In diesem Übersichtsartikel werden die bisherigen Ergebnisse verschiedenster Studien innerhalb des Forschungsprojekts Agequake II in Kurzform aufgezeigt. Um die Ergebnisse möglichst übersichtlich darstellen zu können, werden die einzelnen Studien also ohne Anspruch auf Vollständigkeit in komprimierter Form berichtet. Die zitierfähigen Ergebnisse sind in den Originalarbeiten der Studien ersichtlich.
Hintergrund
Das Phänomen der rapide wachsenden Anzahl älterer inhaftierter Personen (Walmsley
2013), „agequake“, und die damit verbundenen Veränderungen stellen die Gesundheitsversorgung in Gefängnissen vor neue Herausforderungen (Trotter und Baidawi
2015). Da die Datenlage zur psychischen Gesundheit inhaftierter Personen spärlich ist, bedarf es zur Erarbeitung von Lösungsansätzen dringlich eingehender Forschung.
Die Zahl der inhaftierten Personen nimmt weltweit zu (Walmsley
2016), während ältere Menschen die am schnellsten wachsende Altersgruppe in Justizvollzugsanstalten sind (Baidawi und Trotter
2016; Di Lorito et al.
2018). In der Schweiz stieg der Anteil der inhaftierten Erwachsenen im Alter über 49 Jahre im Straf- und Maßnahmenvollzug von 6,6 % im Jahr 1984 auf 17,7 % im Jahr 2019 an (Bundesamt für Statistik
2020b). Wenn man den Maßnahmenvollzug separat betrachtet, so fällt diese Entwicklung noch extremer aus, da Personen im Alter über 49 Jahre im Jahr 1984 8 % aller zu einer Maßnahme verurteilten Personen ausmachten; im Jahr 2019 ist deren Anteil auf 28 % angestiegen (Bundesamt für Statistik
2020a). Im schweizerischen Justizvollzug ist die steigende Zahl älterer Inhaftierter daher v. a. bei den Behandlungspflichtigen zu beobachten. Da fast jede dritte Person über 49 Jahre alt ist, stellen sie keine Minderheit mehr dar, sondern sind eine häufige Gruppe von PatientInnen. Der Grund für dieses exponentielle Wachstum der älteren Bevölkerung in Justizvollzugsanstalten ist auf verschiedene Entwicklungen zurückzuführen (Leigey und Hodge
2012; Yarnell et al.
2017). Ihr Wachstum kann teilweise auf die Alterung der Gesellschaft zurückgeführt werden, die sich in der Gefängnispopulation widerspiegelt. Steigende Kriminalitätsraten bei älteren Menschen tragen zum Anstieg der älteren Bevölkerung in Justizvollzugsanstalten bei (Fazel und Baillargeon
2011; Sodhi-Berry et al.
2015). Auch wenn ein Teil dieses Anstiegs auf die allgemeine Alterung der Gesellschaft zurückzuführen ist, so ist doch der größte Teil auf eine härtere Strafverfolgungspolitik und strengere Strafvollzugspraktiken zurückzuführen. Längere Haftstrafen und eine restriktive Bewährungspolitik tragen daher dazu bei, dass eine größere Zahl von Personen im Gefängnis altert (Fazel und Baillargeon
2011; Jang und Canada
2014; Turner und Peacock
2017). Die Zahl an älteren inhaftierten Personen nimmt nicht nur mit einem rasanten Tempo zu, sie sind zusätzlich die Altersgruppe mit den größten gesundheitlichen Bedürfnissen. Ältere Insassen haben die höchsten Prävalenzraten von somatischen und psychischen Erkrankungen im Vergleich zu jüngeren Insassen als auch im Vergleich Personen im gleichen Alter in der Allgemeinbevölkerung (Fazel et al.
2001; Wangmo et al.
2015). Sie nehmen daher im Verhältnis zu ihren absoluten Zahlen relativ einen deutlich größeren Anteil der Gesundheitsversorgung in Anspruch. Aus diesem Grund wird auch vermutet, dass die ältere Gefängnispopulation einen wesentlichen Faktor in den steigenden Kosten der Gefängniskosten spielen (Al-Rousan et al.
