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Erschienen in: Die Psychotherapie 6/2023

Open Access 20.09.2023 | Borderline Typus | Schwerpunkt: Facetten der Psychotraumatologie – Originalien

Theorie und Praxis der Trauma-fokussierten Mentalisierungsbasierten Therapie

Ist eine Traumabehandlung in der Gruppe möglich?

verfasst von: Dr. Eva N. Rüfenacht, Lisa Shaverin, Dr. Anthony Bateman, Prof. Peter Fonagy, Prof. Dr. Svenja Taubner

Erschienen in: Die Psychotherapie | Ausgabe 6/2023

Zusammenfassung

Derzeit gibt es noch keine offiziellen Behandlungsrichtlinien für die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS). Die kPTBS unterscheidet sich von der PTBS durch die Symptomatik, Dauer oder Häufigkeit der Traumaexposition und durch eine hohe Komorbidität mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Daher besteht Bedarf an der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden, die auf diese Patient:innengruppe ausgerichtet sind. Im Folgenden wird eine neue Trauma-fokussierte Mentalisierungsbasierte Therapie, die für Patienten mit einer kPTBS entwickelt wurde und als Gruppenbehandlung konzipiert ist, beschrieben. Neben dem theoretischen Hintergrund und dem konzeptuellen Rahmen von Trauma in der mentalisierungsbasierten Therapie wird der Ablauf der Behandlung ausführlich dargestellt und anhand eines Fallbeispiels illustriert.
Hinweise
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Aktuelle evidenzbasierte Traumabehandlungen sind bei der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS) nur teilweise effektiv. Für Betroffene erscheint es bedeutsam, die Fähigkeit, soziale Bindungen einzugehen, wiederherzustellen. Die Gruppenarbeit im Rahmen der Trauma-fokussierten Mentalisierungsbasierten Therapie (MBT-TF) versetzt Patient:innen in die Lage, eigenes Verhalten und das anderer zu mentalisieren sowie neue soziale Lernerfahrungen zu integrieren. Die bisherige Implementation von Gruppen in London, Genf, Heidelberg und Amsterdam zeigte, dass die MBT-FT durchführbar ist und sich durch hohe Teilnahmebereitschaft auszeichnete.

Grundlagen

Eine erhebliche Anzahl von Patient:innen mit psychischen Problemen weist eine Geschichte früher aversiver Erfahrungen auf (Lippard und Nemeroff 2020). Studien ergeben recht robuste Befunde, dass ein Zusammenhang zwischen frühen aversiven Erfahrungen, besonders Missbrauchserfahrungen, und späteren psychischen Erkrankungen besteht. Psychische Erkrankungen, die besonders häufig mit frühen missbräuchlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht werden, sind die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) und die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS; Brewin et al. 2017). Beide Erkrankungen stehen in dem Ruf, dass sie schwierig zu behandeln sind. Die BPS-Symptome sind gekennzeichnet durch Beziehungsprobleme, emotionale Dysregulation, Impulsivität und Suizidalität. Die kPTBS ist eine neue Störungseinheit, die erst kürzlich in die 11. Auflage der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) aufgenommen wurde (Maercker et al. 2022). Von einer kPTBS betroffen sind Personen, die wiederholten oder chronischen Traumatisierungen ausgesetzt waren und sowohl Symptome einer klassischen PTBS, wie z. B. das Vermeiden von Trauma-Triggern, intrusives Wiederleben des Traumas und Hypervigilanz, als auch Symptome, die mit einer Störung der Selbstorganisation einhergehen, aufweisen (Maercker 2021). Störungen der Selbstorganisation umfassen emotionale Dysregulation, ein negatives Selbstbild und Beziehungsprobleme (Brewin et al. 2017). Die Prävalenz der kPTBS wird auf 36 % in klinischen Populationen geschätzt und auf bis zu 50 % als Komorbidität zu BPS, wobei es zwar eine Überlappung der Symptome gibt, die Erkrankungen aber trotzdem nicht als identisch gelten (Ford und Courtois 2021).
Während es mittlerweile verschiedene evidenzbasierte Behandlungsansätze für die BPS gibt, wie z. B. die Mentalisierungsbasierte Therapie (Bateman et al. 2023) und die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT; Panos et al. 2014), zeigen sich schlechtere Behandlungsergebnisse und eine stärkere symptomatische Belastung bei Patient:innen mit komorbiden PTBS-Symptomen (Barnicot und Crawford 2018). Eine rein auf die BPS bezogene Behandlung erscheint daher für Patient:innen mit zusätzlichen PTBS- oder kPTBS-Diagnosen nicht ausreichend, um auch die Traumasymptome zu behandeln. Weitere Forschungsergebnisse machen deutlich, dass die aktuellen evidenzbasierten Traumabehandlungen ebenfalls nur teilweise effektiv bei vorliegenden kPTBS sind (Maercker et al. 2022). Allerdings ist die Diagnose kPTBS auch so neu, dass es noch keine verbindlichen Behandlungsleitlinien gibt. Expert:innen-basierte Empfehlungen schlagen eine Verbindung aus Interventionen, die die Selbststeuerung (Emotionsregulation und Stresstoleranz) adressieren, und Trauma-fokussierten Interventionen vor (Maercker et al. 2022). Zu diesem Zweck wurde bereits eine Variante der DBT entwickelt, die Dialektisch behaviorale Therapie für komplexe posttraumatische Belastungsstörungen (DBT-PTSD), die darauf abzielt, BPS mit komorbider PTBS zu behandeln und die im ersten „randomized controlled trial“ (RCT) bereits vielversprechende Wirkungen gezeigt hat (Bohus et al. 2020). Tatsächlich werden aber weitere spezialisierte Verfahren benötigt, die stärker auf die Behandlung von kPTBS und Persönlichkeitsproblemen abzielen.
Die Mehrheit der Traumabehandlungen wird im Einzelsetting durchgeführt, wobei es durchaus auch Gruppenbehandlungen gibt. Gruppensettings wurden z. B. deshalb für Traumaüberlebende angeboten, da in der Gruppe ein unterstützendes Umfeld, das die Heilung nach aversiven Erfahrungen beschleunigt, geschaffen werden kann (Weinberg et al. 2005). In gleicher Weise werden Therapiegruppen in den evidenzbasierten Ansätzen zur Behandlung von BPS eingesetzt und zeigen in der Tendenz eine stärkere Symptomreduktion als Einzelbehandlungen ohne Gruppe (McLaughlin et al. 2019). In der MBT ermöglicht besonders die Gruppe einen Raum, um neue Mentalisierungs-Skills zu üben (Taubner et al. 2019). Für Patient:innen mit einer kPTBS erscheint es bedeutsam, die Fähigkeit, soziale Bindungen einzugehen, wiederherzustellen. Eine besondere Rolle spielt die mit dem Trauma verbundene Scham, die zu sozialer Isolation führt und eine Besserung verhindert (Øktedalen et al. 2015; Schomerus et al. 2021). Daher erscheint die Behandlung im Gruppenformat richtungweisend und wichtig für Patient:innen mit BPS und kPTBS. Im Folgenden wird die Trauma-fokussierte Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT-TF) vorgestellt, die eine Weiterentwicklung der MBT darstellt (Bateman und Fonagy 2021).

