Erschienen in:
01.09.2005 | Originalarbeit
Die Wiederherstellung der Zeit in der ambulanten Psychotherapie mit Psychosekranken
verfasst von:
Dr. med. Dipl.-Psych. Sabine Dührsen
Erschienen in:
Forum der Psychoanalyse
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Ausgabe 3/2005
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Zusammenfassung
Im Setting der ambulanten tiefenpsychologischen Therapie äußert eine Reihe von Psychosekranken, dass Störungen im Zeiterleben zentral für ihr psychotisches Erleben insgesamt seien. Diese Patienten erleben Unterbrechungen im Zeitfluss, die zu einem Verlust der temporalen Kontinuität führen. Der Verlust temporaler Strukturen führt auch zu schweren Beeinrächtigungen der Denkfunktion: Kausale, finale und andere Relationen, die eine temporale Dimension beinhalten, können nicht mehr hergestellt werden.
Mit Ausschnitten aus Behandlungsverläufen wird gezeigt, wie es dem Patienten gelingt, in der Psychotherapie die temporale Kontinuität wiederherzustellen. Es werden objektbeziehungstheoretische Überlegungen sowie die experimentalpsychologischen Befunde Piagets zum Verständnis herangezogen.
Zu Beginn der Psychotherapie erlebt der Patient das Zusammensein mit dem Therapeuten in der Sitzung und die Getrenntheit im Intervall als zwei diskrete Seinszustände, die keinerlei Verbindung haben. Die periodische Wiederkehr des Zusammenseins in Verbindung mit der Gewissheit, dass die Fürsorge des Therapeuten kontinuierlich fortbesteht, ermutigt den Patienten, den Treffen mit dem Therapeuten entgegenzusehen und sich daran zu erinnern. Die Zuverlässigkeit des Alternierens verschiedener Zustände scheint eine spezifische geistige Aktivität zu stimulieren, mit der der Patient Verbindungsstücke schafft, die Übergänge zwischen den verschiedenen Zuständen herstellen. Diese Verbindungsstücke sind oft ganz konkrete Dinge und entsprechen Übergangsphänomenen im Sinne Winnicotts. Durch diese kreativen Ich-Leistungen wird die zeitliche Kontinuität wiedergewonnen. Damit gibt es wieder eine Basis für strukturiertes Denken und — besonders wichtig für Psychosekranke — für die Wahrnehmung der eigenen Person in der Zeit, aus der sich ein Identitätsgefühl herstellt.
Dieser Prozess der Wiederherstellung der Zeit nach der Psychose ist an sich schon von Interesse, da er Einblick in die Psychodynamik von Restitutionsvorgängen nach Psychosen gewährt. Darüber hinaus gibt er Anlass zu Hypothesen darüber, wie sich in der frühen Kindheit die innere zeitliche Dimension entwickelt.