Erschienen in:
01.09.2015 | Historisches
Sind die aktuellen Konzepte der Zwangsstörung ein Novum?
Von Westphal (1877) und Thomsen (1895) zur ICD-10 und zum DSM-5
verfasst von:
A. Oberbeck , PD Dr. H. Steinberg
Erschienen in:
Der Nervenarzt
|
Ausgabe 9/2015
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Zusammenfassung
Carl Westphal hatte 1877 für den deutschen Sprachraum als Erster eine präzise Definition der Zwangsvorstellungen formuliert und die Zwangsstörung als eigenständige Entität ausgewiesen. Westphals darin enthaltene Kriterien bildeten zwar den Ausgangspunkt der Debatte zum Thema „Zwang“, wurden jedoch folgend nicht in Gänze anerkannt. Der Westphal-Schüler Robert Thomsen hatte 1895 den Versuch unternommen, diejenigen Auffassungen Westphals, die Anlass zu Uneinigkeiten boten, zu konkretisieren. Psychiatriehistorisch kommen Westphals und Thomsens Arbeiten für die moderne Definition der Zwangsstörung große Bedeutung zu. Sie legten bereits Ende des 19. Jahrhunderts den Grundstein für die heute gültige Phänomenologie, Definition und Klassifikation der Zwangsstörung nach ICD-10 und DSM-5. Neben der phänomenologischen Differenzierung der Zwangsstörung in Zwangsgedanken bzw. -impulse, Zwangshandlungen und -hemmungen sind auch die heute gültigen Diagnosekriterien auf Westphal bzw. Thomsen zurückführbar. Insbesondere Thomsens nosologische Überlegungen, die die Abgrenzung einer Zwangsstörung im Sinne einer eigenständigen Entität von Zwangsvorstellungen als Symptom anderer Erkrankungen enthalten, erscheinen für die heutigen Klassifikationssysteme als richtungsweisend.