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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 15.12.2022

Kälte- und Erfrierungsschäden- Begutachtung

Verfasst von: Joachim Dissemond und Knut Kröger
Die Haut ist als Grenzorgan zwischen dem Körperinneren und der Umwelt vielfältigen Einflüssen so wie auch Kälte ausgesetzt. Ihr kommt unter anderen Aufgaben auch eine komplexe Funktion in der Aufrechterhaltung der physiologischen Homöostase zu. Die Körpertemperatur kann beispielsweise aufgrund von Wärmeverlusten durch Strahlung, Verdunstung, Wärmeleitung und Konvektion sinken. Diese Kälteeinwirkung kann dann eine Vielzahl von Schädigungen des menschlichen Körpers verursachen und zu einem erhöhten Unfallrisiko führen. Die Begutachtung von Patienten mit Kälteschädigung entspricht in vielen Aspekten derjenigen der Verbrennungen. Vorbestehende Gefäßerkrankungen mit entsprechenden Durchblutungsstörungen erhöhen zudem das Risiko lokaler Erfrierungsschäden und sollten entsprechend untersucht werden. Kältebelastete Arbeitsplätze in Innenräumen sind vor allem in der Nahrungsmittelbranche wie beispielsweise Kühlhäuser, Gefriertrockenräume, Fleisch- und Fischverarbeitung zu finden und dort gutachterlich von hoher Relevanz.

Einleitung

Die Haut ist als Grenzorgan zwischen dem Körperinneren und der Umwelt vielfältigen Einflüssen so wie auch Kälte ausgesetzt. Als Grenzschicht zur äußeren Umgebung kommt insbesondere der Haut eine besondere Funktion in der Aufrechterhaltung der Regulierung der physiologischen Homöostase zu. Die Körpertemperatur kann beispielsweise aufgrund von Wärmeverlusten durch Strahlung, Verdunstung, Wärmeleitung und Konvektion sinken. Diese Kälteeinwirkung kann dann eine Vielzahl von Schädigungen des menschlichen Körpers verursachen und führt zu einem erhöhten Unfallrisiko (Hassi et al. 2000). Kälteinduzierten Effekte können dabei in systemische Unterkühlung und lokale Verletzungen eines Körperteils oder Kombinationen aus beiden Schädigungen unterteilt werden (Tab. 1) (Long et al. 2005).
Tab. 1
Auswahl von Krankheitsbilder, die im Zusammenhang mit Kälteexposition auftreten können
• Chilblain Lupus
• Erythrocyanosis crurum puellarum
• Kälteagglutintinkrankheit
• Kältepannikulitis
• Kälteurtikaria
• Kryofibrinogenämie
• Perniones
• Trench Foot

Systemische Kälteschädigung

Eine systemische Kälteschädigung oder Hypothermie liegt vor, wenn die Körperkerntemperatur auf 35 °C oder weniger sinkt (Tab. 2). Die Ursachen der Hypothermie sind entweder primär oder sekundär. Eine primäre oder unfallbedingte Unterkühlung tritt bei gesunden Personen auf, die unzureichend gekleidet sind und einer starken Kälte ausgesetzt waren. Bei der sekundären Hypothermie ist der Betroffene durch eine andere Krankheit für eine unfallbedingte Unterkühlung prädisponiert.
Tab. 2
Stadien der Hypothermie
Stadium
Klinische Befunde
Körperkerntemperatur (°C)
Grad I (mild)
Bewusstlos, zitternd
35–32 °C
Grad II (mäßig)
Bewusstseinsstörung; kann zittern oder nicht
<32–28 °C
Grad III (schwer)
Bewusstlos; Lebenszeichen vorhanden
<28 °C
Grad IV (schwer)
Scheintod; keine Vitalzeichen vorhanden
variabel
Die Unterkühlung betrifft mehrere Organsysteme, wobei die Symptome der Unterkühlung je nach Schweregrad der Kälteverletzung variieren. In der aktuellen Leitlinie des European Resuscitation Council (ERC) werden lebensrettende Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung von Kreislaufstillständen unter besonderen Umständen wie beispielsweise Hypothermie konkret beschrieben (Tab. 3).
Tab. 3
Auszug der Empfehlungen der European Resuscitation Council (ERC) bei akzidenteller Unterkühlung (Lott et al. 2021)
• Beurteilen Sie die Kerntemperatur mit einem niedrige Temperaturwerte anzeigendem Thermometer
• Überprüfen Sie bis zu einer Minute lang, ob Vitalfunktionen vorhanden sind
• Bei hypothermem Kreislaufstillstand sollte während des Transports eine kontinuierliche CPR erfolgen
• Wenn Kammerflimmern (VF) nach drei Schocks anhält, sollen weitere Versuche erst bei einer Kerntemperatur >30 °C vorgenommen werden
• Bei einer Kerntemperatur <30 °C soll kein Adrenalin gegeben werden
• Bei einer Kerntemperatur >30 °C sollen die Verabreichungsintervalle für Adrenalin auf 6–10 Minuten verlängert werden
• Bei hypothermen Patienten <28 °C mit Kreislaufstillstand kann die CPR verzögert begonnen werden, wenn die CPR vor Ort zu gefährlich oder nicht durchführbar ist
• Die Prognosestellung nach erfolgreicher Wiedererwärmung im Krankenhaus soll auf dem HOPE- oder dem ICE-Score basieren
• Bei hypothermem Kreislaufstillstand soll eine Wiedererwärmung mit ECLS durchgeführt werden, vorzugsweise mit extrakorporaler Membranoxygenierung (ECMO) über kardiopulmonalen Bypass (CPB)
• Eine Nicht-ECLS-Wiedererwärmung soll in einem peripheren Krankenhaus eingeleitet werden, wenn ein ECLS-Zentrum nicht innerhalb von maximal 6 Stunden erreicht werden kann

