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Ätiopathogenetische Konzepte und Krankheitsmodelle in der Psychiatrie

Verfasst von: W. Gaebel und J. Zielasek
Psychische Krankheit ist kein Mythos, sondern – jenseits kultureller, politischer und weltanschaulicher Perspektiven – nachweisliche Realität. Diese Aussage beruht auf der klinischen Alltagserfahrung, dass psychische Krankheit in ihren Auswirkungen auf die betroffene Person beobachtet werden kann und daher nicht nur eine durch konstruktivistische Grundannahmen herbeigeführte Scheinrealität darstellt (Diskussion hierzu bei Philips et al. 2012). In ihrem Übergangsbereich sind psychische Krankheit und Gesundheit nicht scharf abgrenzbar, definitorisch sind sie aufeinander bezogen. Psychische Krankheit wird in ihren Erscheinungs- und Verlaufsformen, ihren Ursachen und Bedingungen mehrdimensional konzipiert. Pathobiologische, psychologische und soziale Aspekte sind komplementär, objektive Indikatoren allerdings teilweise noch unzureichend entwickelt. Eindimensionale oder monokausale Theoriebildung ist überholt; in der Forschung ist zwecks Hypothesenprüfung oft ein reduktionistischer Ansatz, in der klinischen Praxis jedoch durchgehend eine integrative Sichtweise erforderlich. Grundsätzlich ist eine funktionale, auf normale Funktionsweisen und ihre Störungen ausgerichtete Betrachtungsweise anzustreben, die deskriptive Operationalisierungen moderner Klassifikationssysteme ergänzt und rein nosologische Konzeptionen kontrastiert. Valide, empirisch geprüfte oder prüfbare ätiopathogenetische Rahmenkonzepte und Krankheitsmodelle sind die Voraussetzung zur Entwicklung und Anwendung rationaler Therapie. Als allgemeines Modell zur integrativen Konzeptualisierung von Ätiopathogenese, Disposition, auslösenden, aufrechterhaltenden und chronifizierenden sowie protektiven und therapeutischen Faktoren für Krankheitsmanifestation und Verlauf kann das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell gelten. Es besitzt heuristischen Wert für die individuelle Psychoedukation und Therapieplanung, wie für die Ursachen-/Bedingungs- und Therapieforschung. Psychiatrische Forschung ist – in einem klar bestimmten begrifflichen Feld und unter Berücksichtigung strategischer wie methodischer Erfordernisse – multidisziplinär orientiert. Dies rückt die Psychiatrie – im Kontext eines naturwissenschaftlich orientierten Weltbildes – näher an Psychologie, Sozialwissenschaften und Medizin; letzteres ist auch ein Beitrag zur immer noch unvollständigen sozialen Gleichstellung von psychisch und somatisch Kranken.

Standortbestimmung ätiopathogenetischer Konzepte

Grundlage einer rationalen Therapie in der Psychiatrie müssen – wie auch sonst in der Medizin – klare ätiologische und pathogenetische Vorstellungen sein. Eine in diesem Sinne valide Krankheitstheorie mit entsprechenden Modellvorstellungen sollte Basis einer kohärenten Therapietheorie sein, aus der nicht nur allgemeine, sondern störungsspezifische therapeutische Handlungsanweisungen ableitbar sind, deren Einsatz zu einer spezifischen und wissenschaftlich überprüfbaren Wirkung führt. Aus in diesem Sinne gültigen Krankheitsmodellen müssen aber auch Aussagen über den Übergangsbereich zwischen Krankheit und Gesundheit ableitbar sein. In dieser Anwendungsbreite kommt derartigen Modellen eine Bedeutung über die therapeutische Nutzanwendung hinaus zu. Sie dienen
  • dem Selbstverständnis der in der Psychiatrie Tätigen,
  • der interprofessionellen und Arzt-Patient-Verständigung,
  • der Öffentlichkeitsarbeit,
  • der Lehre und
  • der Forschung.
Derart umfassende Modelle liegen bisher erst in Ansätzen vor. Allerdings vollzieht sich eine Entwicklung hin zu integrativen Modellen, die verschiedene Aspekte und Perspektiven integrieren und auf diese Weise unfruchtbare Dualismen von Psyche und Soma zu überwinden suchen. Sie sind in ihrer Komplexität zwar schwieriger zu evaluieren, kommen aber dem nahe, was in der therapeutischen Praxis ohnehin unverzichtbar ist: die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven, um dem Kranken in den verschiedenen Dimensionen seines Krankseins wie seiner Person gerecht zu werden.

Krankheits- und Gesundheitskonzepte in der Psychiatrie

Krankheit und Gesundheit sind nicht scharf abgrenzbar – dies gilt besonders für psychische Störungen. Ein Blick in die Geschichte der Psychiatrie, aber auch ein Kulturvergleich, zeigen (Ackerknecht 1985), dass Krankheitskonzeptionen mit den politischen, kulturellen und weltanschaulichen Normen und Werten einer historischen Epoche oder einer Gesellschaftsform variieren. Daraus ist abgeleitet worden, die Psychiatrie schaffe sich erst durch Etikettierung ihre Klientel, die sie zu heilen vorgebe. Dieser Vorwurf, der in der sog. „Labeling-Theorie“ der Antipsychiatriebewegung kulminierte, ist wissenschaftlich nicht haltbar (van Praag 1978).
Andererseits sind die Gefahren eines politischen Missbrauchs der Psychiatrie zur Ausgrenzung missliebiger Individuen oder Gruppen auch heute nicht von der Hand zu weisen (Übersicht bei Van Voren 2015). Grundsätzlich hat die kritische Auseinandersetzung mit der ordnungspolizeilichen Funktion der Psychiatrie zu einer Sensibilisierung für die Gefahren sozialer Stigmatisierung beigetragen. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat diese Debatte auch für den Bereich der Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen wieder neu belebt und beispielsweise hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde hierzu eine ethische Stellungnahme entwickelt und publiziert (http://dgppn-new.globit.com/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/stellungnahmen/2014/2014-09-23_DGPPN_Stellungnahme_TF_Ethik_final.pdf; letzter Zugriff 13.7.2015). Dabei darf nicht übersehen werden,
…dass wahrscheinlich hinter der Vielfalt der Symptome in allen Gesellschaften dieselbe biologische Krankhaftigkeit, eine absolute Abnormalität, steckt. Die Schwierigkeit besteht nur darin, dass uns für die verbreitetsten Psychosen und Neurosen solche absoluten biologischen Kriterien fehlen, und wir Geisteskrankheiten darum in der Hauptsache nur anhand von Symptomen und der grundlegenden Unfähigkeit zur Einordnung diagnostizieren können (Ackerknecht 1985, S. 4–5).
Ähnlich äußert sich Berrios:
The demonstration of culture-related variations in the presentation of a symptom, however, does not necessarily mean that this has no biologic basis or that, if it has, it is irrelevant to its understanding (Berrios 1994, S. 49).
(Übersetzung: Der Nachweis kulturabhängiger Unterschiede bei der Präsentation eines Symptoms bedeutet nicht zwingend, dass es keine biologische Basis hat oder dass diese, sofern vorhanden, für sein Verstehen irrelevant ist.)
Diese Aussagen sind insofern zu relativieren, als z. B. ein abnorm hoher Blutdruck nicht per se aufgrund einer „absoluten“ Norm „zu hoch“ ist, sondern weil diese Devianz empirisch mit bestimmten Gesundheitsrisiken verknüpft ist (van Praag 1978).
Die Definition von „krank“ erfordert eine Vorstellung darüber, was „gesund“ ist – und umgekehrt. Insofern ergibt sich eine wechselseitige Konzeptualisierung, die allerdings nicht in Zirkelschlüsse münden darf: krank ist, was nicht gesund ist – und vice versa. Zirkuläre Definitionen lassen sich nur vermeiden, wenn konkret auf eine definierte „Lebensfunktion“ eingegrenzt wird, deren „physiologische“ Gesetzmäßigkeit bekannt ist, sodass sich Abweichungen der „Normalfunktion“ quantitativ und/oder qualitativ beschreiben und für eine Definition der „Pathofunktion“ verwenden lassen.
Im Zuge der Revision der internationalen Diagnosesysteme („International Classification of Diseases“ ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation [WHO 2001] sowie „Diagnostic and Statistical Manual“ der American Psychiatric Association, DSM-5) wurde diese Thematik wieder aufgegriffen unter Bezugnahme auf Wakefields Theorie der „harmful dysfunction“ (Wakefield 2007; und die auf diesen Artikel folgende Diskussion in World Psychiatry). Wo Indikatoren für „gesund“ und „krank“ vorliegen, ist eine Abgrenzung empirisch-statistisch möglich, sofern eine normative Grenzziehung unter Angabe eines gewissen Toleranzbereichs erfolgt ist. Das heißt, „gesund“ und „krank“ sind in der Natur nicht einfach als diskrete Merkmale vorfindbar, sondern müssen auf der Grundlage verfügbarer Indikatoren operational definiert werden. Dabei gibt es „Grenzfälle“ oder subklinische „Übergangsformen“, deren korrekte Zuordnung oft erst nach einer längeren Verlaufsbeobachtung möglich ist. Verbunden mit dieser grundsätzlichen Frage kam es auch im Prozess der Revision von DSM-IV und ICD-10 zur Diskussion darüber, ob quasi „verdünnte“ Formen psychischer Störungen, wie sie auch in der „gesunden Normalbevölkerung“ nachweisbar sind, sowie Frühformen psychischer Störungen bereits diagnostische Bedeutung bekommen sollen (Frances 2009; Möller 2009). Dies würde mit einer die bisherigen kategorialen Systeme zumindest ergänzenden dimensionalen Betrachtungsweise psychischer Störungen einhergehen (Andrews et al. 2009; Demjaha et al. 2009).

Allgemeine Charakteristik von Krankheits-/Gesundheitsmodellen

Subjektive bzw. implizite Krankheitsmodelle

Allgemein kann zwischen wissenschaftlichen (expliziten) und subjektiven (impliziten) Modellen unterschieden werden. Die Relevanz subjektiver bzw. impliziter Modelle für den Krankheits- und Behandlungsverlauf darf nicht unterschätzt werden. Laientheoretische Krankheitsmodelle bei Patienten und Angehörigen können (therapie-)verlaufsbeeinflussende Bedeutung gewinnen, indem sie einerseits in der Krankheitsverarbeitung, andererseits in der Therapiemotivation und Lebensführung mehr oder weniger günstige Erlebens- und Verhaltensmuster beisteuern. Sie sind daher im diagnostischen Prozess zu berücksichtigen und in die Behandlungsplanung und -gestaltung einzubeziehen. Sie sind darüber hinaus aber auch von theoretischem Interesse, da ihre Analyse Einsichten in verlaufsstabilisierende wie destabilisierende psychologische Einflussfaktoren geben kann, die therapeutisch systematischer zu nutzen wären.

Wissenschaftliche bzw. explizite Modelle

Wissenschaftliche Modelle werden unterteilt in
  • krankheits- bzw. störungsorientierte und
  • gesundheitsorientierte Konzepte.
In der Regel lassen sich aus gesundheitsorientierten Modellen keine Vorhersagen über krankhafte Abweichungen treffen, während störungsorientierte Modelle selten klare Gesundheitskonzepte aufweisen (Tamm 1993). Andererseits fokussieren gesundheitsorientierte Modelle insbesondere auf protektive Faktoren und sind damit hinsichtlich präventiver Konzepte von Bedeutung.
Um die komplementären Prozesse Gesundheit und Krankheit konzeptuell integrieren und ihren mannigfaltigen Überschneidungen gerecht werden zu können, wäre ein störungsübergreifendes psychobiologisches Funktionsmodell erforderlich. Die notwendigerweise hohe Komplexität eines derartigen Modells und der noch ungenügende wissenschaftliche Kenntnisstand stehen allerdings einer Ausformulierung derzeit entgegen.
Umschriebene Modelle und Forschungsansätze sind zu bevorzugen, wenn unter Kontrolle von „Störvariablen“ falsifizierbare Hypothesen geprüft werden sollen. Allerdings darf der Vorteil der experimentellen Überschaubarkeit auf Dauer nicht zu Lasten einer eingeschränkten theoretischen Perspektive und klinischen Repräsentanz gehen (Lipowski 1986). In der wissenschaftlichen Theoriebildung ist eine integrative Sichtweise unverzichtbar, wenn sich Forschung nicht dauerhaft im Detail verlieren, sondern klinisch relevant werden soll.

Wissenschaftstheoretische Grundlagen

Die Suche insbesondere nach den biologischen Grundlagen psychischer Erkrankungen impliziert auch die Frage nach dem erkenntnistheoretischen Rahmenkonzept zum Leib-Seele-Problem („mind-brain“), das diesem Forschungsansatz zugrunde liegt. Die Problematik gründet u. a. darin, dass sich ein wesentlicher Teil der Symptome bzw. Syndrome psychischer Störungen auf der Ebene der für den Beobachter nur indirekt zugänglichen Subjektivität des individuellen Seelenlebens abspielt, andererseits das Gehirn frühzeitig als „Seelenorgan“ erkannt wurde und demnach psychische Symptome mit gestörten Hirnfunktionen in Einklang zu bringen waren.

