Kommentar
Die HD16-Studie [
1] ist eine Folgestudie, welche die optimale therapeutische Strategie im frühen günstigen Stadium des Hodgkin-Lymphoms (ohne Risikofaktoren) weiter untersuchte. Die unmittelbaren Vorgängerstudien waren die HD4- [
2], die HD7-[
3] und die HD10-Studie [
4]. Der gemeinsame Trend dieser Studien war die Deeskalation sowohl der Radiotherapie als auch der Systemtherapie mit dem Ziel, das Risiko für therapiebedingte Toxizitäten sowie von metachronen Sekundärtumoren zu reduzieren, ohne dabei die onkologischen Ergebnisse zu beeinträchtigen.
Die HD4-Studie [
2] zeigte, dass eine Dosisreduktion der Extended-field-Radiotherapie (EF-RT) von 40 auf 30 Gy (30 Gy EF-RT + 10 Gy IF-RT) hinsichtlich des 7‑Jahres-OS (91 % vs. 96 %,
p = 0,16) und 7‑Jahres-RFS (78 % vs. 83 %,
p = 0,093) nicht unterlegen war. Allerdings traten Rezidive außerhalb der Bestrahlungsvolumina häufiger als innerhalb der Bestrahlungsvolumina auf. Eine Verringerung der Rezidive wurde durch den Einsatz der CMT [
5] erreicht, und so war in der HD7-Studie [
3] die CMT (2 × ABVD + 30 Gy EF-RT + 10 Gy IF-RT) der alleinigen Strahlentherapie (30 Gy EF-RT + 10 Gy IF-RT) überlegen. Das „freedom from treatment failure“ (FFTF) nach 7 Jahren verbesserte sich (88 % vs. 67 %,
p < 0,0001;
Rezidivraten: 3,2 % vs. 21,9 %) bei vergleichbarem 7‑Jahres-OS (94 % vs. 92 %,
p = 0,43). Im Hinblick auf die guten Langzeitüberlebensdaten müssen die Behandlungsergebnisse jedoch sorgfältig gegen die potenziellen Spättoxizitäten abgewogen werden [
3]. Die HD8-Studie [
6] und die H7F-Studie [
7] zeigten, dass die IF-RT einer EF-RT nicht unterlegen ist. Dies wurde in der HD10-Studie [
4] bestätigt. Die weniger intensiven Therapiearme (20 Gy IF-RT bzw. 2 × ABVD) waren den intensiveren Therapiearmen (30 Gy IF-RT bzw. 4 × ABVD) nach 8 Jahren (FFTF: 87,1 %, OS: 94,5 %, PFS: 87,6 %) nicht unterlegen und mit einer geringeren höhergradigen Toxizität (III°–IV°,
p < 0,001) assoziiert. Damit wurde der aktuelle Therapiestandard der CMT aus 2 Zyklen ABVD und konsolidierender 20 Gy IF-RT etabliert. Eine weitere Deeskalation der Systemtherapie schlug dann in der HD13-Studie [
8] jedoch fehl. Der Verzicht auf Bleomycin verminderte die Toxizität, ging aber mit einem schlechteren onkologischen Ergebnis einher, sodass das ABVD-Schema unverändert appliziert werden sollte.
Einen anderen Ansatz, die Rate an therapiebedingten Spättoxizitäten zu reduzieren, verfolgte der Verzicht auf die konsolidierende Radiotherapie. Eine PET/CT hat eine höhere Sensitivität für Resttumor im Vergleich zur Computertomographie (CT; [
9]) und kann das Stadium des Lymphoms verändern [
10], weshalb z. B. in der Deutschen S3-Leitlinie [
11] eine PET zum initialen Staging gefordert wird. Die Studie von Hutchings [
9] konnte prospektiv durch die PET nach abgeschlossener Systemtherapie prognostische Faktoren identifizieren. Ein PET-positiver Befund war mit einer schlechteren Prognose assoziiert [
12‐
14] Dies hatte jedoch keine therapeutischen Konsequenzen zur Folge. Die HD15- [
15] und HD18-Studien [
16] bei fortgeschrittenen Hodgkin-Erkrankungen zeigten jedoch, dass bei PET-negativen Patienten auf die Radiotherapie verzichtet werden kann. Es liegt daher nahe, ein PET-basiertes, risikostratifiziertes Vorgehen auch im frühen Stadium der Hodgkin-Erkrankung zu prüfen. Es wurden deshalb drei prospektive, randomisierte Studien mit der Fragestellung durchgeführt, ob im Falle einer metabolischen Komplettremission in der PET nach Systemtherapie auf die konsolidierende Radiotherapie verzichtet werden kann.
