In dieser prospektiven Studie verbesserte sich das mittlere Sprachverstehen nach 6 Monaten von 10 % mit HG auf 65 % mit CI. Hier wurde eine signifikante [
10] Verbesserung für 93 % der Fälle beobachtet. In keinem der Fälle trat eine Verschlechterung des Sprachverstehens nach CI-Versorgung auf. Darüber hinaus wurde ein in einer vorhergehenden retrospektiven Studie [
14], Gl.
1, entwickeltes Modell zur Vorhersage des Einsilberverstehens nach 6‑monatiger CI-Rehabilitation evaluiert. Der Vorhersagefehler lag in den Fällen mit präoperativem residualem Einsilberverstehen (mEV > 0 %) bei 11,5 %-Punkten und bei solchen mit mEV = 0 % bei 23,2 %-Punkten.
Wesentliche Parameter
Initial war das Modell anhand der Daten von Patienten mit präoperativem Hörverlust, der besser als 80 dB war, entwickelt worden. Für die Mehrheit (92 %) wurde damals ein mEV > 0 % gemessen. Daher erscheint es zunächst sinnvoll, sich bei einer Erweiterung des Anwendungsbereichs in Richtung höherer Reintonhörverluste auf Fälle mit mEV > 0 % zu begrenzen. Für diese Gruppe (n = 85) ist eine zumindest minimale Funktionalität des Hörnervs gegeben. Hier wurde lediglich in 4 Fällen auch längerfristig ein unerwartet schlechtes Sprachverstehen beobachtet, das vermuten lässt, dass das präoperativ prognostizierte Sprachverstehen nicht erreicht wird. Hingegen liegt in der Gruppe mit mEV = 0 % (n = 39) keine derartige Information über die Hörnervfunktion vor. Daher ist der Prädiktionsfehler für diese Gruppe erwartbar größer.
Das mEV wurde in einer früheren Arbeit als Minimalprädiktor für das EV
65(CI) eingeführt [
13]. In der aktuellen Patientenpopulation wird das mEV in 116 Fällen (93,5 %) erreicht oder übertroffen. In 8 Fällen (6,5 %) ist das EV
65(CI) signifikant [
10] geringer als das mEV. Insgesamt zeigt sich hier eine weitgehende Übereinstimmung mit einer andernorts durchgeführten Studie [
27], welche auch auf die große Bedeutung des mEV im Rahmen der CI-Versorgung hinweist.
In einer Studie von Shafieibavani et al. [
26] wurden verschiedene Modellansätze miteinander verglichen. Die Autoren geben mittlere Vorhersagefehler von 20–22 %-Punkten an. Diese Analyse basierte auf 2489 Fällen, welche zwischen 2003 und 2018 entweder in einer deutschen, einer US-amerikanischen oder einer australischen Einrichtung versorgt worden sind. Die publizierten präoperativen audiometrischen Befunde legen nahe, dass es sich hierbei zu einem großen Teil um Patienten handelte, die ein mEV nahe Null aufgewiesen hatten. Die dort gefundenen Modellfehler liegen hierzu passend in der Größenordnung der in Abb.
3a dargestellten Vorhersagefehler mit einem MAE von 23,2 %-Punkten für die Patientengruppe mit mEV = 0 %.
Der gefundene MAE von 11,5 %-Punkten für die Population mit einem mEV > 0 % rechtfertigt post hoc die hier beschriebene Anwendung des Vorhersagemodells [
14]: Die Begrenzung der Population auf funktionelles Restgehör im Sinne eines noch messbaren Sprachverstehens trägt erheblich zu der Verringerung des Vorhersagefehlers bei. In der vorherigen Studie [
14] bestand diese Begrenzung im Einschlusskriterium auf Fälle mit einem Hörverlust von höchstens 80 dB
HL. In dieser Gruppe ist das mEV in aller Regel größer als Null [
15]. Bei Kandidaten mit einem Hörverlust von mehr als 80 dB
HL wurde für 44 von 82 Fällen (54 %) ein mEV > 0 % beobachtet. Diese Fälle sind in Abb.