Historische Entwicklung

Historisch lassen sich im Wesentlichen 4 grundlegende Theorien unterscheiden (Goodman 1991).
Psychophysischer Parallelismus
Nach dem von Leibniz begründeten psychophysischen Parallelismus sind Körper und Seele/Geist grundsätzlich verschiedene Seinsformen, die sich nicht beeinflussen.
Psychophysischer Dualismus
Die als psychophysischer Dualismus bezeichnete Auffassung Descartes’ postuliert demgegenüber eine Interaktion und gegenseitige Beeinflussung von Psyche und Physis, die aber unterschiedlicher Natur sind. Descartes sah mentale Vorgänge als Ausdruck der göttlichen Natur, die dem Menschen in unteilbarer Einheit innewohnt und nicht mit wissenschaftlichen Methoden untersuchbar ist. Die nach seiner Vorstellung in der Epiphyse lokalisierten mentalen Prozesse sollten einen Körper steuern, der gleich einer Maschine funktioniert und dessen Prinzipien wissenschaftlichen Methoden zugänglich sein sollten. Die dualistische Sichtweise ist historisch gesehen für die Entwicklung der Naturwissenschaften insofern fruchtbar gewesen, als sie die isolierte wissenschaftliche Betrachtung des menschlichen Organismus unter Ausklammerung des Leib-Seele-Problems ermöglichte.
Materialismus
Die Theorie des Materialismus nach Hobbes hat 3 Arten des Verständnisses mentaler Phänomene hervorgebracht, wonach mentale Prozesse auf Physisches reduzierbar und vollständig durch zugrunde liegende physische Prozesse erklärbar sind, Epiphänomene, d. h. sekundäre bzw. „zufällige“ Effekte darstellen, oder sich aus der Interaktion physischer Prozesse ergeben.
Identitätslehre
Als vierter Ansatz zur Lösung des Leib-Seele-Problems ist die Identitätslehre nach Spinoza zu nennen. Danach sind Gehirnprozesse und mentale Zustände ein und dasselbe bzw. unterschiedliche Weisen des Verständnisses derselben Sache. Der monistische Standpunkt vermeidet das Leib-Seele-Problem, da es sich unter dieser Prämisse gar nicht erst stellt.
Die auf philosophischer Ebene letztlich unbefriedigende Lösung des Leib-Seele-Problems stellt allerdings kein prinzipielles Hindernis für die Entwicklung ätiopathogenetischer Modelle dar. Zunehmend setzt sich die Einsicht durch (Davidson 1980; Searle 1984; Quine 1987; Lewis 1989), dass in diesem Problem 2 verschiedene Probleme enthalten sind:
  • das unlösbare (sprach-)philosophische Problem der Inkommensurabilität (Unvergleichbarkeit) zwischen 2 konzeptuellen Ebenen (einer mentalistischen und einer die somatischen Bedingungen repräsentierenden Sprachebene) und
  • das bearbeitbare und lösbare empirische Problem der „Realisierung“ psychischer Phänomene in neurobiologisch definierten Systemen.
Die Subjektivität mentaler Phänomene stellt für die empirische Seite des Problems kein grundsätzliches Hindernis dar, sofern eine konzeptuelle Konfundierung mentaler und somatischer Termini strikt vermieden (Goodman 1991) und eine intersubjektive Verifizierung mentaler Gegebenheiten angestrengt wird (Hempel 1965).
Anomaler bzw. pragmatischer Monismus
Die als „anomaler“, nicht durchgehend gesetzmäßigen psychophysischen Zusammenhängen genügender (vgl. Davidson 1980) oder „pragmatischer“ (Pöppel 1988) Monismus bezeichnete wissenschaftstheoretische Grundposition biologisch-psychiatrischer Forschung betrachtet psychische Phänomene und die sie fundierenden neuronalen Funktionen unter einem phylogenetisch und ontogenetisch evolutionären Blickwinkel. Sie impliziert eine Erweiterung des Kausalitätsprinzips insofern, als hierunter neben der sukzessiven Ursache-Wirkungs-Beziehung auch die simultane „Realisierung“ einer Struktur auf der Makroebene durch ein komplexes System auf der Mikroebene subsumiert wird.
Für die Formulierung gesetzmäßiger Zusammenhänge zwischen beiden Funktionsebenen stellt die Objektivierung psychischer Phänomene eine wichtige Voraussetzung dar, die die Kompatibilität mit der neurobiologischen Beschreibungsebene gewährleistet und die Prüfung von Hypothesen über regelhafte Zusammenhänge zwischen definierten Funktionszuständen auf beiden Ebenen erlaubt.
Die Sonderstellung der Psychiatrie in der Medizin ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich mehr als andere klinische Fächer im konzeptuell-methodologischen Dualismus nomothetischer und ideografischer Erfahrung bewegt (Heimann 1991). Im naturwissenschaftlichen Forschungskontext ist die Anwendung einer objektiven Beobachtungssprache allerdings unverzichtbar. Mentale Vorgänge, die in dieser Sprache nicht abbildbar sind, bleiben der biologischen Forschung vorerst verschlossen. Dieser notwendige Reduktionismus ist legitim, solange er auf den genannten Anwendungsbereich beschränkt bleibt:
We need to practise reductionism in research, but endorse the integrative approach to theory, clinical work, and teaching (Lipowski 1986, S. 351).
(Übersetzung: In der Forschung ist ein reduktionistischer Ansatz gerechtfertigt, in Theorie, Klinik und Lehre hingegen muss ein integrativer Zugang gewährleistet werden.)
Mehrdimensionales biopsychosoziales Krankheitsmodell
In der Psychiatrie haben systemtheoretische Überlegungen (von Bertalanffy 1974) zur Ablösung eines eindimensionalen biomedizinischen durch ein mehrdimensionales biopsychosoziales Krankheitsmodell (Engel 1980) geführt, anhand dessen die Bedingungen und Manifestationsformen von Krankheit (und Gesundheit) auf verschiedenen Ebenen konzeptualisiert und analysiert werden können (Abb. 1).
Eine „biologisch“ orientierte Psychiatrie erhebt in diesem Kontext den Anspruch, „Forschungsergebnisse aus allen Bereichen der Psychiatrie zu subsumieren, die mit naturwissenschaftlich-biologischen Methoden gewonnen werden“ (Hippius und Matussek 1978), nicht hingegen, dass psychische Störungen als primäre Hirnkrankheiten zu konzipieren seien (McLaren 1992). Ein multifaktorielles systemisches Funktionsmodell (Marmor 1983) vermag sowohl biologische als auch psychosoziale Bedingungen neuronaler Veränderungen als Substrat des Verhaltens zu integrieren. „Anlage“ und „Umwelt“ sind in diesem Modell komplementäre Aspekte, deren Auswirkungen am – sich entwickelnden – neuronalen Substrat erst durch adäquate biotechnologische Untersuchungsmethoden der Forschung zugänglich werden. Zunehmend werden auch integrative ätiopathogenetische Modelle psychischer Störungen entwickelt, die die biologischen, psychologischen und sozialen Ebenen integrieren (Gaebel und Zielasek 2011).
Der Wissenszuwachs über Funktionszustände und Interaktionen der Nervenzellen und die daraus erwachsene Theorie „neuronaler Netzwerke“ (Wieding und Schönle 1991; Zielasek und Gaebel 2008) lassen in Zukunft eine problemadäquate Formulierung neurobiologischer Funktionszustände und korrespondierender psychischer Zustände erwarten. Hierbei werden auch zunehmend psychosoziale Faktoren in ihrem Einfluss auf (neuro)biologische Funktionen aufgeklärt, was die Bildung integrativer Erkrankungsmodelle wesentlich unterstützt (Haddad et al. 2015). Auch gelingt es zunehmend, die Assoziation frühkindlicher Stressoren mit dem Auftreten psychischer Auffälligkeiten im späteren Leben neurobiologisch zu verstehen, was für die längsschnittliche mehrdimensionale Konzeptgenerierung von entscheidender Bedeutung ist (Boecker et al. 2014).

Psychische Gesundheit

Die Satzung der WHO definiert in ihrer Präambel Gesundheit allgemein als „Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur (als) das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“. Die Definition verweist auf die notwendige Mehrdimensionalität einer Konzeption von Gesundheit – und Krankheit, indem sie sich an ein biopsychosoziales Konzept anlehnt.
Die Orientierung an der subjektiven Befindlichkeit ist allerdings um objektivierbare funktionale Kriterien zu erweitern. Darüber hinaus erscheint der Einbezug der sozialen Dimension als Gesundheitskriterium problematisch, sofern er nicht auf sozial-kommunikative und instrumentelle Kompetenzen beschränkt wird, sondern auch einen normativen sozialen „Lebensstandard“ umfasst.
Ohne ein Funktionsmodell „gesunder“ Lebensvorgänge – körperlich wie seelisch oder sozial – sind Kriterien weder für Gesundheit noch Krankheit angebbar. Reduziert man Gesundheit im Sinne des medizinischen Modells auf die Funktionsfähigkeit einzelner Organe oder Organsysteme, lassen sich anhand der empirisch-statistischen Verteilung von Funktionsparametern Normbereiche mit Hilfe kritischer Indikatoren definieren.
Wie die Beispiele Blutdruck oder Blutzuckerkonzentration zeigen, sind entsprechende Messwerte außerhalb des Normbereichs noch kein Krankheitsbeleg; sie sind eher Indikatoren für eine Regulationsstörung unterschiedlicher Ursache, deren Folgen zeitabhängig Krankheitscharakter gewinnen können. Demnach wäre „Gesundheit“ als das anhand bestimmter Funktionsgrößen normierte „Funktionieren“ definierter Organsysteme und nicht nur als das Fehlen von Krankheitsindikatoren aufzufassen. Das nach dieser Vorstellung gegenüber dem Anspruch einer „ganzheitlichen“ Erfassung zwar reduktionistische statistische Gesundheitsmodell ist Grundlage beispielsweise körperlicher Vorsorgeuntersuchungen („Organ-Check“), lässt sich aber durchaus auf mentale (z. B. Intelligenztest, Gedächtnisprüfung), prinzipiell auch auf sozial-kommunikative Funktionen (z. B. Einstellungstests) erweitern. Im klinischen Alltag dienen „Routineuntersuchungen“ eben diesem Zweck. „Pathologische“ Laborwerte können Krankheitswert haben oder auch nicht – hierüber entscheidet weniger das subjektive Wohlbefinden, das durchaus erhalten sein kann, als die gesamte Befundkonstellation: Erst sie gibt – im Kontext eines funktionalen Krankheitsmodells – Aufschluss über den pathologischen Stellenwert eines oder mehrerer Befunde.
Psychische Gesundheit wäre in diesem Kontext analog funktionsspezifisch am psychischen „Apparat“ oder „Funktionssystem“ zu definieren.
Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem die individuellen Fähigkeiten verwirklicht werden, und in dem produktive Arbeit und Beiträge zum Gemeinschaftsleben möglich sind. Psychische Gesundheit ist ein Teil der allgemeinen Gesundheit – es gibt keine allgemeine Gesundheit ohne psychische Gesundheit. (WHO Fact Sheet No. 220, August 2014; http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs220/en/. Zugegriffen am 20.11.2015).

Psychische Krankheit

Begriffsbestimmung

In Anlehnung an die WHO-Definition von Gesundheit wäre Krankheit als „Abwesenheit“ körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens zu definieren. Ausschließlich subjektive Missbefindlichkeit mit Krankheit gleichzusetzen, führte allerdings nicht nur zu weit, sondern würde auch dem Anspruch auf ein mehrdimensionales Krankheitsverständnis zuwiderlaufen. Es ist daher entsprechend obiger Ausführungen – unabhängig von der Ätiopathogenese – auch das Vorliegen einer objektivierbaren Störung zu fordern. Die gegenwärtige (letzte Auflage vom Oktober 2014) Definition der „psychischen Erkrankungen“ („mental disorders“) der WHO ist sehr knapp:
There are many different mental disorders, with different presentations. They are generally characterized by a combination of abnormal thoughts, perceptions, emotions, behaviour and relationships with others. (‘WHO Fact Sheet No. 396 „Mental Disorders“; http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs396/en/. Zugegriffen am 13.7.2015).
(Eigene Übersetzung der Autoren: Es gibt viele verschiedene psychische Störungen mit verschiedenen klinischen Präsentationsformen. Im Allgemeinen werden psychische Störungen charakterisiert durch eine Kombination ungewöhnlicher Gedanken, Wahrnehmungen, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu den Mitmenschen.)
Das Sozialgesetzbuch V (SGB V) definiert – ebenso wie früher die Reichsversicherungsordnung (RVO) – Krankheit nicht explizit. § 27 SGB V garantiert Versicherten den Anspruch auf Krankenbehandlung, „wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern“; dabei ist „den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation“. Die Beurteilung einer „Regelwidrigkeit“ geht vom „Leitbild“ des gesunden Menschen aus, d. h. inwieweit die naturgegebenen körperlichen und geistigen Funktionen so ausgeübt werden können, wie das bei gesunden Menschen möglich ist. Dabei können objektive und/oder subjektive Abweichungen vom Regelzustand auftreten, wobei aber eine Störung erst dann eine Leistungspflicht auslöst, wenn die Funktionseinschränkung so weit über eine bestimmte „Bandbreite individueller Verschiedenheiten“ hinausgeht, dass sie in der Regel nur durch Mithilfe des Arztes wiederhergestellt werden kann (Heinze 1989).
Vor diesem Hintergrund sind die Behandlungs- und Versorgungserfordernisse psychisch Kranker einzuordnen. Während nach dem sog. realistischen Ansatz der objektive Behandlungs- und Versorgungsbedarf psychisch Kranker die Wirksamkeit, Verfügbarkeit und Finanzierbarkeit einer Behandlungsmethode mit einbezieht, orientiert sich der sog. humanitäre Versorgungsansatz am subjektiven Behandlungsbedürfnis leidender Menschen. Diese Unterscheidung verdeutlicht, dass in der konkreten Versorgungspraxis die Differenzierung von Gesundheit und behandlungsbedürftiger Erkrankung nicht ausschließlich auf die subjektive Bewertung zurückgeführt werden kann. Helmchen hat sich der Problematik des Gegenübers von (objektiv?) diagnostizierendem Arzt und subjektiv eine Krankheit erleidendem Patienten ausführlich gewidmet (Helmchen 2005). Dies ist in der Psychiatrie auch in anderer Hinsicht von Bedeutung, insofern als subjektives Krankheitsgefühl bzw. Krankheitseinsicht und objektive Behandlungsnotwendigkeit gerade bei schweren Störungen auseinanderklaffen können.

