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Pädiatrie
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Publiziert am: 13.10.2019

Genetische Beratung und Pränataldiagnostik

Verfasst von: Stephanie Spranger
Die Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit im Kontext von genetischer Beratung und Pränataldiagnostik werden von den im Folgenden beschriebenen Gesetzen geregelt.

Gesetzliche Grundlagen

Die Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit im Kontext von genetischer Beratung und Pränataldiagnostik werden von den im Folgenden beschriebenen Gesetzen geregelt.

Gendiagnostikgesetz

Das Gendiagnostikgesetz (GenDG) vom 01.02.2010 regelt die Anforderungen an zulässige genetische Untersuchungen und genetische Analysen und beschränkt deren Anwendbarkeit. Ziel des Gesetzes ist, die mit der Untersuchung menschlicher Eigenschaften verbundenen Gefahren von genetischer Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für den einzelnen Menschen zu wahren. Genetische Diskriminierung ist die Benachteiligung eines Menschen aufgrund seiner genetischen Krankheit oder Disposition. Das GenDG regelt deshalb auch Fragen, die den Versicherungsbereich und das Arbeitsleben betreffen sowie Abstammungsgutachten.
Ein wichtiger Punkt des Gesetzes ist der Arztvorbehalt. Genetische Diagnostik darf nur vom Arzt vorgenommen werden.
Neben der schriftlichen Einwilligung in eine genetische Laboruntersuchung nach Aufklärung ist dabei festgelegt, dass genetische Diagnostik mit einer Beratung vor und einer Beratung nach Diagnostik verbunden sein sollte. Zudem sieht das Gesetz eine Beratungspflicht vor und nach pränataler und prädiktiver Diagnostik vor. Verzichtet ein Patient im Einzelfall auf die genetische Beratung vor oder zur Ergebnismitteilung nach genetischer pränataler oder prädiktiver Diagnostik, ist dieser Verzicht nach vorheriger schriftlicher Information über die vorgesehenen Beratungsinhalte bzw. mögliche Konsequenzen des Verzichts mit der Unterschrift des Patienten zu dokumentieren (GenDG § 10 Abs. 2). Die Dokumentation der Verzichtserklärung muss auch vom aufklärenden Arzt unterschrieben werden.

Schwangerschaftskonfliktgesetz

Das Schwangerschaftskonfliktgesetz (Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten) gewährleistet den Anspruch auf eine umfassende Beratung oder eine spezielle Schwangerschaftskonfliktberatung.
Bis zur 12. Schwangerschaftswoche kann jede Schwangerschaft nach Beratung straffrei abgebrochen werden (Fristenlösung). Konfliktgrund ist die Schwangerschaft als solche.
Nach der 12. Schwangerschaftswoche p.c. kann eine Schwangerschaft nur aufgrund einer medizinischen oder kriminologischen Indikation (nach Vergewaltigung) straffrei abgebrochen werden. Medizinisch indiziert ist ein Schwangerschaftsabbruch, wenn nur damit ein physischer oder psychischer Schaden der Mutter jetzt oder in Zukunft verhütet werden kann. Konfliktgrund kann eine pränataldiagnostisch erkannte Anomalie des Föten sein oder z. B. eine Chromosomenstörung. Das in diesem Fall erforderliche ärztliche Vorgehen beinhaltet eine umfassende Aufklärung, Betreuung und Begleitung der Schwangeren zur Feststellung einer möglichen medizinischen Indikation, insbesondere nach der Eröffnung eines auffälligen pränataldiagnostischen Befundes. Ärztinnen und Ärzte, welche die Diagnose mitteilen (§ 2a SchKG n.F.), müssen fachübergreifende medizinische und psychosoziale Beratung anbieten bzw. vermitteln und Kollegen hinzuziehen, die mit der im Raum stehenden Gesundheitsschädigung bei geborenen Kindern Erfahrung haben und über die medizinischen, psychischen und sozialen Aspekte des Befundes und Unterstützungsmöglichkeiten bei physischen und psychischen Belastungen beraten. Ziel der in dem Gesetz festgelegten Begleitung und Beratung ist, die Konsequenzen der Diagnose einer Behinderung des Kindes von allen Seiten zu beleuchten und die Schwangere und ihren Partner darin zu unterstützen, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse und Belastungen auszuloten und Lösungsansätze aufzuzeigen. Die Regelungen verpflichten allein den Arzt/die Ärztin und zielen darauf, der Schwangeren und ihrem Partner bei der Abklärung der Situation und Perspektiven zu helfen.
Frühestens 3 Tage nach Befundmitteilung und Beratung ist zu entscheiden, ob eine medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch vorliegt. Liegt eine Indikation vor, so ist sie schriftlich zu begründen unter Angabe der erfolgten Aufklärung über die fetale Anomalie und deren Folgen und die medizinisch-psychologischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs. Die dreitägige Bedenkzeit gibt betroffenen Schwangeren und deren Partnern den erforderlichen Raum zur Überwindung der Schocksituation. Die Bedenkzeit gilt nicht, wenn eine akute Gesundheits- oder Lebensgefahr der Schwangeren besteht. Die Schwangere selbst ist nicht zu einer Beratung verpflichtet. Sie kann auf die Aufklärung und Beratung oder Teile der Aufklärung und Beratung und auf die Vermittlung zu einer psychosozialen Beratungsstelle verzichten, muss diesen Verzicht allerdings schriftlich bestätigen.

Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik

Die Präimplantationsdiagnostik ermöglicht es, Embryonen im Reagenzglas vor dem Einpflanzen in den Mutterleib auf genetisch bedingte Krankheiten zu untersuchen. Unbelastete befruchtete Eizellen werden implantiert, belastete oder überflüssige Eizellen in der Regel vernichtet. Voraussetzungen und Vorgehensweise sind im Präimplantationsdiagnostikgesetz vom 08.12.2011 geregelt. Paare, die eine Veranlagung für eine schwerwiegende genetisch bedingte Erkrankung in sich tragen oder bei denen mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist, können die Präimplantationsdiagnostik in Anspruch nehmen (Voraussetzung ist die vorherige Zustimmung einer Ethikkommission in jedem Einzelfall sowie eine genetische Beratung der Betroffenen).
Eine Kostenübernahmepflicht der Krankenkassen besteht derzeit nicht.

Grundlagen der genetischen Beratung

Die Inanspruchnahme der genetischen Beratung ist in der Regel freiwillig, Rahmenbedingungen und Ausnahmen regelt das Gendiagnostikgesetz. Genetische Beratung wird bei Fragestellungen gesucht und angeboten, die mit dem Auftreten oder der Wahrscheinlichkeit einer (epi-)genetisch bedingten oder mitbedingten Erkrankung oder Entwicklungsstörung zusammenhängen. Die Indikation kann auch in einer subjektiven Besorgnis des Patienten bestehen. Beispiele sind Kinderwunsch nach der Geburt eines Kindes mit Fehlbildungs-Retardierungssyndrom, mit Großwuchs, Kleinwuchs, Autismus, mentaler Retardierung, Beratung nach auffälligem Befund in der Pränataldiagnostik, eigene Erkrankung (z. B. Epilepsie) und Kinderwunsch bei auffälliger Familiengeschichte (z. B. Behinderungen in der Familie).
Genetische Beratung ist ein persönlicher Kommunikationsprozess zwischen einem medizinisch-genetisch qualifizierten Arzt und dem Patienten. Ärztliche Voraussetzung ist die Qualifikation als Facharzt für Humangenetik oder die Zusatzbezeichnung Medizinische Genetik. Im Einzelfall kann auch ein Facharzt ohne die genannte Facharzt- oder Zusatzbezeichnung nach spezieller Qualifikation selbstständig und eigenverantwortlich zu spezifischen Fragestellungen seines Fachgebiets beraten. (GenDG § 23 Abs. 2 S. 2 Nr. 2).
Spezielle Anforderungen werden an die genetische Beratung im Rahmen von prädiktiver Diagnostik gestellt. Dazu zählt die Beratung vor und nach Diagnostik von spät manifesten Erkrankungen bei klinisch Gesunden (z. B. auf die zur Huntington Krankheit führende Genveränderung) und der Nachweis einer Überträgerschaft bei autosomal-rezessiven Erkrankungen in der Familie (z. B. Heterozygotentest bei CF in der Familie). Diese Beratungen darf nur ein Facharzt für Humangenetik vornehmen.

