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Die Urologie
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Publiziert am: 29.12.2021

Urogenitale Infektionen und Infertilität

Verfasst von: Adrian Pilatz und Florian Wagenlehner
Infektionen und Entzündungen im Urogenitaltrakt sind allgemein als wesentliche Gründe für die männliche Unfruchtbarkeit anerkannt. So liegt der Anteil der Männer in der andrologischen Sprechstunde, die über eine entsprechende Anamnese berichten, zwischen 6 und 10 % (Schuppe HC et al (2017) Urogenital infection as a risk factor for male infertility. Dtsch Arztebl Int 114(19):339–346). Neben verschiedenen akuten/chronischen symptomatischen (= schmerzhaften) Infektionen der Samenwege (Prostatitis, Epididymitis, Orchitis) sind insbesondere auch asymptomatische Verläufe aszendierender bzw. systemischer Infektionen mit verschiedenen Bakterien und Viren zu bedenken. Im Folgenden werden die verschiedenen relevanten Entitäten dargestellt.

Einleitung

Infektionen und Entzündungen im Urogenitaltrakt sind allgemein als wesentliche Gründe für die männliche Unfruchtbarkeit anerkannt. So liegt der Anteil der Männer in der andrologischen Sprechstunde, die über eine entsprechende Anamnese berichten, zwischen 6 und 10 % (Schuppe et al. 2017). Neben verschiedenen akuten/chronischen symptomatischen (= schmerzhaften) Infektionen der Samenwege (Prostatitis, Epididymitis, Orchitis) sind insbesondere auch asymptomatische Verläufe aszendierender bzw. systemischer Infektionen mit verschiedenen Bakterien und Viren zu bedenken. Im Folgenden werden die verschiedenen relevanten Entitäten dargestellt.

Chronische Prostatitis, chronisches Beckenbodenschmerzsyndrom

Die Klassifikation der chronischen Prostatitis (Entzündung >3 Monate) erfolgt nach dem National Institute of Health (NIH) mittels 2- oder 4-Gläsertest.
Bei einer chronisch-bakteriellen Prostatitis (nach NIH Typ II) finden sich typischerweise 10-fach höhere Keimzahlen im Urin nach der Prostatamassage als davor. Allerdings haben nur ca. 10 % der Männer mit chronischer Prostatitis einen bakteriellen Erreger. Hier spielt E. coli sicherlich die wichtigste Rolle, aber auch atypische und sexuell übertragbare Erreger (Chlamydien) müssen berücksichtigt werden. Im Ejakulat kann die chronisch bakterielle Prostatitis mit ausgeprägten inflammatorischen Veränderungen (z. B. Leukozytospermie) assoziiert sein. So verwundert es nicht, dass in einer aktuellen Meta-Analyse mit Ausnahme des Ejakulatvolumens und der Spermienkonzentration alle anderen Parameter stets signifikant gegenüber der Kontrollgruppe beeinträchtigt waren (Tab. 1) (Condorelli et al. 2017).
Tab. 1
Einfluss der chronischen Prostatitis/chronisches Beckenschmerzsyndrom auf die Ejakulatqualität (Condorelli et al. 2017)
Typ
Volumen
Konzentration
Progressive Motilität
Morphologie
Vitalität
Spermienantikörper
NIH II
n.s.
n.s.
Keine Daten
NIH III
n.s.
Bei der Mehrzahl der Patienten mit chronischer Prostatitis finden sich jedoch keine bakteriellen Erreger, so dass hier vom chronischen Beckenbodenschmerzsyndrom (nach NIH Typ III) geredet wird. Dieses lässt sich wiederum in ein TYP IIIA (mit Inflammation) und IIIB (ohne Inflammation) einteilen. Die Datenlage zur chronischen Prostatitis NIH Typ III ist alles andere als einfach, was den Effekt auf die Spermienparameter betrifft. Das ist insbesondere auf verschiedene Definitionen zurück zu führen. So haben erstmalig 1971 Boström und Andersson den Effekt der chronischen Prostatitis auf die Spermienqualität untersucht und gegenüber gesunden Kontrollen keinen Unterschied gesehen (Boström und Andersson 1971). Es folgten viele stark heterogene Studien, die in die bereits genannte Meta-Analyse mit 27 Studien (davon 15 aus China) eingeflossen sind. Die Subgruppen-Analyse für das chronische Beckenbodenschmerzsyndrom (NIH III) zeigt, dass alle evaluierten Ejakulatparameter verglichen mit der jeweiligen Kontrollgruppe signifikant beeinträchtigt sind (Tab. 1) (Condorelli et al. 2017). Ursächlich hierfür scheint die Induktion einer Th1 und Th17 Immunreaktion im Sinne eines Autoimmunprozesses gegen Antigene der Prostata (z. B. PSA) zu sein (Motrich et al. 2020).
Zusammenfassend haben sowohl die NIH Typ II als auch Typ III Prostatitis einen negativen Einfluss auf die Ejakulatqualität.