Theoretischer Hintergrund: Mentalisieren, Bindung und Stressverarbeitung

Mentalisierung ist die imaginative Fähigkeit, das eigene Verhalten und das Verhalten anderer auf der Grundlage mentaler Befindlichkeiten zu verstehen (Gedanken, Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse etc.; Taubner et al. 2019). Diese humanspezifische Fähigkeit wird angesehen als seine Entwicklungserrungenschaft, die eine sichere Bindungserfahrung in der Beziehung zu frühen Bezugspersonen benötigt. In sicheren Bindungskontexten erhält ein Kind eine auf es abgestimmte („attunement“) und konsistente Spiegelung seiner Erfahrungen, was über die Zeit dazu beiträgt, dass es ein stabiles Gefühl seines Selbst, Handlungsfähigkeiten („agency“) und Emotionsregulationsfähigkeiten entwickelt. Daher sind Bindung, Mentalisierung und Persönlichkeitsfunktionen voneinander abhängige Prozesse (Fonagy et al. 2002).
Das Aufwachsen in einer vernachlässigenden und feindseligen Umgebung kann die Entwicklung von Mentalisierungsfähigkeiten beeinträchtigen. In Anwesenheit einer vernachlässigenden oder misshandelnden Betreuungsperson entwickeln Individuen unsichere oder desorganisierte Bindungsmuster. Bindungsmuster bestehen im Erwachsenenalter fort, und im Fall einer desorganisierten Bindung kann der Einzelne sich in Bezug auf sich selbst und andere verwirrt sowie in einem Annäherungs- und Vermeidungskonflikt gefangen fühlen. Dies lässt sich durch die gemeinsame Aktivierung des Kampf-Flucht-Freeze-Systems und des Bindungssystems erklären, was Teil der Traumasymptomatik sein kann (Byun et al. 2016; Lyten et al. 2020). Früher Missbrauch führt zu einer Hypersensibilität des Bindungssystems und zu einer erhöhten Anfälligkeit für Stress (Luyten et al. 2020). Diese stressbedingten Selbstzustände verringern das Mentalisieren weiter, was mit Problemen im Verständnis von sich selbst und anderen in engen Beziehungen einhergeht.
Missbrauch in der Kindheit kann nicht nur die Fähigkeit zur Entwicklung von stabilem und effektivem Mentalisieren beeinträchtigen und sich negativ auf das soziale Funktionieren auswirken, sondern hinterlässt auch ein instabiles Selbstgefühl sowie ein fragmentiertes und verzerrtes Selbstnarrativ, das weitgehend von „Alien-Self“-Erfahrungen geprägt ist. Letzteres bezieht sich auf die Verinnerlichung der Wahrnehmung der misshandelnden Betreuungsperson oder der ihr zugeschriebenen Gedanken, die das Selbst definieren und als schmerzhafte und nichtmentalisierte Inhalte im Selbst verbleiben. „Alien-Self“-Erfahrungen werden häufig durch zwischenmenschliche Konflikte sowie durch Erinnerungen an das Trauma ausgelöst und sind verbunden mit einem destruktiven und chronischen Schamgefühl, das das Selbsterleben mit der Auflösung des Individuums bedroht (Bateman et al. 2023). Scham kann die Erholung der Mentalisierung durch die Verstärkung der sozialen Isolation weiterbehindern, da sie mit dem Verlust des Zugehörigkeitsgefühls zur eigenen sozialen Gruppe verbunden ist (Luyten et al. 2020). Einige Daten deuten auch darauf hin, dass Scham eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung von PTBS-Symptomen spielt (Feiring und Taska 2005), was sie zu einem besonders wichtigen Behandlungsfokus macht.
Neben der Scham, die das Erleben des Selbst beeinflusst und die Verbindung zu anderen untergräbt, kann ein ausgeprägtes Beziehungsmisstrauen weiter zu der psychischen und sozialen Isolation beitragen, die bei Personen mit einer Geschichte von Misshandlung in der Kindheit wie Missbrauch und Vernachlässigung häufig auftritt. Epistemisches Misstrauen und soziale Wachsamkeit sind ein Kennzeichen frühkindlicher Traumata und isolieren den Einzelnen weiter von anderen, was ihn zusätzlich von der Möglichkeit abhält, sein soziales Wissen in Bezug auf andere zu aktualisieren. Daher legt die MBT-TF den Schwerpunkt auf Bindungsmuster und Mentalisierungsstörungen im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen und geht auf Hypervigilanz, epistemisches Misstrauen, soziale Isolation und Scham ein.

