Echter
Schwindel entsteht durch Beeinträchtigung des Gleichgewichtsapparates. Eine Vielzahl von Faktoren können hierzu führen: otogene Störungen wie das Ménière-Syndrom oder eine Otitis media,
Vergiftungen durch Alkohol, Opiate oder Streptomycin, exogene Störungen bei der Reisekrankheit, okulare Faktoren bei Diplopie, neurologische Störungen im Rahmen einer
Multiplen Sklerose, bei Temporallappenepilepsie oder einer
Enzephalitis, bei neoplastischen Erkrankungen wie Brückentumoren, Kleinhirnbrückenwinkeltumoren und Akustikusneurinomen, bei
Leukämien mit Labyrinthbeteiligung sowie bei vertebrobasilären ischämischen Attacken. Auch psychogene Formen sind bekannt. Wichtige Aufgabe der Differentialdiagnostik ist die Abgrenzung des echten Schwindels und seiner somatischen Ursachen von einer allgemeinen Benommenheit, wobei vestibuläre Funktionstests entscheidende Hinweise geben.
Schwindel und Schlaf
Zusammenhänge mit dem Schlaf werden sowohl für den echten Drehschwindel wie für das unspezifische Symptom der Benommenheit berichtet.
Dem
gutartigen paroxysmalen Lagerungsschwindel („benign paroxysmal positional vertigo“) liegt eine einseitige Störung des peripheren Otolithenapparats durch Ablagerung von Kalkkonkrementen auf den Sinneshaaren der Kupulazellen zugrunde. Hierdurch wird die Empfindlichkeit dieser Zellen gesteigert, sodass normale Bewegungen zu
Schwindel und Nystagmus führen. Offensichtlich ist die rechte Seite mit einem Faktor von 1,4–2,1 häufiger betroffen als die linke (Brevern et al.
2004). Als Ursache wird die Bevorzugung der Rechtsseitenlage im Schlaf bei älteren Patienten zur kardialen Entlastung oder Meidung von kardialen Missempfindungen angenommen. Durch die entsprechende Kopfhaltung wird das Eindringen von Konkrementen aus dem Utrikulus der rechten Seite in einen der Bogengänge begünstigt. Viele Patienten erleben ihre erste Schwindelattacke im Bett nach dem Aufwachen bei Bewegung des Kopfes. Bei 351 Patienten mit benignem paroxysmalen Lagerungsschwindel trat dieser bei Untersuchungen von Ichijo (
2017) in 98 Fällen aus dem Schlaf heraus und in 158 Fällen beim Aufstehen auf.
Eine Unterbrechung des Schlafs durch Schwindelgefühl, Unwohlsein und Beeinträchtigung des Bewusstseins bis hin zur Bewusstlosigkeit wird bei Patienten mit
vasovagalen Synkopen beobachtet (Krediet et al.
2004). Bislang wurden Einzelfälle berichtet, die tatsächliche Inzidenz wird höher eingeschätzt. Differentialdiagnostisch sind „Epilepsie“, „Schlafbezogene Atmungsstörungen“, „Schlaflähmung“,
Hypoglykämie, „Panikstörung“ und „Herzrhythmusstörungen“ auszuschließen. Bei den betroffenen Patienten lassen sich auch tagsüber
Synkopen auslösen. Die Symptomatik schließt gastrointestinale Symptome mit Stuhldrang ein. Als mögliche Trigger im Schlaf werden asymmetrische Slow-Wave-Aktivität im Kortex, starke Fluktuation des zentralen Sympathikustonus bei Schlafstadienübergängen, Begleiterscheinungen von
Parasomnien und gastrointestinale Afferenzen angenommen (siehe „Autonomes Nervensystem“).
„Schlafentzug“ führt einer Untersuchung an Gesunden zufolge nicht zu einer klinisch bedeutsamen Beeinträchtigung der orthostatischen Regulation. Bei orthostatischer Belastung mittels Unterdruck im Bereich der unteren Körperhälfte fiel der systolische Blutdruck nach
Schlafentzug weniger stark ab als vor Schlafentzug, die Herzfrequenz stieg weniger stark an (Muenter et al.
2000).
Von nächtlichem Schwindelgefühl besonders betroffen sind einer großen Umfrage unter älteren Menschen von im Mittel 73 Jahren zufolge 14 % der Männer und 9 % der Frauen (Asplund
2005). Prädiktoren waren ein schlechter Gesundheitszustand, häufige Nykturie, höheres Lebensalter, Beeinträchtigung des Seh- und Hörvermögens,
Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule, krampfartige Brustschmerzen,
Diabetes mellitus sowie die Einnahme von
Diuretika oder Schmerzmitteln. Das Geschlecht,
Herzrhythmusstörungen oder Schlafmittel hatten bei den Untersuchten keinen Einfluss.
Patienten mit unspezifischem Schwindelgefühl oder Benommenheit gaben häufiger als Gesunde Durchschlafstörungen und
depressive Störungen an. Patienten mit Durchschlafstörungen sprachen eher auf
Antidepressiva an als Patienten ohne Schlafstörung (Blakley
1999).