2017). Aufgrund der hohen gesundheitlichen Bedürfnisse der älteren Insassen ist es daher besonders wichtig, deren Bedürfnisse detailliert zu beleuchten sowie Interventionsstrategien zu optimieren (Baidawi und Trotter
2015). Dies nicht nur um den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen besser gerecht zu werden, sondern auch, um eng begrenzte Ressourcen im Gefängniskontext bestmöglich zu nutzen sowie den steigenden Kosten entgegenzuwirken. Dies um den Gesundheitszustand des Einzelnen zu fördern, aber auch, um die Anpassungsleistung der älteren Insassen an die Gefängnisumgebung zu fördern sowie deren Rückfallrisiko zu minimieren.
Weltweit fehlen systematische Daten zur Gesundheit alternder Menschen im Gefängnis sowie deren Gesundheitsversorgung. Bisherige Studien weisen jedoch darauf hin, dass über 80 % der älteren Personen an einer chronischen Erkrankung leiden (Fazel et al.
2001). Spezifisch in Bezug auf die psychische Gesundheit, leiden laut WHO bis zu 40 % der GefängnisinsassInnen an psychischen Problemen (World Health Organization
2015) und 10–15 % an dauerhaften psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Schizophrenie, bipolaren Störungen oder Autismusstörungen (World Health Organisation
2014). Unter den älteren inhaftieren Personen leidet schätzungsweise jede zweite Person an einer psychiatrischen Erkrankungen (Kakoullis et al.
2010; Kingston et al.
2011). In der Schweiz gibt es jedoch keine systematische Datenlage zur psychischen Gesundheit alternder Gefangener. Unsere vom SNF geförderten Forschungsprojekte „Agequake I und II“ erhoben daher Daten rund um die somatische und psychische Gesundheit von älteren inhaftierten Personen sowie deren Gesundheitsversorgung in Schweizer Gefängnissen. Agequake I konzentrierte sich auf somatische Erkrankungen (Elger et al.
2015; Wangmo et al.
2014). Durch die Analyse der Gesundheitskosten innerhalb des Gefängnisses in Bezug auf verschiedene Krankheitsbilder in verschiedenen Alterskohorten und Geschlechtergruppen konnten so Charakteristiken gefunden werden, die zu kennen zu einem effizienteren Umgang medizinischer Ressourcen im Gefängnis führen kann (Moschetti et al.
2015,
2018). Agequake I hat weiterhin wertvolle Informationen zu den Bedürfnissen bezüglich der Wohnsituation, der Ernährung im Gefängnis und Problemen mit der Unterbringung älterer inhaftierter Personen geliefert (Wangmo et al.
2014; Wangmo et al.
2016) und ist ethische Fragestellungen zu Tod, Sterben und Entscheidungen des Lebensendes angegangen (Handtke et al.
2017; Wangmo et al.
2017). So konnten die Faktoren identifiziert werden, die eine bedingte Entlassung erschweren. Außerdem wurden die ethischen Gesichtspunkte zu Bedürfnissen bezüglich des Lebensendes und deren Implementierung, die im Gefängnis vonnöten wäre, hervorgehoben.
Aus Agequake I ging zudem hervor, dass die medizinischen Aufzeichnungen in den Gefängnissen je nach Gefängniskontext und Organisation stark variieren. Da die Agequake-I-Daten aus den Krankenakten der Gefängnisse erhoben wurden, war es für viele Gefängnisse nicht möglich, Daten aus den psychiatrischen Akten ebenfalls einzubeziehen. Gefangene zögern zudem oftmals, psychische Probleme aus Angst vor Stigmatisierung (Howerton et al.
2007) offenzulegen, weshalb eine mangelhafte Diagnostizierung durch Mitarbeitende ohne Fachwissen wahrscheinlich ist. Darüber hinaus priorisieren in Gefängnissen angestellte HausärztInnen und Pflegepersonal dringende somatische Beschwerden, da sie einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind: Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) hat kürzlich empfohlen, die Präsenz von medizinischem Personal in Schweizer Gefängnissen zu erhöhen (Council of Europe: Committee for the Prevention of Torture
2012). Aus diesen Ergebnissen zur allgemeinen Gesundheitsversorgung resultierte die Ausführung des Folgeprojekts Agequake II, das wichtige neue Forschungsdaten zur psychischen Gesundheit alternder Gefangener erhob.
