Skip to main content
Erschienen in: Der Anaesthesist 1/2013

01.01.2013 | Notfallmedizin

Tödliche Zwischenfälle durch Menschengedränge bei Großveranstaltungen

(Un-)vermeidbares Phänomen

verfasst von: U. Wagner, A. Fälker, Prof. Dr. V. Wenzel, M.Sc., FERC

Erschienen in: Die Anaesthesiologie | Ausgabe 1/2013

Einloggen, um Zugang zu erhalten

Zusammenfassung

Hintergrund

Menschengedränge mit Dutzenden oder sogar Hunderten von Todesopfern hat es mehrmals bei der Haddsch in Saudi-Arabien gegeben, aber auch in Fußballstadien westlicher Industriestaaten. Da tödliche Unglücke durch Menschengedränge bei Großveranstaltungen selten auftreten, allerdings meistens jahrelange Gerichtsprozesse nach sich ziehen, um die Ursachen und die Schuldfrage zu klären, sind eine Analyse und Gefahrenvorsorge aus notfallmedizinischer Sicht schwierig.

Methoden

Es wurde ein Menschengedränge mit für einige Betroffene tödlichem Ausgang analysiert, das sich am 04.12.1999 beim „Air & Style“-Snowboard-Schaukampf mit ca. 22.000 Besuchern im Bergisel-Stadion in Innsbruck ereignete. Zunächst wurden fokussierte Interviews mit den beteiligten Einsatzkräften und Ärzten durchgeführt; anschließend wurden öffentlich zugängliche Gerichtsakten des strafrechtlichen Verfahrens des Unglücks am Landesgericht Innsbruck ausgewertet.

Ergebnisse

Am geplanten Einsatz waren 87 Sanitäter, 6 Notärzte, ein leitender Notarzt, 21 Polizisten und 140 Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdiensts, nach dem Unglück zusätzlich ca. 100 Sanitäter, 36 Rettungsfahrzeuge und 4 Notarztwagen beteiligt. Das Menschengedränge (6 Tote, 4 Patienten seitdem im Wachkoma, 38 Verletzte) ist wahrscheinlich durch eine Verdichtung von Zuschauerströmen an einem Stadionausgang entstanden, die nicht rechtzeitig erkannt und aufgelöst wurde. Dabei haben bauliche Voraussetzungen, Dunkelheit sowie der leicht abschüssige und rutschige Weg die gefährliche Situation verschärft; es bestand aber zu keiner Zeit Panik unter den Besuchern.