Trauma-fokussierte Mentalisierungsbasierte Therapie

Konzeptueller Rahmen für das Verständnis von Trauma

In der MBT-TF wird die traumatische Auswirkung nicht durch das Ereignis selbst definiert, sondern durch die Erfahrung, sich allein zu fühlen, ohne einen anderen, der die mit dem Ereignis verbundene emotionale Intensität abpuffert und dabei hilft, dem Ereignis einen Sinn zu geben, indem er einen sozialen Bezug herstellt (Bateman et al. 2023). Da die traumatischen Ereignisse im Laufe der Zeit nicht angemessen mentalisiert werden, verursachen ihre Erinnerungen in der Gegenwart weiterhin Stress und führen zu Mentalisierungseinbrüchen, die Patient:innen in prämentalisierende Modi versetzen. Prämentalisierungsmodi werden als teleologischer Modus (Dominanz des Handelns über die Reflexion), psychischer Äquivalenzmodus (Annahme mentaler Zustände als Beweis für die Realität) und als Modus des Als-ob (Dissoziation zwischen mentalen Zuständen und der Realität) beschrieben (Taubner et al. 2019). Die emotionale Intensität, die mit den Traumaerinnerungen verbunden ist, kann ein Gefühl der Unmittelbarkeit vermitteln, so als ob sie in der Gegenwart wieder auftauchen würden. Die mentalen Zustände, die durch sie ausgelöst werden, müssen vermieden werden. Oft fühlen sich die Betroffenen zu körperlichen Handlungen, die sich gegen sie selbst oder andere richten können, getrieben, um diese Zustände zu beenden. Dies kann im Sinne des teleologischen Modus verstanden werden. Traumaauslöser können intensive Schamgefühle hervorrufen, die mit einem Gefühl des Schreckens, der Isolation und der Hoffnungslosigkeit verbunden sind und als psychische Äquivalenz erlebt werden (Bateman et al. 2023). In diesem Modus definiert die innere emotionale oder kognitive Erfahrung die Realität und ist mit einem Gefühl der Gewissheit und intensiven Emotionen verbunden. Körperliche Flashbacks oder der bei kPTBS beobachtete chronische Hyperarousal-Zustand können ebenfalls in diesem Rahmen verstanden werden: Der Körper signalisiert Gefahr, und das innere Erleben schließt sich an, auch wenn in der Realität keine tatsächliche Bedrohung besteht. Eine weitere Form des ineffektiven Mentalisierens bezieht sich auf den Modus des Als-ob und kann auftreten, wenn es zu einer Dissoziation kommt, einer Trennung oder einer Loslösung von äußerer und innerer Erfahrung. Dies kann sich als emotionale Betäubung oder in einer intensiveren Form wie Depersonalisation oder Derealisation sowie in Flashbacks äußern (Bateman et al. 2023; Luyten et al. 2020).

