08.12.2023 | Assistierter Suizid | Originalien
Assistierte Suizide in München – eine erste kritische Analyse
verfasst von:
PD Dr. med. habil. S. Gleich, O. Peschel, M. Graw, B. Schäffer
Erschienen in:
Rechtsmedizin
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Ausgabe 1/2024
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Zusammenfassung
Hintergrund
Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Urteil vom 26.02.2020 fest, dass ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestehe und grundrechtlich geschützt sei. Dies schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dafür bei Dritten Hilfe zu suchen. Konkrete Rahmenbedingungen für die Durchführung des assistierten Suizides (AS) fehlen bisher.
Methode
Es wurden die Todesbescheinigungen aller Personen analysiert, die in München vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2022 verstarben, ebenso staatsanwaltschaftliche Akten, Obduktionsberichte und toxikologische Gutachten aller AS. Nach der standardisierten Dateneingabe wurden die Daten anonymisiert und deskriptiv ausgewertet.
Ergebnisse
Im Studienzeitraum verstarben 45.353 Personen. Suizide waren 603 Sterbefälle (1,3 %), davon 37 (6,5 %) AS. Deren durchschnittliches Sterbealter lag bei 78,9 Jahren. Die Leichenschauer attestierten bei allen Fällen eine nichtnatürliche Todesart. Sie gaben durchschnittlich 3,5 Grunderkrankungen an, am häufigsten Krankheiten des Nervensystems. Eine Obduktion wurde bei 4 Fällen, ein toxikologisches Gutachten bei 3 Fällen beauftragt. Bei 36 Fällen waren Sterbehilfeorganisationen beteiligt; der am häufigsten eingesetzte Arzneistoff war Thiopental. Suizidenten mit vorangegangenen Suizidversuchen wurden zur Hälfte nicht von Fachärzten für Psychiatrie begutachtet.
Diskussion
Erstmalig können aus einer deutschen Großstadt Daten zu AS vorgelegt werden. Diese werden durch wenige, ansonsten nicht in München tätige Ärzte geleistet. Behandelnde Ärzte leisten Suizidassistenz nur in Ausnahmefällen. Zeitnahe bundeseinheitliche gesetzliche Regelungen sind erforderlich zur Durchführung der Suizidassistenz, ebenso die Einführung einer Meldepflicht.