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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 21.10.2022

Erkrankungen der männlichen Geschlechtsorgane – Begutachtung

Verfasst von: Wolfgang Diederichs und Jana Pretzer
Die männlichen Geschlechtsorgane lassen sich in die äußeren und inneren Anteile unterteilen. Infolge der Produktion und dem Transport von Sperma sind sie essenziell für die Fortpflanzung. Erkrankungen der Geschlechtsorgane sind häufig Folge von anderen Krankheiten. Dies sollte im Rahmen einer Begutachtung immer mitberücksichtigt werden.

Allgemeines

Die spezifischen Erkrankungen des Mannes betreffen Hoden, Nebenhoden, Samenleiter, Prostata und Penis. Da die einzelnen Krankheitsbilder und Folgen zum Teil sehr weitläufig sind, werden im folgenden Kapitel nur die Erkrankungen behandelt, die gemäß der Versorgungsmedizin-Verordnung mit einer GdS/GdB einhergehen (VersMedV).

Verletzungen der männlichen Geschlechtsorgane

Verletzungen der Prostata

Ausführungen dazu finden sich im parallelen Beitrag „Verletzungen der Harnröhre“ der gleichen Autoren.

Verletzungen des Hodens

Meistens führen stumpfe Traumen durch einen Schlag oder Tritt zu einer Verletzung des Hodens. Lokal kann dies zu einem Hämatom innerhalb des Hodens aber auch in beträchtlichem Maße zu einer Schwellung der Hodenhüllen führen. Bei größerer Krafteinwirkung kann die Tunica albuginea rupturieren und so zu einer schweren Verletzung des Hodens bis hin zum Hodenverlust führen (Grad der Schädigungsfolge GdS/GdB siehe Tab. 1).
Tab. 1
Grad der Schädigungsfolge in % (GdS/GdB) bei Verletzungen der männlichen Geschlechtsorgane (VersMedV 2019)
Verlust des Penis
Teilverlust des Penis
50
Teilverlust der Eichel
10
Verlust der Eichel
20
Impotentia coeundi (Erektionsstörungen) bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung
20
Impotentia generandi (Zeugungsunfähigkeit)
0
in jüngerem Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch
20

Verletzungen des Penis

Von den Urethraverletzungen (Häufigkeit und Ursache von Verletzungen der Harnröhre vgl. Ziffer 2.1) sind die direkten Traumen des Penis durch stumpfe Einwirkungen von Schlag, Tritt oder als sogenannte Fraktur des erigierten Gliedes von scharfen Verletzungen (z. B.: Hundebiss, Schnittverletzung bei Autoaggression) abzugrenzen. Kommt es zum Trauma des erigierten Gliedes (z. B. Penisfraktur beim Geschlechtsverkehr), geht dies meist mit einer erheblichen lokalen Hämatombildung einher oder führt bei einer offenen Verletzung zum Teil zu einem erheblichen Blutverlust. Im Rahmen der Begutachtung ist neben einem möglichen Erektionsverlust, einer Penisdeviation nach Penisfraktur, einer lokalen Einschränkung der Sensibilität als auch das mögliche Ausmaß einer partiellen oder kompletten Penisamputation zu beurteilen.

Tumore der männlichen Geschlechtsorgane

Prostatakarzinom

Das Prostatakarzinom ist mit 25,4 % aller diagnostizierten Krebserkrankungen die häufigste Krebserkrankung des Mannes in der BRD (Interdisziplinäre Leitlinie Prostatakarzinom 2019). Jährlich erkranken etwa 60.000 Männer in Deutschland neu an diesem Tumor (RKI 2017). Bei den tödlich verlaufenden Tumorerkrankungen bei Männern steht das Prostatakarzinom mit 11,3 % in Deutschland an zweiter Stelle bei der Betrachtung aller Todesursachen mit 3,1 % an sechster Stelle (RKI 2017). Wichtig ist es, das Auftreten eines Prostatakarzinoms in einem frühen Stadium mit lokaler Begrenzung der Erkrankung zu erkennen, da die Behandlungsmethoden der radikalen Entfernung der Prostata als auch der lokalen Bestrahlung dann zu einer Kuration führen können. Nach Entfernung eines malignen Prostatatumors ist eine Heilungsbewährung abzuwarten (VersMedV 2019).
Bei einem nicht mehr lokal begrenzten Prostatakarzinom können u. a. eine Androgendeprivation, eine Androgenrezeptorinhibition, eine Chemotherapie als auch supportive Maßnahmen zu einer Lebensverlängerung mit Besserung der Lebensqualität führen (Interdisziplinäre Leitlinie Prostatakarzinom 2019).