Setting, Ziele und Haltung der Therapeut:innen

Die MBT-TF ist eine neue Behandlungsmethode für Patienten mit einer kPTBS (mit oder ohne BPS-Komorbidität). Sie besteht aus einer Gruppenintervention, die entweder als Stand-alone- oder als Zusatztherapie zu einem anderen Therapieprogramm über einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten durchgeführt wird. Sie zielt darauf ab, Symptome zu behandeln, die nach traumatischen Erfahrungen auftreten, und die Mentalisierungsfähigkeiten im Zusammenhang mit traumatischen Ereignissen zu verbessern. Die zugrunde liegende Hypothese ist, dass durch die Verbesserung der Mentalisierung spezifischer Trauma-Episoden eine breitere Generalisierung dieser Fähigkeiten in anderen Lebensbereichen und weiteren traumatischen Erinnerungen unterstützt werden kann.
Die Therapie ist in 3 Phasen unterteilt, wie sie in der Traumabehandlung empfohlen werden (Herman 1998), wobei die erste Phase aus Psychoedukation über Mentalisierung und Trauma besteht und auf eine Stabilisierung der Symptome abzielt. Die zweite Phase konzentriert sich auf die Verarbeitung ausgewählter traumatischer Erinnerungen. Die letzte Phase fokussiert die Arbeit an der Trauer, der Akzeptanz und am Zurücklassen des Traumas (Bateman et al. 2023).
Die MBT-TF integriert MBT-Kernprinzipien, die die Therapeut:innen bei der Durchführung der Behandlung leiten. Den Therapeut:innen wird empfohlen, eine Haltung des Nichtwissens einzunehmen, sich Zeit zu nehmen, um Unterschiede in den Perspektiven zu erkennen, sie zu legitimieren und zu akzeptieren sowie aktiv die Erfahrungen der Patient:innen zu erforschen und Missverständnisse zu klären, wenn nötig mit ausdrücklicher Klarstellung der Gefühle und Gedanken auf Therapeut:innenseite (Taubner et al. 2019). Patient:innen werden als Gesprächspartner:innen betrachtet, die Expert:innen für ihre eigenen Schwierigkeiten sind. Im Laufe der Zeit soll gemeinsam eine Trauma-fokussierte Fallformulierung erarbeitet werden, die durch ein gemeinsames Verständnis von Patient:in und Therapeut:in über die aktuellen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den traumatischen Erfahrungen und deren Auswirkungen auf ihre Beziehungen zu sich selbst, zu anderen und zur Welt definiert ist (Bateman et al. 2023). Diese Formulierung kann in Einzelsitzungen entwickelt und in die Gruppe übertragen werden, sodass die Beziehung zu den traumatischen Erfahrungen und die Auswirkungen auf die Beziehungen mit anderen in der Gruppe bearbeitet werden können.
Die wichtigsten Interventionsbereiche konzentrieren sich auf die Bewältigung von ineffektivem Mentalisieren in Verbindung mit Traumaauslösern, sozialer Isolation, Scham und Fremdheitserfahrungen sowie auf die Bearbeitung von epistemischem Misstrauen und Wachsamkeit. Besonderes Augenmerk wird auf Dissoziationssymptome gelegt, da sie das Mentalisieren beeinträchtigen können. Insgesamt geht es darum, die Selbstwahrnehmung zu stärken sowie ein kohärenteres Selbstverständnis und eine kohärente Lebenserzählung zu entwickeln.
Der Einsatz von Gruppenarbeit in diesem Zusammenhang ist wichtig, damit Patient:in und Therapeut:in neue soziale Lernerfahrungen, die die Identifizierung dieser Schwierigkeiten unterstützen, machen können. Hierzu wird ein sicherer Raum geschaffen, in dem über Traumaerfahrungen gesprochen werden kann und diese zusammen mit anderen erforscht werden können, um ihnen gemeinsam einen Sinn zu geben und neue Erkenntnisse/soziales Wissen zu integrieren.
Wie in der klassischen MBT sind Therapeut:innen authentisch und zeigen ein ausdrückliches Interesse und eine Neugierde an mentalen Zuständen. Es ist wichtig, darauf zu achten, dass es Patient:innen in Trauma-fokussierten Behandlungen aufgrund der Art des Beziehungstraumas schwerfallen kann, in einer Gruppe sowohl Aufmerksamkeit zu erhalten als auch zu teilen. Hier kann die Struktur der Gruppe die Therapeut:innen dabei unterstützen, die eigene Mentalisierung aufrechtzuerhalten, unterschiedliche Perspektiven anzuerkennen und Raum für Diskussionen zu schaffen. Traumatisierte Patient:innen können Therapeut:innen entweder als zu distanziert oder zu aufdringlich erleben, und dies kann etwas von ihren Traumaerfahrungen widerspiegeln, bei denen es eine Autoritätsperson oder einen Elternteil gab, der die missbräuchliche Situation nicht beendet hat. Es ist ein wichtiger Teil der Behandlung, darüber zu sprechen, wie die Therapeut:innen erlebt werden, die Absichten zu klären und verschiedene Perspektiven zu erkunden, wie man aufeinander wirkt und welche Auswirkungen dies auf die Beziehungen innerhalb der Gruppe haben könnte.

Gruppenarbeit

Wir-Modus – Arbeit am Aufbau epistemischen Vertrauens

Während der gesamten Behandlung liegt der Schwerpunkt der Gruppenarbeit darauf, zusammenzukommen und zu reflektieren, was die Patient:innen an sich selbst und an anderen wahrnehmen, und ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, was vor sich geht, und wie traumatische Erfahrungen ihre Schwierigkeiten erklären können. Ziel ist es, einen „Wir-Modus“ zu entwickeln, in dem die Gruppe dieses gemeinsame Ziel in den verschiedenen Phasen der Behandlung im Auge behält. Indem sie sich auf diesen Prozess einlassen, können die Patient:innen beginnen, sich durch ein Gefühl der Zugehörigkeit innerhalb der Gruppe wieder mit sich selbst und anderen zu verbinden und ein Gefühl der Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen.
Da traumatisierte Patient:innen jedoch wahrscheinlich ein hohes Maß an sozialer Wachsamkeit und Angst empfinden, besteht der erste Schritt darin, ein sicheres Umfeld zu schaffen, das es ermöglicht, offen über Bedenken zu sprechen, sobald diese auftauchen. Zu diesem Zweck wird die Gruppe zunächst ermutigt, gemeinsam über Gruppenwerte nachzudenken. Dazu gehört auch die Frage, wie während der Sitzungen respektvoll und rücksichtsvoll zusammengearbeitet werden kann. Beispiele für Gruppenwerte sind Gegenseitigkeit, Respekt, Fairness und Zuhören, ohne zu urteilen. Die Gruppenleiter:innen sind dafür verantwortlich, ein Gefühl der Kontinuität und Stabilität während der Sitzungen zu schaffen. Auch hier werden die Patient:innen in die Entscheidungsfindung der Gruppe einbezogen und als Gesprächspartner:innen betrachtet. Da es unweigerlich zu Missverständnissen kommen wird, besteht ein Teil der weiteren therapeutischen Arbeit darin, der Wiedergutmachung und der Bewältigung von Beziehungsbrüchen Vorrang einzuräumen und zu erkennen, wann traumatische Wiederholungen stattfinden. Diese sozialen Erfahrungen sind ein wesentlicher und integrativer Teil der Behandlung und bieten ein Übungsfeld für die Entwicklung vertrauensvoller Beziehungen und die Bewältigung sozialer Erfahrungen.