Periphere Kälteschädigung

Bei den peripheren Kälteschäden unterscheidet man Erfrierungen als direkte Schädigung von Zellen und extrazellulärer Flüssigkeiten mit Gewebeuntergang von indirekte Auswirkungen, die die Funktion von Organen und die Integrität des Kreislaufs stören.

Perniones

Die mildeste Form der peripheren Kälteschäden an der Haut sind Perniones, die auch als Frostbeulen bezeichnet werden. Hier kommt es nach Kälteexposition zu dem Auftreten von lividen, bei Erwärmung juckenden und teils schmerzhaften Erythemen. Selten resultieren auch Blasen oder Ulzerationen. Betroffen sind entsprechend disponierte, oft junge Personen mit Mikrozirkulationsstörungen, bei denen diese Hautveränderungen bereits bei Außentemperaturen noch oberhalb des Gefrierpunktes (0 °C) auftreten können (Mahler 2017). Perniones können im Zusammenhang mit beruflicher Kälteexposition beispielsweise bei Metzgern, Kühlhausarbeitern und Soldaten oder im Kontext systemischer Infektionskrankheiten wie beispielsweise Tuberkulose oder Kollagenosen auftreten. Begünstigend wirken enges Schuhwerk, zu kleine Handschuhe, unzureichende Bekleidung und Nässe.