Hodentumor

Im Jahr 2014 erkrankten rund 4100 Männer neu an einem Hodentumor (RKI 2017). Die rohe Inzidenzrate beträgt dabei 10,3 pro 100.000 Personen (RKI 2017). Damit gehört diese Tumorerkrankung bei Männern zu den selteneren Krebskrankheiten. Im Unterschied zu anderen Tumoren betrifft das Hodenkarzinom vor allem jüngere Männer (S3 Leitlinie Keimzelltumoren des Hodens 2020). Durch die Maßnahmen der Hodenentfernung und je nach Tumorstadium die Art der möglichen Nachsorgebehandlungen durch eine operative Entfernung von regionalen Lymphknoten, eine lokale Bestrahlung oder/und die systemische Behandlung mittels Chemotherapie liegt die 10-Jahres-Gesamtüberlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit Hodentumor im Stadium I bei 95–99 % (S3 Leitlinie Keimzelltumoren des Hodens 2020). Die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeiten liegen beim metastasierten Hodenkarzinom je nach Prognosegruppe zwischen 48 und 95 % (S3 Leitlinie Keimzelltumoren des Hodens 2020).

Peniskarzinom

In Deutschland wurden im Jahr 2014 insgesamt 950 Neuerkrankungen eines Peniskarzinoms diagnostiziert (RKI 2017). Die Überlebensaussichten sind, gemessen an anderen Krebserkrankungen des Mannes, überdurchschnittlich gut, allerdings niedriger als beim Hoden- oder Prostatakarzinom. Das relative 5-Jahres-Überleben liegt bei 71 % (S3 Leitlinie Peniskarzinom 2020). Aufgrund der Lokalisation kann das Peniskarzinom frühzeitig diagnostiziert und somit geheilt werden (Protzel und Hakenberg 2020). Dennoch stellt sich eine relativ hohe Anzahl von Patienten erst in einem fortgeschrittenen Tumorstadium mit eingetretener Metastasierung vor (Protzel und Hakenberg 2020). Die Prognose sinkt in diesem Stadium dann deutlich, trotz der Möglichkeiten einer lokalchirurgischen Behandlung als auch einer Chemotherapie.

Entzündungen der männlichen Geschlechtsorgane

Prostatitis

Von der akuten Prostatitis, die meist als Folge einer aufsteigenden Infektion der Harnwege auftritt und durch Gabe von Antibiotika erfolgreich behandelt werden kann, muss die chronische Prostatitis abgegrenzt werden, die definiert ist als chronischer Schmerz oder Missempfindung im Beckenbereich für mindestens 3 Monate im Verlauf der letzten 6 Monate (Magistro et al. 2020). Die chronische Prostatitis wird häufig begleitet von Miktionsbeschwerden, psychosozialen Beeinträchtigungen und sexueller Dysfunktion (Magistro et al. 2020). Prostatitis ähnliche Beschwerden kennzeichnen dieses häufig unterschätzte Krankheitsbild, das die Lebensqualität des Mannes erheblich beeinflussen kann (Magistro et al. 2020) und eine GdS/GdB von bis zu 20 % bedingen kann (siehe auch Tab. 2).
Tab. 2
Grad der Schädigungsfolge in % (GdS/GdB) bei Tumoren der männlichen Geschlechtsorgane (VersMedV 2019)
GdS während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren nach Entfernung im Stadium T1a N0 M0 (Grading G1)
50
GdS während einer Heilungsbewährung von fünf Jahren nach Entfernung in den Stadien T1a N0 M0 (Grading ab G2) und (T1b bis T2) N0 M0
50
nach Entfernung in höheren Stadien wenigstens
80
ohne Notwendigkeit einer Behandlung
50
auf Dauer hormonbehandelt wenigstens
60
Hodentumor
GdS während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren nach Entfernung eines Seminoms oder nichtseminomatösen Tumors im Stadium (T1 bis T2) N0 M0
50
GdS während einer Heilungsbewährung von fünf Jahren nach Entfernung eines Seminoms im Stadium (T1 bis T2) N1 M0 bzw. T3 N0 M0
50
nach Entfernung eines nichtseminomatösen Tumors im Stadium (T1 bis T2) N1 M0 bzw. T3 N0 M0
60
in höheren Stadien
80
GdS im Frühstadium (T1 bis T2) N0 M0 bei Teilverlust des Penis
50
bei Verlust des Penis
60
mit vollständiger Entfernung der Corpora cavernosa
80
nach Entfernung in höheren Stadien
90–100