Management der Anspannung, Alien-Selbst-Erfahrungen und verkörpertes Mentalisieren

Das Erlernen von Vertrauen und das Kennenlernen neuer sozialer Erfahrungen werden wahrscheinlich ein hohes Maß an Hypervigilanz auslösen. Die Patient:innen haben sich möglicherweise über einen langen Zeitraum von anderen isoliert. Darüber hinaus führen wiederholte traumatische Erfahrungen in frühen Bindungsbeziehungen zu einer Vulnerabilität der Mentalisierungsfähigkeiten, was die zwischenmenschlichen Interaktionen erschwert. Betroffene vermeiden es möglicherweise auch, sich mit sich selbst und ihren körperlichen Erfahrungen zu beschäftigen, um sich vor schmerzhaften Inhalten und Symptomen des Wiedererlebens zu schützen, was sich in dissoziativen Zuständen äußern kann. Dies kann eine zusätzliche Herausforderung in der Gruppe darstellen, wenn es darum geht, den Einzelnen/die Einzelne dabei zu unterstützen, neugierig auf seinen inneren mentalen Zustand zu werden, auch wenn er:sie belastendes Material bespricht oder Trauma-Trigger vorhanden sind.
Schamgefühle und Alien-Selbst-Erfahrungen können durch soziale Kontexte, die soziale Bindungen bedrohen und zu traumatischem Wiedererleben führen, ausgelöst werden. Scham kann als ein schmerzhaftes Gefühl der Einsamkeit in einem psychischen Äquivalenzmodus verstanden werden, das mit dem Gefühl eines imaginären Verlusts der Zugehörigkeit zur eigenen sozialen Gruppe verbunden ist und teleologische Handlungen auslösen kann (z. B. Rückzug durch Verlassen der Gruppe, Selbstverletzung, Aggression). Klinisch kann sich dies als Misstrauen gegenüber den Absichten anderer, einschließlich der Therapeut:innen, aber auch gegenüber der Selbsterfahrung äußern. Wenn die Anspannung zunimmt, kann die Wiederherstellung des Mentalisierens durch die Aktivierung von Dissoziationssymptomen, die die Person sowohl von der Selbsterfahrung als auch von anderen abkoppeln, weiterbehindert werden.
Eine wesentliche Intervention ist in der ersten Phase die Entwicklung von Fähigkeiten zum verkörperten Mentalisieren, die das Management von Anspannung und Dissoziation unterstützen können. Dies bezieht sich auf die Fähigkeit, über körperliche Erfahrungen und Empfindungen sowie ihre Beziehung zu mentalen Zuständen bei sich selbst und anderen zu reflektieren (Luyten et al. 2012; Schultz-Venrath 2021). Nach einem Trauma ist die Integration von Körpererfahrungen von wesentlicher Bedeutung, um sich wieder mit sich selbst zu verbinden, und um zu ergründen, was vor sich geht. Dies kann klinisch und sequenziell durch Verlangsamung und Zurückspulen geschehen, um Körpererfahrungen zu erforschen, Patient:innen dabei zu unterstützen, Wege zur Selbstberuhigung zu finden und zum Mentalisieren zurückzukehren sowie über die mögliche Verbindung zum Prozess und zu Traumaerinnerungen nachzudenken.
Um traumatisierten Patient:innen das verkörperte Mentalisieren zu ermöglichen, nutzt die MBT-TF Techniken aus der sensomotorischen Psychotherapie (Ogden und Fisher 2015). Sie ruft den Patient:innen Körperressourcen ins Bewusstsein zurück und übt diese, d. h., die Aufmerksamkeit wird gelenkt auf somatische Beruhigungs‑, Haltungs- oder Erdungsressourcen, die bereits genutzt, aber nicht bewusst als Quelle zur Beruhigung des autonomen Nervensystems wahrgenommen werden. Darüber hinaus werden neue somatische Ressourcen durch das Experimentieren mit Körperempfindungen in Momenten des Wohlbefindens aufgebaut, sodass sie später in einer Notlage leichter zugänglich sind. Die somatischen Ressourcen stärken die Fähigkeit, über sich selbst in der Vergangenheit zu reflektieren, dadurch, dass über den Körper die Verbindung mit der Gegenwart behalten wird. Bei den somatischen Ressourcen geht es u. a. um den Einsatz des Atems, der Bewegung, der Körperhaltung, der Fünf-Sinne-Wahrnehmung, der Erdung, der Zentrierung und des Containment. Alle Elemente können genutzt werden, um Hyper- oder Hypoarousal, einschließlich Dissoziation, zu steuern. In einigen MBT-TF-Programmen werden tiergestützte Interventionen (z. B. Therapiehunde oder Alpakas) eingesetzt, um die somatischen Ressourcen zu üben und den Patient:innen zu helfen, im Hier und Jetzt zu bleiben.
Es ist wichtig, während der Behandlung das Mentalisieren des Selbst im Zusammenhang mit diesen Prozessen aufzubauen. Dabei kann sich die Vigilanz steigern, deren Bedeutung ebenfalls in der Gruppe besprochen und in einen Zusammenhang zu früheren Erfahrungen gebracht werden kann. Die Gruppe kann Unterstützung bieten, indem sie die Verbindung zu anderen aufrechterhält, da diese Ereignisse im Gedächtnis bleiben und später reflektiert werden können, wenn die Anspannung nachlässt und das Mentalisieren wieder aufgenommen werden kann. Darüber hinaus können diese gemeinsamen Erlebnisse die Gelegenheit bieten, Schwierigkeiten bei anderen, die sich von denen, die die Patient:innen beschreiben, unterscheiden oder ihnen ähneln, zu beobachten. Dies kann die Selbstwahrnehmung erhöhen sowie das Verständnis und Mitgefühl für sich selbst und andere fördern.

