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Mukopolysaccharide und Glykosaminoglykane

Verfasst von: F. Bürger
Mukopolysaccharide und Glykosaminoglykane
Synonym(e)
Englischer Begriff
mucopolysaccharides; glycosaminoglycans
Definition
Mukopolysaccharide ist ein veralteter Begriff für Glykosaminoglykane (GAGs). GAGs sind Polysaccharidketten aus unverzweigten, O- und/oder N-sulfatierten und -acylierten Aminozuckern. Diese Polysaccharidketten hängen wiederum an einem Proteinskelett und bilden so die Proteoglykane, die neben Kollagen die Grundsubstanz der extrazellulären Matrix sind. Zu den GAGs gehören Heparansulfat, Dermatansulfat, Keratansulfat, Chondroitinsulfat und Hyaluronan.
Struktur
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Die GAGs sind aufgrund ihrer Sulfat-, Sulfonat- und/oder Carboxylgruppen wasserlösliche Poly-Anionen und reagieren sauer. Durch die Fähigkeit, Wasser aufzunehmen, verleihen sie dem Gerüst, vor allem dem Bindegewebe, dem Knorpel, den Bandscheiben, aber auch dem Glaskörper des Auges, seine Elastizität. Darüber hinaus spielen die GAGs aufgrund ihrer Lokalisation an der extrazellulären Matrix auch eine Rolle bei interzellulären Prozessen, wie Anhaften, Kommunikation und/oder Erkennung.
Pathophysiologie
Störungen des Abbaus von GAGs führen zu einer wichtigen Untergruppe lysosomaler Speichererkrankungen, den Mukopolysaccharidosen (Tab. 1).
Tab. 1
Mukopolysaccharidosen (MPS)
MPS
Krankheit
Enzymdefekt
Erhöhte GAGs
Gen-Locus
I
Hurler (IH)
Hurler-Scheie (IHS)
Scheie (IS)
α-L-Iduronidase
Dermatansulfat ↑↑
Heparansulfat ↑
4p16.3
II*
Hunter
Iduronat-Sulfatase
Dermatansulfat ↑↑
Heparansulfat ↑
Xq28
IIIA
Sanfilippo A
Heparan-N-Sulfatase
Heparansulfat ↑↑
17q25.3
IIIB
Sanfilippo B
α-N-Acetylglukosaminidase
Heparansulfat ↑↑
17q21.2
IIIC
Sanfilippo C
Acetyl-CoA: α-Glukosamin-Acetyltransferase
Heparansulfat ↑↑
8p11.21
IIID
Sanfilippo D
α-N-Acetyl-glukosamin-6-Sulfatase
Heparansulfat ↑↑
12q14.3
IVA
Morquio A
Galaktose-6-Sulfatase
Keratansulfat ↑
16q24.3
IVB
Morquio B
Keratansulfat ↑
3p22.3
VI
Maroteaux-Lamy
Arylsulfatase B
Dermatansulfat ↑↑
5q14.1
VII
Sly
Chondroitinsulfat ↑
Heparansulfat ↑
Dermatansulfat ↑
7q11.21
IX
Natowicz
Hyaluronidase I
3p21.31
Anmerkungen:
MPS I (Scheie) wurde ursprünglich als MPS V geführt. Als der Enzymdefekt identifiziert wurde, stellte man fest, dass es sich um eine „milde“ Form der MPS I handelt. Um Konfusionen zu vermieden, wurde der Begriff MPS V nicht mehr verwendet.
Ein Enzymdefekt wurde entdeckt und als MPS VIII deklariert. Kurz darauf wurde festgestellt, dass es sich um einen Laborfehler gehandelt hatte. Daraufhin wurde auch der Begriff MPS VIII nicht mehr verwendet.
*MPS II wird als einzige MPS-Erkrankung nicht autosomal rezessiv vererbt, sondern X-chromosomal rezessiv.
Abhängig von dem Enzymdefekt ist der Abbau von Heparansulfat, Dermatansulfat, Keratansulfat und/oder Chondroitinsulfat gestört. Bei einer Störung im Abbau der GAGs akkumulieren diese in den Lysosomen, was vor allem zu Organomegalien führt. Darüber hinaus können die nicht abgebauten GAGs außerhalb der Lysosomen Entzündungsprozesse und Immunantworten aktivieren. Weiterhin können sie die Expression von Proteasen hochregulieren und so die Apoptose von Geweben wie Gelenken und Knochen einleiten. Dies führt dann zu Skelettdeformitäten und/oder zu Störungen des Zentralnervensystems. Überschüssige GAGs werden vom Körper über den Urin ausgeschieden.