Krankheit vs. Störung: die Krise nosologischer Konzepte

Nosologie bedeutet Krankheitslehre. Die aus der Pathologie stammende Bezeichnung beinhaltet zum einen die Bestimmung und symptomatologische Beschreibung der Krankheiten (Nosografie), zum anderen deren systematische Ordnung zu Krankheitsgruppen (nosologische Klassifikation). Ziel einer nosologischen Klassifikation psychischer Krankheiten ist ein „natürliches“ Klassifikationssystem, das „Krankheitseinheiten“ mit definiertem klinischem Bild, bekannter Verlaufscharakteristik, umrissener Ätiopathogenese und Therapieansprechbarkeit widerspiegelt. Psychiatrische Nosologie zielt demnach darauf ab, ausgehend von klinischen Phänomenen „transphänomenale“ ätiopathogenetische und/oder pathofunktionale Entitäten zu erfassen.
Historischer Überblick
Nosologische Klassifikation, die „Aufstellung der ganzen Gruppe psychischer Krankheiten … aus einer symptomatologischen Betrachtungsweise“ (Griesinger 1845, S. V) war das besondere Anliegen einer hirnpathologisch orientierten Psychiatrie im 19. Jahrhundert. „Die so durch Zusammenfassung der häufigsten coincidierend vorkommenden Symptome und durch rein empirische Abgrenzung sich ergebenden Gruppen von Krankheitsgestaltungen“ – geordnet „nach der Methode der klinischen Pathologie“ – sollten nicht nur valide prognostische Aussagen im Einzelfall ermöglichen, sondern schließlich auch klinischer Ausgangspunkt „für die anatomische Begründung der einzelnen Krankheitsformen“ sein (Kahlbaum 1874, S. VI). Kahlbaum vertrat die Auffassung, dass „der Psychiater sich ja mit der Symptomatologie erst die rechte, für ihn brauchbare Psychologie“ geschaffen habe und die „psychischen Erscheinungen“ – anders als in der deduktiv vorgehenden Psychologie – „zunächst ganz vorurtheilslos betrachtet und angesammelt werden“ sollten. Die in diesem Zeitgeist entwickelte Nosologie hatte zum Ziel, „der Natur entsprechende Krankheitsbilder“ aufzufinden (Kraepelin 1920). Sie hat bis heute im Wesentlichen ihre Gültigkeit behalten.
Anfang des 20. Jahrhunderts setzte eine Krise des nosologischen Konzepts ein. Hoche (1912) äußerte sich kritisch, später auch Kraepelin (1920) selbst. Die „Erscheinungsformen des Irreseins“ – so Kraepelin – seien „die natürliche Antwort der menschlichen Maschine“, die „auf das Spiel vorgebildeter Einrichtungen unseres Organismus“ durch Beeinträchtigung „gleicher Gebiete“ zurückgehe. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass es funktionell-anatomisch vorgebildete überindividuelle Reaktionsweisen geben müsse, die sich als „Grundstörungen“ durch Abbauvorgänge im evolutiven „schichtmäßigen Aufbau der Seelengrundlagen“ äußerten und am angemessensten durch Methoden der „vergleichenden Psychiatrie“ (Kraepelin 1920, S. 13, 14 und 25) zu studieren seien.
Mit den im Wesentlichen durch Freud, später durch A. Meyer (biografischer Ansatz) und Menninger (Störungen der Ich-Funktion), durch lerntheoretisch-behaviorale und systemisch-interaktionelle Ansätze platzgreifenden psychodynamisch-psychologischen Konzeptionen entstand allmählich ein „antinosologisches“ Klima (Akiskal 1978), in dem metapsychologisch-interpretative (deduktive, Kahlbaum 1874) gegenüber deskriptiv-empirischen (induktiven) Konzepten dominierten.
Eine „dynamisch“ orientierte Psychopathologie versuchte Inhalt, Form und Mechanismus in einem theoretischen Modell unterzubringen (Berrios 1994). Das Unbehagen an der phänomenologischen Diagnostik aufgrund geringer Reliabilität und prädiktiver Kraft sowie die Bevorzugung psychodynamischen „Verstehens“ anstatt eines als sozial-schädlich angesehenen „Labeling“ (Akiskal 1978) förderten die Ablehnung nosologischer Konzepte und gaben einer antipsychiatrischen Bewegung Auftrieb.
Moderne Klassifikationssysteme
Vor dem Hintergrund dieser historischen Entwicklung ist der konzeptuelle Standort moderner Klassifikationssysteme zu sehen. Die Ansprüche an solche modernen Diagnosesysteme sind sehr hoch. Diagnosen dienen nicht nur klinisch-pragmatischen Zwecken, sondern definieren das Feld der Störungen, mit dem sich das Fachgebiet der Psychiatrie beschäftigen soll (Mezzich und Berganza 2005). Insofern geht die Etablierung eines Diagnose- und Klassifikationssystems in der Psychiatrie weit über das in den übrigen klinischen Fächern Übliche hinaus. Ohne Krankheitskonzeption kann es eine solche weitreichende diagnostische Klassifikation nicht geben (Berganza et al. 2005).
ICD-10 und ICF
So weist die ICD-10 (Dilling et al. 2005) darauf hin, dass der Begriff Störung („disorder“) den „problematischen Gebrauch von Ausdrücken wie ‚Krankheit’ und/oder ,Erkrankung‘ weitgehend vermeiden soll“. Dabei soll vermieden werden, mit „Krankheit“ assoziierte nosologische Konzepte beizubehalten, da der nosologische Status psychischer „Störungen“ unklar sei. Störung soll in diesem Kontext
… einen klinisch erkennbaren Komplex von Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten anzeigen, die immer auf der individuellen und oft auch auf der Gruppen- oder sozialen Ebene mit Belastung und mit Beeinträchtigung von Funktionen verbunden sind. Soziale Abweichungen oder soziale Konflikte allein, ohne persönliche Beeinträchtigungen sollten nicht als psychische Störung im hier definierten Sinne angesehen werden. (Dilling et al. 2005, S. 23).
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat die Weltgesundheitsvollversammlung im Mai 2001 die „International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)“ verabschiedet (World Health Organisation 2001; deutschsprachige Übersichten und Einführungen bei Seidel 2005; Ewert und Stuck 2007; Ewert et al. 2008). Konzeptionell ist die ICF in erster Linie ein Klassifikationssystem und ergänzt die ICD. Während der Vorgänger ICIDH mit den Kernbegriffen „impairment“, „disability“ und „handicap“ von einem kausalen Krankheitsfolgenmodell ausging, beruht die ICF auf einem komplexen Wechselwirkungsmodell, das keine Kausalbeziehungen vorgibt. Sie ist auf normative Vergleiche ausgerichtet (Schliehe 2006). Sie dient der Beschreibung des Funktionsbildes sowie der Aktivitätsmöglichkeiten und der Teilhabe am alltäglichen Leben.
Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Rehabilitations-Richtlinie) vom 16.März 2004 bezieht sich konzeptionell und begrifflich auf die ICF (§ 4 der Rehabilitations-Richtlinie). Beratung und Leistungsverordnung im Bereich der medizinischen Rehabilitation sind nach § 11 nur durch Vertragsärzte möglich, die in der Anwendung der ICF geschult wurden (https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/anwendung.htm. Zugegriffen am 20.11.2015). Auf der Grundlage einer Krankheitsdiagnose nach ICD-10 werden die gestörten Körperstrukturen und -funktionen systematisch beschrieben, sodann die Auswirkungen dieser Störungen auf Aktivitäten und die Teilhabe am alltäglichen Leben. Ferner werden protektive und schädigende Umwelteinflüsse erfasst. Schließlich werden individuell-persönliche Faktoren beschrieben, wie z. B. die individuelle Motivation zu einer Rehabilitationsmaßnahme. Allerdings ist die Praktikabilität der ICF aufgrund der von ihr codierten Vielzahl von Faktoren, fehlender populationsbezogener Perzentilenwerte für manche Codierungsschritte sowie der teilweise nicht hinreichend definierten Begriffsoperationalisierungen eingeschränkt (Ewert und Stuckl 2007, Ewert et al. 2008), die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (2009) hat entsprechende Verbesserungsvorschläge vorgelegt. Ausserdem wurde eine Reihe von Forschungsprojekten mit dem Ziel der Entwicklung vereinfachter, krankheitsbezogener „ICF-Core-Sets“ aufgelegt (Übersicht bei https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/projekte/index.htm. Zugegriffen am 20.11.2015).
DSM-5
Das DSM-5 (deutsche Ausgabe herausgegeben von Falkai et al. 2015) weist zunächst kritisch darauf hin, dass es keine allumfassende Definition gibt, welche alle in DSM-5 angesprochenen Störungsaspekte abdeckt, jedoch werden die folgende Elemente für unverzichtbar angesehen:
Eine psychische Störung ist als Syndrom definiert, welches durch klinisch bedeutsame Störungen in den Kognitionen, der Emotionsregulation oder des Verhaltens einer Person charakterisiert ist. Diese Störungen sind Ausdruck von dysfunktionalen psychologische, biologischen oder entwicklungsbezogenen Prozessen, die psychischen und seelischen Funktionen zugrunde liegen. Psychische Störungen sind typischerweise verbunden mit bedeutsamem Leiden oder Behinderung hinsichtlich sozialer oder berufs-/ausbildungsbezogener und anderer wichtiger Aktivitäten. Eine normativ erwartete und kulturell anerkannte Reaktion auf übliche Stressoren oder Verlust, wie z. B. der Tod einer geliebten Person sollte nicht als psychische Störung angesehen werden. Sozial abweichende Verhaltensweisen (z. B. politischer, religiöser oder sexueller Art) und Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft sind keine psychischen Störungen, es sei denn, der Abweichung oder dem Konflikt liegt eine der oben genannten Dysfunktionen zugrunde (Falkai et al. 2015, S. 26).
Die hier ausführlicher dargestellte Definition des DSM-5 geht also von einer psychobiologischen Funktionsstörung aus, die mit subjektivem Leiden oder einer Funktionseinschränkung verbunden ist. Auch DSM-5 verzichtet damit auf ein nosologisches Konzept.
Validierungskriterien nosologischer Klassifikationen
Trotz dieser historischen Entwicklung und des aktuellen Kenntnisstandes ist die Hoffnung auf eine nosologische Klassifikation psychischer Störungen nie aufgegeben worden. Im Gegenteil ist als Voraussetzung für eine derartige Entwicklung die bereits im letzten Jahrhundert gesehene Notwendigkeit einer streng deskriptiven Phänomenologie bekräftigt worden. Reliabilität der klinischen Syndrombeschreibung ist die Voraussetzung ihrer Validität:
There is no guarantee that a reliable system is valid, but assuredly an unreliable system must be invalid (Spitzer und Fleiss 1974, S. 341).
(Übersetzung: Ein reliables System ist nicht notwendigerweise valide, aber ein unreliables System kann nicht valide sein.)
Als erforderliche Schritte eines Validierungsprozesses gelten (Robins und Guze 1970; Guze 1992):
  • Klinische Deskription (Einschlusskriterien),
  • Laborbefunde,
  • Abgrenzung gegenüber anderen Störungen (Ausschlusskriterien),
  • Follow-up-Studien,
  • Familienstudien.
In einer Weiterentwicklung unter Einbezug biologischer Validierungskriterien wurde folgende diagnostische Systematik vorgeschlagen (Akiskal 1978):
  • Klinische Phänomenologie,
  • Verlauf,
  • Heredität,
  • pharmakologische Response,
  • biochemische Korrelate,
  • neuro-/psychophysiologische Korrelate.
All diese Validierungssysteme lassen allerdings den Bezug zu externen „Goldstandards“, die für die Konstruktvalidierung entscheidend sind, vermissen. Dies ist ein Charakteristikum psychischer Störungen, solange sie operationalisiert definiert werden. Dennoch werden Wege vorgeschlagen, wie auch ohne einen Goldstandard eine Validierung der Konzeption psychischer Störungen möglich ist (Faraone und Tsuang 1994).

Operationale Diagnostik und Klassifikation

Bereits die Einführung des DSM-III brachte wichtige Neuerungen mit sich, etwa die Einführung expliziter und operational definierter diagnostischer Kriterien sowie ein multiaxiales Beschreibungssystem. Der deskriptive Ansatz unterstreicht das Bemühen um eine weitgehende Neutralität hinsichtlich ätiologischer Vorannahmen, der formal multiaxiale Ansatz wurde in DSM-5 allerdings aufgegeben und die früheren klinisch-diagnostischen Achsen I-III wurden als Diagnoseachsen zusammengefasst, sie bilden den Hauptteil von DSM-5. Die früheren Achsen IV (psychosoziale oder umgebungsbedingte Probleme) und V (globale Beurteilung des Funktionsniveaus) werden nun durch einzelne Codes bzw. ein die frühere Global Assessment of Functioning Skala ablösende WHO-Skala (WHO Disability Assessement Schedule) abgelöst.
Auch mit der operationalen Klassifikation kann allerdings aufgrund einer polythetischen Kriteriologie der Systeme die Heterogenität der klassifizierten Betroffenen nicht völlig vermieden werden. Unter dem „Etikett“ der gleichen Diagnose können sich also durchaus Personen mit heterogenen Symptombildern verbergen. Andererseits wäre selbst eine phänomenologisch homogene Klassifizierung aufgrund möglicher pleomorpher Syndromgestaltungen noch keine Garantie für eine homogene Nosologie.
Eine kategoriale – anstatt einer dimensionalen – Ordnung psychischer Störungen ist möglicherweise der Realität ohnehin nicht angemessen, hat sich aber in der Praxis bewährt. Von Fragen der Praktikabilität abgesehen, ist beispielsweise unklar, welche Dimensionen als konstituierend herangezogen werden sollten. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht wird allerdings für die Taxonomie psychischer Störungen eine Entwicklung dimensionaler Funktionsmodelle antizipiert:
The development of taxonomic concepts in the study of mental disorder will probably show two trends: First, a continuation of the shift from systems defined by reference to observable characteristics to systems based on theoretical concepts; and second, a gradual shift from classificatory concepts and methods to ordering concepts and procedures, both of the non-quantitative and of the quantitative varieties (Hempel 1965, S. 153–154).
(Übersetzung: Die Entwicklung taxonomischer Konzepte psychischer Störungen wird sich wahrscheinlich auf 2 Wegen vollziehen: einerseits in einem weiteren Übergang von beobachtungsbasierten zu theoriebasierten Konzepten und andererseits in einem schrittweisen Wandel von klassifikatorischen hin zu dimensionalen Konzepten und Methoden, beide sowohl qualitativer wie quantitativer Natur.)
DSM-5 ist auf diesem Weg einen Schritt vorangekommen, indem eine Reihe von systematischen Übersichten zur möglichen dimensionalen Störungsklassifikation erstellt wurde, allerdings mit dem Endresultat, dass DSM-5 an der kategorialen Betrachtungsweise festhielt (Falkai et al. 2015, S. 16–18). Für psychotische Störungen wurde allerdings eine dimensional orientierte Einstufung der Symptomausprägung eingeführt (Tandon und Carpenter 2013).
Auf dem Weg zu ICD-11
Die Neufassung der WHO-Klassifikation (ICD-11) ist mit zeitlicher Verzögerung zu DSM-5 auf dem Weg. Im Sinne einer Vereinheitlichung der Diagnosekriterien sind einige Harmonisierungen absehbar, z. B. in der Verlaufkriteriologie psychotischer Störungen (Gaebel et al. 2013). Optionen für eine künftige Neuklassifikation bedienen sich entweder einer kategorialen Typologie, dimensionaler Modelle oder empirisch ermittelten Prototypen (Jablensky 2005). Der Ruf nach einer ätiologisch basierten anstelle einer symptombasierten Klassifikation wird laut (Phillips und Frank 2006), jedoch ist die Erreichung dieses hohen Anspruchs noch nicht absehbar. Während DSM-5 für manche Entscheidungen kritisiert wurde (z. B. Frances 2014), wurde von den National Institutes of Mental Health eine Forschungsinitiative begründet, die die künftige ätiopathogenetische Fundierung der Klassifikation psychischer Störungen voranbringen soll (Research Domain Criteria; Insel 2014; Abschn. 5.2). Die klassifikatorische Diskussion wird besonders geprägt von den Fortschritten in der Genetik psychischer Störungen und hier insbesondere von der Frage, inwiefern das „Psychosekonzept dekonstruiert“ werden muss (Allardyce et al. 2007). Diese Diskussion erfolgt auf dem Hintergrund der epidemiologischen genetischen Befunde, insbesondere im Bereich der Erforschung der Risikofaktoren der Schizophrenie und der affektiven Störungen. Dabei wurde rasch klar, dass
  • die Genetik dieser Erkrankungen komplex ist,
  • bisweilen dieselben Risikogene in beiden Erkrankungsgruppen verändert sind,
  • bestimmte genetische Faktoren nur einen Teil des Erkrankungsrisikos vermitteln (Schwab und Wildenauer 2009) und
  • die Aufklärung der genetischen Risikomarker noch nicht zu einer klaren Kausalkette vom Gen zum Phänotyp geführt hat, was auch für die aktuellen genomweiten Assoziationsstudien gilt (Network and Pathway Analysis Subgroup of Psychiatric Genomics Consortium 2015).
Einige Genotyp-Phänotyp-Korrelationen kristallisieren sich jedoch heraus (Craddock et al. 2009) und Aspekte der Gen-Umwelt-Interaktion, die zumindest theoretisch in der Psychiatrie schon immer eine große Rolle spielen sollten, finden hier eine völlig neue Betrachtungsebene, die Neurowissenschaftler, Genetiker und psychiatrische Epidemiologen zusammenbringt (Caspi und Moffitt 2006). Allerdings: Während man auf Vereinfachung hoffte, zeigte sich eine hochgradige Komplexität auf allen Untersuchungsebenen. Diskussionen um eine möglicherweise notwendig werdende Aufgabe der Kraepelin-Dichotomie zeigen (Craddock et al. 2006), dass die Neurogenetiker an die Grundfeste der psychiatrischen Nosologie dringen. Durchgesetzt haben sich diese Ansätze in der wissenschaftlichen Diskussion jedoch nicht, da bei psychischen Störungen einfache genetisch-klinische Zusammenhänge nicht die Regel sind. Beiträge individueller Risikogene sind gerade bei den häufigen psychischen Störungen wie der Schizophrenie eher von geringem Ausmaß, auch die mit viel Hoffnungen gestarteten genomweiten Assoziationsstudien haben eher Hinweise auf neue pathophysiologische Zusammenhänge geliefert, als für die klinische Praxis brauchbare diagnostische Hilfsmittel (Network and Pathway Analysis Subgroup of Psychiatric Genomics Consortium 2015.). „Gentests“ für psychische Störungen gibt es derzeit, bis auf die Ausnahme seltener genetischer Syndrome, nicht.
Selbstkritische Neurogenetiker sowie einige Psychiater und Philosophen bezweifeln daher, dass genetische Untersuchungen alleine überhaupt in der Lage sind, die komplexen Probleme der psychiatrischen Nosologie zu lösen (Kendler 2006; Robert und Plantikow 2005). Neben den sicher erforderlichen klinisch-empirischen Forschungsbemühungen, die eine Konkretisierung der neurowissenschaftlichen Grundlagen der Pathophysiologie psychischer Störungen zur Aufgabe haben, ist daher dringend eine Vertiefung und Fortführung des Diskurses über die philosophischen Grundlagen psychopathologischer Phänomene und ihrer Interpretation im Rahmen psychiatrischer Klassifikationssysteme notwendig (Graham und Stephens 1994; Heinze 2006). Die Zeit für einen Paradigmenwechsel hin zu ätiopathogenetisch fundierten psychiatrischen Klassifikationssystemen ist noch nicht gekommen. Wichtiger als voreilige Rufe nach Paradigmenwechseln ist jetzt die Erarbeitung von Forschungsstrategien sowohl auf kurze Frist (d. h. für die nächsten 5–10 Jahre), aber auch darüber hinaus. Dies geschah im Rahmen des DSM-5-Prozesses noch bis 2007 in einer Serie von Forschungskonferenzen zu praktisch allen psychiatrischen Störungsgruppen. Hierbei deutete sich bereits an, dass aufgrund der Komplexität der Störungsbilder und aufgrund der Vielfalt ihrer möglichen Ätiopathogenesen trotz des gegenwärtig rasanten Erkenntniszuwachses in der Neurobiologie psychischer Störungen keine schnellen Auswirkungen auf die Klassifikationssysteme abzusehen sind, jedoch die Einführung dimensionaler Achsen möglich erschienen und auch teilweise umgesetzt wurden.