Beratungsgespräch

Die genetische Beratung beginnt mit der Klärung der Fragestellung der Ratsuchenden. Zielsetzung, Umfang und Vorgehensweise der Beratung müssen dargestellt und gegebenenfalls im Laufe des Gesprächs angepasst werden. Laut S2-Leitlinie ist eine Dauer von mindestens einer halben Stunde vorgesehen. Bei Bedarf sollten weitere Gespräche angeboten werden. Je nach Fragestellung kann die Hinzuziehung weiterer ärztlicher oder nichtärztlicher Fachkräfte erforderlich werden. Dies darf nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Patienten erfolgen. Hier sind insbesondere die Maßgaben von § 10 Abs. 3 GenDG einzuhalten.
Der Patient ist auf sein Recht auf Nichtwissen hinzuweisen, einschließlich des Rechts, Untersuchungsergebnisse oder Teile davon nicht zur Kenntnis zu nehmen und/oder vernichten zu lassen. Es soll in diesem Zusammenhang auch auf die mögliche Bedeutung des Untersuchungsergebnisses für Familienangehörige hingewiesen werden. Angesichts der kurzen gesetzlichen Aufbewahrungsfristen (10 Jahre) kann gegebenenfalls die Aufbewahrung von Untersuchungsmaterial und (gegebenenfalls auch von nicht zur Kenntnis genommenen) Befunden zur möglichen Verwendung durch die Angehörigen auch nach dem Tode des Patienten angeboten werden.
Schwerpunkte des genetischen Beratungsgesprächs sind in der Übersicht zusammengefasst.
Schwerpunkte des genetischen Beratungsgesprächs
  • Anamnese:
    • Familienanamnese mit Erstellung eines Stammbaums (mindestens 3 Generationen)
    • Schwangerschaftsanamnese einschließlich Medikamenteneinnahme, Alkoholkonsum, Drogenabusus
    • Eigenanamnese einschließlich Geburtsverlauf und -daten
  • Umweltfaktoren
  • Soziale Situation
  • Einsichtnahme in und Beurteilung bereits durchgeführter diagnostischer und/oder therapeutisch/prophylaktischer Befunde/Maßnahmen beim Patienten oder bei mutmaßlich betroffenen Verwandten
  • Eventuell: klinische Untersuchung des Patienten, gegebenenfalls mit Fotodokumentation
  • Verdachtsdiagnose stellen, mitteilen, erörtern
  • Durchführung weiterführender biochemischer, zytogenetischer oder molekulargenetischer Untersuchungen nach schriftlicher Einwilligung (jederzeit widerrufbar, s. GenDG)
  • Bei geklärter Diagnose:
    • Ursache, Prognose, Erkrankungswahrscheinlichkeit, Therapie, pränatale und Diagnostik und deren Grenzen aufzeigen
    • Aufklärung über Erkrankungswahrscheinlichkeit in der weiteren Familie, Unterstützung bei der individuellen Entscheidungsfindung unter Information über psychosoziale Unterstützungsangebote, evtl. deren Vermittlung
    • Information über Selbsthilfeorganisationen
  • Bei geklärter Erkrankung in der Familie: Mitteilung von Inzidenz, evtl. Mutations- und Heterozytogenfrequenz und -Risiken
Für die Feststellung der Erkrankungswahrscheinlichkeit und als diagnostisches Instrument (z. B. X-rezessiver Erbgang) kann die Kenntnis der Erbgänge hilfreich sein: In Abb. 1, 2, 3 und 4 sind einige Stammbäume beispielhaft dargestellt.
Integraler Bestandteil der genetischen Beratung ist eine abschließende schriftliche humangenetische Stellungnahme. Der Patient erhält eine Kopie dieses Schriftstücks. In ihm sollen die Beratungsinhalte allgemein verständlich aufgeführt sein. Eine übersichtliche Gliederung sowie eine kurze Zusammenfassung der Stellungnahme werden empfohlen. Medizinische Fachbegriffe sollen soweit wie möglich adäquat umschrieben oder erläutert werden. Es ist im Einvernehmen mit den Patienten schriftlich festzulegen, welche Ärzte über die stattgefundene Beratung, die Ergebnisse genetischer Untersuchungen und die Beratungsinhalte informiert werden. Auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten kann von dem bei GKV-Patienten geforderten Bericht an den überweisenden Fach- und Hausarzt abgesehen werden.

