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Brugada-Syndrom

Verfasst von: Heike Kaltofen, Dierk A. Vagts, Uta Emmig und Peter Biro
Brugada-Syndrom.
Synonyme
BrS
Oberbegriffe
Arrhythmie, Ionenkanalerkrankung
Organe/Organsysteme
Erregungsbildungs- und Reizleitungssystem des Herzens.
Inzidenz
In Südostasien 1:1000–2000, Androtropie 8:1; Manifestationsalter v. a. 30–40 Jahre. Es wird angenommen, dass ein BrS bei 20–60 % der idiopathischen Kammerflimmer-Fälle ohne sonst manifeste Herzerkrankung vorliegt.
Ätiologie
Hereditär mit autosomal-dominantem Erbgang. Das Syndrom wird durch Mutationen im Gen SCN5A auf Chromosom 3 verursacht, welches für die Kodierung des Natriumkanals im Myokard verantwortlich ist. Allerdings ist dieses Gen nur bei 25–30 % der Merkmalsträger nachweisbar.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Andere Arrhythmien. Long QT-Syndrom, Sick-Sinus-Syndrom

Symptome

Idiopathisch auftretende polymorphe ventrikuläre Kammertachykardien sowie Kammerflimmern bei sonst normaler kardialer Funktion, bevorzugt in Ruhe oder während des Schlafes auftretende Synkopen, Rechtsschenkelblock und zeltförmige ST-Hebung im EKG (v. a. in V1–V3).
Vergesellschaftet mit
Plötzlicher Herztod ohne ersichtliche Ursache.
Therapie
Ein implantierbarer Defibrillator (ICD) ist die einzige Therapie, die wirksam ist. Es wird empfohlen, einen ICD einzusetzen, wenn der Patient eine Vorgeschichte mit wiederkehrenden Synkopen oder Tachyarrhythmien vorzuweisen hat.

Anästhesierelevanz

Die betroffenen Patienten sind perioperativ gefährdet, einen plötzlichen Herztod zu erleiden. Insbesondere Imbalancen des autonomen Nervensystems können Tachyarrhythmien auslösen. Auf adäquate Narkosetiefe muss daher strikt geachtet werden. Systemisch wirkende Substanzen mit Natriumkanal-blockierenden Eigenschaften wie Lokalanästhetika und Antiarrhythmika (Ajmalin, Flecainid, Procainamid) können die Symptomatik auslösen und einen Herz-Kreislauf-Stillstand herbeiführen. Ebenfalls können Psychopharmaka und Antidepressiva problematisch sein. Eine Tachyarrhythmie kann jederzeit eintreten, wobei es keine medikamentöse Prophylaxe gibt.
Spezielle präoperative Abklärung
EKG, Elektrolytstatus.
Wichtiges Monitoring
EKG, externe Defibrillationselektroden, Relaxometrie, Temperatur.
Vorgehen
Mit den meisten Anästhetika (z. B. Propofol zur Einleitung, Thiopental, Fentanyl, Remifentanil, Inhalationsanästhetika, Lachgas, Midazolam) sind komplikationslose Anästhesien durchgeführt worden, obwohl teilweise ST-Veränderungen im EKG (z. B. unter Propofol, Lidocain) beobachtet wurden. Propofolinfusionen sind kontraindiziert, da auch beim Propofolinfusionssyndrom Brugada-ähnliche EKG-Veränderungen beobachtet wurden. Alle gängigen Muskelrelaxantien sind ohne Komplikationen eingesetzt worden. Auch neuroaxiale Verfahren mit Lokalanästhetika sind beschrieben. Unter Bupivacain zur Epiduralanästhesie sind teilweise jedoch Brugada-typische EKG-Veränderungen sowie auch polymorphe Kammertachykardien beobachtet worden, sodass Bupivacain nur für die Spinalanästhesie verwendet werden sollte.
Selektive α-Adrenozeptor-Agonisten und ß-Blocker können eine ST-Strecken-Hebung begünstigen und sollten daher vermieden werden. Umgekehrt können β-Mimetika und α-Blocker zur Therapie von ST-Streckenhebungen eingesetzt werden, falls keine Arrhythmien vorliegen. Antiarrhythmika der Klasse IA, Kalziumantagonisten sowie Nitropräparate gelten als kontraindiziert.
Auf eine Antagonisierung der Muskelrelaxation mit Cholinesterasehemmern sollte man besser verzichten und das Abklingen der Relaxation abwarten (Relaxometrie), obwohl es Fallberichte der komplikationslosen Anwendung von Neostigmin in Kombination mit Atropin gibt.
Isoionie und Isoosmolarität engmaschig kontrollieren und aufrechterhalten. Ebenfalls sollten Temperaturschwankungen vermieden werden.
Es wird berichtet, dass intraoperativ bei einer Neck-Dissection nach Vagusstimulation Brugada-typische EKG-Veränderungen aufgetreten sind. Daraus wird die Empfehlung abgeleitet, vagale Stimulation zu vermeiden bzw. möglichst konstante vegetative Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Dies kann insbesondere auch in der postoperativen Phase auftreten, weswegen eine adäquate postoperative Analgesie besonders wichtig ist. Auch im Schlaf und bei Fieber können maligne Tachyarrhythmien bevorzugt auftreten. Daher ist es angemessen, diese Patienten für mindestens 24 Stunden kontinuierlich zu überwachen.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Wirkmechanismus der Lokalanästhetika in der Blockierung der Natriumkanäle begründet ist, erscheint es sinnvoll, die Verwendung von großen Mengen von Lokalanästhetika zu vermeiden. Tendenziell zeichnet sich eine Haltung ab, die die Epiduralanästhesie (und andere Techniken mit höherem Bedarf an Lokalanästhetika) als kontraindiziert betrachtet, wohingegen die Spinalanästhesie als unbedenklich angesehen wird. Lidocain mit Adrenalinzusatz scheint für die Infiltrationsanästhesie sicher zu sein. Periphere Blockaden sollten wegen des geringeren Bradykardierisikos gegenüber zentralen Blockaden bevorzugt werden. Analog hierzu vertritt man die Ansicht, dass postoperative Schmerzen möglichst mit systemischen Techniken (intravenöse Opioide und NSAR) beherrscht werden sollten. Zur antiemetischen Prophylaxe sind Droperidol und 5HT3-Antagonisten erfolgreich verwendet worden, während Metoclopramid und Dimenhydrinat vermieden werden sollen. Trizyklische Antidepressiva sind kontraindiziert. Benzodiazepine können vorsichtig eingesetzt werden.
Cave
Vagale Stimulation, Natriumkanal-blockierende Pharmaka, Hypothermie, Fieber
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