Die internationale HD16-Studie der GHSG [
1] verglich die CMT (2 × ABVD + 20 Gy IF-RT) mit einem PET-gestützten Vorgehen, bei dem im Falle einer Komplettremission nach 2 Zyklen ABVD auf die konsolidierende Radiotherapie verzichtet wurde, während PET-2-positive Patienten bestrahlt wurden. Der Verzicht auf die Radiotherapie führte bei PET-2-negativen Patienten (65,9 % aller PET-Patienten) zu einer signifikanten Verschlechterung des PFS nach 5 Jahren (93,4 % vs. 86,1 %,
p = 0,04). Ursache waren vermehrte Rezidive innerhalb der „hypothetischen Bestrahlungsfelder“ (2 % vs. 9 %,
p = 0,0003) bei den nichtbestrahlten Patienten. Außerhalb der Bestrahlungsfelder waren die Rezidive gleich verteilt (4 % vs. 5 %,
p = 0,55). Das 5‑Jahres-OS (98,1 % vs. 98,4 %,
p = 0,12) verschlechterte sich hingegen nicht. Die Toxizitätsrate unter der Radiotherapie war gering: Nur 2,9 % (19 von 659 Patienten) zeigten höhergradige akute Nebenwirkungen, wobei kein Grad 4 festgestellt wurde. Die Entwicklung von Sekundärtumoren war ebenfalls vergleichbar (
p = 0,54). Außerdem war ein PET-2-positiver Befund bei mit CMT behandelten Patienten mit einem erhöhten Risiko verbunden. Das 5‑Jahres-PFS (93,2 % vs. 88,4 %,
p = 0,047) war nämlich signifikant schlechter, das korrespondierende 5‑Jahres-OS (98,2 % vs. 97,9 %,
p = 0,55) hingegen vergleichbar.
Die britische multizentrische RAPID-Studie [
17] untersuchte ebenfalls die Nichtunterlegenheit der alleinigen Systemtherapie im Vergleich mit der CMT. Nach 3 Zyklen ABVD erhielten PET-positive (PET-3) Patienten einen weiteren Zyklus ABVD und 30 Gy IF-RT (4 × ABVD + IF-RT). PET-3-negative Patienten (74,6 % aller PET-Patienten) wurden randomisiert und erhielten entweder die konsolidierende Radiotherapie (3 × ABVD + IF-RT) oder keine weitere Behandlung (3 × ABVD ohne RT). Der Verzicht auf die Radiotherapie verschlechterte das 3‑Jahres-PFS (97,1 % vs. 90,8 %,
p = 0,02) der PET-3-negativen Patienten. Das 3‑Jahres-OS (97,1 % vs. 99,0 %,
p = 0,27) war nicht beeinträchtigt.
Die H10F-Studie der EORTC/LYSA/FIL [
18] verglich die Standard-CMT (3 × ABVD + IF-RT) mit einem PET-gestützten Vorgehen, bei dem PET-2-negative Patienten 2 weitere Zyklen ABVD (insg. 4 × ABVD ohne RT) erhielten, während bei PET-2-positiven Patienten die Therapie um 2 Zyklen BEACOPP eskaliert und bestrahlt wurde (2 × ABVD + 2 × BEACOPP esk. + IF-RT). Die IF-RT wurde im Standard-CMT-Arm unabhängig vom PET-Befund durchgeführt. Damit wurde mit dieser Studie zusätzlich die Frage untersucht, ob eine Eskalation bei PET-2-positiven Patienten vorteilhaft ist. Auch in dieser Studie verschlechterte der Verzicht auf die Radiotherapie bei PET-2-negativen Patienten (80,2 % aller Patienten) das 5‑Jahres-PFS (99 % vs. 87,1 %), während das OS (100 % vs. 99,6 %) vergleichbar blieb. Die Eskalation der Systemtherapie bei PET-2-positiven Patienten hingegen verbesserte das 5‑Jahres-PFS (90,6 % vs. 77,4 %).
