Einleitung
In den letzten Jahren gewinnt die Untersuchung von
Interaktionsprozessen zwischen Therapeut und Patient im Hinblick auf die therapeutische Wirksamkeit und das Therapieergebnis zunehmend an Bedeutung (Zilcha-Mano
2018). Dass hinsichtlich Behandlungserfolg und Wirksamkeit verschiedene psychotherapeutische Schulen und Verfahren gleich effektiv sind, konnte in einigen Metaanalysen nachgewiesen werden (Leichsenring und Rabung
2011). Die Forschung beschäftigt sich nun mit der Frage, welche Art von Psychotherapie bzw. welche Art von Intervention bei welchem Patienten effektiv ist (Zilcha-Mano
2018). Essenzieller Bestandteil und Basis jeglicher therapeutischer Interventionen ist die therapeutische Beziehung (Zilcha-Mano
2018). Sie gilt inzwischen als einer der prominentesten Hauptwirkfaktoren in der Psychotherapie (Flückiger et al.
2018). Nach Bordin (
1979) setzt sich die therapeutische Beziehung aus gemeinsamen Zielen, Aufgaben und der tragfähigen (emotionalen) Bindung zwischen Patient und Therapeut zusammen.
Bereits von Freud (
1912) konzipiert und als wesentlicher Bestandteil in psychodynamischen Therapien benannt, ist das bestens bekannte Konzept der
Übertragung. Nach Freud (
1912) werden in der therapeutischen Beziehung frühere Beziehungsmuster reaktiviert und auf die Person des Analytikers übertragen. Eine modernere Konzeption wird von Benecke (
2017) vorgeschlagen. Er benennt allgemeine Bausteine klinischer Theorien, die sich v. a. mit
basalen Motivationssystemen beschäftigen. Benecke ordnet die Motivationssysteme in die therapeutische Beziehung ein. Dabei wird die Bedeutung von frühen Beziehungserfahrungen, die sich in Schemata niederschlagen, als sehr hoch eingeschätzt. Diese
Schemarepräsentanzen bestehen nach Benecke (
2017) aus Motiv, Selbstbild, Objektbild, erwarteten Interaktionen und Affekten.
Eine Theorie- und gleichzeitig Therapiemethode, die sich mit Interaktionsprozessen auf
Mikroebene beschäftigt und bei der sowohl die therapeutische Beziehung als auch diese Schemata bzw. deren Repräsentanzen zentrale Bedeutung einnehmen, stellt die Control Mastery Theory (CMT) und Therapie (Weiss
1993) dar. Sie erklärt, wie pathogene Beziehungsmuster in der Therapie inszeniert und bearbeitet werden. Es handelt sich um eine Theorie der
therapeutischen Interventionstechnik, die gute tiefenpsychologisch fundierte Kenntnisse und eine entsprechende Ausbildung voraussetzt.
Resümee
Die CMT ist eine tiefenpsychologisch fundierte Behandlungstechnik, die auf dem Konzept der Beziehungstests aufbaut. Der Therapeut fokussiert darauf, dem Patienten emotional korrigierende Beziehungserfahrungen zu vermitteln, verbal oder behavioral, damit dieser pathogene Überzeugungen überwinden und Symptome reduzieren kann. Die Theorie kann hilfreich sein, sich im therapeutischen Prozess zu orientieren, Verhaltensweisen des Patienten zu verstehen und hilfreich zu intervenieren. Insbesondere Rollenumkehrtests, die oft starke negative Gegenübertragungen beim Therapeuten hervorrufen, weil sie den Therapeuten in die Situation bringen, wie der Patient sie leidvoll erlebt hat, können durch das Testkonzept manchmal gut eingeordnet werden.
Um die Probehandlungen verstehen zu können, ist die detaillierte Kenntnis der Biografie erforderlich. Denn ähnliche Handlungen können bei Patienten, die unterschiedliche Lebenserfahrungen gemacht haben, ganz unterschiedliche Reaktionen des Therapeuten benötigen. Dies ist an dem einfachen Beispiel der Unpünktlichkeit zu verdeutlichen. Ein Patient, der in der Kindheit überstreng und rigide erzogen worden ist, kann unbewusst auf eine gewährende und nachsichtige Haltung des Therapeuten im Sinne der emotional korrigierenden Erfahrung hoffen, wenn er zu spät kommt. Ein anderer, der in der Kindheit zu wenig beachtet wurde, wird eher auf eine Grenzen setzende Intervention des Therapeuten hoffen. Beim ersten Patienten könnte dies die pathogene Überzeugung widerlegen, dass er sich übermäßig unterordnen muss, beim zweiten Patienten, dass seine Abwesenheit „egal“ ist, weil sich der Therapeut ohnehin nicht für ihn interessiert. An diesem Beispiel der differenzierten therapeutischen Reaktion auf gleiche Probehandlungen wird auch deutlich, dass die CMT manchmal schwer umsetzbar sein kann. Dies betrifft v. a. den stationären Kontext, in dem Stationsregeln zu vertreten sind und es schwer möglich ist, „mit zweierlei Maß“ zu messen.