4b enthalten. Zusammenfassend ist also die Modifikation des ursprünglichen Anwendungsbereichs des Vorhersagemodells für Hörverluste von höchstens 80 dB
HL auf das Sprachverstehen von mEV > 0 % gerechtfertigt [
14], da der MAE nahezu unverändert bleibt. Die Anwendung auf Fälle mit mEV = 0 ist möglich, jedoch mit einem größeren Modellfehler verbunden (Abb.
3a). Über Gl.
1 wird das prognostizierte Einsilberverstehen für diese Fälle durch die Konstante β
0 und das Lebensalter determiniert. Die Konstante β
0 repräsentiert das mittlere Sprachverstehen mit CI ohne die individuellen Korrektureinflüsse der anderen 3 Variablen.
Qualitätssicherung in der CI-Therapie
Der hier vorgestellte Vorhersagewert kann gemeinsam mit dem mEV als Qualitätssicherungsparameter genutzt werden. Dadurch ergibt sich ein Korridor, innerhalb dessen das postoperative Einsilberverstehen mit CI liegen sollte. Die Abweichung vom Vorhersagewert in Kombination mit der Abweichung vom unteren Erwartungswert, dem mEV [
13], ermöglicht eine frühzeitige Identifikation von Fällen mit
unerwartet schlechtem Sprachverstehen, Abb.
4, und die Einleitung entsprechender zusätzlicher Maßnahmen im Rahmen der Basis- und Folgetherapie. Zunächst sind pathophysiologische Ursachen und technische Fehlfunktionen [
2] auszuschließen. Im weiteren kommen zusätzliche technische Prozessoranpassungen bzw. die Modifikation und Intensivierung der Hör- und Sprachtherapien, aber auch die Überprüfung des Nutzerverhaltens und entsprechende Beratung [
6,
7,
21] in Betracht. Im Rahmen der Nachbehandlung der hier vorgestellten Fälle wurde eine solche Qualitätssicherung durchgeführt und nach 3 Monaten CI-Erfahrung das EV
65(CI) mit dem präoperativen mEV und dem Vorhersagewert nach Gl.
1 verglichen. In einer interdisziplinären Fallbesprechung wurden dann ggf. ergänzende Therapiemodifikationen eingeleitet. Dies könnte dazu geführt haben, dass die tatsächlich erreichten Sprachverstehensleistungen leicht oberhalb der Vorhersage lagen (Abb.
3).
Das hier vorgestellte Modell ist für Fälle mit mEV > 0 mit einem geringen Vorhersagefehler verbunden. Dies trifft in der untersuchten Population auf etwa 2/3 aller postlingual ertaubten erwachsenen CI-Kandidaten zu. Gerade diese Gruppe hat nachvollziehbare Bedenken, sich einer für die CI-Versorgung notwendigen Operation zu unterziehen. Insofern ist für diese CI-Kandidaten die Abschätzung des Versorgungserfolgs besonders nützlich.
Das Vorhersagemodell wurde zwar anhand der Daten von Patienten mit CI-Systemen eines Herstellers entwickelt, die gefundenen Abhängigkeiten sollten sich aber auch auf Versorgungen mit anderen Systemen anwenden lassen. Zur Bestimmung der quantitativen Abhängigkeiten für unterschiedliche CI-Systeme und Rehabilitationskonzepte wären weitere Studien an anderen Einrichtungen wünschenswert. Prinzipiell ist es anzustreben, dass die Prognose des Sprachverstehens mit CI auf der Basis präoperativer Daten beruht. Neben den hier vorgestellten Werten könnten auch noch Ergebnisse zukünftiger hördiagnostischer Verfahren [
20] zur Modellbildung beitragen. Darüber hinaus könnten auch intraoperative Messungen genutzt werden und somit der Qualitätssicherung dienen. Hierzu sind weitere Studien notwendig.