Untersuchungsmaterial
Urin, Morgenurin, 24-Stunden-Sammelurin.
Probenstabilität
Bei Raumtemperatur <5 Tage; bei 4 °C ca. 2 Wochen, bei −20 °C ca. 6 Monate.
Präanalytik
Konservierung mit 3–6 Tropfen Dichlormethan pro 10 ml Urin, Versand bei Raumtemperatur oder ohne Konservierung Versand gefroren auf Trockeneis.
Analytik
Die Gesamt-GAGs werden üblicherweise fotometrisch mittels Dimethylmethylenblau und seltener mittels Alcianblau oder Toluidinblau bestimmt (Abb. 1).
Die verschiedenen GAGs können durch ein- oder zweidimensionale Elektrophorese (s. Mukopolysaccharid-Elektrophorese) aufgetrennt und nachgewiesen werden. Diese Methode ist ebenso wie die Kapillarelektrophorese nur semiquantitativ. Der quantitative Nachweis der einzelnen GAGs erfolgt heutzutage entweder mittels
  • Derivatisierung und anschließender Gaschromatografie gekoppelt mit Massenspektroskopie (GC-MS),
  • einer Kombination aus enzymatischem Abbau der polymeren GAGs zu Disacchariden und deren anschließenden Trennung mittels HPLC mit fluorimetrischer Detektion,
  • einer Kombination aus enzymatischem Abbau der polymeren GAGs zu Disacchariden und deren anschließenden Trennung mittels Flüssigchromatografie gekoppelt mit Tandemmassenspektroskopie (LC-MS/MS).
Internationale Einheit
mg GAG/mmol Kreatinin.
Referenzbereich – Erwachsene
Labor- und altersabhängig.
Referenzwerte des Stoffwechsellabors Heidelberg 2016:
Alter
Norm (mg GAG/mmol Kreatinin)
15–19 Jahre
0–7
20–199 Jahre
0–4
Referenzbereich – Kinder
Labor- und altersabhängig.
Referenzwerte des Stoffwechsellabors Heidelberg 2016:
Alter
Norm (mg GAG/mmol Kreatinin)
0–180 Tage
0–47
181–365 Tage
0–38
1–2 Jahre
0–36
3–<4 Jahre
0–21
4–5 Jahre
0–16
6–7 Jahre
0–14
8–9 Jahre
0–12
10–14 Jahre
0–10
15–19 Jahre
0–7
Indikation
Bei klinischem Verdacht auf das Vorliegen einer Speichererkrankung, insbesondere einer Mukopolysaccharidose oder einem Multiplen-Sulfatase-Defekt.
Interpretation
Erhöhte Werte weisen auf eine Mukopolysaccharidose hin. Allerdings erlaubt diese Analytik keine Aussage über den Typ einer Mukopolysaccharidose. Für diese Differenzierung sollte als weiterführende Diagnostik zunächst die Mukopolysaccharid-Elektrophorese angeschlossen werden. Die endgültige Diagnose kann dann jedoch nur mittels Enzymatik und/oder Molekulargenetik gestellt werden.
Quellen für falsch positive Ergebnisse sind:
Diagnostische Wertigkeit
Die fotometrische Bestimmung der Gesamt-GAGs im Urin ist eine relativ robuste, schnelle und einfache Methode, um einen ersten Hinweis auf eine Mukopolysaccharidose zu erhalten. Eine Spezifizierung des Typs der Mukopolysaccharidose ist mit dieser Methode jedoch nicht möglich.
Literatur
Aquino RS, Park PW (2016) Glycosaminoglycans and infection. Front Biosci (Landmark Aufl) 21:1260–1277CrossRef
Jong JGN de, Wevers RA, Liebrand-van Sambeck R (1992) Measuring urinary glycosaminoglycans in the presence of protein: an improved screening procedure for mukopolysaccahridoses based on diemthylmethylen blue. Clin Chem 38(6):803–807
Kubaski F, Osago H, Mason RW, Yamaguchi S, Kobayashi H, Tsuchiya M, Orii T, Tomatsu S (2017) Glycosaminoglycans detection methods: Applications of mass spectrometry. Mol Genet Metab 120(1–2):67–77CrossRefPubMed