Schlussfolgerung

Auch in Zukunft wird es nicht gelingen, ähnliche Unfälle durch Menschengedränge bei Großveranstaltungen völlig zu verhindern. Wenn aber frühzeitig mit der Planung begonnen wird, ausreichend personelle und materielle Reserven bereitgehalten werden und trotz unterschiedlicher Ziele der beteiligten Organisationen ein gemeinsames Konzept erarbeitet und befolgt wird, lässt sich das Risiko eines Zwischenfalls auf einem niedrigen Niveau halten. Jeder Beteiligte – ob Veranstalter, Ordnungs- und Rettungsdienst, Kommune, letztlich auch der Veranstaltungsteilnehmer selbst – muss sich seiner Verantwortung bewusst sein, um zu einer gelungenen Veranstaltung und zur Sicherheit aller Teilnehmer beizutragen. Eine umfassende und kritische Prüfung von Sachverhalten bzw. die Umsetzung der daraus gewonnenen Erkenntnisse bedeuten zwar einen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand, wirken sich aber in jedem Fall positiv auf die Sicherheit und den Erfolg der Veranstaltung aus.
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Ackermann O, Lahm A, Pfohl M et al (2011) Patient care at the 2010 love parade in Duisburg, Germany: clinical experiences. Dtsch Arztebl Int 108:483–489PubMed Ackermann O, Lahm A, Pfohl M et al (2011) Patient care at the 2010 love parade in Duisburg, Germany: clinical experiences. Dtsch Arztebl Int 108:483–489PubMed
2.
Zurück zum Zitat Ackermann O, Lahm A, Pfohl M et al (2011) Loveparade 2010 Duisburg – klinische Erfahrungen in Vorbereitung und Versorgung. Unfallchirurg 114:794–800PubMedCrossRef Ackermann O, Lahm A, Pfohl M et al (2011) Loveparade 2010 Duisburg – klinische Erfahrungen in Vorbereitung und Versorgung. Unfallchirurg 114:794–800PubMedCrossRef
3.
4.
Zurück zum Zitat Ammar A (2007) Role of leadership in disaster management and crowd control. Prehosp Disast Med 22:527–528 Ammar A (2007) Role of leadership in disaster management and crowd control. Prehosp Disast Med 22:527–528
5.
Zurück zum Zitat Amt der Tiroler Landesregierung (Hrsg) (2004) Landesgesetzblatt für Tirol Stück 23, S 226 Amt der Tiroler Landesregierung (Hrsg) (2004) Landesgesetzblatt für Tirol Stück 23, S 226
6.
Zurück zum Zitat Amt der Tiroler Landesregierung. Bescheid „Olympia-Spezial-Sprungschanze“ vom 14.12.1961 Amt der Tiroler Landesregierung. Bescheid „Olympia-Spezial-Sprungschanze“ vom 14.12.1961
7.
Zurück zum Zitat Bernsteiner F (2000) „Air & Style Veranstaltung“; Sachverhaltsermittlung nach dem Unfall mit Todesfolge im Bergisel-Stadion – 04.12.1999 (Bezirksinspektor bei der Polizeidirektion Innsbruck) Bernsteiner F (2000) „Air & Style Veranstaltung“; Sachverhaltsermittlung nach dem Unfall mit Todesfolge im Bergisel-Stadion – 04.12.1999 (Bezirksinspektor bei der Polizeidirektion Innsbruck)
8.
Zurück zum Zitat Birkfellner F (1995) Abschlussbericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck über die Snowboard-Veranstaltung im Bergisel-Stadion am 09.12.1995; erstellt am 11.12.1995 Birkfellner F (1995) Abschlussbericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck über die Snowboard-Veranstaltung im Bergisel-Stadion am 09.12.1995; erstellt am 11.12.1995
9.
Zurück zum Zitat Birkfellner F (1997) Abschlussbericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck zur Snowboard-Veranstaltung im Bergiselstadion am 06.12.1997; erstellt am 09.12.1997 Birkfellner F (1997) Abschlussbericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck zur Snowboard-Veranstaltung im Bergiselstadion am 06.12.1997; erstellt am 09.12.1997
10.
Zurück zum Zitat DIN EN 13200-1:1998-05 Zuschaueranlagen – Teil 1: Kriterien für die räumliche Anordnung von Zuschauerplätzen DIN EN 13200-1:1998-05 Zuschaueranlagen – Teil 1: Kriterien für die räumliche Anordnung von Zuschauerplätzen
12.
Zurück zum Zitat Gattermann P (2000) Durchrechnung der Fluchtwegezeiten für das Objekt „Berg Isel Stadion“, Innsbruck. Sachverständigen Gutachten vom 24.02.2000 Gattermann P (2000) Durchrechnung der Fluchtwegezeiten für das Objekt „Berg Isel Stadion“, Innsbruck. Sachverständigen Gutachten vom 24.02.2000
13.
Zurück zum Zitat Groiss W (2003) Befund und Gutachten zum Strafverfahren gegen den Beschuldigten (…) nach § 177 StGB unter Einzelrichter Richter des Landesgerichts Mag. Peter Friedrich. Sachverständigen Gutachten vom 30.06.2003 Groiss W (2003) Befund und Gutachten zum Strafverfahren gegen den Beschuldigten (…) nach § 177 StGB unter Einzelrichter Richter des Landesgerichts Mag. Peter Friedrich. Sachverständigen Gutachten vom 30.06.2003
14.
Zurück zum Zitat Hart C (2000) Stormy silence was worst irony of tech rainout. Roanoke Times, 04.09.2000 Hart C (2000) Stormy silence was worst irony of tech rainout. Roanoke Times, 04.09.2000
15.
Zurück zum Zitat Helbing D, Farkas I, Vicsek T (2000) Simulating dynamical features of escape panic. Nature 407:487–490PubMedCrossRef Helbing D, Farkas I, Vicsek T (2000) Simulating dynamical features of escape panic. Nature 407:487–490PubMedCrossRef
16.
Zurück zum Zitat Hinghofer-Szalkay D, Koch BA (2006) Country reports Austria. In: Faure M, Hartlief T (Hrsg) Financial compensation for victims of catastrophes: a comparative legal approach. Springer, Wien, S 29–31 Hinghofer-Szalkay D, Koch BA (2006) Country reports Austria. In: Faure M, Hartlief T (Hrsg) Financial compensation for victims of catastrophes: a comparative legal approach. Springer, Wien, S 29–31
17.
Zurück zum Zitat Hussey A (2005) Lost lives that saved a sport. Guardian, 03.04.2005 Hussey A (2005) Lost lives that saved a sport. Guardian, 03.04.2005