Beispiel eines Therapieverlaufs

In diesem Abschnitt wird ein klinisches Beispiel der MBT-TF beschrieben; dieses besteht zum Zweck der Anonymisierung aus einer Zusammenstellung von verschiedenen Patient:innen. Es soll aufgezeigt werden, wie die Gruppenarbeit den Prozess der Entwicklung von Offenheit und Neugier gegenüber der Selbsterfahrung der Patientin unterstützte und wie sie half, Schamgefühle zu reduzieren.

Vorgeschichte

Anhand der fiktiven Fallgeschichte der Patientin Sophie wird die Entwicklung einer kPTBS beschrieben. Sophie war für eine Traumabehandlung überwiesen worden und an einer traumafokussierten Gruppenarbeit interessiert. Sie war das älteste von zwei Geschwistern und wuchs in einem vernachlässigenden Umfeld auf, da ihre Eltern noch recht jung waren, als sie geboren wurde, und beide Vollzeit arbeiteten, um über die Runden zu kommen. Unter anderem wegen ihrer finanziellen Schwierigkeiten, und weil die Familie größer wurde, musste sie für einige Zeit zu ihrer Großmutter ziehen und bei dieser leben. Als sich der Gesundheitszustand der Großmutter verschlechterte, lebte die Patientin schließlich bei ihrer Tante und ihrem Onkel. Ihr Onkel war emotional nicht verfügbar und missbrauchte sie zeitweise körperlich und sexuell. Seine Gemütsschwankungen waren unberechenbar, und sie beschrieb, dass sie in ständiger Angst lebte. Schließlich verließ sie im Alter von 19 Jahren das Haus. Sie hatte Probleme in der Schule und begann nach dem Schulabschluss, als Wäschereihelferin in einer chemischen Reinigung zu arbeiten. Sie fühlte sich von ihrer eigenen Familie entfremdet und hatte Mühe, neue stabile und langfristige Beziehungen aufzubauen. Als sie mit der MBT-TF-Traumabehandlung begann, war sie sozial isoliert, beschrieb aber, dass sie ein gewisses Maß an Vertrauen zu ihrem Einzeltherapeuten und zu einem Kollegen empfand, ansonsten aber generell den Kontakt zu anderen Menschen vermied.

Fallformulierung

Sophie wollte sich in der Gruppe auf ein Trauma konzentrieren, das sie im Alter von 10 Jahren erlebt hatte. Sie erinnerte sich, dass sie ihren Onkel um Geld für einen Schulausflug bitten wollte. Sie traute sich nicht, ihn zu fragen, hatte aber keine andere Wahl. Als sie schließlich darum bat, wurde ihr Onkel wütend und begann sie anzuschreien und zu beleidigen. Als er sie heftig beschimpfte und sexualisierte Drohungen ausstieß, verließ sie den Raum, um von ihm wegzukommen. Dies steigerte seine Wut, und er schlug sie mehrmals. Sie beschrieb, dass sich ähnliche Situationen während ihrer gesamten Kindheit und Jugend ereigneten.
Sie bestätigte, dass dieses Ereignis eine enorme Auswirkung auf ihre Beziehung zu sich selbst und zu anderen hatte. Sie fühlte sich ständig in Gefahr und war in der Gegenwart von Erwachsenen, insbesondere von Männern, äußerst vorsichtig. Wenn Erinnerungen an dieses Ereignis hochkamen, beschrieb sie, dass sie sich verzweifelt fühlte und Mühe hatte, sich auf ihre täglichen Aktivitäten zu konzentrieren. Sie fühlte sich extrem allein, weinerlich und verletzlich. Mit diesem Empfinden ging ein Gefühl der Scham über sich selbst und über das einher, was ihr widerfahren war; dies wiederum führte dazu, dass sie anderen gegenüber wütend war. Sie hatte das starke Gefühl, dass sie gegen die Welt ankämpfte, die sich als feindselig und ungerecht erwiesen hatte. Sie zog es jedoch vor, ihre Wut zu verbergen, und es erschien ihr sicherer, anderen so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Dies konnte dazu führen, dass es ihr schwer fiel, ihre eigenen Gefühle zu verstehen, da sie sich sehr darauf konzentrierte, diese zu verdrängen und zu verstecken. Sie bemerkte, dass es ihr sehr schwerfiel, den Menschen in ihrem Leben zu vertrauen, was sie daran hinderte, zu enge Beziehungen einzugehen.
Sophies Hoffnungen und Ziele für die Gruppe bestanden darin, sich diesen Erfahrungen stellen zu können, ohne sich überfordert zu fühlen, wütend zu werden und andere wegzustoßen. Sie wollte auch lernen, andere an sich heranzulassen, da sie es leid war, allein und isoliert zu sein. Was die Herausforderungen anbelangt, so sprach sie darüber, wie verunsichernd es für sie sein konnte, anderen mitzuteilen, wie sie sich wirklich fühlte, auch ihre Wut. Sie hatte Angst davor, wie sie es schaffen würde, über ihre Erfahrungen zu sprechen, da sie sich schämte. Eine weitere Sorge war, ob sie in der Lage sein würde, Beziehungen zu führen, da es ihr leichter fiel, einfach nicht aufzutauchen, wenn sie sich herausgefordert fühlte oder verwirrt war von dem, was vor sich ging.