Da die CMT eine Theorie der Behandlungstechnik ist, die auf allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie beruht, gibt es außer diesen praktischen Problemen des Settings aus theoretischer Perspektive keine Kontraindikationen und keine besonderen störungsspezifischen Überlegungen. Allerdings wurde dies bisher nicht empirisch untersucht. Es besteht hier weiterer Forschungsbedarf.
Ein besonderes Merkmal der Theorie ist es, dass sie einerseits genaue Vorstellungen über wirksames therapeutisches Handeln zur Verfügung stellt und dass sie andererseits einen breiten Spielraum für die Form und Art der Intervention lässt. Dies ermöglicht, Interventionen einerseits theoriekonform und andererseits in Übereinstimmung mit der eigenen theoretischen Orientierung und
Therapeutenpersönlichkeit zu realisieren. Dies ist kompatibel mit metatheoretischen Vorstellungen zur Psychotherapie, wonach die Interventionstechnik hauptsächlich insofern bedeutsam ist, als sie durch die Realisierung von generellen Wirkfaktoren Anstöße zu Veränderungen gibt (Schiepek
2015).
Das Konzept des Probehandelns stellt auch einen Zugang dafür bereit, die Ergebnisse der
Rupture-repair-Forschung zu erklären. Plötzliche sprunghafte positive Veränderungen der Befindlichkeit nach kritischen Momenten in der Therapie (Gumz
2012; Lutz et al.
2013) können durch bestandene „große Tests“ in der Therapie erklärt werden (Sammet
2015).
Bedeutsam ist überdies, dass in der CMT Vorstellungen darüber präzisiert und empirisch untersucht worden sind, wie die Wirksamkeit der therapeutischen Interventionen im therapeutischen Prozess konkret an der Reaktion des Patienten beobachtet werden kann, etwa an der Verdichtung das narrativen Materials. Dadurch wird es möglich, der Dynamik und der Fortentwicklung des Prozesses systematisches Augenmerk zu widmen.
Die theoretischen Grundlagen der CMT sind leicht und schnell zu verstehen. Eventuell wird der CMT zu Recht der Vorwurf entgegengebracht, zu einfach zu sein und andere Theorien der Pathogenese psychischer Störungen zu wenig einzubeziehen. Allerdings kann ihre Anwendung keinesfalls dem Einfachprinzip folgen, sondern der Therapeut muss über ein breites
tiefenpsychologisches Wissen verfügen, um die Beziehungstests des Patienten vor dem Hintergrund dessen lebensgeschichtlichen Erfahrungen erkennen und interpretieren zu können. Eine entsprechende tiefenpsychologische Ausbildung ist deswegen nicht zu ersetzen. Nur so sollte die CMT verstanden werden. Anzumerken ist auch, dass in vielen Theorien der Psychopathologie Modelle existieren, die den „pathogenen Überzeugungen“ ähnlich sind (z. B. „irrationale, dysfunktionale“ Kognitionen in der Verhaltenstherapie oder „innere Arbeitsmodelle“ in der Bindungstheorie). Auch schlägt die CMT keineswegs neue therapeutische Wege vor, sondern hat lediglich das schon alte Konzept der korrigierenden Beziehungserfahrung (Alexander und French
1946) systematisch weiterentwickelt und therapeutisch gut fassbar gemacht.
Ein besonderes Merkmal der CMT ist jedoch, dass ihre tiefenpsychologischen Annahmen über das Unbewusste in vielen Einzelfallstudien der empirischen Überprüfung unterzogen wurden. Da tiefenpsychologische Konzepte insbesondere in Bezug auf ihre Wirkmechanismen noch immer viel zu wenig empirisch überprüft worden sind, gibt dies der CMT einen besonderen Stellenwert in der tiefenpsychologischen therapeutischen Landschaft. Vor diesem Hintergrund könnte sie einen kleinen Brückenbaustein bilden zwischen Diagnostik und Therapie. Denn beispielsweise liegt mit der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD; Arbeitskreis OPD
2004) ein elaboriertes diagnostisches Manual der psychodynamischen Diagnostik vor, während Konzeptualisierungen der darauf bezogenen Behandlungstechniken noch fehlen.