Epididymitis und Orchitis

Akute Entzündungen der Nebenhoden können zu einem vollständigen Verschluss der Samenwege und dementsprechend zu einer Azoospermie führen (siehe Kap. 6: Infertilität). Bei chronischen Epididymitiden kann infolge von anhaltenden Beschwerden eine Epididymektomie notwendig werden (siehe auch Tab. 3).
Tab. 3
Grad der Schädigungsfolge in % (GdS/GdB) bei Entzündungen der männlichen Geschlechtsorgane (VerMedV 2019)
Chronische bakterielle Prostatitis
oder abakterielle Prostatopathie ohne wesentliche Miktionsstörung
0–10
mit andauernden Miktionsstörungen und Schmerzen
20
Nebenhoden
Verlust oder Schwund eines Nebenhodens
0
Verlust oder vollständiger Schwund beider Nebenhoden und/oder Zeugungsunfähigkeit (Impotentia generandi)
0
in jüngerem Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch
20
Hoden
Unterentwicklung, Verlust oder Schwund eines Hodens bei intaktem anderen Hoden
0
Unterentwicklung, Verlust oder vollständiger Schwund beider Hoden in höherem Lebensalter (etwa ab 8. Lebensjahrzehnt)
10
sonst je nach Ausgleichbarkeit des Hormonhaushalts durch Substitution
20–30
vor Abschluss der körperlichen Entwicklung
20–40
Neben einer nach der Pubertät auftretenden Mumpserkrankung, die haematogen bedingt ist, können auch kanalikuläre bakterielle Infektionen den Hoden im Rahmen einer Epididymorchitis erfassen (Weidner und Weiske 2020). Hierdurch kann es zu einer Störung der Spermatogenese als auch zu andauernden schweren Parenchymschäden kommen (siehe auch Tab. 3).

Erektile Dysfunktion

Von erektiler Dysfunktion spricht man, wenn für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten die dauerhafte Unfähigkeit besteht, eine ausreichende Erektion aufzubauen oder zu erhalten, um einen befriedigenden Geschlechtsverkehr durchzuführen (Leiber 2016). Die erektile Dysfunktion ist eine Erkrankung mit Auswirkungen auf die physische und psychosoziale Gesundheit des Mannes und führt damit zu einer negativen Beeinflussung der Lebensqualität (Leiber 2016). Da für eine vollständige Erektion neurogene, glattmuskuläre, arterielle, venöse und hormonelle Funktionen eine Rolle spielen, können Risikofaktoren auf allen diesen Gebieten vorliegen (Leiber 2016) und sollten im Rahmen der Begutachtung mit bedacht werden. Der Schweregrad einer Erektionsstörung wird mit speziellen Fragebögen ermittelt (z. B. Internationaler Index der erektilen Funktion – IIEF-5) (Soave und Kliesch 2020).

Infertilität

Infertilität besteht, wenn trotz regelmäßigem, ungeschützten Geschlechtsverkehr nach 12 Monaten keine Schwangerschaft eingetreten ist (Köhn et al. 2020). Die Ursachen für eine ungewollte Kinderlosigkeit liegen zu etwa gleichen Teilen mit je bis zu je 40 % bei Mann und Frau. In den übrigen Fällen finden sich bei beiden Partnern Faktoren, die die Fertilität beeinträchtigen können (Köhn et al. 2020). Die wesentlichen Risikofaktoren für die Infertilität beim Mann decken sich zum großen Teil mit den häufigen Risikofaktoren bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane (siehe Beitrag der gleichen Autoren „Diagnostik von Geschlechtsorganen“).
Literatur
Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms 5.1 – Mai 2019 AWMF-Register-Nummer 043/022OL, S3-Leitlinie Prostatakarzinom (leitlinienprogramm-onkologie.de)
Köhn FM, Kliesch S, Pinggera GM et al (2020) Andrologische Diagnostik vor einer reproduktionsmedizinischen Behandlung. Urologe 59:855–868
Leiber C (2016) Erektile Dysfunktion. In: Michel MS et al (Hrsg) Die Urologie. Springer, Berlin/Heidelberg
Magistro G et al (2020) Chronische Prostatitis/chronisches Beckenschmerzsyndrom. Urologe 59:739–748CrossRef
Protzel C, Hakenberg OW (2020) Peniskarzinom. In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/New York
Robert Koch Institut (RKI) (2017) Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland (GEKID). Krebs in Deutschland für 2013/2014, 11. Aufl. RKI, Berlin
S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens Langversion 1.1 – Februar 2020 AWMF-Registernummer: 043/049OL, S3-Leitlinie Keimzelltumoren des Hodens (leitlinienprogramm-onkologie.de)
S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Peniskarzinoms Version 1.0 – August 2020 AWMF-Registernummer: 043-042OL, S3-Leitlinie Peniskarzinom (leitlinienprogramm-onkologie.de)
Soave A, Kliesch S (2020) Erektile Dysfunktion und andere penile Erkrankungen. In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/New York
Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV (zuletzt geändert durch Art. 27 g v. 12.12.2019 I 2652 https://​www.​gesetze-im-internet.​de/​versmedv/​BJNR241200008.​html
Weidner W, Weiske WH (2020) Infertilität des Mannes und andrologische Mikrochirurgie: Akute Orchitis. In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/New York