Erfrierungen

Meist ist das erste klinische Zeichen einer Unterkühlung die sogenannte Gänsehaut („Cutis anserina“). Diese resultiert durch Kontraktion der Mm. arrectores pili („Piloerektion“). Oberflächliche Erfrierungen betreffen Haut und Subkutis, tiefe Erfrierungen auch Sehnen, Knochen und Gelenke. Oberflächliche Erfrierungen führen zu serös gefüllten Blasen, tiefe zu hämorrhagischen Blasen (Tab. 4). Wird die allgemeine Hypothermie des Organismus überlebt, bilden sich in der Regel alle Auswirkungen des akuten Kälteschadens vollständig zurück (Walpoth et al. 1997). Erfrierungen („Congelatio“) sind eine schwerere Form der Kälteschädigung und treten auf, wenn die betroffenen Körperareale Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und ggf. Feuchtigkeit ausgesetzt sind (Tab. 5). Meist entsteht keine dauerhafte Schädigung, solange das Gewebe nicht gefriert. Finger, Zehen, Nase und Ohren (Akren) sind für Erfrierungen besonders anfällig. Erfrierungen der okularen Hornhaut wurde bei Personen beobachtet, die ihre Augen bei starkem Wind und ohne Schutzbrille offenhalten wie beispielsweise Motorschlittenfahrer oder Skilangläufer.
Tab. 4
Einteilung lokaler Erfrierungen
• Grad I – örtliche Entzündung ohne Blasenbildung
• Grad II – örtliche Entzündung mit Blasenbildung
• Grad III – Gangrän der Haut und des Unterhautgewebes
Tab. 5
Klassifikationen von Erfrierungen (Regli et al. 2021)
Klassifikation
Grad
Läsionsmerkmale
Zeit bis zum Auftreten nach Wiedererwärmung
I
Partielles Erfrieren der Haut mit Erythemen, Ödemen, Abschuppung der Haut
2–3 Stunden
bis zu 5–10 Tage
II
Erfrieren der Haut in ihrer gesamten Dicke mit deutlicher Blasenbildung, intensive Schmerzen
12–24 Stunden
bis zu 3–10 Tage
III
Subkutane Vereisung mit hämorrhagischer Blasenbildung, Nekrose der Haut
12–24 Stunden
bis zu 5 Tage – 5 Wochen
IV
Erfrieren tiefer als die Unterhaut mit zyanotischem und unempfindlichem Gewebe, Mumifizierung des Gewebes
Unmittelbar
bis zu 3 Monaten
Aufgrund der größeren Wärmeleitung des Wassers im Vergleich zur Luft, verliert der Körper im Wasser deutlich schneller Wärme. Neben der Schockphase beim Eintauchen in kaltes Wasser, tritt bei Temperaturen unter 15 °C durch unwillkürliche tiefe Atemzüge kaltes Wasser in den Nasenrachenraum. Durch lokale Auskühlung der Muskulatur können die Betroffenen oft nicht mehr schwimmen. Zudem nehmen kognitive Fähigkeiten rasch ab; es droht der Tod durch Ertrinken (Marrao et al. 2005). Die Überlebenszeit bei einer Wassertemperatur von 5 °C beträgt circa eine Stunde. Allerdings kann es auch innerhalb weniger Minuten zu einem potenziell tödlich verlaufenden Herzkammerflimmern kommen.
Die Erstbehandlung bei Erfrierungen umfasst den Schutz des Gewebes vor weiterem Trauma, die Verhinderung des Wiedereinfrierens und die Vermeidung von trockenen Wärmequellen. Idealerweise sollten die Patienten in Einrichtungen transportiert werden, in denen Wiedererwärmung, Bildgebung und thrombolytische Behandlung kontrolliert möglich sind. Eine schnelle Wiedererwärmung sollte vermieden und Amitriptylin zur Schmerzkontrolle in Betracht gezogen werden (Rathjen et al. 2019). Die Gabe von Gewebeplasminogenaktivator senkt die Amputationsrate bei schweren Verletzungen erheblich, wenn es innerhalb von 24 Stunden nach der Wiedererwärmung eingesetzt wird (Rathjen et al. 2019).

Trench Foot

Der sogenannte Trench Foot wird auch als Immersions- oder Schützengraben-Fuß bezeichnet. Viele der medizinischen Beschreibungen stammen von Soldaten, bei denen es durch länger einwirkende Feuchtigkeit und Kälte zu Hautschäden an den Füßen und ggf. Unterschenkel kam, die in der Folge zu teils letal verlaufenden Infektionskrankheiten geführt haben. Meist bestanden moderate Temperaturen zwischen 0–15 °C. Neben Soldaten in Kriegszeiten sind heute im beruflichen Kontext beispielsweise Fischer oder Bauarbeiter oder durch Freizeitaktivitäten Wanderer oder Segler betroffen. Pathophysiologisch liegt hier eine kältebedingte Schädigung der Sympathikusnerven und Blutgefäße mit Ödemen sowie eine Mazeration der Haut vor (Zafren 2021).

Chilblain Lupus

Der Chilblain Lupus ist eine sehr seltene Form des chronisch kutanen Lupus erythematodes. Klinisch kommt es nach Kälte- und Feuchtigkeitsexposition zu dem Auftreten von schmerzhaften livid-erythematösen Nodi im Bereich der Akren. Ein gehäuftes Auftreten von Chilblain-ähnlichen Knoten („Pseudo-Chilblain“) insbesondere an den Zehen („Covid-Zehen“) wurde im Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie sowohl bei Infektionen als auch nach Impfungen und ohne Zusammenhang mit Kälteexposition beschrieben (Reinhart et al. 2022).