Störungsmodelle

Hinsichtlich ihres konzeptuellen Ansatzes lassen sich 3 Arten von Störungsmodellen unterscheiden (Lipowski 1986):
  • biologische (somatische, organische),
  • psychische (psychologische, psychodynamische, psychosoziale),
  • biopsychosoziale.
Während die beiden erstgenannten Ansätze vorrangig nur eine Klasse putativer Ätiologiefaktoren betrachten (und deshalb auch als reduktionistisch bezeichnet werden), gilt der an dritter Stelle aufgeführte Ansatz aufgrund seiner Mehrdimensionalität als integrativ oder holistisch.
Die hier gewählte Einteilung erscheint sinnvoller als die Unterscheidungen in biomedizinisch, existenziell und psychosomatisch (Tamm 1993) oder die in naturwissenschaftlich, individualpsychologisch, interaktional und integriert (Alanen 1984), da sie aus den 3 möglichen konzeptuellen Ansätzen bereits spezifische Modellvorstellungen herausgreifen.
Im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts standen „Psychiker“ wie Heinroth oder Ideler den „Somatikern“ wie Griesinger kontrovers gegenüber (Ackerknecht 1985). Der englische Psychiater Bucknill (Lipowski 1986) hat schon Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen somatischen, psychischen und somatopsychischen Theorien unterschieden und letzteren den Vorzug gegeben. Eine adäquate Formulierung eines „psychobiologischen“ Ansatzes erfolgte aber erst ein halbes Jahrhundert später durch A. Meyer, der den Patienten als mit der Umwelt interagierendes integriertes Ganzes – als Geist/Seele-Körper-Komplex – auffasste.
Biomedizinisches Modell
Das biomedizinische Modell als somatischer Ansatz mit Wurzeln in der altgriechischen Philosophie und Medizin beansprucht eine empirische, rationale und systematische, d. h. naturwissenschaftliche Grundlage seiner Krankheitsvorstellungen. Die Annahme, physikochemische Prozesse des Gehirns könnten schließlich alle mentalen Prozesse und deren Störungen erklären, schien bei entzündlichen und degenerativen Erkrankungen des Gehirns am ehesten erfolgreich. Bei den sog. „endogenen“, v. a. aber bei den „psychogenen“ Störungen konnte das biomedizinische Modell jedoch zunächst nicht den gleichen Erfolg aufweisen.
Psychisches Modell
Nach Annahme des psychischen Modells sind mentale Phänomene und ihre Störungen nicht auf Gehirnprozesse reduzierbar, aber mit den Methoden und Konzepten der Verhaltenswissenschaften untersuchbar und erklärbar. Betrachtet wurden zunächst alle, später v. a. sog. psychogene oder funktionale Störungen, deren Auftreten und Merkmale – je nach Zeitgeist – als Konsequenz unmoralischen Lebenswandels, gestörten Sexuallebens und/oder gestörter interpersonaler Beziehungen, insbesondere während früher individueller Entwicklungsstadien, aufgefasst wurden. Ein hermeneutischer, psychologisch „verstehender“ Zugang zur Psychopathologie hat das wissenschaftliche und therapeutische Denken in der Psychiatrie entscheidend geprägt. Erst dort, wo dieser Zugang nicht weiterführte, wo krankes Seelenleben nicht aus gesundem ableitbar erschien, wurden körperliche Ursachen angenommen und somatische Therapieverfahren einbezogen.
In diese Konzeption sind auf Struktur- und Trieblehre Freuds aufbauende psychodynamische, an die Existenzphilosophie angelehnte daseinsanalytische, aus der Lern- und Verhaltenstheorie abgeleitete behaviorale bzw. behavioral-kognitive sowie an systemtheoretische interaktionale und kommunikationstheoretische Vorstellungen angelehnte psychosoziale Modelle einzubeziehen.
Psychosomatisches Modell
Als Vorläufer biopsychosozialer Modelle sei hier das in den 1930er-Jahren entwickelte psychosomatische Modell erwähnt. Nach der Grundthese dieses insbesondere auf Helen Flanders Dunbar zurückgehenden Ansatzes gibt es keine somatische Erkrankung ohne emotionale und/oder soziale Antezedentien und psychische Erkrankung ohne somatische Symptome; Krankheit entsteht durch das Zusammenspiel physischer und psychischer Faktoren.
In seinem heutigen Verständnis definiert sich das klinische Fach „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“ gemäß der Weiterbildungsordnung einerseits über die Art der von ihm behandelten Erkrankungen (eben der sog. psychosomatischen Störungen, bei denen körperliche Symptome als Ausdruck seelischer Erkrankungen auftreten oder bei denen somatische Funktionsstörungen zu psychischen Symptomen führen), andererseits über eine Bevorzugung des psychotherapeutischen gegenüber dem pharmakologischen Behandlungsansatz. Damit unterscheidet sich die „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“ in Deutschland auch von der Definition in anderen Ländern wie beispielsweise den USA, wo dies eine Subspezialität des allgemeinen Fachgebietes „Psychiatrie“ ist und sich mit der Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie beschäftigt, sich auch nicht durch eine Fokussierung auf den psychotherapeutischen Ansatz definiert (Malt 2004; Gitlin et al. 2004; McIntyre 2002; Wise 2007). Hierbei kann die Rückbesinnung auf Helen Flanders Dunbars Ansicht hilfreich sein, dass sich psychische und somatische Phänomene in demselben biologischen System abspielen, und dass sie wahrscheinlich 2 Aspekte derselben Prozesse sind – was in den USA dazu geführt hat, dass die Fachzeitschrift Psychosomatic Medicine nun den Untertitel Journal of Biobehavioral Medicine trägt (Freedland et al. 2009). Krankheitskonzept und wissenschaftliche Fundierung ergeben sich aus dem Verständnis psychophysischer Interaktionen im Bereich des zentralen und autonomen Nervensystems, der Psychoneuroimmunologie und der Psychoneuroendokrinologie (Novack et al. 2007). In Deutschland basieren Überlegungen zur Konzeptbildung auf psychoanalytischen Vorbildern (Konversionsmodell Freuds), psychovegetativen Modellen (Alexander, mit entsprechenden Weiterentwicklungen durch von Uexküll und von Weizsäcker) sowie dem psychophysiologischen Stressmodell von Selye (Langewitz 2009). Eine übergreifende, fachspezifische Konzeptbildung steht zwar noch aus, wird jedoch diskutiert (Tress 2009).

Ätiopathogenese

Ätiologische Grundkonzepte

Bereits Griesinger (1845) hatte in seinem Lehrbuch Die Pathologie und Therapie psychischer Krankheiten deren „Ätiologie und Pathogenese“ ein eigenes Kapitel gewidmet. In der „Ätiologie des Irreseins“, die „in der außerordentlichen Mehrzahl der Fälle nicht eine einzige specifische Ursache, sondern ein Complex mehrerer, zum Theil sehr vieler und verwickelter schädlicher Momente“ ist, unterschied er eine allgemeine (z. B. Geschlecht, Alter) und individuelle Prädisposition (Erblichkeit, Erziehung, psychische und somatische Konstitution) sowie psychische, somatische und gemischte Ursachen.
In Überschneidung mit den vorgenannten Krankheitsmodellen können allgemein als wissenschaftliche ätiologische Modelle herausgestellt werden (Zubin und Spring 1977):
  • feldtheoretische Modelle (ökologische Faktoren),
  • sozialpsychologische Modelle (Entwicklung, Lernen),
  • biologische Modelle (Gene, Hirnfunktionen, „milieu interne“).
Einfach-kausale Zusammenhänge, bei denen einer einzelnen Ursache eine allein entscheidende Wirkung zukäme, kommen – z. B. als monogene Erkrankungen – sowohl in der somatischen Medizin als auch in der Psychiatrie selten vor. Auch bei Infektionskrankheiten mit weitgehend aufgeklärtem pathogenetischem Mechanismus kommt Faktoren wie der Disposition, Immunitätslage, peristatischen Faktoren etc. eine manifestationsbestimmende und verlaufsbeeinflussende Bedeutung zu. Eine alleinige somatische „Ursache“ (Gendefekt, Infektion, Perinataltrauma etc.) reicht in der Regel nicht aus, um die (oft mit Latenz auftretende und individuell geprägte) Krankheitsmanifestation schlüssig zu erklären.
Während eine akute (primäre oder sekundäre) somatische Schädigung zu entsprechenden neuropsychiatrischen Irritationen oder Ausfallerscheinungen führen kann (unmittelbare Ursache-Wirkungs-Beziehung), ist für die meisten psychischen Störungen eine unmittelbare somatische Noxe nicht erkennbar, sondern muss entweder durch zeitliche Summierung (chronischer Einfluss, Sensitivierung), neu aufgetretene bzw. dispositionell angelegte Fehlsteuerung (Demenz) oder zurückliegende Einwirkung (z. B. Perinatalschaden) mit konsekutiver Fehlentwicklung und/oder dispositioneller „Schwäche“ unterstellt werden. In den letztgenannten Fällen bleibt das „freie Intervall“ bis zur Krankheitsmanifestation zu erklären. Hier werden z. B. Reifung sensibler Hirnregionen, Stressoren in kritischen Entwicklungsphasen oder vorzeitige Alterungsvorgänge als pathogenetische Zwischenglieder herangezogen.
Erklärungsbedürftig ist weiterhin, warum einzelne Individuen trotz gleicher Exposition nicht oder weniger schwer erkranken, bzw. ein besseres Regenerationspotenzial aufweisen. Derartige Beobachtungen widersprechen dem Konzept einfacher linearer Zusammenhänge zwischen Ätiologie, Pathogenese und Manifestation und erfordern die Einführung u. a. folgender Moderatorgrößen:
  • Disposition (Vulnerabilität, Suszeptibilität),
  • Art und Ausmaß der primären Noxe(n),
  • Einwirkungszeitpunkt (sensible Phase) und -dauer,
  • kritische Schädigungsregion(en),
  • kompensatorische (regenerative, reparative) Funktionen,
  • manifestationsfördernde/-hemmende Bedingungen (Risikofaktoren, protektive Faktoren),
  • verlaufsgestaltende (interne/externe) Faktoren.
Psychosoziale Faktoren
Damit Modellelemente wie „Disposition“ nicht nur „leere Worte für eine ganz unbekannte Sache“ bleiben (Griesinger 1845), müssen entsprechende Indikatoren entwickelt werden. Psychosoziale Faktoren können ebenfalls Noxencharakter haben. Der Einfluss von Umgebungsfaktoren bzw. Erfahrung auf das neuronale Substrat ist schon seit langem belegt (Kandel 1998; Hyman 2000). Allerdings bedarf es der Berücksichtigung, dass an sich neutrale oder durchschnittlich belastende Lebensereignisse/-konstellationen erst aufgrund ihrer individuell-biografischen (symbolischen) Konnotation pathogene Bedeutung bekommen. Auch in diesem Denkansatz steht das biologische Modell im Zentrum, hier insbesondere die Frage der epigenetischen Mediation von sozialen und Umwelteinflüssen auf das (neuro)biologische Substrat (Lutz et al. 2015), die bis in die intrauterine Individualentwicklung zurückreichen können (Kim et al. 2015).
Therapiemöglichkeiten
Therapie kann allgemein auf allen Ebenen des biopsychosozialen Modells angreifen – dabei kann auf der psychosozialen Ebene unterschieden werden zwischen Therapie zur Konfliktbehebung, zum Konfliktmanagement oder zur Mitigierung „biologischer“ Konfliktfolgen mit der Konsequenz einer besseren Konfliktbewältigung. „Kausal“ im eigentlichen Sinne wäre das Ausschalten oder Neutralisieren primärer Noxe(n) – im Sinne einer universellen Prävention. Alle anderen Therapieprinzipien können durch Eingriff in das komplexe Bedingungsgefüge Funktionsstörungen ausgleichend, modulierend oder kompensatorisch wirken.

Pathogenetische Grundkonzepte

Die Aufklärung der Pathogenese – auf Symptom- oder Syndromebene – ist nicht minder bedeutsam. Sie erlaubt ihrerseits Rückschlüsse auf Ätiologien, ermöglicht aber auch näher an der Krankheitsentstehung orientierte Therapieformen. Ohne Kenntnis des pathogenetischen Mechanismus ist letztlich die Wirkung verschiedener Ätiologien und ihr Zusammenspiel bei Krankheitsmanifestation und -verlauf nicht verstehbar. Diese Aufklärung steht vor der Anforderung, zwischen verschiedenen Konzept- und Beschreibungsebenen zu vermitteln. Um diesen Brückenschlag zu ermöglichen, müssen zunächst die relevanten Ebenen, und auf diesen die krankheitsspezifischen Indikatoren, definiert werden. Dabei können der Einfachheit halber als Beschreibungsebenen Ätiologie, Pathogenese und klinische Symptomatik unterschieden werden, wobei 2 Prämissen zu beachten sind:
  • zeitlich/kausale Priorität von Ätiologieindikatoren,
  • definierte Assoziationsmodi zwischen den einzelnen Indikatorebenen.
Auch wenn logischerweise Krankheitsursachen der Krankheitsmanifestation zeitlich vorangehen müssen, ist das zeitliche „vorher“ noch kein ätiologischer Beweis. Die oft schwere Abgrenzbarkeit des Krankheitsbeginns, das Kausalitätsbedürfnis von Patient und Angehörigen, etc. müssen bei der Hypothesenbildung berücksichtigt werden. Zu den Assoziationsmodi unterscheiden Tsuang et al. (1990) am Beispiel schizophrener Störungen die folgenden Modelle:
  • Homogenitätsmodell;
  • Heterogenitätsmodelle mit
    • spezifischen Beziehungen zwischen den Ebenen,
    • unspezifischen Beziehungen zwischen den Ebenen.
Ausgehend von der Ebene der klinischen Symptomatik ist zu fragen, ob hinter einzelnen Symptomen oder Syndromen ein oder mehrere Pathomechanismen stehen, ob diese sich überlappen und jeweils für bestimmte Symptome/Syndrome spezifisch sind oder nicht. Ähnlich lässt sich fragen, ob zwischen Pathomechanismen und Ätiologie(n) spezifische oder unspezifische Zusammenhänge bestehen. Das Homogenitätsmodell geht von einer nosologischen Krankheitseinheit aus, während das Heterogenitätsmodell je nach Spezifität unterstellt, dass ein Symptommuster auf einen Pathomechanismus, aber mehrere Ätiologien („common final pathway“) zurückgeht, oder aber dass einzelne Bestandteile eines Symptommusters auf mehrere (teilweise überlappende) Pathomechanismen mit jeweils spezifischen Ätiologien zurückgehen.
Ein Spezialfall sind symptomatisch unspezifische Pathomechanismen, die zum klinisch gleichen Bild führen können (Phänokopie). Natürlich gibt es hier verschiedene Übergangsmöglichkeiten zwischen den genannten Prägnanztypen.
Empirisch zu überprüfen wäre, ob die Beziehung zwischen der Ebene biologischer Pathomechanismen und Symptomatik direkt hergestellt werden kann, oder ob dies nur für elementare Symptome möglich ist, während bei komplexeren Symptomen eine psychologische Erklärungsebene eingezogen werden muss. Gleichermaßen wäre zu prüfen, ob primär soziale Ätiologien über eine psychologische Zwischenebene zur direkten Krankheitsmanifestation führen können, oder ob dies nur über eine biologische Ebene möglich ist.

Integrative Modelle

Um neben Bedingungsfaktoren und Betrachtungsebenen im Querschnitt auch Manifestationsbedingungen und Verlaufsdynamik einer Erkrankung im Längsschnitt zu berücksichtigen, bedarf es eines Modells mit Prozesscharakteristik.

Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell

Das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell, zunächst für schizophrene Störungen entwickelt (Zubin und Spring 1977), besitzt allgemeine Gültigkeit für die ätiopathogenetische Konzeption psychischer Störungen.
Vulnerabilität und Stress werden als zentrale komplementäre ätiopathogenetische Faktoren bei der Krankheitsmanifestation aufgefasst (Abb. 2).
Dabei ist Vulnerabilität die subklinische angeborene und/oder erworbene, d. h. ihrerseits multifaktoriell vermittelte Krankheitsdisposition (Erkrankungswahrscheinlichkeit), die in interindividuell und möglicherweise auch intraindividuell variierender Ausprägung vorliegt und erst durch das Hinzutreten zusätzlicher Faktoren (individuell kritische Ereignisse/Belastungen/Konflikte aus dem psychosozialen Umfeld, aber auch biologische „Stressoren“) die Störung über die Manifestationsschwelle treten lässt. Es wird eine kontinuierlich abgestufte Disposition (Diathese, Vulnerabilität) angenommen, die durch eine Kombination von Indikatoren psychophysiologischer, kognitiver und sozialer Auffälligkeiten definiert wird, die gehäuft bei sog. High-risk-Kindern gefunden werden.
Die Disposition ist nicht notwendig zeitstabil; insbesondere Personen mit einer ausgeprägten Disposition neigen beim Auftreten von Stressoren zur Fehlanpassung und schließlich zur psychophysiologischen Dekompensation, die über „intermediäre“ Stadien (Nuechterlein 1987) bzw. pathogenetische Zwischenglieder zu einer zunehmenden Pathologisierung bereits prämorbid gestörter psychophysiologischer und neuropsychologischer Funktionen (als Korrelate neurobiochemischer Entgleisungen) bis hin zur manifesten Krankheitsepisode führen. Pathogenetische Präkursoren bzw. Determinanten der Episodenmanifestation wären von solchen Veränderungen zu differenzieren, die erst als Folge einer Krankheitsepisode auftreten.
Familiär vermittelte Vulnerabilität
Neuere Versionen dieses Modells betonen die familiär vermittelte Vulnerabilität („liability“). Zeitlich stabile Indikatoren dieses Aspekts werden auch als „true vulnerability-markers“ bezeichnet (Steinhauer et al. 1991). Eine erhöhte „liability“ weisen alle Angehörigen Erkrankter auf, gleichgültig, ob sie z. B. den hypothetischen disponierenden Genotyp tragen oder nicht, und gleichgültig, ob sie später eine schizophrene Episode (oder andere Störungen) entwickeln oder nicht. Dieses Vulnerabilitätskonzept ist umfassender und zugleich unspezifischer als das Konzept der prämorbiden Disposition, die nur denen zukommt, die später manifest erkranken. Vulnerabilitätsmarker können auch eine subklinische Variante der Erkrankung darstellen.

Hypothetisches System „Patient“

In regeltechnischer Konzeption und Begriffsbildung spielt die adaptive Kapazität des hypothetischen Systems „Patient“ oder „Patient-Umwelt“ eine Rolle, das je nach Ausgangszustand (prämorbides Niveau), Auslenkbarkeit (Labilität) und Rückstellkräften (Elastizität) nach einem auslenkenden Ereignis oder unter einer Dauerbelastung wieder einem Gleichgewichtszustand zustrebt. Die Homöostase des Systems kann entsprechend einem vorgegebenen Sollwert auf vorherigem, durch Sollwertverstellung auch auf neuem Niveau hergestellt werden – ihre Einstellung kann aber auch misslingen. Hohe Systemlabilität (häufige Rezidive) oder geringe Systemelastizität bzw. Dauerbelastung (schubförmiger Verlauf, primär chronischer Verlauf) könnten z. B. einige Verlaufsformen erklären (vgl. Zubin et al. 1992), sofern die hypothetischen Systemeigenschaften in überprüfbare Modellkonzepte überführt werden können (Abb. 3 a-f).
Bei der Konzeptualisierung adaptiver Systemeigenschaften (vgl. Zubin und Spring 1977) können in Anlehnung an Piaget akkomodative und assimilative Verhaltensweisen unterschieden werden. Ihnen wiederum können reflex- oder instinkthafte Mechanismen sowie aktive Bewältigungsmechanismen auf dem Boden angeborener oder erworbener Bewältigungskompetenz (intellektuelle Ausstattung, Problemlösefähigkeit, prämorbide soziale Kompetenz etc.) zugrunde liegen. Protektive Faktoren können – wie Stressfaktoren – grundsätzlich psychobiologisch konzipiert werden; dabei spielen erfolgreiches Coping sowie positive Umgebungsfaktoren eine besondere Rolle (Nuechterlein 1987). Neben pathogenetischen sind demnach auch salutogenetische Aspekte in allen Phasen des Krankheitsprozesses stärker zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung im Verlauf variierender Konstellationen der Einflussfaktoren dürfte eine bessere Verlaufsprädiktion (Gaebel 1996) und individuelle Abstimmung präventiver, therapeutischer und rehabilitativer Maßnahmen erlauben (Abb. 4).
Das Modell stellt ein heuristisches Rahmenkonzept für die Aufstellung präziser Prüfhypothesen, u. a. zum neuronalen Substrat der postulierten Diathese, dar. Bisher nur partiell empirisch validiert, begründet es die Notwendigkeit prospektiver Mehrebenenuntersuchungen an initial gesunden Risikopopulationen.

Modulare Modelle

Grundlegende Funktionen der menschlichen Geistestätigkeit, angefangen von den elementaren Sinneseindrücken über die komplexe Verarbeitung von Wahrnehmungen im Gehirn bis zu den motorischen Äußerungen, sind in vielerlei Hinsicht modular aufgebaut, wobei der Grundgedanke des modularen Aufbaus der menschlichen Gehirnaktivität 1983 von Fodor erstmals beschrieben wurde (Fodor 1983). Während Fodor einen modularen Aufbau in erster Linie für die „peripheren“ Module postulierte, gingen in den folgenden Jahren insbesondere Entwicklungspsychologen dazu über, auch „zentralen“ Organisations- und Funktionseinheiten des Gehirns einen Modulcharakter zuzusprechen. Dies ist die Hypothese der „massiven Modularität“: Das Gehirn besteht aus einer großen Zahl distinkter, jedoch miteinander verbundener Informationsprozessoren, die im Laufe der Evolution einen Anpassungsprozess erfuhren (bisweilen in diesem Kontext auch als „Darwin-Module“ bezeichnet, da sie in ihrer Grundausstattung von den ursprünglichen Fodor-Modulen abweichen). Die Grundidee geht jedoch auch hier wieder auf Kurt Schneider zurück, der in seiner Klinischen Psychopathologie “seelische Funktionen“ auflistete, auf deren Abnormität sich psychiatrische Diagnosen aufbauen (Schneider 1962):
1.
Arten des Erlebens:
  • Empfinden und Wahrnehmen,
  • Vorstellen und Denken,
  • Fühlen und Werten,
  • Streben und Wollen.
 
2.
Grundeigenschaften des Erlebens:
  • Icherlebnis,
  • Zeiterlebnis,
  • Gedächtnis,
  • Seelische Reaktionsfähigkeit.
 
3.
Umgreifungen des Erlebens:
  • Aufmerksamkeit,
  • Bewusstsein,
  • Intelligenz,
  • Persönlichkeit.
 
Murphy u. Stich haben bereits im Jahre 2000 die grundlegenden Überlegungen dazu vorgestellt, wie ein solches evolutionär-psychologisch geprägtes modulares Bild der Gehirnaktivität als Grundlage für eine Klassifikation psychischer Störungen dienen könnte (Murphy und Stich 2000). Interessanterweise korrespondiert dieses Modell in vielen Grundzügen mit den heutigen neurobiologischen Vorstellungen von Funktionsmodulen des Gehirns, sodass es die Grundlage für eine Hypothesenbildung zur Dysfunktion solcher Module bei psychischen Störungen werden kann (Zielasek und Gaebel 2008). Neben den „basalen“ Modulen wie z. B. den sensorischen oder motorischen Modulen werden z. B. Module für „höhere“ Hirnfunktionen wie das „Spracherwerbsmodul“ oder Module für die soziale Kognition und die Wahngenerierung postuliert. Eine Erkrankung würde dann entstehen, wenn eine „schädliche Dysfunktion“ (im Sinne Wakefields; Wakefield 1992, 2007) eines oder mehrerer solcher Module auftritt. Dabei kann die Störung das Modul selbst beeinträchtigen, aber es können auch vor- oder nachgelagerte Module (Input-Module, Output-Module) gestört sein, was dann trotz normaler Funktion des zwischengeschalteten Moduls zu einer „Modulstörung“ führen würde („garbage in – garbage out“). Module können sogar ganz normal funktionieren und ihre ihnen von der Evolution zugedachten Aufgaben korrekt erfüllen. Das Ergebnis mag jedoch – wenn sich die Umwelt nur hinreichend rasch geändert hat, seit das Modul entstanden ist – nicht mehr in die Umwelt passen und daher „Symptomwert“ bekommen. Die heutigen Diskussionen gehen in der Psychiatrie bei der Anwendung des Modulbegriffs weit über die klassischen „basalen“ oder „peripheren“ Module hinaus, sie umfassen immer mehr auch zentrale, hochkomplexe Funktionen wie die Generation von Wahnideen oder Aspekte der sozialen Kognition, die sich relativ einfach in ein Modulsystem einbauen lassen. Allerdings muss diese interessante Hypothese der „Modularität“ der menschlichen Gehirnaktivität in ihrer möglichen Bedeutung für die Nosologie und Taxonomie psychischer Störungen noch durch eingehende experimentell-psychopathologische, neurophysiologische und klinisch-symptomatologische Untersuchungen verifiziert werden. In den letzten Jahren wurden sowohl mittels kernspintomografischer als auch mittels magnet- und elektroenzephalografischer Untersuchungsverfahren bei einer Reihe von psychischen Störungen wie der Schizophrenie und der Alzheimer-Demenz Modulfunktionen untersucht, sodass in diesem Forschungsgebiet nach der Modellbildung nun eine Reihe empirischer Befunde vorliegen. Die Herausforderung besteht jetzt darin, diese Untersuchungsergebnisse mit Funktionseinschränkungen oder psychopathologischen Symptomen zu assoziieren, wobei allerdings die beobachteten Netzwerkveränderungen auch kompensatorischen Prozessen entsprechen könnten – auch dies wäre differenziert zu eruieren (Fornito und Bullmore 2015; Fornito et al. 2015).

Dimensionen der Störungsdiagnostik

Operational-deskriptive Diagnosesysteme können eine funktionsorientierte und empirisch validierte Krankheits- und Therapietheorie nicht ersetzen. Bisher sind allerdings die konzeptuellen und methodischen Voraussetzungen zur mehrdimensionalen Charakterisierung psychischer Erkrankungen nicht hinreichend entwickelt, um sie als empirischen Ausgangspunkt einer naturwissenschaftlich orientierten Ursachen-, Pathogenese- und Therapieforschung voll nutzen zu können. Dementsprechend sollen hier neben den Beschreibungskategorien des multiaxialen Ansatzes weitere Charakteristika psychischer Störungen einschließlich ihres Verlaufs und Verlaufsausgangs dargestellt werden, die einen systematischeren Zugang zur Störungsphänomenologie erlauben.

Verlaufsdiagnostik

Psychische Störungen entfalten sich im zeitlichen Verlauf und sind oft von lebenslanger Dauer. Dabei ist die enge Verflechtung mit dem Lebenszyklus des sich entwickelnden Individuums zu beachten. Die Verlaufscharakteristik einzelner Störungen, d. h. die spontane Verlaufsprognose, ist selbst als nosologisches Unterscheidungsmerkmal betrachtet worden (Dementia praecox vs. manisch-depressive Erkrankung); unzweifelhaft muss aber der individuelle Verlauf als das Resultat einer Fülle von Einflussfaktoren aufgefasst werden, die ihrerseits nur auf mehreren Beschreibungsebenen – z. B. intrinsischer Krankheitsprozess, Krankheitsverarbeitung, soziales Umfeld – adäquat zu erfassen sind. Allgemein lassen sich – je nach Weite oder Enge des angelegten Zeitrasters – makro- und mikrozeitliche formale Verlaufsaspekte unterscheiden:
  • makrozeitliche Verlaufsaspekte:
  • Verlaufsform (phasisch, schubförmig, chronisch),
  • Interepisodendauer,
  • Episodenfrequenz,
  • Verlaufsgesetzmäßigkeit (mono-, bipolar),
  • Richtungsprognose;
  • mikrozeitliche Verlaufsaspekte:
  • Krankheitsbeginn (akut, blande, primär chronisch),
  • Episodendauer,
  • Streckenprognose,
  • Tagesschwankungen.
Krankheitsbeginn
Der eigentliche Krankheitsbeginn ist oft nicht sicher abgrenzbar, insbesondere bei sog. blandem oder primär chronischem Verlauf, v. a. aber bei einer (gleichzeitig bestehenden) Persönlichkeitsstörung. In diesen Fällen kann die Abgrenzung von „Krankheit“ gegenüber einer prämorbid devianten Persönlichkeit, die ihrerseits eine gewisse Störungsspezifität aufweisen kann, schwierig sein.
Oft gehen der eigentlichen Krankheitsepisode unspezifische Prodromalsymptome voraus. Bei Erkrankungen wie der Schizophrenie wird bereits vorgeschlagen, dass diese Prodromalsymptome eine ausreichende prädiktive Aussagekraft haben, um eine Diagnosestellung mit konsekutiver (präventiver) Behandlungsindikation zu rechtfertigen (McGorry et al. 2009). Akuter Beginn mit zeitlich steilem psychopathologischem Gradienten – Ausdruck eines rasch de- wie restabilisierbaren „Systems“ – prognostiziert in der Regel eine eher günstige Streckenprognose.
Episode
Als Episode wird die zeitlich begrenzte psychopathologische Dekompensation bezeichnet, die mit Restitution (Phase) oder Residualsymptomatik (Schub) abklingen, aber auch in einen chronischen Verlauf übergehen kann.
Remission
Ist die Restitution vollständig, was bei gleichzeitig bestehender Persönlichkeitsstörung schwierig beurteilbar sein kann, wird von Remission gesprochen.
Nicht immer ist eine Episode als zeitlich zusammenhängende Störung zu identifizieren; rasche Symptomwechsel, interkurrente Symptomspitzen oder zeitlich gehäufte Symptomcluster mit zwischenzeitlicher Symptomfreiheit oder verarbeitungsbedingtem Fehlverhalten sind weitere Muster akuter Symptomverläufe.
Postakutes Verlaufsstadium
Mit Abklingen einer Episode beginnt das postakute Verlaufsstadium. Neben monoepisodischen werden v. a. rezidivierende Verlaufsformen beobachtet – mit unterschiedlich langem und mehr oder weniger symptomfreiem interepisodischen Intervall, variierender Episodenfrequenz, wechselnder (affektiver) Polarität der einzelnen Episoden und unterschiedlicher Richtungsprognose über mehrere Episoden hinweg. Durch simultane oder sequenzielle Kombination verschiedener psychopathologischer Syndrome im Sinne der Komorbidität kann sich die Verlaufscharakteristik weiter komplizieren.
Verlaufsausgang
Der Verlaufsausgang („outcome“) ist allgemein der zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasste Status auf verschiedenen, insbesondere psychopathologischen und psychosozialen Beurteilungsebenen. Mit zunehmender Verlaufsdauer reflektiert er das Ergebnis des spontanen Krankheitsverlaufs und damit die durchschnittliche Richtungsprognose. Globale Beurteilungskriterien, wie geheilt, gebessert oder verschlechtert, werden der Komplexität des Verlaufsausgangs nicht gerecht, zumal die einzelnen „Outcome-Bereiche“ im Sinne offener teilverbundener Systeme („open-linked systems“; Strauss et al. 1974) im Querschnitt nur locker assoziiert sind.
Im Übrigen erscheint das Konzept der „Heilung“ in Anbetracht des rezidivierenden Verlaufs vieler psychischer Störungen nur insofern angebracht, als damit die dauerhafte – spontan einsetzende oder therapeutisch induzierte – Inaktivierung eines hypothetischen Krankheitsprozesses, eine (z. B. durch Entwicklungs- oder Lernprozesse bedingte) Reaktionsveränderung des psychobiologischen „Resonanzbodens“ oder die (aktive bzw. passive) Mobilisierung hypothetischer „Gegenkräfte“ verstanden wird (s. oben). Das Ergebnis ist häufig keine Restitutio ad integrum, sondern mit der Entwicklung maladaptiver Verhaltensmuster verbunden.
Ein völlig neuer Aspekt ist die Einführung von „Risikosyndromen“, wie beispielsweise für die Schizophrenie in DSM-5 (attenuiertes Psychose-Syndrom). Hiermit ist einerseits die Hoffnung auf präventive Ansätze gegeben, andererseits stellen sich aber auch ethische Fragen, wie beispielsweise der Stigmatisierung der (eigentlich ja noch nicht) Betroffenen.
Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Frage nach den ätiopathogenetischen Modellen, die die verschiedenen Verlaufsfiguren erklären können, vorerst kaum zu beantworten ist. Ein deterministisches Modell, wonach mit einem bestimmten Krankheitsbild ein definierter Krankheitsverlauf verbunden ist, ist in der Regel nicht angemessen; gleichwohl gibt es krankheitsspezifische Verlaufsbesonderheiten, die – bei aller interindividuellen Heterogenität – auf nosologisch relativ homogene Zustands-Verlaufs-Einheiten verweisen.