Die psychiatrische Gesundheitsversorgung von inhaftierten Personen findet in einem komplexen Kontext inmitten der Interaktionen zwischen medizinischen und juristischen Institutionen statt. Es ist dabei sinnvoll, zwei Arten von psychischen Gesundheitsinterventionen für Gefangene zu unterscheiden. Der erste Typ umfasst therapeutische Interventionen für Gefangene mit einer Freiheitsstrafe. In diesem Fall gelten im Gefängnis alle ethischen und rechtlichen Bedingungen des ÄrztInnen-PatientInnen-Verhältnisses, wodurch eine Gleichwertigkeit der Behandlung wie bei PatientInnen außerhalb von Gefängnissen gewährt werden soll (Elger
2008; SAMW
2002). In dem häufig bestehenden Gatekeeper-System werden Gefangene aber nur dann an psychosoziales Personal überwiesen, wenn sie sich spontan beschweren und die HausärztInnen das Problem für ausreichend schwerwiegend halten (Bretschneider und Elger
2014).
Die zweite Art von Interventionen im Bereich der psychischen Gesundheit betrifft gerichtlich angeordnete Therapien für Gefangene, die zu therapeutischen Maßnahmen verurteilt wurden. PsychiaterInnen sehen sich mit einer ethisch schwierigen Doppelrolle als Therapierende konfrontiert, die zusätzlich die Verpflichtung haben, der Justiz über den Behandlungsverlauf zu berichten (Elger et al.
2015; Wangmo et al.
2014). Die Gruppe der PatientInnen, welche zu einer Maßnahme verurteilt wurden, nimmt weltweit und auch in der Schweiz deutlich zu (Riklin
2014) und bildete 2013 zusammen mit sehr langen Freiheitsstrafen (≥ 10 Jahre und lebenslänglich) 13 % aller verurteilten Gefangenen in Europa (Aebi und Delgrande
2013). Agequake I bestätigte, dass der Anstieg der alternden Gefangenen durch die massive Zunahme von Personen, welche sich in einer Maßnahme nach Artikel 59 (stationäre Maßnahme) oder 64 (Verwahrung) StGB angetrieben wird, wobei Art. 59 eine Behandlung unter der Aufsicht von forensischen Psychiatern und Psychologen vorschreibt.
Gegenwärtig gibt es international wenige systematische Datenerhebung über die therapeutischen Interventionen für alternde Häftlinge. Das Fehlen dieser Informationen ist u. a. auf die variablen innerstaatlichen Gesetze und länderspezifischen, oft föderal organisierten Verfahrensordnungen zurückzuführen. Die daraus resultierende Spaltung ist sowohl für den Bereich der forensischen Psychiatrie als auch für die Gesetzgebung und öffentliche Politik nachteilig. Eine weitere Tätigkeit, die von psychiatrischem Personal im Rahmen dieser Maßnahmen durchgeführt wird, ist die Beurteilung des zukünftigen Risikos, sprich der „Gefährlichkeit“. Diese Bewertungen bilden die Grundlage für Entscheidungen der Justiz, eine Maßnahme aufrechtzuerhalten oder eine Entlassung zu gewähren. Obwohl die endgültige Entscheidung über die Verhängung, Verlängerung oder Aufhebung von Sicherheitsmaßnahmen in den meisten Ländern von der Justiz getroffen wird, ist die forensische Einschätzung des Rückfallrisikos von entscheidender Bedeutung. Der Bereich der Risikobewertung hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt und versucht, Erkenntnisse aus strukturierten Instrumenten wie HCR-20 (Habermeyer
2009) und PCL‑R (Mokros et al.
2011) sowie aktuarischen Instrumenten wie VRAG, SORAG, Static 99 (Rossegger et al.
2013) und SVR-20 (Dietiker et al.
2007) zu integrieren. Dennoch gibt es eine Reihe von methodischen Schwierigkeiten aufgrund von Referenzstichproben, Untergruppen- und Gewalttypenvariationen sowie der Tatsache, dass die meisten Instrumente nur selten unter europäischen Gefängnispopulationen validiert wurden (Mokros
2015). Weltweit und in der Schweiz bleibt die Vorhersage der Rückfälligkeit für einzelne StraftäterInnen wissenschaftlich problematisch (Glancy
2006; Mercado und Ogloff
2007; Mokros
2015; Rossegger et al.
2013). Die Tatsache, dass verschiedene ExpertInnen unterschiedliche Kombinationen von Tests verwenden, erschwert die Erhebung systematischer Daten zusätzlich (Dittmann
2003; Habermeyer et al.
2008,
2009).