18.
Zurück zum Zitat Ing. Kluge. Bergisel-Stadion Fassungsvermögen; Festlegung der Zuschauerkapazität. Sachverständigen Gutachten vom 24.09.1996 Ing. Kluge. Bergisel-Stadion Fassungsvermögen; Festlegung der Zuschauerkapazität. Sachverständigen Gutachten vom 24.09.1996
19.
Zurück zum Zitat Kornerup U, Rungstrøm B (2000) Report on the accident at Roskilde Festival on 30 June 2000. Roskilde Police Kornerup U, Rungstrøm B (2000) Report on the accident at Roskilde Festival on 30 June 2000. Roskilde Police
20.
Zurück zum Zitat Luiz T, Kumpch M, Laux T et al (2006) Medizinische Gefahrenabwehr anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006. Notfall Rettungsmed 9:248–257CrossRef Luiz T, Kumpch M, Laux T et al (2006) Medizinische Gefahrenabwehr anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006. Notfall Rettungsmed 9:248–257CrossRef
21.
Zurück zum Zitat Lund A, Gutman SJ, Turris SA (2011) Mass gathering medicine: a practical means of enhancing disaster preparedness in Canada. CJEM 13:231–236PubMed Lund A, Gutman SJ, Turris SA (2011) Mass gathering medicine: a practical means of enhancing disaster preparedness in Canada. CJEM 13:231–236PubMed
22.
Zurück zum Zitat Merton R, Kendall P (1979) Das fokussierte Interview. In: Hopf C, Weingarten E (Hrsg) Qualitative Sozialforschung. Klett-Cotta, Stuttgart, S 171–203 Merton R, Kendall P (1979) Das fokussierte Interview. In: Hopf C, Weingarten E (Hrsg) Qualitative Sozialforschung. Klett-Cotta, Stuttgart, S 171–203
23.
Zurück zum Zitat Dr. Oberforcher. Schulschluss Open-Air im Berg-Isel-Stadion. Erfahrungsbericht vom Polizeidirektor Innsbruck vom 10.07.1990 Dr. Oberforcher. Schulschluss Open-Air im Berg-Isel-Stadion. Erfahrungsbericht vom Polizeidirektor Innsbruck vom 10.07.1990
24.
Zurück zum Zitat Österreichisches Rotes Kreuz in Tirol. Einsatz Berg-Isel Air & Style-Contest Bericht vom 04.12.1999 Österreichisches Rotes Kreuz in Tirol. Einsatz Berg-Isel Air & Style-Contest Bericht vom 04.12.1999
25.
Zurück zum Zitat Peter H, Maurer K (Hrsg) (2005) Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen. Stumpf + Kossendey, Edewecht Peter H, Maurer K (Hrsg) (2005) Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen. Stumpf + Kossendey, Edewecht
26.
Zurück zum Zitat Pinkert M, Bloch Y, Schwartz D et al (2007) Leadership as a component of crowd control in a hospital dealing with a mass-casualty incident: lessons learned from the October 2000 riots in Nazareth. Prehosp Disast Med 22:522–526 Pinkert M, Bloch Y, Schwartz D et al (2007) Leadership as a component of crowd control in a hospital dealing with a mass-casualty incident: lessons learned from the October 2000 riots in Nazareth. Prehosp Disast Med 22:522–526
27.
Zurück zum Zitat Dr. Puffer P (1999) Gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten zu den Todesfällen im Bergisel-Stadion am 05.12.1999, erstellt vom Polizeiamtsarzt am 14.12.1999 Dr. Puffer P (1999) Gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten zu den Todesfällen im Bergisel-Stadion am 05.12.1999, erstellt vom Polizeiamtsarzt am 14.12.1999
28.
Zurück zum Zitat Soomaroo L, Murray V (2012) Disasters at mass gatherings: lessons from history. PLOS Curr 4. doi:10.1371/currents.RRN1301 Soomaroo L, Murray V (2012) Disasters at mass gatherings: lessons from history. PLOS Curr 4. doi:10.1371/currents.RRN1301
29.
Zurück zum Zitat Soomaroo L, Murray V (2012) Weather and environmental hazards at mass gatherings. PLOS Curr 4. doi:10.1371/4fca9ee30afc4 Soomaroo L, Murray V (2012) Weather and environmental hazards at mass gatherings. PLOS Curr 4. doi:10.1371/4fca9ee30afc4
30.
Zurück zum Zitat Van Zütphen T (1997) Tote-Hosen-Konzert, Tod vor der Bühne. FOCUS-Magazin Nr. 28 Van Zütphen T (1997) Tote-Hosen-Konzert, Tod vor der Bühne. FOCUS-Magazin Nr. 28
31.
Zurück zum Zitat Wagner U (2010) Interview mit Dr. M. Wildner (Leitender Notarzt) Wagner U (2010) Interview mit Dr. M. Wildner (Leitender Notarzt)
32.
Zurück zum Zitat Wagner U (2010) Interview mit H. Kahler (Einsatzleiter Rettungsdienst) Wagner U (2010) Interview mit H. Kahler (Einsatzleiter Rettungsdienst)
33.
Zurück zum Zitat Wagner U (2010) Interview mit Univ.-Prof. Dr. W. Voelckel (Oberarzt Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin Innsbruck) Wagner U (2010) Interview mit Univ.-Prof. Dr. W. Voelckel (Oberarzt Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin Innsbruck)
34.
Zurück zum Zitat Wagner U (2010) Interview mit Dr. F. Birkfellner (Einsatzleiter Polizei) Wagner U (2010) Interview mit Dr. F. Birkfellner (Einsatzleiter Polizei)
35.
36.
Zurück zum Zitat Wetterhall SF, Coulombier DM, Herndon JM et al (1998) Medical care delivery at the 1996 Olympic Games. Centers for Disease Control and Prevention Olympics surveillance unit. JAMA 279:1463–1468PubMedCrossRef Wetterhall SF, Coulombier DM, Herndon JM et al (1998) Medical care delivery at the 1996 Olympic Games. Centers for Disease Control and Prevention Olympics surveillance unit. JAMA 279:1463–1468PubMedCrossRef
Metadaten
Titel
Tödliche Zwischenfälle durch Menschengedränge bei Großveranstaltungen
(Un-)vermeidbares Phänomen
verfasst von
U. Wagner
A. Fälker
Prof. Dr. V. Wenzel, M.Sc., FERC
Publikationsdatum
01.01.2013
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Die Anaesthesiologie / Ausgabe 1/2013
Print ISSN: 2731-6858
Elektronische ISSN: 2731-6866
DOI
https://doi.org/10.1007/s00101-012-2124-z

