Erschienen in:
01.08.2012 | Notfallmedizin
Gerinnungsmanagement beim kreislaufinstabilen Polytraumapatienten
Erarbeitung einer hämoglobinorientierten „standard operating procedure“
verfasst von:
Dr. P. Hilbert, D.E.A.A., G.O. Hofmann, K. zur Nieden, J. Teichmann, J. Jakubetz, R. Stuttmann
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 8/2012
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Zusammenfassung
Hintergrund
Eine Haupttodesursache des schwer verletzten Patienten ist die Exsanguination. Zeitnahe chirurgische Blutstillung und Gerinnungsoptimierung sind von entscheidender Bedeutung. Standardgerinnungstestergebnisse benötigen meist 30–45 min. Die vorliegende Untersuchung geht der Frage nach, ob Hämoglobin (Hb) als bettseitig bestimmbarer Laborparameter ein geeigneter Surrogatparameter zur Ausrichtung der Gerinnungstherapie beim kreislaufinstabilen Polytrauma mit entsprechender Handlungsanweisung sein kann.
Methode
Es wurde eine Hb-orientierte „standard operating procedure“ (SOP) zur Gerinnungstherapie im Schockraum entwickelt. Bei Hb-Werten > 5,5 mmol/l (≈8,8 g/dl) erfolgt die Gerinnungstherapie in Anlehnung an die Laborergebnisse. Bei Hb-Werten zwischen 5,5 mmol/l (≈8,8 g/dl) und 4,0 mmol/l (≈6,5 g/dl) erfolgt die Gabe einer definierten Menge Fibrinogen und Prothrombinkomplex (PPSB). Bei Werten < 4,0 mmol/l (≈6,5 g/dl) wird die Menge an Fibrinogen/PPSB erhöht und zusätzlich aktivierter Faktor VIIa (FVIIa, NovoSeven®) in niedriger Dosis verabreicht. Zusätzlich zu Fibrinogen, PPSB und FVIIa soll die frühzeitige Gabe von Tranexamsäure und Desmopressin in Erwägung gezogen werden. Alle notwendigen Substanzen werden standardisiert in einer speziellen Box („Gerinnungskiste“) vorgehalten. Die SOP wurde ab Juli 2011 für konsekutiv im Schockraum aufgenommene Patienten evaluiert; hierbei wurden Letalität, assoziierte Gerinnungsparameter im zeitlichen Verlauf und Praktikabilität untersucht.
Ergebnis
Die „Gerinnungskiste“ kam im 6-monatigen Evaluationszeitraum bei 19 von 71 konsekutiven Traumapatienten zum Einsatz. Durch SOP-orientierte Maßnahmen verbesserte sich die Gerinnung hinsichtlich der globalen Gerinnungsparameter von der Schockraum- bis zur „Intensive-care-unit“(ICU)-Aufnahme (Quick-Wert 61 vs. 97%, p < 0,001; partielle Thromboplastinzeit 50 vs. 42 s, nicht signifikant; Fibrinogenkonzentration 1,7 vs. 2,15 g/l, nicht signifikant), und es zeigte sich eine deutlich niedrigere Letalität (42%) im Vergleich zur mithilfe der Revised Injury Severity Classification (RISC) prognostizierten Letalität (60%).
Schlussfolgerung
Erste Erfahrungen mit einem Hb-orientierten Gerinnungsmanagement zeigen eine frühe Verbesserung der Gerinnung bei parallel deutlich niedrigerer Letalität, als mithilfe des RISC prognostiziert.