Erschienen in:
07.03.2022 | Suizid | Originalien
Rechtsmedizinische Analyse von Todesfällen Inhaftierter im Einzugsgebiet des Instituts für Rechtsmedizin Gießen
Wenn der Staat die Verantwortung für die Gesundheit übernimmt
verfasst von:
Franziska Olker, Dr. med. Gabriele Lasczkowski, Reinhard Dettmeyer
Erschienen in:
Rechtsmedizin
|
Ausgabe 2/2022
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Zusammenfassung
Für den Zeitraum von 47 Jahren (1974 bis Januar 2021) wurden alle rechtsmedizinisch bekannt gewordenen Todesfälle Inhaftierter im Einzugsgebiet des Instituts für Rechtsmedizin Gießen (n = 107) bezüglich der Zusammensetzung des Kollektivs sowie Art und Umstände des Todes ausgewertet. Aufgrund der Fallzahlen hat die Studie einen beschreibenden Charakter; die Ergebnisse können wegen inkompletter Datensätze nur gewisse Tendenzen aufzeigen.
Todesfälle nichtnatürlicher Todesart überwogen geringfügig (nichtnatürlicher/natürlicher Tod: 59 Fälle/48 Fälle); in jüngeren und mittleren Altersklassen (unter 40-Jährige zu 70 % betroffen) stand der Suizid im Vordergrund. Die Alterspräferenz stand in Diskrepanz zur Allgemeinbevölkerung (durchschnittliches Alter bei Suizid zwischen 55 und 60 Jahre). Erhängen steht an erster Stelle der Suizidmethoden. Bei Todesfällen aus natürlicher, innerer Ursache waren vorrangig die Altersklassen über 30 Jahre (ca. 90 % der Todesfälle), Mehrfacherkrankte und an Abhängigkeitserkrankungen leidende Personen betroffen; der Allgemeinbevölkerung entsprechend führten kardiovaskuläre Todesursachen.
Kritische Fallkonstellationen sind weitestgehend bekannt; durch das hessische Vollzugsgesetz und die zugehörigen Verwaltungsvorschriften für die Gesundheits- und Sicherheitsvorsorge sind entsprechende Vorgaben zur Vorbeugung gesundheitlicher Schäden niedergelegt. Bei den Fallzahlen stellt der Tod Inhaftierter ein eher selteneres Ereignis dar. Jeder Einzelfall sollte von externer Seite aufgearbeitet werden, um ggf. Abhilfe bei individuellen oder organisationsbedingten Fehlern zu schaffen. Aus hiesiger Sicht erscheint eine externe wissenschaftliche Aufarbeitung unter Öffnung der Haft- und Gesundheitsunterlagen (gemäß § 476 StPO) erforderlich.