Erschienen in:
01.08.2013 | Medizin aktuell
Anwendungsbeschränkung für Hydroxyäthylstärke
Hintergründe und alternative Konzepte
verfasst von:
Prof. Dr. M. Rehm
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 8/2013
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Zusammenfassung
Hintergrund
Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) kam im Rahmen eines Risikobewertungsverfahrens zu dem Schluss, dass der Nutzen von hydroxyäthylstärkehaltigen Infusionslösungen („hydroxyethyl starch“, HES) die Risiken nicht länger überwiegt und empfahl am 14.06.2013 ein Ruhen der entsprechenden Zulassungen. Bis zum Abschluss des Verfahrens, das noch einige Monate in Anspruch nehmen kann, empfiehlt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) daher, von der Anwendung von HES abzusehen.
Ziel der Arbeit
Ziel dieses Beitrags ist es, die Datenlage möglichst objektiv und kompakt darzustellen und dem Leser die Grundlagen dafür zu liefern, sich am Ende ein eigenes Urteil bilden zu können. Zudem wird der Versuch unternommen, ein Konzept darzustellen, wie eine Infusionstherapie ohne HES gestaltet werden kann.
Material and Methoden
Anhand einer Literaturübersicht werden die Hintergründe dieser Entscheidung aufgeführt und die Nachvollziehbarkeit für die Intensivmedizin sowie die Notfall- und perioperative Medizin bewertet. Ferner wird ebenfalls basierend auf den Ergebnissen aktueller Studien ein Konzept der Infusionstherapie ohne Hydroxyäthylstärke erarbeitet.
Ergebnisse
Für Infusionsregimes ohne HES ist zu bedenken, dass Gelatine ein beachtliches Risiko an anaphylaktischen Reaktionen beinhaltet, die Übertragung der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (bovine spongiforme Enzephalopathie, BSE) nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist und sich auch Hinweise fanden, dass Gelatine – wahrscheinlich ähnlich wie HES – die Nieren schädigen kann. Auch im Hinblick auf die Kosten-Nutzen Analyse der Infusionslösungen können bei Erwachsenen Blutverluste in einer Größenordnung von bis zu 1–1,5 l mit balancierten Kristalloiden ersetzt werden (Basistherapie; 4- bis 5-fache Menge im Vergleich zum Blutverlust). Bei größeren Blutverlusten könnten geringe Mengen hyperonkotische Albuminlösung (20%ig) oder alternativ 5%ige Albuminlösung eingesetzt werden. Hierbei scheint die 20%ige Albuminlösung gewisse Vorteile zu besitzen, da sie einen hohen Volumeneffekt hat (rund 200%) und sich so günstiger auf die Flüssigkeitsbilanz auswirken kann als 5%ige Albuminlösung. Blutverluste über 2–3 l bedürfen in der Regel ohnehin der Gabe von Blutprodukten (z.B. „fresh frozen plasma“, FFP, und Erythrozytenkonzentrat, EK).
Schlussfolgerungen
Die HES-Lösungen der 3. Generation können nicht ohne Einschränkungen durch andere Kolloide ersetzt werden, und zukünftig werden Kristalloide in weiten Bereichen wieder verstärkt die Grundlage der Infusionstherapie bilden. Hierbei sollten bezüglich des Säure-Base-Haushalts balancierte Kristalloide den Vorzug erhalten. Insgesamt lehrt die Geschichte von HES eindrucksvoll, dass die Infusionstherapie, sei es nun in der Intensivmedizin, der perioperativen oder auch der Notfallmedizin, auf eine wissenschaftlich noch fundiertere Basis gestellt werden muss. Große prospektive Studien mit klinisch relevanten Endpunkten sind zwingend erforderlich.