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Enzyklopädie der Schlafmedizin
Info
Publiziert am: 08.03.2022

Stimulanzien

Verfasst von: Peter Young und Geert Mayer
Die Zulassung von Stimulanzien beschränkt sich in Deutschland auf die Behandlung der Narkolepsie. Zugelassen für die Therapie der Tagesschläfrigkeit sind Modafinil und unretardiertes Methylphenidat. Für die Therapie der Kataplexie und der Tagesschläfrigkeit ist Pitolisant zugelassen. Natriumoxybat ist als Antikataplektium zugelassen, hat aber auch einen positiven Effekt auf die Reduktion der Tagesschläfrigkeit und kann deswegen auch unter diesem therapeutischen Aspekt in der Therapie der Narkolepsie angewendet werden. Da für andere Stimulanzien keine Zulassung mit der Indikation Narkolepsie besteht, muss deren Anwendung streng geprüft und begründet werden. Nicht zugelassene Medikamente können off-label verordnet werden. Die Behandlung mit Stimulanzien sollte durch schlafmedizinisch erfahrene Behandler erfolgen oder begleitet werden.

Synonyme

Wachmachende Substanzen; „Wachmacher“

Definition

Stimulanzien werden in der Schlafmedizin zur symptomatischen Behandlung der „Tagesschläfrigkeit“ eingesetzt. Eine weitere Indikation außerhalb der Schlafmedizin besteht in der Behandlung der „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“ (ADHS). Die Anwendung zur Behandlung von verbleibender Tagesschläfrigkeit bei Obstruktiver Schlafapnoe (siehe „Obstruktive Schlafapnoe“) oder bei der Schichtarbeit stellt keine zugelassenen Indikationen dar. Einige Stimulanzien sind noch als Appetitzügler zugelassen, ihre Indikation ist aber in Anbetracht der kardiovaskulären Risiken als sehr kritisch zu bewerten.

Grundlagen

Die Stimulanzien werden eingeteilt in:
  • Direkte Sympathomimetika
  • Indirekte Sympathomimetika
  • Andere Medikamente zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit
Tab. 1 gibt eine Übersicht zu gebräuchlichen Stimulanzien.
Tab. 1
Übersicht zu gebräuchlichen Stimulanzien in den Spalten Generikum, Handelsname, perorale Tagesdosis und Indikation. Die Stimulanzien sind gegliedert in die Gruppen der direkten und indirekten Sympathomimetika sowie der anderen zentralnervös stimulierenden Substanzen
Generikum
Handelsname
Dosis/Tag p.o.
Indikation
Direkte Sympathomimetika
Ephedrin
 
≤150 mg
D-Norpseudoephedrin-HCl
Antiadipositum X-112 S Drgs.
Mirapront N Kapseln
Bis 45 mg
Appetitzügler
Phenylpropanolamin-HCl
Recatol mono Retardkapseln
Boxogetten S-vencipon
50 mg
Appetitzügler
Amfepramon-HCl
Regenon Retardkapseln
Tenuate Retard
60 mg
Appetitzügler
Mefenorex-HCl
Rondimen Dragees
80 mg
Appetitzügler
Indirekte Sympathomimetika
Pemolin
Tradon
≤150 mg#
Fenetyllin∗
Captagon
100 mg
 
Methylphenidat∗
Ritalin
≤60 mg#
Mazindol∗
Teronac
2–6 mg#
Amphetamin∗
Benzedrin
≤60 mg#
Andere zentralnervös stimulierende Substanzen
Coffeinum N 0,2
Percoffedrinol Halloo-Wach N
≤200 mg
Modafinil
Vigil
≤400 mg#
Exzessive Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie mit und ohne Kataplexie
Selegelin
Movergan, Cognex, oL
≤40 mg#
Tranylcypromin
Jatrosom N
10–40 mg
Pitolisant
Wakix
4,5–36 mg
Narkolepsie
Gammahydroxybuttersäure, Natriumoxybat∗
Somsanit
3–9 g
Xyrem
3,5–9 g
Narkolepsie mit Kataplexie
p.o., per os; –, keine schlafmedizinische Indikation
∗Betäubungsmittelpflichtig
#Dosierungsangaben gemäß der Empfehlung der American Sleep Disorders Association (Practice parameters for the treatment of narcolepsy: An update for 2000. Sleep 2001)