Pränataldiagnostik

Genetische Beratung bei Pränataldiagnostik

Die in diesem Kontext erwähnte Pränataldiagnostik umfasst Analysen nach invasiver Probengewinnung (z. B. Chorionzottenbiopsie, Amniozentese, Chordozentese) ebenso wie nichtinvasive Untersuchungsmethoden zur Abschätzung bzw. Präzisierung einer Erkrankungswahrscheinlichkeit (z. B. Ersttrimester-Screening, auf die Erkennung fetaler Anomalien gerichtete Ultraschalldiagnostik).
Die genetische Beratung im Rahmen dieser Pränataldiagnostik soll beiden Elternteilen Raum für evtl. kontroverse Einstellungen lassen und gegebenenfalls psychologische Unterstützung anbieten. Zusätzlich sollen Informationen zu den aktuellen Untersuchungsmöglichkeiten, deren Aussagekraft und möglichen Einschränkungen, insbesondere deren Sensitivität und Spezifität gegeben werden. Dies gilt insbesondere für die Verfahren zur Risikomodifikation, z. B. das Ersttrimesterscreening. Dabei müssen gegebenenfalls auch ethische und/oder rechtliche Beschränkungen technisch möglicher Diagnoseverfahren erörtert werden (z. B. Restriktionen durch GenDG, ESchG und andere Gesetze; Leitlinie zur genetischen Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen). Die genetische Beratung muss auch auf die mit der Probenentnahme verbundenen etwaigen Risiken für die Schwangere und den Embryo bzw. Fetus hinweisen (GenDG § 9 Abs. 2).
Das anlässlich einer pränatalen genetischen Untersuchung zu medizinischen Zwecken bekannt gewordene Geschlecht des Ungeborenen darf der Patientin mit deren Einwilligung mitgeteilt werden, jedoch erst nach Ablauf der 12. Schwangerschaftswoche p.c. (GenDG § 15 Abs. 1). Eine pränatale Geschlechtsbestimmung ohne medizinischen Zweck ist nicht zulässig (GenDG § 15 Abs. 1); dies muss gegebenenfalls im genetischen Beratungsgespräch klargestellt werden.
Rahmenbedingungen des GenDG für Pränataldiagnostik
Vorgeschrieben sind:
  • Genetische Beratung vor und nach Pränataldiagnostik einschließlich Serumbiochemie und sonografischer Messung der Nackentransparenz
  • Schriftliches Einverständnis
  • Genetische Beratung vom FA, FA mit Zusatzbezeichnung Med. Genetik oder fachspezifisch
  • Hinweis auf psychosoziale Beratung
  • Dokumentation
  • Verzicht in Ausnahmefällen mit schriftlicher Erklärung
Verboten sind:
  • Frühe pränatale Geschlechtsbestimmung, erst nach der 12. SSW
  • Pränatale Vaterschaftstest (Ausnahme Vergewaltigung)
  • Pränatale Diagnostik auf spätmanifeste Erkrankungen (z. B. auf Anlageträgerschaft für Huntington-Krankheit)
Bei einem unauffälligen pränataldiagnostischen Befund muss auf die unabhängig vom Befund weiter bestehenden Gesundheitsrisiken für das Kind hingewiesen werden. Hierzu gehört auch der Hinweis auf etwaige Veränderungen dieses Basisrisikos, z. B. bei Konsanguinität der Eltern und nach ICSI (intrazytoplasmatische Spermieninjektion).

Genetische Beratung bei nichteinwilligungsfähigen Personen

Wird eine prädiktive genetische Untersuchung bei einer Person oder eine vorgeburtliche genetische Untersuchung bei einer Schwangeren vorgenommen, die nicht in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der genetischen Untersuchung für sich bzw. gegebenenfalls den Embryo/Fetus hinreichend zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten, muss der Vertreter der Person entsprechend den Inhalten dieser Leitlinie ausführlich genetisch beraten werden (GenDG § 14 Abs. 4). Vertreter nichteinwilligungsfähiger Patienten im Sinne dieser Leitlinie sind gesetzliche und benannte Vertreter, soweit sich ihre Vertretungsvollmacht auf die Gesundheitsvorsorge der vertretenen Person bezieht.
Die nichteinwilligungsfähige Person soll in einer ihr gemäßen Weise so weit wie möglich in den Beratungsprozess einbezogen werden (GenDG § 14 Abs. 1).
Der Vertreter soll durch die ergebnisoffene genetische Beratung befähigt werden, die Entscheidung für oder gegen eine genetische Untersuchung nach sorgfältiger Abwägung der Interessen der nicht einwilligungsfähigen Person und gegebenenfalls des Embryos/Feten sowie anderer Familienangehöriger zu treffen.

Verfahren der Pränataldiagnostik

Bei der Pränataldiagnostik werden invasive Verfahren von nichtinvasiven unterschieden.

