Diskussion
Die Röntgendiagnostik bei Frakturen im Kindes- und Jugendalter ist etablierter Standard. Die Vorteile und Erfolge dieser Diagnostik sind anerkannt, es bedarf aber auch heute immer einer rechtfertigenden Indikation auch zur Röntgendiagnostik. Es sollten Anamnese und klinische Untersuchung der Fraktur oder Verletzung immer
vor der Indikation zur Röntgendiagnostik erfolgen, um diese zu erhalten. Bereits 1992 formulierte der Radiologe Alzen, dass angesichts der großen Diskrepanz zwischen klinischem Verdacht und radiologischer Bestätigung von Frakturen Röntgenuntersuchungen bei Bagatellverletzungen im Kindesalter nur bei strenger Indikation durchgeführt werden sollten. Obwohl der Arzt gesetzlich zu einer ausführlichen Dokumentation jedes Falles verpflichtet ist, bedeute dies nicht zwangsläufig, dass er immer eine Röntgenaufnahme durchführen müsse [
6]. Grundsätzlich ist die Anwendung von Röntgenstrahlung eine Körperverletzung, es sei denn, sie ist konform mit der Röntgenverordnung. Auch der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass nur medizinisch notwendige Röntgenuntersuchungen keine Körperverletzung sind, da durch den Einsatz der ionisierenden Strahlen Langzeitschäden auftreten könnten [
61]. Der kindliche Organismus ist im Vergleich zum Erwachsenen strahlensensibler und damit anfälliger, durch ionisierende Strahlen Malignome zu entwickeln, auch weil Kinder und Jugendliche eine längere Lebenserwartung und damit Zeitspanne haben als Erwachsene [
16,
42,
47,
49].
Bei Kindern muss besonders auf die jeweilige individuelle Abwägung zwischen Nutzen und Risiko beim Einsatz dieser Technik Wert gelegt werden. Dem ALARA-Prinzip sollte in dieser Altersgruppe ganz konsequent gefolgt werden [
29,
35,
40,
42,
49,
62]. Bei der Indikation zur Röntgenuntersuchung zum Ausschluss einer knöchernen Verletzung sollten immer individuell Nutzen und Risiko abgewogen werden [
62]. Medikolegaler und teilweise der Druck der Erziehungsberechtigten auf die behandelnden Kindertraumatologen, insbesondere bei Nachkontrollen Röntgenaufnahmen zu veranlassen, sollten in den Hintergrund gestellt werden. Insbesondere, wenn diese vom Behandler als nichtindiziert eingestuft werden [
19]. Häufig ist den Erziehungsberechtigten die Wirkung ionisierender Strahlung auf den jungen Organismus nicht geläufig [
41,
52]. Aber es muss auch das Wissen über Strahlenvermeidung auf der Behandlerseite vertieft werden [
11,
14,
43]. Die Strahlendosis wird häufig zu niedrig eingeschätzt [
50,
52].
Bei den heutigen digitalen Röntgenbildern soll, ehe eine Aufnahme wiederholt wird, das Potenzial der digitalen Technik voll ausgereizt werden, eine optimale diagnostischer Aussagekraft zu erreichen, bevor wie früher ein neues Röntgenbild mit besserer Einstellung geschossen wird. Ein ungünstig belichtetes Röntgenbild ist keine Indikation, die Gegenseite zum Vergleich zu röntgen.
Röntgenaufnahmen des knöchernen Skeletts werden üblicherweise in 2 Ebenen angefertigt, da die Einzelaufnahme nur ein zweidimensionales Bild ermöglicht und damit die Beurteilung im Raum und Überlagerungen schwierig macht. 52 % der Befragten verlangen standardmäßig immer 2 Ebenen. Bei stark dislozierten Frakturen genügen 46 % der Befragten eine Ebene. Kinderchirurgen verlangen in über 70 % nur eine Ebene bei den Kindern und Jugendlichen mit Frakturverdacht. Die SKT erklärt hierzu, dass der fehlende Nachweis einer Fraktur in einer Röntgenebene nicht den Verzicht auf eine zweite rechtfertigt, denn es bestehe die Gefahr einer nur in einer Ebene dislozierten Fraktur [
29].
Die SKT empfiehlt, dass bei klarer Operationsindikation die zweite Ebene dann in der Narkose zur Reposition oder Operation nachgeholt werden sollte [
29]. Nur 2 % verzichten routinemäßig komplett auf die zweite Ebene. Kollegen in der Niederlassung verlangen in fast 70 % immer 2 Röntgenebenen und sind damit konform den Anforderungen der Bundesärztekammer. In der Leitlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung in der Röntgendiagnostik wird für Skelett und Extremitäten die Darstellung in typischen Projektionen bei Standardlagerung mit angrenzendem Gelenk, in der Regel in 2 Ebenen, gefordert [
20]. Dies wird für Kinder nicht modifiziert. Trotzdem erscheint das Verhalten vieler Befragter, dem Kind Schmerzen durch eine erzwungene zweite Ebene zu ersparen und unter der Narkose bei Reposition oder Operation die zweite Ebene zu dokumentieren, eindeutig kindgerechter. So sieht es auch der Konsens der SKT [
29].