Psychopathologische Funktionsdiagnostik

Funktionsdiagnostik ist hier im Sinne eines funktionalen, d. h. auf die zugrunde liegenden Funktionsstörungen zielenden, ätiopathogenetischen Verständnisses deskriptiver psychopathologischer Auffälligkeiten zu verstehen. Dieses zielt nicht primär auf nosologische Entitäten, sondern auf nosologieübergreifende Funktionsstörungen psychoneurobiologisch determinierter Systeme, die bei ähnlichen Syndromen im Rahmen verschiedener Erkrankungen involviert sein können (van Praag et al. 1987).
Die noch heute verwendete psychopathologische „Sprache“ mit einem Kanon von Konzepten, Begriffen sowie grammatischen und syntaktischen Regeln zur Beschreibung psychischer Störungen bildete sich im Wesentlichen in der französischen und deutschen Psychiatrie zwischen 1815 und 1880 heraus (Berrios 1994). Der Symptomkatalog, der sich bei „vorurtheilloser Betrachtung“ (Kahlbaum 1874; Abschn. 2.3) in elementarer Form aus der Natur quasi von selbst ergab, hat bis heute Gültigkeit behalten.
Formal kann die Grundstruktur psychopathologischer Symptome folgendermaßen definiert werden:
…symptoms are no more than systematic variations in the form and content of the patients’ speech and habitual motility patterns (Berrios 1994, S. 49).
(Übersetzung: Symptome sind nichts anderes als systematische Variationen von Form und Inhalt, von Sprache und Bewegungsmustern der Patienten.)
Selten erfolgt allerdings in der Praxis eine rein phänomenologische Deskription – Voraussetzung einer funktionalen Korrelation –, sondern zumeist sind interpretative Anteile im Gefolge subjektiver oder interaktioneller Verarbeitung beigemengt:
Psychopathologic symptoms have, therefore, two components: a biologic source (a dysfunction) that engenders a dislocation of behavior („signal”) and a psychosocial aspect („noise“) that relates to the interpretation of the behavioral dislocation by the patient or others (Berrios 1994, S. 49).
(Übersetzung: Psychopathologische Symptome haben 2 Komponenten: eine biologische Quelle [eine Dysfunktion], die eine Verhaltensstörung hervorruft [„Signal“] und einen psychosozialen Aspekt [„Hintergrundrauschen“], der sich aus der Interpretation der Verhaltensänderung durch den Patienten und andere ergibt.)
In diesem Sinne wird die Erfassung auf der Beobachterseite z. B. durch implizite nosologische Theorien (Sulz und Gigerenzer 1982) oder durch implizite Plausibilitätskontrollen mit „Zurückweisungs- und Transformationsregeln“ (Berrios 1994) mitbestimmt.
Dementsprechend kann von einer „vorurteilslosen“ Erfassung nur bedingt die Rede sein. Als Konsequenz wird ein in Frage stehendes Symptom/Syndrom unterschiedlichen Grundprozessen attribuiert: Ein stärker „idiografisch“ eingestellter Untersucher wird eher dazu neigen, psychopathologische Auffälligkeiten als Konsequenz der individuellen Lebens- und Lerngeschichte zu „verstehen“, während bei einer querschnittsbezogenen „nomothetischen“ Sichtweise eher die Abweichung von einer überindividuellen Norm als „Erklärung“ herangezogen werden dürfte.
Hier ist Jaspers Unterscheidung von Form und Inhalt eines Symptoms von Bedeutung:
Mental content is derived from contexts, symbolization, drives and cortical structures involved; the form of a symptom complex … is determined by etiologically-related antecedants. Thus form and content are applicable to different clinical operations; only form is relevant to diagnosis (Akiskal 1978, S. 110).
(Übersetzung: Mentale Inhalte leiten sich aus Kontext, Symbolisierung, Antrieben und involvierten kortikalen Strukturen ab; die Form eines Symptomkomplexes … wird von Voraussetzungen bestimmt, die mit der Ätiologie zusammenhängen. Form und Inhalt sind demnach auf unterschiedliche klinische Vorgänge bezogen; nur die Form ist für die Diagnosestellung von Bedeutung.)
Die beiden Sichtweisen sind komplementär, erfordern aber beide zunächst eine möglichst vorannahmefreie deskriptive Erfassung des (formalen) Symptoms, bevor eine (inhaltliche) „Interpretation“ oder „Erklärung“ seines Auftretens angestrengt wird.
The demonstration that patients have psychodynamics, that they suffer with them, and that they deal with them ineffectively, does not necessarily tell us what is the matter with them, that is, why they are patients (Meehl 1959, S. 107).
(Übersetzung: Der Nachweis, dass Patienten eine Psychodynamik aufweisen, dass sie unter ihr leiden und sie unzureichend bewältigen, sagt noch nichts darüber aus, was ihnen fehlt, d. h. warum sie Patienten sind.)

Interaktioneller Prozess

Das Spektrum psychopathologischer Auffälligkeiten wird erst im interaktionellen Prozess unmittelbar oder mittelbar zugänglich. Eine Abweichung psychischer Funktionen wird vom Interaktionspartner entweder aus der direkten Verhaltensbeobachtung oder aus der Selbstschilderung des Patienten anhand mehr oder weniger expliziter formaler, inhaltlicher und zeitlicher Beurteilungskriterien erschlossen.
Kommunikation ist in jedem Fall Voraussetzung einer adäquaten Erfassung und Abbildung psychopathologischer Merkmale: Verbales und nonverbales Wahrnehmungs- und Mitteilungsvermögen, d. h. die kommunikative Kompetenz auf beiden Seiten, entscheidet über die Qualität der Kommunikation und ihre methodische Eignung als psychopathologisches Untersuchungsinstrument. Verzerrungen können – je nach Betrachtungsperspektive – auf allen Wahrnehmungskanälen bzw. durch deren Interferenz (Polzer und Gaebel 1993) z. B. aufgrund unterschiedlicher „sozialer Codes“, durch individuelle Einstellungen und psychodynamisch begründete „Widerstände“, dyskommunikative soziokulturelle „Darbietungsregeln“ sowie durch einen die Enkodierungs- und Dekodierungsleistungen direkt beeinträchtigenden pathologischen Prozess hervorgerufen werden. Eine Differenzierung der verschiedenen möglichen Determinanten eines (gestörten) kommunikativen Prozesses ist Voraussetzung für die formale Identifizierung eines psychopathologischen Merkmals.

Psychologische Kategorien

Die geläufigen psychopathologischen Systeme und Skalen projizieren den gesamten Merkmalsraum auf ein kategoriales Koordinatennetz, das einer traditionellen Elementenpsychologie entlehnt ist. Die theoretischen Vorannahmen bestehen darin, dass Funktionen wie z. B. „Bewusstsein“, „Denken“, „Wahrnehmung“, „Affekt“ etc. psychologische Kategorien darstellen, die unterscheidbar, operational beschreibbar und in ihrem jeweiligen Störungsgrad gegenüber der Norm abgrenzbar sind, und die auf der Störung einer identifizierbaren elementaren Funktion beruhen.
Diese Annahmen sind nur bedingt erfüllt. So fehlt z. B. eine empirisch begründete operationale Definition und gegenseitige Abgrenzung normaler Funktionen, sodass eine klinisch eindeutige Zuordnung von Störungen zu den einzelnen Kategorien häufig unmöglich ist und zur Doppelcodierung von Merkmalen führt (z. B. AMDP 1997). Ebenso sind krankhafte von normalen Funktionen häufig nicht klar abgrenzbar.
Rein theoretisch ist eine Abgrenzung qualitativ und/oder quantitativ denkbar, wenn die Normalfunktion anhand spezifischer Indikatoren eindeutig definiert und in ihrem Normbereich umrissen ist.

Psychopathologische Kategorien

Quantitative Normabweichungen wären dann als Hypo- oder Hyperfunktion, qualitative Abweichungen als Dysfunktion zu charakterisieren. Schließlich muss die Annahme, dass den unterschiedlichen psychopathologischen Kategorien (neuropsychologisch) definierte Funktionen korrespondieren, zumindest so lange in Frage gestellt werden, als nicht eine hinter den klinischen „Rohdaten“ stehende Störung psychologischer „Grundfunktionen“ identifiziert ist (Gaebel 1996).
Auch kann eine Alteration psychischer Grundfunktionen mittels entsprechender Indikatoren noch nicht als primär oder sekundär identifiziert werden, da derartige Funktionsstörungen Ausdruck sowohl primär dysregulativer wie sekundär gegenregulatorischer Prozesse sein können. Hinzu kommt, dass einzelne Symptome oder Symptomkomplexe aufgrund unvollständiger, subklinischer oder atypischer Ausprägung, Maskierung und Kombination nicht oder fehlerhaft identifiziert werden, was zu diagnostischen Irrtümern Anlass geben kann.
Psychopathologische Symptome/Syndrome erlauben beim gegenwärtigen Stand ihrer Erfassung noch keine sicheren Rückschlüsse auf die Pathophysiologie involvierter Funktionssysteme. Laborbefunde in der somatischen Medizin verweisen demgegenüber zwar bereits auf organübergreifende oder -spezifische Funktionszustände, sind aber in der Regel ebenfalls mehrdeutig. Auch hier hilft erst eine bestimmte Befundkonstellation vor dem Hintergrund von Regelwissen bei der diagnostischen Differenzierung weiter. „Latente“ Funktionsstörungen können oft erst durch funktionsspezifische Belastungstests aufgedeckt werden. Die Mehrdeutigkeit des pathologischen Ausfalls häufig hochkomplexer behavioraler Funktionstests (z. B. Wisconsin Card Sorting Test) muss hier allerdings gleichermaßen durch Berücksichtigung der Befundkonstellation wie hypothesengeleitete Analyse der Untersuchungsbedingungen und involvierten Teilfunktionen differenziert werden.

Bestandsaufnahme psychischer Grundfunktionen

Ansätze zu einer experimentellen Reduktion klinisch-psychopathologischer Phänomene auf deren „psychologischen“ Kern bedürfen zunächst einer Bestandsaufnahme psychischer „Grundfunktionen“ (Pöppel 1988). Eine Taxonomie derartiger Funktionen unter Berücksichtigung ihrer Interdependenz (z. B. ubiquitär intervenierende Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozesse) gilt es erst zu entwickeln. Verhaltensbesonderheiten, die zunächst möglichst theorieneutral deskriptiv erfasst werden, sind nur durch Berücksichtigung der externen und internen Stimulusbedingungen etc. „erklärbar“ und damit „verstehbar“.
Eine weitere Differenzierung ist durch Berücksichtigung longitudinaler (anamnestischer) Informationen sowie durch standardisierte Untersuchungsbedingungen bezüglich des im explorativen Screening herausgehobenen Merkmals möglich. Dabei müssen die verschiedenen Informationsquellen (subjektiv-verbal, motorisch, physiologisch) und methodischen Zugangsweisen (Selbst-, Fremdbeurteilung, Verhaltensbeobachtung, Verhaltenstest) der Psychopathologie voll genutzt werden (Gaebel und Wölwer 1996). Mit Hilfe ergänzend durchgeführter biologischer Funktionstests wäre eine funktionale Klassifikation zu entwickeln, die von definierten Störungen psycho-neurobiologischer Systeme ausgeht.
Derartige Überlegungen machen eine psychodynamische Perspektive nicht überflüssig, sondern bilden ihre Grundlage. Die diagnostische wie therapeutische Vernachlässigung der subjektiven Krankheitsbedeutung würde einem Sinnverlust in der therapeutischen Beziehung und subjektiven Krankheitsbewältigung Vorschub leisten (Gabbard 1992).
Bei einer – vor dem Hintergrund traditioneller Diagnostik – stärker an psychodynamischen Fragestellungen interessierten operationalisierten psychodynamischen Diagnostik (OPD) wird versucht, auch zentrale psychodynamische Konstrukte wie Krankheitserleben, Beziehung, Konflikt und Struktur operational zu erfassen (Arbeitskreis OPD 2006).

Soziale Funktionsdiagnostik

ICD-10 und DSM-5 unterscheiden sich wesentlich in der Gewichtung psychosozialer Kriterien. Während DSM-5 bei nahezu jeder Störung als Eingangskriterium klinisch bedeutsame „Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen“ aufführt, versucht die ICD-10 psychosoziale Kriterien bei der Diagnosestellung zu vermeiden und trägt damit der Ansicht Rechnung, dass die psychosozialen Auswirkungen psychischer Störungen auf einer gesonderten Klassifikationsachse in Form von Behinderung, Einschränkung und Funktionsstörung codiert werden sollten.
Psychosoziale Aspekte werden im Rahmen der klinischen Befunderhebung explizit berücksichtigt (z. B. Sozialanamnese), sozial-kommunikative Aspekte sind zumindest impliziter Bestandteil der psychopathologischen Befunderhebung. Auch in der bereits oben erwähnten ICF (Abschn. 2.3) spielen sie eine zentrale Rolle.

Einfluss sozialer Faktoren

Zum Einfluss sozialer Faktoren auf Entstehung und Verlauf psychischer Störungen gibt es eine Reihe sozialwissenschaftlicher Untersuchungen, die im Kontext unterschiedlicher soziologischer Theorien (Eaton 1994) die Bedeutung von Schichtmerkmalen, „life events“, sozialem Netzwerk oder emotionalem Familienklima mit Hilfe entsprechender Erhebungsinstrumente überprüft haben, allerdings nur teilweise belegen konnten. Interkulturelle epidemiologische Vergleichsstudien weisen für Krankheitsverläufe eine beachtliche Umweltplastizität aus. Gesellschaftliche Einflüsse überformen die klinische Ausprägung von Symptomen psychischer Störungen in erheblichem Ausmaß (Kirmayer 2005). Dennoch sind die genauen Zusammenhänge noch weitgehend unbekannt.
Trotz des unbestrittenen Einflusses von Umgebungsfaktoren auf die strukturelle und funktionelle Hirnentwicklung (Eisenberg 1995), wird das Ausmaß von Umwelteinflüssen in der Ätiopathogenese psychischer Störungen kontrovers diskutiert. Umwelt-Gen-Interaktionen sind vermutlich die Grundlage langfristiger neurobiologischer Adaptationsvorgänge (neuronale Plastizität), die für (psycho- wie somato-)therapeutische Langzeiteffekte verantwortlich sind (Hyman 2000). Wissenssoziologische Grundlagen sind von Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung von Wissenssystemen, wie z. B. psychiatrischen Klassifikationssystemen (Eaton 1994). Ethologische Konzeptionen haben jüngst zu der Forderung beigetragen, soziobiologische Aspekte als Grundlagenwissenschaft der Psychiatrie stärker zu berücksichtigen (Gardner 1996). Die „soziale Kognition“ als Fähigkeit des Menschen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, aber auch im sozialen Kontakt „normal“ zu funktionieren, ist mittlerweile eine durch viele neurowissenschaftliche Untersuchungen gut etablierte Grundfunktion des menschlichen Gehirns („social neuroscience“; Meyer-Lindenberg 2014). Dabei interagieren in der sozialen Kognition psychologische und neurobiologische Prozesse (Übersicht in der Sonderausgabe der Zeitschrift Brain Research, Vol. 1079, 2006). Die Implikationen dieser neuen Sichtweise auf soziale Vorgänge für die Psychiatrie sind enorm, weisen in ihrer ethisch-moralischen Dimension (Stichwort: Wie frei ist der Mensch bei sozial relevanten Entscheidungen?) jedoch weit über die Psychiatrie hinaus. Auch für die Ursachenerforschung der Stigmatisierung psychisch Kranker bieten sich hier ganz neue Ansätze, es konnten beispielsweise neurophysiologische Grundlagen für Stereotypien und Vorurteile gefunden werden (Derks et al. 2008; Scheepers et al. 2013). Da Störungen der sozialen Kognition heute aber auch als wichtige Ursachen/Faktoren für die Symptombildung psychischer Störungen angesehen werden, gibt es bereits erste therapeutische Ansätze, die sich speziell mit einer psychotherapeutischen Verbesserung der sozialen Kognition bei psychischen Störungen beschäftigen (Wölwer et al. 2005; Choi und Kwon 2006; Gevers et al. 2006).