Phase 1: Ressourcenaufbau und Vertrauen/Sprechen in der Gruppe

In der Gruppe war Sophie anfangs über weite Strecken der Sitzungen still. Sie schien sich für das zu interessieren, was andere zu sagen hatten, sprach aber nur, wenn andere sie in die Gespräche aktiv einbezogen. Als die anderen von ihren eigenen Schwierigkeiten berichteten, sich in der Gruppe und in Beziehungen sicher zu fühlen und anderen zu vertrauen, begann sie sich langsam zu öffnen. Nach und nach begann sie, sich spontan zu beteiligen, indem sie mitteilte, dass sie die Beobachtungen der anderen verstand, und indem sie zugab, dass sie ähnliche Probleme hatte. Sie schien einen Sicherheitsabstand zu den Gruppenleiterinnen zu halten, da sie den Blickkontakt mehr vermied oder sehr kurze Antworten formulierte, als wolle sie das Gespräch mit ihnen abkürzen. Es hatte den Anschein, dass sie mehr Misstrauen gegenüber den Therapeutinnen hegte als gegenüber anderen Gruppenmitgliedern. Wenn sie aufgefordert wurde, ihre eigenen Gedanken mitzuteilen oder ihre Gefühle zu beschreiben, wurde sie ängstlich und schien dies durch Ausweichen zu bewältigen, indem sie schwieg und behauptete, sie habe nichts mehr zu sagen. Auf Fragen von anderen Gruppenteilnehmer:innen schien es ihr leichter zu fallen, zu antworten.
Eine wesentliche Intervention in dieser Phase bestand darin, sie dabei zu unterstützen, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was in diesen Momenten in ihr vorgeht, und ihr zu helfen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, indem sie sich mit ihren Körperempfindungen verbindet. Während der Einzelarbeit hatte sie mehr Raum, sich individuell damit auseinanderzusetzen und über ihre persönlichen körperlichen und beruhigenden Ressourcen nachzudenken. Da ihr dies zu helfen schien, begann sie nach und nach, diese mit anderen in der Gruppe zu teilen, wenn diese über ihre Probleme mit Angst oder Dissoziation sprachen. Sie erzählte, wie sie lernte, ihre Aufmerksamkeit auf ihre Atmung zu lenken, da sie bemerkte, dass sich die Atemfrequenz änderte, wenn sie ängstlich wurde, oder wie sie das Gefühl von Wärme (z. B. ein heißes Getränk) nutzte, um sich zu beruhigen und zu erden.
Im weiteren Verlauf der Gruppe wurden die Patientinnen und Patienten auch dazu angehalten, sich untereinander und mit den Therapeutinnen abzusprechen, wenn Missverständnisse oder Spannungen auftraten. Sophie beschrieb dies als Herausforderung in ihrer individuellen Arbeit, und es schien eine gewisse Vermeidung zu geben, da sie einige Sitzungen versäumte. Sie engagierte sich jedoch weiterhin in der Gruppe und erklärte sich bereit, über ihre Angst zu sprechen, Wut oder Frustration auszudrücken. Sie befürchtete, dass ihre Wut dazu führen könnte, jemanden zu verletzt fühlt, sie eingeschlossen. Sie sprach auch darüber, dass es ihr sehr schwerfiel, über ihre Gefühle i. Allg. zu sprechen. Die Gruppenmitglieder erzählten, dass sie sich zu Beginn der Behandlung nicht getraut hatten, ihr weitere Fragen zu stellen, da sie verschlossen wirkte und ihr Schweigen sie verunsicherte und sie das Gefühl hatten, dass sie unberechenbar sein könnte. Dies schien einen neuen Austausch darüber zu eröffnen, wie sie auf andere wirkte, und wie sich dies auf die Gruppendynamik auswirkte. Nach und nach veränderten sich ihre Beziehungen zu den anderen Gruppenmitgliedern; sie sprach offener darüber, wie isoliert sie sich fühlte, und wie die Gruppe sie dazu brachte, ein wenig mehr über sich selbst, ihre Schwierigkeiten und ihre Vergangenheit nachzudenken. Ihre Toleranz, Fragen zu stellen und darauf zu antworten, schien zuzunehmen, ebenso wie ihre Neugierde gegenüber anderen und ihre Fähigkeit, sich in der Gruppe Raum zum Nachdenken zu geben. Sie schien sich auch ihrer körperlichen Erfahrungen bewusster zu werden und diese zu nutzen, um zu verstehen, was sie in den Gruppen erlebte.

Phase 2: Traumaverarbeitung

In der Phase der Erinnerungsverarbeitung kann jede Woche ein:e Teilnehmer:in mit Unterstützung der Gruppentherapeutinnen über traumatische Erlebnisse sprechen, während der Rest der Gruppe zuhört. Anschließend reflektieren die übrigen Gruppenmitglieder das Gehörte und denken darüber nach, welche Auswirkungen diese Ereignisse auf die berichtende Person gehabt haben könnten. Die anderen Gruppenmitglieder werden ebenfalls aufgefordert, darüber nachzudenken, inwiefern das Gehörte ihnen geholfen hat, die Person in ihrer Beziehung zu anderen innerhalb und außerhalb der Gruppe anders zu verstehen. Darüber hinaus werden sie ermutigt, darüber nachzudenken, inwieweit dies auch auf sie und ihre eigenen Erfahrungen zutrifft.
Als Sophie ihre traumatische Erinnerung an die körperliche Misshandlung durch den Onkel beschrieb, bemerkte sie, wie viel Angst sie hatte, darüber zu sprechen, und wie sie sich selbst davor hütete, andere wissen zu lassen, wie traurig sie in diesem Moment war. Als sie davon erzählte, bemerkte sie, dass sie sich nicht mehr in der Vergangenheit befand und sich tatsächlich erlauben konnte, ihre Emotionen zu fühlen, zu zeigen und loszulassen. Dies erschien ihr als eine Erkenntnis, die sie später in Verbindung brachte mit ihrem früheren Bedürfnis, ihre Gefühle vor anderen und insbesondere ihrem Onkel zu verbergen, um zu überleben. Nachdem sie über ihre Erfahrungen gesprochen hatte, kommentierten die Gruppenmitglieder, dass sie nachvollziehen konnten, wie diese Ereignisse sie dazu gebracht hatten, ihre Gefühle nicht zu teilen, und wie sie sich dadurch allein gefühlt haben könnte. Sie berichteten, dass sie besser verstehen konnten, warum Sophie zu Beginn der Gruppe so zurückhaltend war, angesichts dessen, was sie erlebt hatte, und dass sie sich ihr jetzt näher fühlten und hofften, dass sie sich sicherer fühlte, wenn sie ihnen mitteilte, was in ihr vorging. Sophie räumte ein, dass sich durch die Gruppenarbeit im Laufe der Zeit einige Veränderungen ergeben hätten, und dass sie sich jetzt anders fühle. Sie sprach über die Scham, die sie in all den Jahren empfunden hatte und die sie glauben ließ, dass sie das, was ihr widerfahren war, verdient hatte, und dass es ihre Schuld war. Die Gruppenmitglieder ließen sie wissen, dass ihnen dies nicht in den Sinn gekommen sei, und äußerten, dass sie Mitgefühl, Trauer und Wut darüber empfänden, dass Sophie dies erleben musste. Sie brachten dies auch mit ihrem eigenen Schmerz in Verbindung, der aus schwierigen Erfahrungen resultierte und sie zum Nachdenken über sich selbst brachte. Im weiteren Verlauf des Gesprächs erzählte Sophie von der Erkenntnis, dass sie nicht die Einzige mit einer schmerzhaften Vergangenheit war und dass sie nicht allein war. Als sie die verschiedenen Behandlungsphasen durchlief, beschrieb sie, dass sie sich weniger schämte und sich mehr Gefühle erlaubte.

