzung mit größerem traumatischem Schaden nicht ausgeschlossen werden kann.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

C. Framme, I. Volkmann und T. Kern geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle nationalen Richtlinien zur Haltung und zum Umgang mit Labortieren wurden eingehalten, und die notwendigen Zustimmungen der zuständigen Behörden liegen vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Sprengstoffbasierte Wühlmausfallen – ein neuartiges Verletzungsmuster im Augenbereich
verfasst von
Prof. Dr. med. C. Framme, MD, FEBO, MBA
I. Volkmann
T. Kern
Publikationsdatum
21.09.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 1/2024
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-023-01926-1

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