Die Gegenseite wird bei unklaren Befunden von zwei Drittel der Gesamtbefragten nie, bei den Kinderchirurgen in 87 % nie geröntgt. Von der Gesamtheit nutzen nur 2,5 % häufig oder immer das Röntgen der Gegenseite bei unklaren Befunden. Sowohl nach dem ALARA-Prinzip als auch nach der Röntgenverordnung ist die Indikation zum Röntgen der unverletzten Gegenseite sehr kritisch bis obsolet einzuschätzen; es besteht keine rechtfertigende Indikation [
45,
55]. Die kanadische Röntgengesellschaft sieht in ihren Guidelines ebenfalls keine Indikation zum Röntgen der Gegenseite bei Kindern mit einem Empfehlungsgrad B [
21]. Die Strahlenschutzkommission stuft das Röntgen der Gegenseite ebenso wie die Leitlinie als obsolet ein [
34,
58]. Die Konsensempfehlung der SKT stützt diese Aussage [
29].
Zahlreiche Arbeiten belegen den sinnvollen Einsatz der Sonographie in der Akuttraumatologie bei Kindern und Jugendlichen [
2,
27,
32,
51]. Sowohl lange Röhrenknochen, hier besonders der proximale Humerus und der Ellenbogen [
10,
22,
44], speziell auch der Unterarm und distaler Radius [
8,
36] und Frakturen der Klavikula [
27] eignen sich gut für den sonographischen Frakturnachweis. Auch in den USA wird in den letzten Jahren mehr und mehr in der Notfallbehandlung die Sonographie als „point-of-care ultrasonography“ (POCUS) eingesetzt [
3]. Auch berichten zahlreiche Autoren über die validen sonographischen Kontrollen nach Repositionen der langen Röhrenknochen [
9,
24,
31,
57,
60]. Die SKT spricht sich eindeutig in ihrem Konsenspapier für den vermehrten Einsatz der Sonographie in der Kindertraumatologie aus [
29]. Die Ultraschalldiagnostik wird von über 30 % aller Befragten gar nicht eingesetzt, 40 % nutzen diese Technik gelegentlich. Von den Kinderchirurgen setzen 29 % die Sonographie bei Frakturen regelhaft, in 37 % gelegentlich ein.
Bei Kindern und Jugendlichen wird das Ganz-Körper-CT vor dem 12. Lebensjahr in 31 % häufig oder standardmäßig, über 12 Jahren zu fast 50 % eingesetzt.
Der unmittelbare Nutzen und Vorteil im Notfall kann immens sein, aber es liegen auch Daten vor, die das spätere Krebsrisiko hervorheben [
1,
5,
15,
23]. Es steht außer Frage, dass das CT eingesetzt wird, wenn bei instabilen Kreislaufverhältnissen keine Klärung mit Thoraxröntgen und Sonographie kurzfristig erzielt werden kann [
54]. Nach der S3-Polytrauma-Leitlinie sollte bei schwer verletzten Kindern eine zeitnahe Ganzkörper-Computertomographie mit traumspezifischem Protokoll erfolgen, auch wenn der Nachweis zur Reduzierung der Mortalität durch eine Ganzkörper-CT bei Kindern noch ausstehe [
28].
Im Rahmen des Primary Survey ist sowohl leitlinienkonform als auch ATLS-konform die Sonographie als E-FAST etabliert [
28,
30,
48,
54]. In der S3-Polytrauma-Leitlinie wird darauf hingewiesen, dass ein negatives Ergebnis der Basisuntersuchung mit E-FAST bei Kindern eine negative intraabdominelle Verletzung keineswegs ausschließe und eine Überwachung, ggf. ausführliche Wiederholungsuntersuchung oder eine CT-Untersuchung durchgeführt werden solle [
28].
Brenner weist darauf hin, dass bei CT-Untersuchungen von Kindern diese eine höhere Organdosis als Erwachsene erhalten, und dass zahlreiche kindliche Organe sensibler für strahleninduzierte Krebserkrankungen sind [
15,
17,
46]. Hier sollten altersgerechte Einstellungsprotokolle der Computertomographen verwendet werden, um die geringste sinnvolle Dosis einzusetzen [
29,
38,
48,
56]. Es sollten diese Niedrigdosen-Pädiatrie-Protokolle und andere Techniken wie Flash-CT, Reduzierung der Dünnschnitt-CT-Bildgebung Anwendung finden [
4,
7,
12,
13,
25,
53,
54]. In Kinderzentren wird allgemein durch vermehrte Nutzung spezieller Kinderprotokolle bei CT-Untersuchungen eine niedrigere Strahlendosis erzielt als in allgemeinen Erwachsenen-Traumazentren [
18,
26]. Algorithmen können bei schwer verletzten Kindern ein Weg sein, die Indikation zum CT einzugrenzen und damit Strahlung einzusparen [
37].
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