Biologische Funktionsdiagnostik

Bei der biologischen Funktionsdiagnostik geht es um die Identifikation normabweichender Befunde bei psychischen Störungen auf verschiedenen Ebenen „unterhalb“ des beobachtbaren Verhaltens (Neuropsychologie, Psychophysiologie, Neurophysiologie, Hirnstoffwechsel/-durchblutung, Neurobiochemie, Hirnmorphologie, Molekularbiologie). Dabei muss differenziert werden, ob die entsprechenden Merkmale das Auftreten einer Krankheitsepisode, prämorbide Krankheitsbedingungen oder residuale Krankheitsfolgen charakterisieren bzw. auch bei klinisch gesunden Mitgliedern von Risikopopulationen beobachtbar sind (Abschn. 5.1).
Die Suche nach den neurobiologischen Determinanten psychischer Störungen zielt letztlich darauf ab, konzeptuell und methodisch weit voneinander „entfernte“ Beobachtungsebenen miteinander in Beziehung zu setzen: Die klinisch-phänomenologische Beschreibungsebene einerseits und die Ebene der als ätiologisch relevant postulierten Determinanten andererseits (z. B. genetische Faktoren). Dazwischen ist vermittelnd eine Reihe pathogenetisch relevanter Ebenen eingeschoben, deren Interrelation durch sog. Mehrebenenuntersuchungen unter standardisierten Bedingungen zu klären ist (Gaebel und Maier 1993; Lopez-Ibor et al. 2002):
  • die Ebene der neuropsychologischen Leistung;
  • neurophysiologische und psychophysiologische Auffälligkeiten (z. B. evozierte Potenziale, autonomes Erregungsniveau, Augenfolgebewegungen);
  • neurobiochemische Abweichungen (z. B. Neurotransmitterstörungen, neuroendokrinologische, immunologische Befunde);
  • hirnfunktional mit bildgebenden Verfahren (SPECT, PET, fMRT) mit in vivo nachweisbaren Auffälligkeiten (z. B. regionale Mangeldurchblutung, regionaler Hypometabolismus);
  • hirnmorphologisch mit bildgebenden Verfahren (CT, MRT) in vivo oder neuropathologisch post mortem feststellbare Normabweichungen (z. B. Ventrikelweite, Größe bestimmter Kerngebiete und Hirnregionen, Hemisphärenasymmetrien);
  • molekularbiologische Analysen (z. B. auf Punktmutationen fokussierte Assoziations- und Kopplungsstudien, Genexpressionsanalysen, neuronale Plastizität, epigenetische Untersuchungen, genomweite Assoziationsstudien).
Als Ausgangspunkt korrelativer Studien ist allerdings noch unklar, ob der psychopathologische Phänotyp nicht durch einen neurobiologisch definierten Phänotyp (Endophänotyp; Gottesman et al. 1987) ersetzt bzw. ergänzt werden sollte, der z. B. mit dem familiären Auftreten der Störung assoziiert ist und eine größere Spezifität für den angenommenen Genotyp aufweist.

Forschungskonsequenzen

Die Umsetzung der genannten Konzepte in ein konkretes Forschungsdesign zur Ätiopathogenese psychischer Störungen erfordert forschungsstrategische Vorüberlegungen, ohne die Forschungsziele nicht erreicht und Forschungsressourcen verschwendet werden. Zunächst sollen einige begriffliche Klärungen vorangestellt werden, bevor 3 komplementäre Forschungsstrategien vorgestellt werden (Gaebel und Maier 1993).

Terminologischer Exkurs

Endophänotypen – Biomarker
Endophänotypen sind hereditäre, mit objektiven Messverfahren darstellbare interne Faktoren („interne Phänotypen“), die mit psychischen Störungen assoziiert sind, während Biomarker mit psychischen Störungen assoziierte Faktoren sind, die nicht hereditär bedingt sind (Übersicht in Gottesman und Gould 2003).
Für Endophänotypen gilt dabei:
  • In der Untersuchungspopulation sind Endophänotypen mit der Erkrankung assoziiert.
  • Der Endophänotyp ist vererbbar.
  • Der Endophänotyp ist unabhängig vom Krankheitsstadium.
  • In betroffenen Familien kosegregiert der Endophänotyp mit der Erkrankung.
  • Der in betroffenen Familienmitgliedern gefundene Endophänotyp wird bei nicht-betroffenen Familienmitgliedern häufiger gefunden als in der Allgemeinbevölkerung.
Korrelate – Indikatoren/Marker – Determinanten
Korrelate sind zunächst statistisch assoziierte Merkmale psychischer Störungen, deren potenzielle ätiopathogenetische Bedeutung offenbleibt, sofern nicht forschungsstrategische Voraussetzungen (Abschn. 5.2) eine nähere Charakterisierung des Zusammenhangs erlauben. Akiskal (1978) unterscheidet ätiologische, epiphänomenale und kovariierende Korrelate. Näher spezifizierte Indikatoren oder Marker (s. unten) haben über einen korrelativen Zusammenhang hinaus bereits einen gerichteten indikativen Status; sie fungieren als objektive transphänomenale, d. h. auf einen hypothetischen Krankheitsprozess bzw. dessen dispositionelle Grundlagen verweisende Zeichen, ohne dass ihnen selbst notwendig eine pathogenetische Bedeutung zukommt. Sie können auch lediglich mit einem Risikofaktor für die Erkrankung assoziiert sein. Zufriedenstellende Spezifität und Sensitivität vorausgesetzt, wären sie als eine Art diagnostischer Test einsetzbar. Determinanten schließlich sind konzeptuell und empirisch am weitesten entwickelte Merkmale; in einem pathophysiologischen Kontext käme ihnen die Bedeutung definierter (ätio-)pathogenetischer Bedingungskonstellationen zu.
Risikofaktoren und Risikoindikatoren
Risikofaktoren zeigen bei Personen, die bisher nicht erkrankt sind, ein erhöhtes Manifestationsrisiko an. Risikoindikatoren kennzeichnen dagegen lediglich die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, ohne dass jeder Träger dieser Eigenschaft ein tatsächlich erhöhtes Risiko für die Krankheitsmanifestation aufweisen muss; z. B. stellt die Verwandtschaft zu einem Erkrankten bei familiärer Häufung der Erkrankung einen Risikoindikator dar, obwohl bei monogener genetischer Übertragung nur eine Teilgruppe der Angehörigen tatsächlich Träger des Genotyps ist.
Vulnerabilitätsmarker
Entsprechend der Mehrdeutigkeit des Vulnerabilitätsbegriffs ist dieser Begriff nicht eindeutig definiert. Einerseits wird darunter ein prämorbid feststellbarer Risikofaktor verstanden, der auch nach Erstmanifestation der Erkrankung persistiert; bei bereits manifest Erkrankten kann die Ausprägung dieses Merkmals u. U. die Rezidivneigung bzw. Neigung zur Chronifizierung voraussagen. Andererseits wird unter Vulnerabilitätsmarker ein Risikoindikator verstanden, dessen Validität durch die Differenzierung zwischen gesunden Angehörigen von Erkrankten und gesunden, familiär nicht belasteten Kontrollen belegt wird („true vulnerability marker“; Steinhauer et al. 1991). Vulnerabilitätsindikatoren müssen nicht notwendig direkter Ausdruck der Ätiopathogenese des Krankheitsprozesses sein, sie können auch lediglich mit einem Risikofaktor assoziiert sein.
Genetische und andere ätiologische Marker
Diese Indikatoren kennzeichnen das Vorliegen eines Ursachenfaktors der Erkrankung. Indikatoren des prämorbiden Zustands bzw. dessen unspezifischer Folgezustände (z. B. reduziertes Ausbildungsniveau oder lediger Familienstatus, die häufig im Rahmen eines „vorauslaufenden Defekts“ auftreten) oder Indikatoren der mangelnden Verfügbarkeit protektiver Mechanismen (z. B. Fehlen ausgeprägter Intelligenz) können zwar Risikofaktoren oder Vulnerabilitätsmarker, nicht aber ätiologische Marker darstellen.
Ätiologische Marker sind demgegenüber Indikatoren von Determinanten der hypothetischen Vulnerabilität, d. h. „true vulnerability marker“. Von Markern im genetischen Sinn wird zudem gefordert, dass sie auf dem Genom lokalisierbar sind (z. B. DNA-Marker, Blutgruppen, Rot-Grün-Blindheit).
Episoden- bzw. Verlaufsindikatoren
Treten Normabweichungen eines Indikators nur bei manifest Erkrankten während der Episode auf, so handelt es sich um Episodenindikatoren. Um diesen Markertyp zu identifizieren, ist eine operationalisierte psychopathologische Episodendefinition erforderlich, wie sie z. B. für affektive Störungen entwickelt wurde (Frank et al. 1991). Das hierbei definitorisch zu berücksichtigende Gegenstück der Episode wäre die (Teil-)Remissionsphase. Da zu verschiedenen Verlaufszeitpunkten unterschiedliche Aspekte der Krankheitsphänomenologie im Vordergrund stehen, die nur partiell korrelieren und nicht synchron variieren, muss die Operationalisierung einzelner Verlaufsstadien mehrere Symptomdimensionen berücksichtigen.
Residualmarker zeigen eine postepisodisch persistierende Symptomatik an; hier wären auch Folgezustände der Erkrankung zu subsumieren.
Verlaufsindikatoren markieren ein bestimmtes Verlaufsstadium oder sagen den weiteren Verlauf, z. B. eine erhöhte Rezidivneigung, voraus; sie wären somit für den weiteren Verlauf von prognostischer Relevanz (Prädiktoren).
Akuitäts- bzw. Beeinträchtigungsindikatoren
Hier sind Indikatoren zu subsumieren, die in Abhängigkeit von der Akuität der psychopathologischen Symptomatik (Zeitgradient) oder vom Schweregrad der damit einhergehenden psychosozialen Beeinträchtigung variieren und teilweise mit Episodenindikatoren überlappen. Insbesondere beim internosologischen Vergleich eines neurobiologischen Merkmals müssen Gruppenunterschiede hinsichtlich Beeinträchtigung und/oder Akuität kontrolliert werden, damit Ausprägungsunterschiede des untersuchten Merkmals nicht als Ausdruck nosologischer Spezifität fehlinterpretiert werden.
State- bzw. Traitmarker
Diese Differenzierung betrifft die zeitliche Variabilität der Ausprägung einer Indikatorvariablen.
Besteht bei manifest Erkrankten oder bereits vor Auftreten der Erkrankung eine Normabweichung bezüglich der Indikatorvariablen, bleibt diese trotz Variation bzw. Remission der Symptomatik bestehen und ist nicht auf peristatische Faktoren (z. B. Medikation) zurückzuführen, so liegt ein zeitinvarianter Trait-Marker vor.
Besteht die Normabweichung – krankheits- oder behandlungsbedingt – nur während der Krankheitsepisoden, so liegt ein State-Marker (nicht synonym mit Episodenmarker) vor.
Die Trait-Qualität eines Indikators kann indirekt auch durch dessen deviante Ausprägungen bei gesunden Angehörigen erhärtet werden. Eine Trait-Variable sollte bereits im prämorbiden Stadium nachweisbar sein.
State-Trait-Kontinuum
Häufig zeigen Indikatoren sowohl State- als auch Trait-Eigenschaften („mediating vulnerability factor“; Nuechterlein und Dawson 1984): Es besteht eine zeitlich (auch außerhalb von Krankheitsepisoden) überdauernde Normabweichung bei Erkrankten, die beim Auftreten von Krankheitsepisoden ausgeprägter wird. Daher erscheint es (auch unter funktionalem Aspekt, Abschn. 5.2) angemessener, von einem State-Trait-Kontinuum anstatt von einer Dichotomie auszugehen. Jener Teil der zeitlichen Varianz der Indikatorausprägung über verschiedene Messzeitpunkte, der nicht durch die synchrone Fluktuation der psychopathologischen Symptomatik erklärt werden kann, könnte als Maß für die „Trait-Qualität“ eines Indikators angesehen werden.

Forschungsstrategien

Assoziationsstudien

In einem ätiopathogenetisch orientierten Forschungsmodell werden die eingangs skizzierten „vertikal“ organisierten Untersuchungsebenen (Helmchen 1988) im Sinne einer Mehrebenenanalyse im Querschnitt zueinander in Beziehung gesetzt. Zielsetzung dieser Forschungsstrategie ist zunächst das Auffinden von Krankheitskorrelaten über verschiedene Untersuchungsebenen hinweg.
Zeitliche Dimension
Messzeitgleichheit mit neurobiologischen Merkmalen ist allerdings durch den in der Regel zeitversetzt stattfindenden und verschiedene Transformationsstufen durchlaufenden Erhebungsprozess psychopathologischer Merkmale nicht gewährleistet. Bisher fehlt der Erfassung psychopathologischer Merkmale die angemessene Berücksichtigung der zeitlichen Dimension (Berrios 1994). Tatsächlich werden Befunde mit versetzten Zeitkoordinaten unter der – unbewiesenen – Annahme in Beziehung gesetzt, dass die zum Zeitpunkt t1 bzw. t2 gemessenen Größen mindestens für den beide Messzeitpunkte umfassenden Zeitraum t1–t2 repräsentativ sind. Zur besseren Synchronisierung im Mikrobereich, insbesondere bei Verwendung zeitlich hochauflösender psychophysiologischer Untersuchungsmethoden (z. B. evozierte Potenziale), spielt der Einsatz behavioraler Indikatoren eine besondere Rolle.
Konzeptuell ist zwar keine Untersuchungsebene einer anderen „epiphänomenal“ untergeordnet, eine Aussage über die Validität biologischer Indikatoren im Sinne von Krankheitsdeterminanten oder -ursachen erlaubt dieser Ansatz aber zunächst nicht. Dem Vorwurf einer heuristischen „fishing-expedition“ (Palm 1990) entgeht dieser Ansatz allerdings nur durch Berücksichtigung „horizontaler“ Aspekte (Helmchen 1988), im Sinne einer prospektiv angelegten Verlaufsforschung im makro- und mikrozeitlichen Bereich.
Sie erst erlaubt Aussagen über pathogenetisch oder ätiologisch relevante Prozesse, die der Episodenmanifestation vorauslaufen, sie begleiten oder überdauern. Dies wiederum setzt präzise Episodenindikatoren voraus. Eine Differenzierung zwischen dispositions- und zustandsgebundenen Krankheitskorrelaten erfordert deren longitudinale Untersuchung in prä-, intra- und postmorbiden Krankheitsstadien unter adäquater Berücksichtigung der fluktuierenden Psychopathologie.
Vergleich neurobiologischer Parameter
Aberrationen neurobiologischer Parameter sind nur vergleichend zu identifizieren und zu interpretieren. Während intraindividuelle Vergleiche Aussagen zur State- bzw. Trait-Spezifität ermöglichen, erlauben erst interindividuelle Vergleiche Aussagen zur Krankheitsspezifität (krank vs. gesund), Syndromspezifität (z. B. Positiv- vs. Negativsymptomatik), Spektrumspezifität (z. B. Schizophrenie vs. schizotypische Persönlichkeit) oder Nosologiespezifität (z. B. Schizophrenie vs. Affektpsychose) eines Befundes. In Umkehrung dieses Ansatzes kann auch eine nosologieübergreifende „Select-by-marker-Strategie“ (Buchsbaum et al. 1976) angewandt werden, bei der homogene Gruppen anhand der Ausprägung neurobiologischer Merkmale gebildet und psychopathologische oder diagnostische Charakteristika als abhängige Variablen betrachtet werden. Dieses Vorgehen empfiehlt sich insbesondere in Zusammenhang mit dem unten diskutierten funktionalen Ansatz.
Unterscheidung primärer vs. sekundärer Störungen
Schwierig bis unmöglich ist derzeit die Unterscheidung primärer (krankheitsprozessabhängiger) Störungen von sekundären (reaktiven, kompensatorischen, reparativen etc.) Veränderungen auf den jeweiligen Untersuchungsebenen. Dies gilt auch für die Unterscheidung von umittelbar mit den Krankheitsursachen assoziierten Biomarkern (im engeren Sinne als Endophänotypen erscheinend) sowie von (nur indirekt mit den krankheitsverursachenden Faktoren assoziierten) Epiphänomenen (Walters und Owen 2007).
Rückschlüsse auf eine quantitativ und/oder qualitativ gestörte Funktionscharakteristik psychobiologischer Systeme (Hypo-, Hyper-, Dysfunktion) aufgrund singulärer und einmalig erhobener Funktionsparameter scheinen ohne Kenntnis von deren normaler Regulationsdynamik verfrüht. Nur die vergleichende experimentelle Untersuchung einer mutmaßlich gestörten Funktion im Tiermodell, an gesunden Kontrollen sowie an Patienten mit anderen psychiatrischen Krankheitsbildern kann hier künftig zum Ziel führen.
Tiermodelle
Die Krankheitsmodellierung am Tier stellt eine Basismethode dar, mit deren Hilfe die Kausalität einzelner Faktoren hinsichtlich ätiopathogenetischer Fragestellungen empirisch evaluiert werden kann. Nur das Tiermodell erlaubt die experimentelle Variation von Faktoren, deren Untersuchung am Menschen lediglich in prospektiven Studien oder retrospektiven Analysen in konfundierter Form mit nur vergleichsweise schlecht zu kontrollierenden anderen Faktoren möglich ist.
Trotz der eingeschränkten Übertragbarkeit von tierexperimentellen Befunden auf den Menschen sind auf der Ebene der Neurowissenschaften wesentliche Ergebnisse erzielt worden. Gleichwohl wird selbst nach Aufklärung der innerorganismischen Prozesse und Mechanismen die Frage nach der Beziehung derselben zur Phänomenologie der Symptomatik sowohl auf der subjektiven Ebene des Erlebens als auch auf der Ebene des Verhaltens offenbleiben.
Statistisches Modell der Korrelation
Bei der Wahl des Auswertungsverfahrens ist zu berücksichtigen, dass das statistische Modell der Korrelation, d. h. einer linearen Beziehung zwischen Merkmalsausprägungen auf 2 oder mehr Untersuchungsebenen, dem Sachverhalt durchaus nicht angemessen sein muss, da Prozesse auf verschiedenen Ebenen jeweils eigenen, nicht linearen Gesetzmäßigkeiten folgen können (z. B. kurvilineare Arousal-Leistungs-Beziehung).
Darüber hinaus ist mit Schwellenphänomenen zu rechnen, d. h. Funktionsstörungen auf einer Ebene treten möglicherweise erst nach Überschreiten der homöostatischen Regelbreite aus der Latenz und manifestieren sich dann auch auf anderen Ebenen. Pathologische Befunde sind hier erst unter nicht mehr kompensierbaren Belastungsbedingungen zu erwarten.

