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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 06.07.2022

Schwindel

Verfasst von: Thorsten Schäfer
Patienten, die unter Schwindel leiden, haben entweder den Eindruck, sie bewegten sich im Raum (subjektiver Schwindel) oder die Umgebung um sie herum bewege sich (objektiver Schwindel). In der Regel kommt ein Gleichgewichtsverlust hinzu. Ein spezieller Zusammenhang zum Schlaf ergibt sich aus der Körperlageänderung und der zerebralen Durchblutung.

Synonyme

Spezifisch: Vertigo; Unspezifisch: Schwindelanfall; Schwindelgefühl

Englischer Begriff

vertigo; dizziness; giddiness

Definition

Patienten, die unter Schwindel leiden, haben entweder den Eindruck, sie bewegten sich im Raum (subjektiver Schwindel) oder die Umgebung um sie herum bewege sich (objektiver Schwindel). In der Regel kommt ein Gleichgewichtsverlust hinzu.
Echte Vertigo beruht auf einer Störung des Gleichgewichtssinnes; beim peripheren Schwindel sind Labyrinth oder Nervus vestibularis betroffen, beim zentralen Schwindel die Vestibulariskerne oder höhere Bahnen bis zum Temporallappen. Drehschwindel tritt sekundär infolge orthostatischer Hypotonie, bei vasovagaler Synkope, bei plötzlicher Änderung der Körper- oder Kopfhaltung, bei Insuffizienz einer Arteria vertebralis, bei Migräneanfällen oder bei Tumoren im Bereich der hinteren Schädelgrube, bei Kleinhirnerkrankungen und Multipler Sklerose (siehe „Multiple Sklerose“) auf. Hiervon zu unterscheiden ist die Schwindelsymptomatik bei Schwächeanfällen, Verwirrtheitszuständen und anderen Formen der Benommenheit. Ein spezieller Zusammenhang zum Schlaf ergibt sich aus der Körperlageänderung und der zerebralen Durchblutung.

Grundlagen

Echter Schwindel entsteht durch Beeinträchtigung des Gleichgewichtsapparates. Eine Vielzahl von Faktoren können hierzu führen: otogene Störungen wie das Ménière-Syndrom oder eine Otitis media, Vergiftungen durch Alkohol, Opiate oder Streptomycin, exogene Störungen bei der Reisekrankheit, okulare Faktoren bei Diplopie, neurologische Störungen im Rahmen einer Multiplen Sklerose, bei Temporallappenepilepsie oder einer Enzephalitis, bei neoplastischen Erkrankungen wie Brückentumoren, Kleinhirnbrückenwinkeltumoren und Akustikusneurinomen, bei Leukämien mit Labyrinthbeteiligung sowie bei vertebrobasilären ischämischen Attacken. Auch psychogene Formen sind bekannt. Wichtige Aufgabe der Differentialdiagnostik ist die Abgrenzung des echten Schwindels und seiner somatischen Ursachen von einer allgemeinen Benommenheit, wobei vestibuläre Funktionstests entscheidende Hinweise geben.