Direkte Sympathomimetika

Ephedrin ist ein potentes Stimulans, das aber gegenüber den Amphetaminen eine geringere Wirksamkeit aufweist. Eine Zulassung für den Einsatz in der Therapie von Schlafstörungen gemäß „ICSD-3“ gibt es nicht. Nach oraler Gabe hält sein Effekt über mehrere Stunden an, die Halbwertszeit beträgt 3–6 Stunden. Die Dosierung erfolgt in bis zu zweimaliger Gabe zwischen je 25–75 mg. Es wird unverändert ausgeschieden. Ephedrin ist nicht betäubungsmittelpflichtig. Offene oder systematische randomisierte Doppelblindstudien existieren nicht.

Indirekte Sympathomimetika

Amphetamine sind Psychostimulanzien, die sich von Beta-Phenylethylamin ableiten. Sie verursachen eine zentrale Stimulation, setzen Hunger- und Durstgefühl herab, verbessern Konzentrations- und Lernkapazität, hemmen Schläfrigkeit und üben einen peripheren sympathomimetischen Effekt auf das kardiovaskuläre und auf das Energiesystem aus. Der Haupteffekt der Amphetamine besteht in der Freisetzung von Dopamin und in geringerem Ausmaß von Norepinephrin und von Serotonin (siehe „Tryptophan und Serotonin“). In höheren Dosierungen führt es zu Entleerung und Hemmung von monoaminergen Speichern. Das D-Isomer des Amphetamins ist ein spezifischer Speicher für die dopaminerge Übertragung und ein effektiveres Stimulans. Metamphetamin ist lipophiler als Amphetamin und hat deshalb mehr zentrale und weniger periphere Wirkungen als D-Amphetamin. Alle Amphetamine werden zu mehr als 90 % resorbiert, passieren die Blut-Hirn-Schranke und erreichen ihre maximale Plasmakonzentration nach 1–4 Stunden. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt zwischen 10–30 Stunden.
Die Hauptnebenwirkungen sind Übererregbarkeit, Hyperaktivität, Stimmungsänderungen, Kopfschmerzen, Palpitationen, Schwitzen, Tremor, Anorexie und Insomnie, Körperkerntemperaturerhöhung und Erhöhung von Blutdruck, Herzfrequenz, Gefäßwiderstand und Energiemetabolismus. Dosierungen von >60–100 mg täglich verursachen toxische Effekte mit „schnellem Denken“, „Schwierigkeiten, Gedankenausbrüche zu kontrollieren“ und „Ausbrüche verbaler Aggressivität“. Psychotische Reaktionen können auftreten. Wegen teratogener Effekte bei Tieren sind Amphetamine bei Schwangeren kontraindiziert.
Methylphenidat verursacht wie die Amphetamine eine Dopaminfreisetzung, hat aber keine wesentliche Auswirkung auf die Monoaminspeicherung. Der klinische Effekt ist den Amphetaminen ähnlich. Es hat eine kurze Halbwertszeit von 2–7 Stunden, die Tagesdosis kann deshalb zwei- bis dreimal eingenommen werden. Die retardierten Präparate Concerta und Ritalin SR („slow release“) sind ausschließlich für die Behandlung der „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“ (ADHS) zugelassen. Durch eine veränderte Pharmakokinetik von Concerta (osmotisch kontrollierte Freisetzung) wird die Plasmahöchstkonzentration nach ca. 6–8 Stunden erreicht, sodass die Wirkdauer ca. 12 Stunden beträgt. Möglicherweise werden durch die kontrollierte Freisetzung weniger Nebenwirkungen erzielt und Toleranzentwicklung verringert. Zum Gebrauch von unretardiertem Methylphenidat bei Narkolepsie liegen Berichte zu Studien der Evidenzklasse II vor, die eine signifikante Verbesserung der Tagesschläfrigkeit, gemessen im Multiplen Wachbleibetest (Maintenance of Wakefulness Test, MWT), zeigen. Die Nebenwirkungen sind dieselben wie bei den Amphetaminen. Appetitminderung und Blutdruckerhöhungen scheinen jedoch geringer als unter D-Amphetamin.
Pemolin ist nur zur Behandlung der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung zugelassen. Es ist ein Oxazolidinderivat mit einer langen Halbwertszeit von 12 Stunden und sollte daher nur einmal täglich eingenommen werden. Es ist ein mildes Stimulans, blockiert selektiv die Dopaminaufnahme und stimuliert nur schwach dessen Freisetzung.
Mazindol ist ein Imidazolidinderivat mit ähnlicher Wirkung wie die Amphetamine. Es hat schwache dopaminfreisetzende Eigenschaften, aber es hemmt mit hoher Affinität die Dopamin- und Norepinephrinwiederaufnahme.
Kontrollierte Studien liegen nicht vor. Es war bis 2003 ein in der Narkolepsiebehandlung häufig eingesetztes Präparat, für das breite klinische Erfahrung vorlag. Die Nebenwirkungen sind mit denen anderer Stimulanzien vergleichbar. Die Dosis beträgt bis zu zweimal 50 mg täglich.