In ähnlicher Weise ist es aufgrund variabler Behandlungsmethoden und -programme schwierig, Anhaltspunkte für die Effektivität forensischer Behandlungen zu erhalten, beispielweise in Bezug auf die soziale Funktionsfähigkeit und das Risiko gewalttätigen Verhaltens (Långström et al.
2013; Trestman et al.
2007). Weltweit, und dies gilt auch für viele Schweizer Kantone, fehlt es an universitär angeschlossener oder zumindest akademisch-partnerschaftlicher psychiatrischer Versorgung in Gefängnissen (R. L. Trestman et al.
2015; Wakai et al.
2009). Solche universitären Zentren haben sich als sehr wichtig für die Entwicklung und wissenschaftliche Beurteilung neuer Behandlungen erwiesen (Kersten et al.
2016).
Die Folgen fehlender oder inadäquater Behandlung können zudem gravierend sein: Angstzustände, Depressionen und Substanzmissbrauch (Elger
2004; Elger et al.
2002; R. Trestman et al.
2015) erhöhen signifikant das Suizidrisiko im Gefängnis. Suizid stellt eine führende (und vermeidbare) Todesursache in Gefängnissen der westlichen Hemisphäre dar (Ruiz et al.
2014; Spellman und Heyne
1989; Wangmo et al.
2014). Obwohl ältere Personen in Schweizer Gefängnissen immer noch eine Minderheit darstellen, stellen sie besonders hohe Anforderungen an die forensisch-psychiatrische Versorgung, was spezifische Strategien zur Behandlung dieser Gruppe erfordert.
Methodik
Wir erhoben daher Daten zur psychischen Gesundheit älterer inhaftierter Personen, evaluierten die aktuelle Situation deren psychiatrischer Versorgung und untersuchten Optionen zu ethischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Lösungen in Bezug auf altersbedingte Probleme. Die nationalen und internationalen Richtlinien werden als Garantie für angemessene Gesundheitsversorgung älterer Gefangener ausgelegt, die Details zur Durchsetzbarkeit dieser Gesetze sind jedoch nicht geregelt und daher die benötigte medizinische Versorgung nicht garantiert. Die rechtliche Situation unterstreicht die Notwendigkeit einer soliden ethischen Argumentation, um alternde Inhaftierte schützen zu können. Durch die Untersuchung der aktuellen Situation älterer inhaftierter Personen mit psychischen Gesundheitsproblemen und jenen, die eine Sicherheitsmaßnahme verbüßen, zielt die Studie auf eine Verbesserung des medizinischen, sozialen und rechtlichen Status und der Lebensqualität dieser Gruppe von Gefangenen ab.
Der für die Studie verwendete „Mixed-methods“-Ansatz umfasste qualitative und quantitative Datenerhebungen (Tab.
1). Mittels systematischen Übersichtsarbeiten identifizierten wir zuerst die aktuelle Literatur zur psychischen Gesundheit dieser Population. Dies mit einem spezifischen Fokus auf die Prävalenzraten von psychiatrischen Erkrankungen der älteren Gefängnispopulation, v. a. im Vergleich mit jüngeren Inhaftierten. Weiterhin identifizierten wir zentrale Hürden in der Integration der Literatur und legten einen spezifischen Fokus auf die fehlende Definition der höheren Altersgruppe, was die Zusammenführung der begrenzten Literatur erschwert.
Einen zentralen Teil unsere Forschungsarbeit widmeten wir der qualitativen Datenerhebung. Wir interviewten ExpertInnen im Bereich von Strafvollzug und forensischer Psychiatrie zur psychischen Gesundheitsversorgung und zur Beurteilung der Legalprognose von StraftäterInnen. Dabei strebte die Studie die Erfassung von verschiedenen Strategien innerhalb des Gesundheitssystems und Meinungen zu deren Umsetzung im Gefängnis an. Ein weiteres Ziel des Projekts war, ExpertInnen aus Kanada zu befragen, um andere Strategien in der psychischen Gesundheitsversorgung zu verstehen und ihre mögliche Umsetzung im Schweizer System einschätzen zu können. So sollten Unterschiede von Vorteilen und Schwächen verschiedener Ansätze zur psychischen Gesundheit mit besonderem Fokus auf die Behandlung von alternden PatientInnen im Maßnahmenvollzug identifiziert werden.