Schwindel und Schlaf

Zusammenhänge mit dem Schlaf werden sowohl für den echten Drehschwindel wie für das unspezifische Symptom der Benommenheit berichtet.
Dem gutartigen paroxysmalen Lagerungsschwindel („benign paroxysmal positional vertigo“) liegt eine einseitige Störung des peripheren Otolithenapparats durch Ablagerung von Kalkkonkrementen auf den Sinneshaaren der Kupulazellen zugrunde. Hierdurch wird die Empfindlichkeit dieser Zellen gesteigert, sodass normale Bewegungen zu Schwindel und Nystagmus führen. Offensichtlich ist die rechte Seite mit einem Faktor von 1,4–2,1 häufiger betroffen als die linke (Brevern et al. 2004). Als Ursache wird die Bevorzugung der Rechtsseitenlage im Schlaf bei älteren Patienten zur kardialen Entlastung oder Meidung von kardialen Missempfindungen angenommen. Durch die entsprechende Kopfhaltung wird das Eindringen von Konkrementen aus dem Utrikulus der rechten Seite in einen der Bogengänge begünstigt. Viele Patienten erleben ihre erste Schwindelattacke im Bett nach dem Aufwachen bei Bewegung des Kopfes. Bei 351 Patienten mit benignem paroxysmalen Lagerungsschwindel trat dieser bei Untersuchungen von Ichijo (2017) in 98 Fällen aus dem Schlaf heraus und in 158 Fällen beim Aufstehen auf.
Eine Unterbrechung des Schlafs durch Schwindelgefühl, Unwohlsein und Beeinträchtigung des Bewusstseins bis hin zur Bewusstlosigkeit wird bei Patienten mit vasovagalen Synkopen beobachtet (Krediet et al. 2004). Bislang wurden Einzelfälle berichtet, die tatsächliche Inzidenz wird höher eingeschätzt. Differentialdiagnostisch sind „Epilepsie“, „Schlafbezogene Atmungsstörungen“, „Schlaflähmung“, Hypoglykämie, „Panikstörung“ und „Herzrhythmusstörungen“ auszuschließen. Bei den betroffenen Patienten lassen sich auch tagsüber Synkopen auslösen. Die Symptomatik schließt gastrointestinale Symptome mit Stuhldrang ein. Als mögliche Trigger im Schlaf werden asymmetrische Slow-Wave-Aktivität im Kortex, starke Fluktuation des zentralen Sympathikustonus bei Schlafstadienübergängen, Begleiterscheinungen von Parasomnien und gastrointestinale Afferenzen angenommen (siehe „Autonomes Nervensystem“).
„Schlafentzug“ führt einer Untersuchung an Gesunden zufolge nicht zu einer klinisch bedeutsamen Beeinträchtigung der orthostatischen Regulation. Bei orthostatischer Belastung mittels Unterdruck im Bereich der unteren Körperhälfte fiel der systolische Blutdruck nach Schlafentzug weniger stark ab als vor Schlafentzug, die Herzfrequenz stieg weniger stark an (Muenter et al. 2000).
Von nächtlichem Schwindelgefühl besonders betroffen sind einer großen Umfrage unter älteren Menschen von im Mittel 73 Jahren zufolge 14 % der Männer und 9 % der Frauen (Asplund 2005). Prädiktoren waren ein schlechter Gesundheitszustand, häufige Nykturie, höheres Lebensalter, Beeinträchtigung des Seh- und Hörvermögens, Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule, krampfartige Brustschmerzen, Diabetes mellitus sowie die Einnahme von Diuretika oder Schmerzmitteln. Das Geschlecht, Herzrhythmusstörungen oder Schlafmittel hatten bei den Untersuchten keinen Einfluss.
Patienten mit unspezifischem Schwindelgefühl oder Benommenheit gaben häufiger als Gesunde Durchschlafstörungen und depressive Störungen an. Patienten mit Durchschlafstörungen sprachen eher auf Antidepressiva an als Patienten ohne Schlafstörung (Blakley 1999).
Literatur
Asplund R (2005) Nocturnal giddiness in relation to nocturia and other symptoms and to medication in the elderly. Arch Gerontol Geriatr 40:103–111CrossRef
Blakley BW (1999) Antidepressants and dizziness. J Otolaryngol 28:313–317PubMed
Brevern M von, Seelig T, Neuhauser H, Lempert T (2004) Benign paroxysmal positional vertigo predominantly affects the right labyrinth. J Neurol Neurosurg Psychiatry 75:1487–1488
Ichijo H (2017) Onset time of benign paroxysmal positional vertigo. Acta Otolaryngol 137:144–148CrossRef
Krediet CT, Jardine DL, Cortelli P et al (2004) Vasovagal syncope interrupting sleep? Heart 90:e25CrossRef
Muenter NK, Watenpaugh DE, Wasmund WL et al (2000) Effect of sleep restriction on orthostatic cardiovascular control in humans. J Appl Physiol 88:966–972CrossRef