Weitere Artikel der Ausgabe 1/2013

Der Anaesthesist 1/2013 Zur Ausgabe

Akuter Schwindel: Wann lohnt sich eine MRT?

28.04.2024 Schwindel Nachrichten

Akuter Schwindel stellt oft eine diagnostische Herausforderung dar. Wie nützlich dabei eine MRT ist, hat eine Studie aus Finnland untersucht. Immerhin einer von sechs Patienten wurde mit akutem ischämischem Schlaganfall diagnostiziert.

Bei schweren Reaktionen auf Insektenstiche empfiehlt sich eine spezifische Immuntherapie

Insektenstiche sind bei Erwachsenen die häufigsten Auslöser einer Anaphylaxie. Einen wirksamen Schutz vor schweren anaphylaktischen Reaktionen bietet die allergenspezifische Immuntherapie. Jedoch kommt sie noch viel zu selten zum Einsatz.

Hinter dieser Appendizitis steckte ein Erreger

23.04.2024 Appendizitis Nachrichten

Schmerzen im Unterbauch, aber sonst nicht viel, was auf eine Appendizitis hindeutete: Ein junger Mann hatte Glück, dass trotzdem eine Laparoskopie mit Appendektomie durchgeführt und der Wurmfortsatz histologisch untersucht wurde.

Ärztliche Empathie hilft gegen Rückenschmerzen

23.04.2024 Leitsymptom Rückenschmerzen Nachrichten

Personen mit chronischen Rückenschmerzen, die von einfühlsamen Ärzten und Ärztinnen betreut werden, berichten über weniger Beschwerden und eine bessere Lebensqualität.

Update AINS

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.