Diese Studienergebnisse [
17,
18] wurden in der aktuellen deutschen S3-Leitlinie [
19] berücksichtigt. Die Ergebnisse der HD16-Studie [
1] lagen aber zum Zeitpunkt der Leitlinienerstellung noch nicht vor. So blieb die Frage, ob „bei Vorliegen eines negativen PET/CTs nach 2–3 Zyklen ABVD auf die konsolidierende Strahlentherapie verzichtet werden kann“ [
19], unbeantwortet. Vergleichbare Ergebnisse zeitigten Studien [
20,
21], die ein risikostratifiziertes Vorgehen im Falle einer CT-morphologischen Komplettremission nach Abschluss der Systemtherapie untersuchten. Der Verzicht auf eine Radiotherapie verschlechterte auch hier das PFS nach 3 Jahren ([
21]; 93 % vs. 85 %,
p = 0,0024) bzw. das 8‑Jahres-PFS ([
20]; 88 % vs. 76 %,
p = 0,01). Hier ist allerdings zu ergänzen, dass in beiden Studien auch Patienten mit fortgeschrittenen Tumorstadien eingeschlossen waren.
Dies führt zu der Frage, ob die Durchführung einer PET nach Abschluss der Systemtherapie überhaupt sinnvoll ist, weil die PET‑2 offenbar keine therapeutischen Konsequenzen hat. So wird auch in der aktuellen S3-Leitlinie „keine evidenzbasierte Empfehlung zur Anfertigung einer PET/CT nach Abschluss der Chemotherapie in den frühen Stadien ausgesprochen“ [
19]. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Beobachtung, dass in der H10F-Studie die Eskalation der Systemtherapie bei PET-2-positiven Patienten das PFS verbesserte. Entsprechend zeigte HD16 eine Verschlechterung des PFS für PET2-positive Patienten, sodass die Autoren den Einsatz der „Interim-PET“ empfehlen.
Fazit
Die HD16-Studie [
1] bestätigt letztlich die bisher publizierten Daten: Der Verzicht auf die Bestrahlung bei PET-2-negativen Patienten verschlechtert das PFS ohne Einfluss auf das OS.
Die akute Toxizität war in HD16 unter der Strahlentherapie gering, und die Inzidenz von Sekundärtumoren im Nachbeobachtungszeitraum nicht erhöht. So sollte also zusammenfassend bei Patienten mit frühen Stadien des Hodgkin-Lymphoms die Chemotherapie mit 2 Zyklen ABVD gefolgt von einer konsolidierenden Radiotherapie der Therapiestandard bleiben.
Dessen ungeachtet treten metachrone solide Sekundärtumoren eventuell noch 25 [
4,
22] bis 30 Jahre [
8,
22] nach der Primärtherapie auf. Das ist insbesondere für sehr junge Frauen von Bedeutung, weil diese dann ein höheres Risiko für die Entwicklung eines Brusttumors haben. Und wenn die Daten der HD16-Studie aktuell keine Unterschiede zwischen den Studienarmen in der Entwicklung von sekundären Tumoren zeigen, ist der Nachbeobachtungszeitraum insgesamt noch zu kurz, um dieses Problem abschließend bewerten zu können.
Eine vielversprechende Optimierung der Strahlentherapie besteht in der weiteren Verkleinerung der Zielvolumina unter Verwendung der Involved-site-RT oder der Involved-node-RT [
23,
24], weil hierdurch die potenzielle Rate an chronischen Toxizitäten und/oder Sekundärtumoren weiter gesenkt werden kann.
Bernd Frerker und Guido Hildebrandt, Rostock