Invasive Verfahren

Amniozentese
Zur invasiven Pränataldiagnostik gehört die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung). Diese wird in der Regel zwischen der 15. und 18. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Indikationen sind in der Übersicht aufgeführt.
Indikationen für eine Amniozentese
  • Vorausgegangenes Kind mit neu entstandener nummerischer Chromosomenaberration (leicht erhöhtes WH-Risiko)
  • Auffälliger Ultraschallbefund (z. B. erhöhte Nackentransparenz oder Omphalozele)
  • Familiäre Translokation (Risiko unbalancierter Karyotyp)
  • Selten: Altersrisiko, da meist vorhergehende Inanspruchnahme der NT-Messung mit individueller Risikoabschätzung
  • Selten: Vorausgegangenes Kind mit speziell nachweisbarer molekulargenetischer Veränderung (z. B. spinale Muskelatrophie), dann eher Chorionzottenbiopsie
Unter Ultraschallkontrolle durchsticht der Arzt mit einer dünnen Kanüle die Bauchdecke und saugt einige Milliliter Fruchtwasser ab, in dem kindliche Zellen schwimmen. Diese Zellen werden im Labor vermehrt und die in ihnen enthaltenen Chromosomen auf Anzahl und Struktur hin untersucht. Ein Schnelltest gibt bereits nach 1–2 Tagen Hinweise auf eine nummerische Chromosomenaberration (FISH oder PCR). Für das endgültige Ergebnis benötigt das Labor rund 2 Wochen. Die Untersuchung ist für Mutter und Kind nicht völlig risikolos. Dies sollte von der Schwangeren bzw. von dem Elternpaar abgewogen werden, bevor sie dem Eingriff zustimmen. In weniger als 0,5 % der Fälle kommt es im Anschluss an eine Fruchtwasseruntersuchung zu einer Fehlgeburt. Ebenfalls selten löst eine Amniozentese Blutungen in der Gebärmutter, Fruchtwasserabgang oder eine Infektion aus.
Chorionzottenbiopsie
Die Chorionzottenbiopsie (CVS) ist zu einem früheren Zeitpunkt in der Schwangerschaft (11.–13. SSW) möglich als die Amniozentese. Der Arzt gewinnt über eine dünne Kanüle durch die Bauchdecke hindurch Zellen aus der Anlage des späteren Mutterkuchens. Die 20–30 mg schwere Probe wird im Labor auf Chromosomenaberrationen untersucht (Schnelltest, Kurzzeit und Langzeitkultur). Aus dem Material kann außerdem DNA isoliert werden.
Die CVS ist dann die Methode der Wahl zur speziellen vorgeburtlichen Untersuchung, wenn eine molekularbiologisch erkennbare Erkrankung in der Familie bekannt ist. Sie wird oft bei verdickter Nackentransparenz angewandt und bei speziellen Fragestellung, wie nach Geburt eines Kindes mit SMA. Das Risiko einer Fehlgeburt ist vermutlich nicht wesentlich höher als bei einer Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese). Als mögliche Komplikationen können leichte Blutungen und sehr selten auch Infektionen auftreten.
Plazentabiopsie
Im Gegensatz zur Chorionzottenbiopsie werden hier Zellen aus dem voll entwickelten Mutterkuchen entnommen. Die Untersuchung wird also zu einem späteren Zeitpunkt in der Schwangerschaft durchgeführt, z. B. wenn erst spät in der Schwangerschaft der Verdacht auf eine Chromosomenstörung gestellt wird (z. B. fetale Retardierung, Verdacht auf Trisomie 18) und das Resultat der Analyse eine Konsequenz für die Geburtsplanung und geplante Versorgung des Kindes hat.
Chordozentese
Die Indikation ist ähnlich wie bei der Plazentese. Hier wird Blut des Kindes aus der Nabelschnur punktiert, z. B. bei Verdacht auf Chromosomenmosaik nach Amniozentese oder bei auffälligem Ultraschallbefund.