Andere Medikamente

Koffein ist ein schwaches Stimulans. Einige „Wachmacher“ enthalten Koffein. Seine Wirkdauer ist sehr kurz.
Gammahydroxybuttersäure (GHB) ist ein Neurotransmitter/Neuromodulator, der durch seine spezifischen Rezeptoren und durch Stimulation von GABA-B-Rezeptoren wirkt. Gammahydroxybuttersäure dämpft im Wesentlichen dopaminerge Neurone.
Natriumoxybat, das Natriumsalz der Gammahydroxybuttersäure, ist in Deutschland ausschließlich zur Behandlung der Kataplexie bei Narkolepsie zugelassen. Es unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz und muss entsprechend rezeptiert werden. Es konnte gezeigt werden, dass das Präparat in der Behandlung der Tagesschläfrigkeit vergleichbar wirksam ist wie Modafinil und eine Zunahme von Tiefschlaf in der Nacht verursacht, sodass es in den USA bereits für die Indikationen Tagesschläfrigkeit und gestörter Nachtschlaf bei Narkolepsie zugelassen wurde.
Das Präparat wird initial mit 3–4,5 g/Nacht eindosiert. Die volle Wirkung entfaltet sich meist unter einer Dosis von 6–9 g/Nacht. Es ist nur in flüssiger Form erhältlich und muss zweimal pro Nacht eingenommen werden. Die Anwendung sollte durch erfahrenen Behandler erfolgen.
Modafinil ist chemisch nicht mit den Amphetaminen verwandt ist. Es ist ein postsynaptischer α1-Rezeptoragonist. Tierexperimentell hat es eine niedrige Affinität zu Dopaminrezeptoren, keine Affinität zu α- und β-adrenergen, 5-HT- und dopaminergen Rezeptorsubtypen. Seine Wirkung wird über direkte und indirekte Interaktionen mit dopaminergen, serotonergen und GABAergen Mechanismen vermutet (siehe auch „Neurotransmitter“). Gegenüber Metamphetamin zeigt es beim Absetzen keine Rebound-Hypersomnie, hat tierexperimentell eine geringere Zunahme der lokomotorischen Aktivität und unterdrückt REM-Schlaf länger. Bei oraler Applikation wird es langsam absorbiert, zeigt 2–4 Stunden nach Einnahme Spitzenplasmawerte mit geringer inter- und intraindividueller Variabilität. Ein Steady State wird nach 8 Tagen erreicht. Der Anstieg der Plasmakonzentration ist dosisabhängig linear. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 10–13 Stunden.
Tagesschläfrigkeit und Lebensqualität von Narkolepsiepatienten verbessern sich dosisabhängig. In bisherigen Untersuchungen fanden sich keinerlei Zeichen eines „amphetaminartigen“ Entzugs, einer Toleranzentwicklung oder eines Abhängigkeitspotenzials. Bis zu 40 % aller Narkolepsiepatienten respondieren nicht auf Modafinil. Berichte über Toleranzentwicklungen liegen vor. Möglicherweise kommt es über einen COMT-Polymorphismus zu geschlechtsspezifisch unterschiedlichem oder fehlendem Ansprechen auf das Präparat. Modafinil kann Cytochrom-P-450-Induktion verursachen. Wegen der Interaktion mit oralen Kontrazeptiva sollten Präparate mit mehr als 50 μg Ethinylöstradiol verordnet werden.
MAO-Hemmer mit stimulierender Wirkung
Tranylcypromin und Phenelzin sind nichtselektive MAO-Hemmer. Bei gleichzeitiger Aufnahme von Tyramin oder dopaminhaltigen Nahrungsmitteln oder sympathomimetischen Medikamenten können hypertensive Krisen ausgelöst werden. Aufgrund der Nebenwirkungen sind diese MAO-Hemmer nur in Ausnahmen zu verabreichen. Sie sind nicht für die Behandlung von Schlafstörungen im Sinne der ICSD-3 zugelassen.
Selegelin ist ein Metamphetaminderivat und ein potenter, irreversibler, selektiver MAO-B-Hemmer. Trotz der Evidenzklasse I in 2 Studien in Dosierungen von 10–40 mg zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie besteht keine Zulassung für das Präparat in der Indikation Narkolepsie.
Pitolisant ist ein inverser Histamin-H3-Autorezeptoragonist. Das histaminerge System hat einen wichtigen Einfluss auf Wachheit. Pitolisant ist für die Behandlung der Narkolepsie (Tagesschläfrigkeit und Kataplexien) als Orphan-Drug zugelassen. Häufige Nebenwirkungen sind Insomnie, Kopfschmerz, Hitzewellen, Beinschmerzen, Tremor und Halluzinationen. In welchem Ausmaß sich Pitolisant und Modafinil bezüglich der Hauptwirkung und der unerwünschten Wirkungen vergleichen lassen, ist nicht abschließend untersucht. Die Dosierung wird mit 9–36 mg pro Tag angegeben. Die Eindosierung muss einschleichend erfolgen (Wochenweise von 9 mg/Tag bis maximal 36 mg/Tag).