Kryoglobulinämische Vaskulitis

Die kryoglobulinämische Vaskulitis gehört zu den immunkomplexvermittelten Vaskulitiden kleiner Gefäße (Tab. 6). Bei den Betroffenen fallen Serumproteine bei Temperaturen unterhalb der normalen Körpertemperatur aus. In vitro erfolgt dies bei einer Abkühlung auf 4 °C. Klinisch kommt es oft an den unteren Extremitäten zu einer leukozytoklastischen Vaskulitis mit Purpura, die im Verlauf zu Nekrosen und schmerzhaften Ulzerationen führen kann. Weitere Komplikationen sind u. a. membranoproliferative Glomerulonephritis, Arthralgien oder Mononeuritis multiplex (Specker et al. 2022).
• Typ 1: ca. 10 % – monoklonale Immunglobuline, z. B. bei Lymphomen
• Typ 2: ca. 60 % – monoklonale (meist IgM) und polyklonale (meist IgG) Immunglobuline, z. B. bei Hepatitis C und essenzieller Kryoglobulinämie
• Typ 3: ca. 30 % – polyklonale Immunglobuline, z. B. bei Kollagenosen, Hepatitis C

Kälteurtikaria

Nach Kälteexposition kann es sofort oder bei Wiedererwärmung in den exponierten Arealen zu dem Auftreten einer Urtikaria als seltene Unterform der chronisch induzierbaren Urtikaria (CIndU) kommen. In Einzelfällen kann auch ein zu den Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndromen gehörendes familiäres kälteinduziertes autoinflammatorisches Syndrom (FCAS) vorliegen, das auch als familiäre Kälteurtikaria bezeichnet wird.
Die Art der Kälteexposition kann interindividuell unterschiedlich sein; hier werden kalte Luft, kalte Getränke oder verdunstender Schweiß angegeben. Die meist erworbene Kälteurtikaria ist mit erheblicher Morbidität und Anaphylaxierisiko verbunden (Prosty et al. 2022). Therapeutisch kann eine Toleranzinduktion durch mehrfaches tägliches Duschen mit zunehmend kaltem Wasser versucht werden.

Pathophysiologie der Erfrierung

Die anhaltende Kälteexposition von Gewebes führt zu einer Vasokonstriktion der Hautgefäße, die zu einer weiteren Abkühlung und Vasokonstriktion im Unterhautgewebe führt. Verschiedenen Zelltypen sind unterschiedlich empfindlich gegenüber Kälteschäden. So sind beispielsweise Melanozyten sehr kälteempfindlich, so dass eine irreversible Schädigung bereits ab −4 °C auftreten kann. Während einer erheblichen Abkühlung durchläuft die menschliche Haut Zyklen von etwa 5–10 Minuten, in denen als eine adaptive Reaktion auf die Vasokonstriktion eine Vasodilatation folgt (Dana et al. 1969). Schließlich führt eine funktionelle Beeinträchtigung der Neuronen zum Verlust der kutanen Reizempfindung. Bei weiterer Abkühlung nimmt die Viskosität des Gefäßinhalts zu und schließlich wird die Blutzufuhr zum betroffenen peripheren Gewebe unterbrochen, um die Körperkerntemperatur aufrechtzuerhalten, was wiederum eine weitere Abkühlung der Peripherie begünstigt. Alkoholkonsum kann über die Gefäßweitstellung die allgemeine Unterkühlung fördern und zum frühzeitigeren Erfrierungstod beitragen.
Wind erhöht zwar die Geschwindigkeit der Abkühlung, reduziert aber nicht obligat die Hauttemperatur (Wilson und Goldman 1970). Sobald das Gefrieren einsetzt, beginnt die extrazelluläre und intrazelluläre Eiskristallbildung. In der Folge werden die osmotischen Gradienten verändert, es kommt zu Elektrolytverschiebungen, pH-Veränderungen, intrazellulärer Dehydrierung und Hyperosmolalität, gefolgt von einer Schädigung der zellulären Integrität des betroffenen Gewebes (Heggers et al. 1987). Im Gegensatz zur Verbrennung tritt keine Eiweißkoagulation ein (Mahler 2017). Eine schnell einsetzende Gefrierverletzung geht mit einer stärkeren intrazellulären Eiskristallbildung einher, während eine langsamer einsetzende Verletzung zunächst zu überwiegend extrazellulären Eiskristallbildung führt (Mazur 1970). Die Schädigung des mikrovaskulären Endothels des betroffenen Gewebes bedingt eine Unterbrechung der Mikrozirkulation mit der Folge der Ischämie und Nekrose. Nach längerer Exposition gegenüber der Gefriertemperatur nehmen die Eiskristalle an Größe zu, wodurch Zellmembranen und extrazelluläre Strukturen direkt geschädigt werden. Knorpel und insbesondere Epiphysenknorpel sind besonders anfällig für Erfrierungsschädigungen (Grieve et al. 2011).