Nichtinvasive spezielle Pränataldiagnostik

Nackentransparenzmessung
Unter Nackentransparenz (NT) versteht man die mittels Ultraschall in der 11.–14. SSW darstellbare Flüssigkeitsansammlung unter der Haut des kindlichen Nackens. Ist diese vergrößert, so ist das Risiko für eine Chromosomenstörung (z. B. Trisomie 21/Down-Syndrom) oder eine Fehlbildung erhöht. Hierzu zählen beispielsweise schwere Herzfehler und Fehlbildungen der großen Gefäße. Auch Skelettdysplasien und genetische Syndrome können als erstes Symptom eine verdickte Nackenfalte haben. Kombiniert mit dem mütterlichen Alter können mit dieser Untersuchungsmethode etwa 75 % der Kinder mit einer Trisomie 21 erkannt werden. Wenn gleichzeitig im mütterlichen Blutserum 2 Hormone (freies β-HCG und PAPP-A) erhöht sind, steigert sich die Rate erkannter chromosomaler Störungen auf etwa 95 %. Die Nackentransparenzmessung dient der Schwangeren als Entscheidungshilfe für oder gegen eine weitergehende invasive Diagnostik (z. B. Amniozentese). Sie ermöglicht eine individuelle Risikoermittlung, keine Diagnose! Deshalb ist sie nicht in den Mutterschaftsrichtlinien verankert und auch keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, sie gilt als Screeninguntersuchung.
Fehlbildungsultraschall
Hierunter versteht man eine meist ab der 20. SSW durchgeführte spezielle Ultraschalluntersuchung, wenn der betreuende Frauenarzt bei der Routineuntersuchung im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien Auffälligkeiten sieht, nach auffälliger NT und normalem Karyotyp, nach der Geburt eines Kindes mit Fehlbildung oder bei Fehlbildungen in der Familie. Aus dem Befund ergeben sich wichtige Hinweise für die Geburtsplanung (z. B. bei Nachweis eines Herzfehlers Geburt in einem Zentrum planbar).
Bluttest auf Trisomien: Bluttest auf Trisomie 21
Ein neuartiger nichtinvasiver Test soll eine fetale Trisomie 21 aus mütterlichem Blut nachweisen bzw. ausschließen. Er gilt als Screeningmethode und ist kein diagnostischer Test. Die Einführung wird sehr kontrovers diskutiert. Der Test soll in erster Linie Patientinnen mit einem erhöhten Risiko für eine Trisomie 21 (z. B. nach einem auffälligen Ersttrimesterscreening) ab der 12. SSW angeboten werden. Einzelheiten der Indikation müssen gesetzeskonform immer in einem genetischen Beratungsgespräch individuell geklärt werden. Ein auffälliges Testergebnis ist durch eine invasive Diagnostik (Chorionzottenbiopsie, Amniozentese, Plazentazentese) zu bestätigen. Ein unauffälliger Test kann eine Trisomie 21 mit hoher Sicherheit ausschließen, ersetzt aber keineswegs das Ersttrimesterscreening (insbesondere Bestimmung der Nackentransparenz), die auch auf andere Chromosomenstörungen oder Erkrankungen hinweisen, z. B. einen Herzfehler.

Präimplantationsdiagnostik

Als Präimplantationsdiagnostik wird die genetische Untersuchung eines außerhalb des Körpers (in vitro) erzeugten Embryos vor dessen Implantation in die Gebärmutter der Frau bezeichnet. Üblicherweise werden dabei dem Embryo 3 Tage nach der In-vitro-Fertilisation, wenn er aus 6–10 Zellen besteht, 1 oder 2 Zellen entnommen und auf bestimmte Gendefekte (Genmutationen) hin untersucht. Gewöhnlich wird zur Präimplantationsdiagnostik auch das Aneuploidie-Screening gezählt, bei dem der Embryo vor der Implantation auf das Vorliegen überzähliger Chromosomen oder das Fehlen von Chromosomen überprüft wird.
Das Untersuchungsverfahren ist erlaubt, wenn die Gefahr einer Vererbung einer schweren Erkrankung besteht. Da das Ergebnis vor Eintritt der Schwangerschaft vorliegt, geht das betroffene Paar mit der Gewissheit in die Schwangerschaft, dass die spezifisch vermutete genetische Erkrankung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit beim Kind nicht vorliegen wird. Dennoch wird jeder Patientin heute nach der Präimplantationsdiagnostik noch eine Pränataldiagnostik empfohlen.

Präfertilisationsdiagnostik

Im Unterschied zur Präimplantationsdiagnostik finden die Untersuchungen statt, bevor man die Zellkerne von Eizelle und Spermium zusammenbringt, also vor dem Embryonalstadium. Dazu gehört etwa die Polkörperdiagnostik, ein Untersuchungsverfahren an der Eizelle, bei dem aus der genetischen oder chromosomalen Ausstattung der Polkörper auf das Erbmaterial der Eizelle geschlossen wird.
Weiterführende Literatur
Chen H (2011) Atlas of genetic diagnosis and counseling. Springer, Berlin/Heidelberg
Harper P (2010) Practical genetic counselling, 7. Aufl. Hodder Education, Oxon
Read A, Donnai D (2007) Angewandte Humangenetik. de Gruyter, Berlin