Zusätzlich wurden ältere PatientInnen zu ihrer Sichtweise der psychischen Gesundheitsversorgung und zu ihrem Leben mit einem psychischen Leiden im Straf- und Maßnahmenvollzug befragt. Somit konnten Sichtweisen von inhaftierten Personen und ExpertInnen zur psychischen Gesundheitsversorgung und der Risikoeinschätzung erforscht werden.
Es wurden halbstrukturierte Interviews mit inhaftierten Personen im Alter von über 50 Jahren und ExpertInnen für psychische Gesundheit im Gefängniskontext geführt. Dabei handelte es sich um PsychologInnen, PsychiaterInnem, psychiatrisches Pflegepersonal, SozialarbeiterInnen und ErgotherapeutInnen. Eingeschlossen wurden forensisch-psychiatrische Einrichtungen und Justizvollzugsanstalten in der Schweiz und in Kanada, wobei die Interviewsprachen Deutsch, Schweizerdeutsch, Französisch und Englisch waren. Ausgeschlossen wurden Einrichtungen, in denen jugendliche Personen untergebracht sind, oder Einrichtungen, die im Zusammenhang mit der Ausschaffung von Asylsuchenden stehen, sowie italienischsprachige Regionen der Schweiz. Alle inhaftierten Personen wurden über eine Kontaktperson der psychosozialen Dienste oder der Gefängnisverwaltung kontaktiert. Die befragten Personen erhielten keine Entschädigung für ihre Teilnahme. Zwei Mitglieder des Forschungsteams wurden in der qualitativen Datenerhebung geschult und während des gesamten Prozesses der Datenerhebung beaufsichtigt. Der Interviewleitfaden für inhaftierte Teilnehmende ermittelte Informationen über (a) persönliche Umstände und soziale Netzwerke, (b) Erfahrungen mit dem Älterwerden im Gefängniskontext, (c) Zugang zu und Qualität der psychischen Gesundheitsversorgung, (d) Zufriedenheit mit der psychischen Gesundheitsversorgung, (e) psychisches Wohlbefinden und (f) Erfahrungen mit Risikobeurteilungen.
Die teilnehmenden ExpertInnen wurden gebeten, ihre Sichtweise zu folgenden Themen darzulegen: (a) Motivation, mit inhaftierten Personen zu arbeiten, kurze Beschreibung ihrer Verantwortlichkeiten, (b) Organisation der psychosozialen Versorgung, Meinung über den Zugang zu und die Qualität von psychosozialen Versorgungsdiensten, Einfluss von unbefristeten Entlassungsdaten auf die Arbeit mit ihren PatientInnen, (c) Untersuchung ihrer Erfahrungen in der Arbeit mit älteren PatientInnen, ihre Meinung über Merkmale der Versorgung und Interaktion mit älteren PatientInnen, Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Betreuung jüngerer und älterer PatientInnen, prominente Therapiethemen bei älteren PatientInnen, (d) Doppelrollenkonflikt der Therapierenden, Beschreibung der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und Vertretenden der Justiz, und (e) Risikobewertung und Meldung an die Behörden: Merkmale, Verfahren, Alter als Variable in der Risikobewertung, Schlüsselkriterien in den Meldestandards.
Tab. 1
Stichprobenmerkmale
PatientInnen: Inhaftierte Erwachsene im Alter von 50 Jahren und älter, die eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung erhalten | Total n = 50 n = 41 zu Maßnahmen (gemäß Art. 59, 63 und 64 des StGB) verurteilte Personen n = 9 zu Freiheitsstrafen verurteilte Personen |
ExpertInnen: Fachkräfte in der Psychiatrie und Psychologie, die ältere Inhaftierte behandeln (PsychiaterInnen, PsychologInnen, psychiatrische Pflegekräfte) | Total n = 73 n = 29 aus der Schweiz n = 34 aus Kanada |
Die Analyse der erhobenen Daten folgte dem Konzept der thematischen Analyse nach Braun and Clarke (
2006). Mit dem Softwareprogramm MAXQDA wurden die Interviews transkribiert und im Anschluss erste Codes erstellt. Um einen einheitlichen Kodierungsbaum für das gesamte Projekt sicherzustellen, wurden zunächst 8 Interviews vom Studienteam gelesen und kodiert. Mittels Diskussion der in den Daten sichtbaren Nuancen legte das Studienteam die verschiedenen Codes fest. Die weiteren Transkripte wurden von einzelnen Teammitgliedern kodiert und die neuen Codes im Plenum besprochen, um hierdurch den finalen Kodierungsbaum zu bestimmen.