Funktionaler Ansatz

Zielsetzung der oben geforderten Denosologisierung und funktionalen Orientierung der Diagnostik ist die Entwicklung der klinischen Psychopathologie zu einer pathopsychophysiologischen Funktionsdiagnostik. Ähnlich dem bisherigen Vorgehen in der Medizin muss der pathophysiologisch unspezifische Allgemeinbefund durch normierte Funktionsindikatoren ergänzt bzw. ersetzt werden, die über den Funktionszustand einzelner Organsysteme im zeitlichen Verlauf Auskunft geben.
Wenn die Funktion zerebraler (Sub-)Systeme (neuronale Module, Transmittersysteme etc.) in der Gewährleistung bestimmter psychischer (Anpassungs-)Leistungen besteht, sind vorläufig, d. h. bis zur Entwicklung direkter neurobiologischer Indikatoren, Verhaltensindikatoren in standardisierten Untersuchungssituationen als Funktionsindikatoren heranzuziehen.
Psychopathologische Syndrome/Symptome sind dementsprechend auf deviante verhaltenskorrelierte psychische Grundfunktionen zurückzuführen, deren Normabweichung insofern „unspezifisch“ ist, als sie jenseits nosologischer Konzepte bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen vorkommen kann, bei denen die entsprechenden Grundfunktionen involviert sind. Als forschungsstrategische Konsequenz ergibt sich, neurobiologische Analysen des Krankheitsgeschehens im Kontext übergreifender psychobiologischer Funktionsmodelle anzusiedeln, die sowohl für krankhaftes wie gesundes Verhalten Gültigkeit haben.
Homöostasemodell
Beispielsweise geht das Homöostasemodell (von Bertalanffy 1974) davon aus, dass psychobiologische Funktionen innerhalb deren adaptiver Regelbreite der Anpassungsleistung des Organismus dienen. Informationsverarbeitung, Kommunikation, Problemlösung, Trieb- und Affektkontrolle etc. wären demnach funktionale Teilaspekte einer situativ differenzierten individuellen Anpassungsleistung („Lebenstest“), deren Qualität unter gesunden wie krankhaften Bedingungen aus verschiedensten konzeptuellen und methodischen Perspektiven untersuchbar ist.
In der klinischen Routinediagnostik werden derartige Aspekte aus anamnestischen Angaben erschlossen (z. B. „Knick in der Lebenslinie“), bei der Leistungsbewertung müssen die individuelle psychobiologische Entwicklungsphase und soziokulturelle Einbettung ebenso wie bestimmte Moderatorvariablen (z. B. Geschlecht) als pathoplastische Faktoren berücksichtigt werden. Grundsätzlich gilt allerdings, dass teleologische Gesichtspunkte bei der Analyse gesunden und kranken Verhaltens („Fehlanpassung“) die eingehende (induktive) empirische Analyse von Teilfunktionen nicht ersetzen können (Hartmann 1959). Dementsprechend ist der Einsatz umschriebener funktionsdynamischer Forschungsmodelle erforderlich, die unter definierten Stimulusbedingungen die Integrität/Störung von psychischen Elementarfunktionen (z. B. Informationsverarbeitung) und deren neurobiologischer Korrelate mittels funktionsadäquater Indikatoren untersuchen. Zunehmend werden z. B. hirnregional differenzierende neuropsychologische „Belastungstests“ unter simultaner Hirnfunktionsmessung (z. B. rCBF) eingesetzt (Berman 1987), die am ehesten eine wechselseitige Validierung gestörter psychischer und neuronaler Funktionen ermöglichen. Experimentelle Forschungsansätze mit pharmakologischen Belastungsprozeduren (z. B. „Apomorphin-Challenge“, Testdosismodell) können ebenfalls Auskunft über die Ansprechbarkeit definierter psychobiologischer Systeme im Sinne einer Funktionsdiagnostik geben. Hier werden künftig auch genetische Untersuchungen zur Stratifizierung von Probandenkollektiven eingesetzt werden, Beispiele aus der experimentellen Psychopathologie hierzu gibt es bereits (Caspi und Moffitt 2006). Ganz neue Aspekte ergeben sich auch durch den Einsatz der funktionellen Kernspintomografie. So konnte beispielsweise bei Phobien und Zwangserkrankungen gezeigt werden, dass medikamentöse und psychotherapeutische Ansätze in ähnlicher Weise auf dieselben Hirnareale einwirken. Dies kann nun nicht nur der Objektivierung einer therapeutischen Wirksamkeit dienen, sondern eröffnet gerade für die Psychotherapieforschung ganz neue Möglichkeiten der Validierung von Behandlungskonzepten und der Psychopathologieforschung neue Wege der Überprüfung von neurobiologischen Effekten bestimmter Belastungsprozeduren. Hierdurch werden Psychopathologie und Psychotherapie einer Funktionsdiagnostik zugänglich, die über die klinische Phänomenologie hinausweist. Der enorme Zuwachs an Befunden in diesem Forschungsbereich zeigt jedoch auch, dass eine übergreifende Konzeptbildung erforderlich ist, um die Fülle und Komplexität der Befunde in ein kohärentes Krankheitsmodell zu übersetzen, das dann wiederum Ausgangspunkt neuer diagnostischer oder therapeutischer Vorgehensweisen sein kann. Noch sind die „bunten Bilder“ der funktionellen kraniellen Bildgebung daher Forschungsobjekte und nicht Gegenstand alltäglicher klinischer Entscheidungsprozesse (Mayberg 2014).
Dabei ergeben sich jedoch auch neue ethische Fragestellungen. So wird gegenwärtig diskutiert und untersucht, inwiefern aus der Aktivitätsmessung bestimmter Gehirnareale Rückschlüsse auf unbewusste oder nicht der Umwelt mitgeteilte Denkinhalte möglich sind (Übersicht bei Haynes und Rees 2006). Während dies zukünftig faszinierende neue Einblicke in bisher der objektiven Untersuchung unzugängliche mentale Prozesse erlauben dürfte (und zumindest für visuelle Informationen auch bereits möglich ist), sind die möglichen ethischen Implikationen noch nicht abzusehen. Für die psychiatrische Nosologie stellt sich die Frage, ob damit ein erster Schritt in die Richtung getan ist, die rein subjektive psychopathologische Phänomenologie durch eine objektive „Gehirnmessung“ (man könnte auch sagen „Gedankenlesen“) zumindest teilweise zu ersetzen. Die hier angesprochenen Untersuchungsmöglichkeiten gehen dabei wesentlich über die reine Darstellung von aktivierten Hirnarealen beispielsweise bei akustischen Halluzinationen hinaus, da erstmals Rückschlüsse auf Denkinhalte der betroffenen Person möglich sind. Ein anderes neues Forschungsgebiet ist die Frühdiagnostik sowie die Früherkennung latenter Hochrisikostadien mittels objektiver Verfahren wie beispielsweise der kraniellen Bildgebung – mit derzeit noch unklaren therapeutischen Konsequenzen, aber der Gefahr einer Stigmatisierung (noch nicht) Betroffener (Seidman und Nordentoft 2015).

Research Domain Criteria Initiative (RDoC)

Ein integrativer Ansatz wird insbesondere im Rahmen der US-amerikanischen „Research Domain Criteria“ Forschungsinitiative der National Institutes of Mental Health (NIMH) umgesetzt (Cuthbert 2014). Grundlage ist eine im Jahre 2008 formulierte strategische Zielsetzung des NIMH, dass für Forschungszwecke eine neue Art der Klassifikation psychischer Störungen auf der Basis von beobachtbarem Verhalten und neurobiologischer Verfahren zu entwickeln sei. RDoC ist eine programmatische Initiative und finanziert die entsprechenden Forschungsprojekte – mit dem Ziel, künftige Klassifikationssysteme darauf aufzubauen. Fundamentale, auf Gehirnfunktionskreisen („circuits“) basierende Verhaltensdimensionen sollen dabei die Grundlage bilden und störungsübergreifend zur Anwendung kommen. Ein Teil des Projektes beschäftigt sich mit dem Nachweis, dass bestimmte Dimensionen valide und nützlich für klinische Entscheidungen sind, ein anderer Teil mit dem Ziel der Etablierung von Erfahrungswerten zur Implementierung solcher neuen Erkenntnisse für die Klassifikation psychischer Störungen unter Einbezug genetischer und neurowissenschaftlicher Befunde. Erste Erfahrungen mit der Anwendung des „RDoC“-Ansatzes zeigen allerdings, dass selbst für grundlegende psychopathologische Phänomene, wie akustische Halluzinationen, die zugrundeliegenden pathophysiologischen Faktoren auf struktureller und funktioneller Betrachtungsebene einen hohen Grad an Komplexität und Messaufwand aufweisen (Ford et al. 2014), sodass die praktische Anwendung dieses Ansatzes eher fraglich erscheint.

Praktische Implikationen psychiatrischer Konzeptbildungen

Die hier beschriebenen psychiatrischen Konzeptbildungen finden ihren praktischen Niederschlag nicht nur in der Entwicklung neuer Klassifikationssysteme oder in der Richtungsweisung für Forschungsarbeiten, sondern sie spielen auch eine Rolle im klinischen Alltag des Psychiaters. Dabei sind sie nicht nur „implizit“ quasi „im Hintergrund“ vorhanden, sondern beeinflussen die Einstellungen gegenüber psychisch Kranken, gegenüber der Auswahl von Therapiealternativen und gegenüber Patientenrechten (Colombo et al. 2003). Eine empirische Untersuchung mittels Fallvignetten zeigte, dass der eigentlich nicht mehr zeitgemäße „Leib-Seele-Dualismus“ auch bei Psychiatern und Psychologen immer noch nicht überwunden ist (Miresco und Kirmayer 2006). Diese dualistische Grundhaltung hat dann auch praktische Konsequenzen für die Identität der Psychiatrie als klinisches und forschendes Fachgebiet der Medizin, insbesondere in der Abgrenzung, aber auch bei den Überschneidungen mit den Neurowissenschaften und der Neurologie (van Oudenhove und Cuypers 2010). Des Weiteren zeigen Untersuchungen, dass auch in der Allgemeinbevölkerung komplexe Zusammenhänge zwischen den angenommenen Ursachen psychischer Störungen und der Stigmatisierung Betroffener bestehen (Übersicht bei Kvaale et al. 2013). Aus der psychiatrischen Konzeptbildung ergeben sich daher eine ganze Reihe unmittelbarer praktischer Implikationen, nicht nur für Diagnostik, Klassifikation und Therapie der psychischen Störungen, sondern auch für die öffentliche Wahrnehmung. Es ergeben sich aber auch Verbindungen zu einer „Philosophie der Psychiatrie“, bei der die Konzeptbildung psychischer Störungen eine zentrale Rolle spielt (Kendler 2005).

Ausblick

Die vorstehend ausgeführten Überlegungen zur Ätiopathogenese psychischer Störungen bilden einen konzeptuellen Rahmen, der durch empirische Untersuchungen weiter ausgefüllt werden muss. Die skizzierten Störungsdimensionen und ihre Indikatoren sowie die verfügbaren forschungsstrategischen wie untersuchungsmethodischen Möglichkeiten verweisen auf ein bisher nur unvollständig und kaum systematisch genutztes Forschungsinventar, durch dessen Einsatz die Aufklärung der ätiopathogenetischen Grundlagen psychischer Störungen voranzutreiben wäre.
Störungsübergreifende heuristische Rahmenkonzepte müssen also in empirisch überprüfbare Teilhypothesen übersetzt und auf ihre störungsspezifische Gültigkeit geprüft werden, gerade in Anbetracht der immer klarer werdenden Komplexität der Ätiopathogenese psychischer Störungen. Die Komplexität psychischer Störungen erfordert interdisziplinäres Denken und Handeln. Die damit verbundene Notwendigkeit der wissenschaftlichen Forschungskooperation und -koordination rückt die Psychiatrie wieder näher an die Medizin, wobei insbesondere die Neurologie im Sinne einer gemeinsamen „klinischen Neurowissenschaft“ das Partnerfach ist (Reynolds et al. 2009). Die Erforschung der Pathophysiologie psychischer Störungen klärt zunehmend die Rolle gestörter Gehirnfunktionen und komplexer genetischer Zusammenhänge auf und weist dabei über die Konzeption der psychischen Störung als Störung des Neurotransmitterstoffwechsels oder als Ausdruck eines psychologischen Konfliktes weit hinaus (Insel 2009). Ob damit jedoch das „Jahrzehnt der psychiatrischen Störungen“ anbricht, werden die nächsten Jahre zeigen (Anonymous 2010). Die grundlegenden Fragen, die schon im Jahre 2000 vorlagen (Hyman 2000), werden zwar zunehmend beantwortet – endgültige Erkenntnisse, die die Konzepte psychischer Störungen grundlegend verändern, haben sich aber noch nicht ergeben. Auch gibt es durchaus kritische Stimmen aus der Psychiatrie, die eine Reduktion des Faches auf seine neurowissenschaftlichen Grundlagen befürchten (Übersicht bei Akil und Etkin 2014). Sicher greift ein monistischer Ansatz der „Psychiatrie als klinische Neurowissenschaft“ zu kurz, jedoch ist es andererseits auch unverzichtbar, neue Wege der neurowissenschaftlichen Wissensvermittlung für Medizinstudierende und angehende Psychiater zu entwickeln, um das Konzept der neurowissenschaftlichen Faktoren in der Verursachung psychischer Störungen trotz der zu Tage tretenden Komplexität der Zusammenhänge nicht aus den Augen zu verlieren (Ross et al. 2015).
Im Zentrum klinisch-psychiatrischer Tätigkeit steht die Begegnung mit dem Kranken; sie bildet nicht nur Grundlage und Ausgangspunkt wissenschaftlichen Fragens, ihr gelten auch die Antworten.
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