Epididymitis und Epididymo-orchitis

Die akute Epididymitis ist in über 80 % der Fälle bakteriell aszendierend und hat gesicherte negative Auswirkungen auf den Nebenhoden und Hoden. Dies betrifft sowohl typische Enterobakterien (E. coli) als auch sexuell übertragbare Erreger (Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae). Es gibt nur wenige Studien, die überhaupt Veränderungen im Ejakulat während und nach Behandlung der Epididymitis thematisiert haben. Hier wurde während der akuten Phase oft eine ausgeprägte Leukozytospermie beschrieben, die im Verlauf der Erkrankung zunehmend rückläufig war. Bereits 1960 untersuchte Dietz die Spermienparameter bei Patienten mit akuter Epididymitis und berichtete, dass bei der antibiotisch nicht behandelten Erkrankung (!) die Ejakulatqualität zunehmend schlechter wurde (Dietz 1960). Hingegen konnten andere Studien mit adäquater Antibiotikatherapie zeigen, dass es während der ersten Wochen nach dem Ereignis bei vielen Patienten zu einer Verbesserung der Spermienparameter kam (Osegbe 1991). Allerdings trat nach 3–6 Monaten auch bei einem längeren Follow-up keine weitere Befundverbesserung ein (Osegbe 1991).
Die Ursache für die eingeschränkte Ejakulatqualität ist nicht geklärt. Aufgrund älterer histologischer Daten ist bekannt, dass es während der akuten Epididymitis in bis zu 70 % der Fälle zu einer Inflammation mit Granulozyen und Makrophagen im Hoden kommt. Die Langzeitfolgen sind praktisch unbekannt. Lediglich Osegbe berichtete über 2 Hodenhistologien mit bilateral (!) vollständigem Verlust der Hodenarchitektur und ferner einem Anstieg der FSH-Werte (Follikelstimulierendes Hormon) bei 15 Patienten nach vermeintlicher Gonokokken-Epididymitis (Osegbe 1991). Auf der anderen Seite jedoch existieren Studienergebnisse, die eine postinflammatorische Obstruktion vermuten lassen (Song et al. 2019; Fijak et al. 2018; Pilatz et al. 2013; Weidner et al. 1990). So wurde in zwei Studien über 4 Patienten mit persistierender Azoospermie berichtet, die normwertige FSH-Werte aufwiesen (Song et al. 2019; Weidner et al. 1990). Ferner konnte in einer Ultraschallstudie bei 90 Patienten mit akuter Epididymitis und 3-monatigem Follow-up gezeigt werden, dass es bei Begleitorchitis nach initialer Hodenvergrößerung im Verlauf nicht zu einer Hodenschrumpfung kommt, sondern das Hodenvolumen sich lediglich wieder normalisiert (Pilatz et al. 2013).
Von der akuten Epididymitis abzugrenzen ist die chronische Epididymitis (>3 Monate, intermittierende/permanenten Nebenhodenschmerzen), bei welcher es sich ätiologisch meistens um ein nicht-infektiöses Krankheitsbild handelt.
Zusammenfassend scheint die akute Epididymitis zu einer temporären Einschränkung der Ejakulatqualität zu führen, welche sich nach adäquater Therapie erholen kann. Allerdings weisen verschiedene Studien darauf hin, dass ca. 40 % der Patienten eine anhaltend eingeschränkte Spermienkonzentration behalten (Tab. 2).
Tab. 2
Studienübersicht zur Spermienkonzentration nach Epididymitis
Autor und Jahr
Patienten
Follow-up [Monaten]
Oligozoosperm
Azoosperm
Tozzo 1968*
16
1–18
6
1
Osegbe 1991*
30
24
10
8
Weidner et al. 1990
37
3
8
3
Ludwig und Haselberger 1977
46
6
14
0
Dietz 1960*
82
3–8
keine Angabe
11
Gesamt
211
 