Windchill Effekt

Als Windchill-Effekt oder Windfrösteln wird der Unterschied zwischen der gemessenen und der individuell gefühlten Temperatur bezeichnet. Dieser steht in direkter Abhängigkeit mit der Windgeschwindigkeit (Abb. 1). Die Luftfeuchtigkeit wird hier in der Regel nicht berücksichtigt. Je tiefer die Temperatur und je stärker der Wind, desto größer ist die resultierende Erfrierungsgefahr. Eine besondere Bedeutung besitzt der Windchill-Effekt somit in sehr kalten und windigen Regionen. Im Freien verstärkt der Wind die Kältewirkung erheblich, da er die konvektive Entwärmung beschleunigt (Santee 2002). Im Freien sind jahreszeitlich vor allem Beschäftigte in Hoch- und Tiefbau, Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau, Fischerei und Erdölförderung durch Kälte und Wind belastet. Bei den Aktivitäten sind des insbesondere die Hochgebirge, die erhöhte Erfrierungsrisiken für Outdoor-Worker, Wanderer oder Bergsteiger haben. Betroffen sind in Hinblick auf eine hohe Windgeschwindigkeit auch andere Wintersportler wie beispielsweise beim Abfahrtsskilauf oder Rodeln (Mahler 2017).

Spätschäden durch Kälteeinfluss

Viele Betroffene leiden unter Langzeitfolgen durch Kälteexposition. Beispielsweise sind es vasomotorische Störungen verbunden mit der Anfälligkeit für Wiedererfrierungen, neuropathischen und nozizeptiven Schmerzen sowie Schäden an den Skelettstrukturen (Regli et al. 2021). Über die Pathophysiologie dieser Folgeerscheinungen bestehen noch viele Unklarheiten. Es hat sich gezeigt, dass die Familie der Transient-Receptor-Potential-Kanäle (TRP) eine wichtige Rolle bei der Kälteallodynie spielt. Injektionen mit Botulinumtoxin Typ A (BTX-A) haben sich bei vasomotorischen und neuropathischen Störungen infolge von Erfrierungen als hilfreich erwiesen. Die epidurale Sympathikusblockade wurde zur kurzfristigen Behandlung von chronischen Schmerzen, die durch Erfrierungen verursachten wurden erfolgreich eingesetzt. Zudem zeigten Amitriptylin, Gabapentin und Duloxetin gute therapeutische Effekte. Bei Kindern besteht zudem das Risiko einer epiphysären Knorpelschädigung, die zu Knochendeformitäten führt (Regli et al. 2021).

Gutachterliche Beurteilung

Die Begutachtung der Patienten mit Kälteschädigung entspricht in vielen Aspekten derjenigen der Verbrennungen. Vorbestehende Gefäßerkrankungen mit entsprechenden Durchblutungsstörungen erhöhen das Risiko lokaler Erfrierungsschäden und sollten entsprechend untersucht werden (Ervasti et al. 2004). Kältebelastete Arbeitsplätze in Innenräumen sind vor allem in der Nahrungsmittelbranche wie beispielsweise Kühlhäuser, Gefriertrockenräume, Fleisch- und Fischverarbeitung zu finden.
Kältearbeit in Innenräumen nach DIN 33403 T5 wird definiert als regelmäßige Tätigkeiten, bei denen die Lufttemperaturen geräte- oder verfahrensbedingt bei 15 °C und darunterliegen und bei denen der Mensch trotz des Einflusses des Arbeitsenergieumsatzes und der Kälteschutzkleidung eine negative Energiebilanz aufweist (Mahler 2017).
Trotz einiger vielversprechender therapeutischer Ansätze, zeigt die geringe Anzahl von Daten über Folgen von Kälteschäden in der Literatur, dass die zugrundeliegende Pathophysiologie in all ihren Aspekten eingehender untersucht werden muss. Es zeigt sich, dass die Kältemeidung bzw. der adäquate Kälteschutz hier weiterhin die wichtigsten prophylaktischen Schutzmaßnahmen sind.
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