Erschienen in:
01.08.2019 | Einführung zum Thema
Perioperative Myokardischämien – ein Missverhältnis zwischen Diagnosen und Therapiemöglichkeiten?
verfasst von:
Prof. Dr. med. Roland C. E. Francis, PD Dr. med. Sascha Tafelski, Prof. Dr. med. Martin Möckel
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 8/2019
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Auszug
Mit steigender Tendenz werden weltweit jährlich mehr als 200 Mio. operative Eingriffe durchgeführt – aufgrund des demografischen Wandels mit steigender Häufigkeit von Komorbiditäten und dadurch erhöhtem Risiko für perioperative Komplikationen. Dem steigenden Komplikationsrisiko wirken Fortschritte in der medizinischen Behandlung wie z. B. die präoperative Risikostratifizierung und risikoadaptierte Präkonditionierung, schonendere chirurgische Verfahren, individualisierte Anästhesieverfahren sowie eine qualitätsindikatorbasierte perioperative Intensivüberwachung und -therapie teilweise entgegen. Eine der am schwersten wiegenden Komplikationen im Rahmen von nichtherzchirurgischen Operationen ist das Auftreten einer akuten perioperativen myokardialen Ischämie – ein Problemfeld, welches seit seiner Erstbeschreibung im Rahmen einer Fallserie in den 1930er-Jahren [
1] seit nunmehr knapp 100 Jahren wissenschaftlich untersucht wird. Obwohl eine Myokardischämie damals oft nur im Rahmen von Obduktionen oder anhand eines Elektrokardiogramms diagnostiziert werden konnte, war es bereits in den Anfängen evident, dass 1.) eine perioperative Myokardischämie mit einer hohen Sterblichkeit einherging, 2.) die Ischämie nicht immer mit einer typischen Brustschmerzsymptomatik auffällig werden musste und 3.) als „typisch“ erachtete EKG-Veränderungen auch bei anderen Pathologien, wie z. B. einer Lungenarterienembolie, zu beobachten waren. Eine frühzeitige und korrekte Diagnosestellung konnte schwierig und herausfordernd sein. Seit den 1970er-Jahren und im Zuge verbesserter Methoden zur Quantifizierung der Kreatinkinase-MB, endgültig aber mit der Einführung der Messung des kardialen Troponins erlebt die Herzinfarktbiomarkerforschung einen regelrechten „Boom“ [
2]. Gleichzeitig ist die Myokardischämie nach anatomischen (partielle vs. komplette Gefäßokklusion), ätiologischen (okklusiv vs. nichtokklusiv), elektrokardiographischen (STEMI vs. NSTEMI), symptomatik- und biomarkerassoziierten Gesichtspunkten fortlaufend auf unterschiedliche und immer wieder neue Art und Weise definiert und kategorisiert worden. Die aktuelle „universelle Definition des akuten Myokardinfarkts“ [
3], die 5 ätiologische Typen und weitere Subtypen unterscheidet, deren gemeinsame Pathophysiologie in einer myokardialen Ischämie besteht, trägt dieser Entwicklung Rechnung. Allerdings ist mit neuen Begriffen wie MINOCA („myocardial infarction with nonobstructive coronary arteries“) [
3,
4] und MINS („myocardial injury after noncardiac surgery“, isolierter Troponinanstieg binnen 30 Tagen nach einem nichtherzchirurgischen Eingriff und Ausschluss einer nichtischämischen Ätiologie) [
5] eine Begriffsvielfalt entstanden, die in Bezug auf ihre klinische Bedeutung und prognostische wie therapeutische Relevanz Verwirrung stiften könnte. Insofern sind eine frühzeitige spezifische Diagnostik relevanter ischämischer Ereignisse und ihre korrekte Klassifizierung nicht zwingend einfacher geworden, insbesondere wenn bei Patienten postoperativ durch Beatmung oder kognitive Defizite eine differenzierte Erhebung von Symptomen schwierig oder unmöglich ist [
6]. Gleichzeitig gilt es, die mit diesen „neuen“ Entitäten assoziierte Sterblichkeit, die in diesem Rahmen mögliche und notwendige präoperative Risikostratifizierung und geeignete Präventions- und Behandlungsstrategien zu charakterisieren. …