38 (29,5 %)
23 (10,9 %)
*überwiegend insuffiziente Antibiotikatherapie

Orchitis

Bei der akuten Orchitis handelt es sich um eine klassische Infektion mit Schmerzen und Schwellung von einem oder beiden Hoden. Ätiopathogenetisch wird vor allem eine Hodenbeteiligung im Rahmen systemischer Virusinfekte angenommen. Obwohl verschiedenste Viren beschrieben wurden, die eine akute Orchitis induzieren können, berichtet die verfügbare Literatur fast ausschließlich über das Mumps-Virus. Trotz Einführung der Mumps-Masern-Röteln-Impfung wird weltweit immer wieder über lokalisierte Erkrankungsausbrüche berichtet. Interessanterweise ist eine Mumps-Orchitis auch trotz erfolgter Mumps-Vakzinierung möglich, wenn auch die Klinik weniger ausgeprägt zu sein scheint. Seit 2013 besteht nach dem neuen Infektionsschutzgesetz die Meldepflicht für Deutschland.
Bei einer Mumps-Orchitis berichten die meisten Patienten initial über eine Parotitis, oft assoziiert mit Kopfschmerzen und Fieber (Ternavasio-de la Vega et al. 2010). Nach 5–10 Tagen kommt es dann bei bis zu 40 % der Jungen/Männer zu einer meist einseitigen Orchitis mit einhergehender Hodenschwellung und -schmerzen (Ternavasio-de la Vega et al. 2010). Diagnostisch hilfreich können die Bestimmung der Alpha-Amylase und des C-reaktiven Proteins sein. Die serologische Diagnostik ist unsicher (Sensitivität 24 bis 51 %, Spezifität ca. 82 %), so dass ein Direktnachweis mittels PCR (Polymerase-Kettenreaktion) angeraten wird.
Von andrologischer Relevanz ist die aus der Orchitis resultierende Hodenatrophie mit erheblicher Beeinträchtigung der Ejakulatqualität. In einer umfassenden Übersicht konnte gezeigt werden, dass in der akuten Phase – ähnlich wie bei der Epididymo-orchitis – die Spermienparameter eingeschränkt sind und es im Verlauf zu einer Erholung kommt. So stieg die Spermienkonzentration von 7,5 × 106/ml in der akuten Infektion auf 87 × 106/ml nach vielen Jahren (Pilatz et al. 2016). Entgegen der immer wieder zitierten 15 % bzw. 60 % einer Azoospermie nach unilateraler bzw. bilateraler Erkrankung (Beobachtungszeitraum 1 Monat!) (Gazibera et al. 2012), findet sich mehrere Jahre nach Mumps-Orchitis eine Azoospermie wahrscheinlich bei weniger als 5 % der Betroffenen (Pilatz et al. 2016).
Therapeutisch existieren einige Studien zu Interferon-alpha mit dem Ziel der Prophylaxe einer Hodenatrophie und Protektion der Fertilität. Allerdings sind die Daten eher ernüchternd, so dass derzeit von einer experimentellen Therapie gesprochen werden muss.
Hingegen handelt es sich bei der chronischen Orchitis typischerweise um eine histologische Diagnose im Rahmen einer Hodenbiopsie bei unerfülltem Kinderwunsch. Hier können fokale Immunzellinfiltrate im Interstitium in ca. 30 % der Fälle gefunden werden (Fijak et al. 2018). Unklar ist, ob diese Folge einer Infektion oder einer anderweitig gestörten Spermatogenese sind. Diesbezüglich berichteten zwei Studien, dass in Hodenbiopsien von Patienten mit Azoospermie in 12/185 (6 %) humane Papillomviren (HPV) bzw. in 3/18 (16 %) Chlamydia trachomatis mittels PCR nachgewiesen werden konnten (Bryan et al. 2019; Martorell et al. 2005).
Ferner ist zu bedenken, dass eine Vielzahl von Viren, die eine Virämie induzieren, auch im Ejakulat nachweisbar sein können. Als immunprivilegierte Organe spielen die Hoden hier eine besondere Rolle, weil die Viren sich in den Hoden der Immunabwehr entziehen können. So konnten sowohl Ebola- als auch Zikaviren noch viele Wochen nach abgeheilter Infektion im Ejakulat nachgewiesen werden. Erste Berichte zu SARS-CoV-2 (COVID-19) lassen dies ebenfalls vermuten. Inwiefern sich hieraus eine Einschränkung der Fertilität bei COVID-19 ergibt, ist noch unklar (Xia 2020).
Zusammenfassend muss bei isolierter Orchitis an Mumps gedacht werden, wenn auch die Erkrankung verglichen mit der Epididymitis sehr viel seltener ist.

Zusammenfassung

  • NIH Typ III Prostatitis: Signifikante Beeinträchtigung der Ejakulatqualität
  • Epididymitis: ca. 40 % der Patienten anhaltend eingeschränkte Spermienkonzentration
  • Isolierte Orchitis: an Mumps denken
  • Chronische Orchitis: histologische Diagnose im Rahmen einer Hodenbiopsie
Literatur
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Condorelli RA et al (2017) Chronic prostatitis and its detrimental impact on sperm parameters: a systematic review and meta-analysis. J Endocrinol Investig 40(11):1209–1218CrossRef
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Fijak M et al (2018) Infectious, inflammatory and 'autoimmune' male factor infertility: how do rodent models inform clinical practice? Hum Reprod Update 24(4):416–441CrossRef
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Song SH et al (2019) Delayed recovery of a patient with obstructive azoospermia and a history of acute epididymitis. Clin Exp Reprod Med 46(2):95–98CrossRef
Ternavasio-de la Vega HG et al (2010) Mumps orchitis in the post-vaccine era (1967–2009): a single-center series of 67 patients and review of clinical outcome and trends. Medicine 89(2):96–116CrossRef
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