Zusammenfassung

Die Zulassung von Stimulanzien beschränkt sich in Deutschland auf die Behandlung der „Narkolepsie“. Zugelassen für die Therapie der Tagesschläfrigkeit sind Modafinil und unretardiertes Methylphenidat. Für die Therapie der Kataplexie und der Tagesschläfrigkeit ist Pitolisant zugelassen. Natriumoxybat ist als Antikataplektium zugelassen, hat aber auch einen positiven Effekt auf die Reduktion der Tagesschläfrigkeit und kann deswegen auch unter diesem therapeutischen Aspekt in der Therapie der Narkolepsie angewendet werden. Da für andere Stimulanzien keine Zulassung mit der Indikation Narkolepsie besteht, muss deren Anwendung streng geprüft und begründet werden.
Nicht zugelassene Medikamente können off-label verordnet werden. Damit die Medikamente verordnet werden dürfen, sind laut Bundessozialgerichtsentscheidung vom 19. März 2002 folgende Bedingungen zu erfüllen:
  • schwerwiegende, das heißt lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung;
  • keine andere Therapie verfügbar;
  • aufgrund der Datenlage bestehende begründete Aussicht, mit dem betreffenden Präparat einen Behandlungserfolg, sei es kurativ oder palliativ, zu erzielen.
Die Behandlung mit Stimulanzien sollte durch schlafmedizinisch erfahrene Behandler erfolgen oder begleitet werden.
Literatur
Barateau L, Lopez R, Dauvilliers Y (2016) Treatment options for narcolepsy. CNS Drugs 30:369–379CrossRef
Dauvilliers Y, Bassetti C, Lammers GJ et al (2013) Pitolisant versus placebo or modafinil in patients with narcolepsy: a double-blind, randomised trial. Lancet Neurol 12:1068–1075CrossRef
Mayer G (2000) Narkolepsie. Blackwell Verlag, Berlin
Mayer G (2004) Auswirkungen der neuen Arzneimittelbestimmungen auf die medikamentöse Therapie der Narkolepsie. DMW 21:1198–2000CrossRef