Dritte Phase: Integration, Trauer, Akzeptanz und Weitergehen

In der dritten Phase der Behandlung berichtete Sophie über ihre Erkenntnis, dass diese Kindheitserfahrungen sie dazu gebracht hatten, es zu vermeiden, sich mit ihren Gefühlen zu verbinden und sich anderen gegenüber zu verletzlich zu zeigen. Sie reflektierte über die Auswirkungen, die dies auf ihr Beziehungsleben hatte. Am Ende der Sitzungen stellte sie fest, dass die Gruppe ihr geholfen hat, zu lernen, dass sie mehr mit anderen kommunizieren kann und dass sie sich nicht mehr anders als alle anderen erlebte, sondern sich bewusst war, dass andere vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Sie sprach von dem Gefühl, dass dies eine Gruppe war, zu der sie gehörte, des Weiteren von dem Verlust und der Trauer, die damit einhergingen, dass die Gruppe endete, aber auch von den Erfahrungen, die sie in ihrem Leben verpasst hatte, weil sie sich selbst von authentischen Verbindungen mit anderen zurückhielt. Sie sprach darüber, wie die Gruppe ihre Wahrnehmung ihrer eigenen Erfahrungen, ihrer selbst und der Menschen in ihrem Leben infrage gestellt hatte. Dies habe zu Veränderungen ausgelöst, da sie in Zukunft mehr in ihre Beziehungen investieren und anderen vertrauen wolle, indem sie offener über ihre Gefühle spreche und andere an sich heranlasse, wie es ihr in der Gruppe möglich gewesen sei. Sie hatte das Gefühl, weniger allein zu sein, und dass andere ihr helfen konnten, besser zu verstehen, was in ihr vorging. Sophie beschrieb auch, dass sie trotz der Traurigkeit, die das Ende der Gruppe in ihr auslöste, dankbar war und diese neue Offenheit, die sie an sich selbst bemerkte, beibehalten wollte, um weiterhin durch das Leben zu navigieren. In dieser Phase geht es auch um das Bewusstwerden, wie die Überwindung von psychischer Äquivalenz bei traumatischen Erinnerungen zu einer nachhaltigen Veränderung und Integration der Erinnerung, die sich potenziell auf andere Erinnerungen generalisiert, führen kann.

Fazit für die Praxis

  • Derzeit gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit komplexen Krankheitsbildern wie der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS), die das soziale Erleben fördern.
  • Die Trauma-fokussierte Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT-TF) wurde als Gruppenintervention entwickelt. Dieser neue Ansatz zielt darauf ab, einen sicheren Raum zu schaffen, der die Erkundung neuer sozialer Kontakte ermöglicht und in dem die Symptome, die nach traumatischen Erfahrungen auftreten, behandelt werden können.
  • Die zeitliche sowie inhaltliche Begrenzung und Fokussierung sind entscheidend für den Erfolg der Intervention, da nur an einer traumatischen Situation pro Patient:in – stellvertretend für andere Erfahrungen – gearbeitet wird.
  • Die bisherige Implementation von Gruppen in London, Genf, Heidelberg und Amsterdam zeigte, dass der Ansatz durchführbar ist und von einer hohen Teilnahmebereitschaft gekennzeichnet war.
  • Aktuell sind die ersten Begleitstudien geplant, um die Wirksamkeit der MBT-TF bei der Verbesserung der Versorgung dieser Patient:innen zu bewerten.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

E.N. Rüfenacht, L. Shaverin, A. Bateman, P. Fonagy und S. Taubner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Theorie und Praxis der Trauma-fokussierten Mentalisierungsbasierten Therapie
Ist eine Traumabehandlung in der Gruppe möglich?
verfasst von
Dr. Eva N. Rüfenacht
Lisa Shaverin
Dr. Anthony Bateman
Prof. Peter Fonagy
Prof. Dr. Svenja Taubner
Publikationsdatum
20.09.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Psychotherapie / Ausgabe 6/2023
Print ISSN: 2731-7161
Elektronische ISSN: 2731-717X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00278-023-00686-2

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