Pathophysiologie
Ursache der Entwicklung einer DKA ist ein absoluter Insulinmangel, der durch eine gesteigerte Glykogenolyse und Gluconeogenese zu einer Hyperglykämie führt. Begleitend wird die Fettgewebslipase nicht mehr durch
Insulin gehemmt, so dass eine Lipolyse einsetzt. Die freien
Fettsäuren werden oxidiert und vorwiegend hepatisch zu
Ketonkörpern metabolisiert. Es setzt eine osmotische Diurese mit Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten ein. Durch die Dehydratation kommt es zur Minderperfusion und
Hypoxie peripherer Gewebe mit Bildung von
Laktat. Dies verstärkt die durch die Ketonkörper ausgelöste metabolische Azidose. Neben der zerebralen Hypoxie begünstigt eine intrazerebrale Dehydratation die Entwicklung von Vigilanzstörungen bis hin zum
Koma.
Epidemiologie
Die jährliche Inzidenz der DKA hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen und liegt in den industrialisierten Ländern bei 4–8 Episoden pro 1000 Patienten mit
Diabetes mellitus Typ 1 (zwei Drittel der Fälle) und Typ 2 (ein Drittel der Fälle). Der Altersgipfel liegt bei Kindern zweigipflig unterhalb 5 Jahren sowie zwischen dem 14.–16. Lebensjahr, bei Erwachsenen zwischen dem 18.–44. Lebensjahr. Sie ist die häufigste Todesursache bei Kindern mit Diabetes mellitus. Bei Erwachsenen liegt die Mortalität unter 1 % in westlichen Ländern, sie erhöht sich jedoch auf über 5 % beim Vorliegen von Komorbiditäten und höherem Lebensalter.
Klinik
Infolge einer osmotischen Diurese zeigen sich in der Frühphase der DKA eine Polyurie und Polydipsie, häufig begleitet von Erbrechen und Inappetenz. Es kommt zu einer zunehmenden Exsikkose mit trockenen Schleimhäuten, einem reduzierter Hautturgor, weichen Bulbi und einer arteriellen Hypotonie und Tachykardie. Mit zunehmender metabolischer Azidose entwickelt sich die typische tiefe Kussmaul-Atmung. Starke abdominelle Schmerzen können im Rahmen einer Pseudoperitonitis diabetica auftreten. Bei weiterem Fortschreiten der Erkrankung treten mit zunehmender Serumosmolalität Vigilanzstörungen auf. Tab.
2 zeigt die Symptome DKA und deren Ursachen.
Tab. 2
Symptome der DKA. (Aus Berndt und Lehnert
2015)
Polyurie, Polydipsie | Osmotische Diurese |
Gewichtsverlust, Schwäche | Diurese, Katabolie |
Übelkeit | Ketose |
Abdominalbeschwerden | Hypokaliämie, Azidose |
Muskelkrämpfe | Flüssigkeits- und Elektrolytverlust |
Dehydratation | Osmotische Diurese |
Gastroparese | Hyperglykämie (BZ >200 mg/dl) |
Warme Haut | K+-Depletion, Azidose |
Hypotonie, Tachykardie | Vasodilatation |
| Dehydratation, Azidose, Hyperosmolarität |
Diagnostik
Wenn möglich, sollten (fremd-)anamnestisch der vorliegende Diabetes-Typ, das bisherige Therapieschema oder das Vorliegen interkurrenter (Infektions-)Erkrankungen, mögliche reduzierte Insulinzufuhr bzw. ein Insulinpumpendefekt erfragt werden. Bei der körperlichen Untersuchung ist auf o. g. klinische Zeichen zu achten.
Apparative Maßnahmen beinhalten die Bestimmung von Plasmaglucose,
Ketonkörpern (insbesondere
β-Hydroxybutyrat) im
Urin/
Plasma, CRP, Serumosmolalität, Anionenlücke,
Elektrolyte im
Serum (Na
+, K
+, Ca
2+, PO
4
2−, Mg
2+),
Kreatinin,
Harnstoff, Bicarbonat,
Laktat sowie die Anfertigung eines
Differenzialblutbilds.
Zur Erfassung eines möglichen Infektfokus sind ggf. das Abnehmen einer Urin- und einer
Blutkultur sowie ein Röntgen-Thorax oder eine
Sonographie des Abdomens notwendig.
Eine kapilläre oder
arterielle Blutgasanalyse mit pH-Wert liefert einen raschen Überblick über den Schweregrad der Ketoazidose. Hiermit ist ebenfalls die Berechnung der Anionenlücke möglich:
$$ N{a}^{+}\left[ mmol/l\right]\hbox{--} \left(C{l}^{-}\left[ mmol/l\right]+HC{O}_3^{-}\left[ mmol/l\right]\right) $$
Eine Erhöhung der physiologischen Anionenlücke von 8–12 mmol/l gibt einen Anhalt für das Vorhandensein von nicht routinemäßig erfassten Anionen im Blut wie die Ketonsäuren
Acetoacetat und
β-Hydroxybutyrat. Die Anionenlücke eignet sich daher als Verlaufsparameter in der Therapie der DKA.
Tabelle
3 zeigt die Einteilung des Schweregrads der DKA anhand klinischer und laborchemischer Parameter in Abgrenzung zum hyperglykämen, nichtketotischen Syndrom (HNKS).
Tab. 3
Schweregrade der DKA. (Aus Kitabchi et al.
2009)
Arterieller pH | <7,3 | <7,2 | <7,1 | >7,3 |
Serumbicarbonat (mmol/l) | 15–18 | 10– <15 | <10 | >18 |
Urin-/Serumketone | ++ | ++ | ++ | (+) |
Anionenlücke (mmol/l) | >10 | >12 | >12 | Variabel |
Bewusstsein | Agitation | Somnolenz | | Stupor/Koma |
Differenzialdiagnostik
Das Erkennen einer
Hypoglykämie durch rasche Blutzuckerbestimmung beim bewusstlosen Diabetiker hat essentielle Bedeutung für das weitere Vorgehen. Neben dem HNKS mit meist deutlich höheren Blutzuckerwerten als bei der DKA kommen für eine Vigilanzminderung nicht diabetesspezifische Ursachen in Frage.
Eine Ketoazidose kann auch ohne Insulinmangel bei einem Alkoholexzess, Fasten oder einer ketogenen Diät auftreten. Weitere Ursachen für eine metabolische Azidose mit erhöhter Anionenlücke sind die Intoxikation mit Salizylaten,
Ethylenglykol (Frostschutzmittel) oder
Methanol sowie die Laktatazidose und ein
Nierenversagen.
Therapie
Bei Vorliegen einer mittelschweren oder schweren DKA sollte die notwendige Therapie unter stationären Bedingungen erfolgen. Die erste ist der Ausgleich des oft ausgeprägten Flüssigkeitsdefizits von bis zu 5 l oder 7–10 % des Körpergewichts. Hierfür sollten 1000–1500 ml einer balancierten Vollelektrolylösung innerhalb der ersten Stunde intravenös verabreicht werden. Der Therapieerfolg wird anhand klinischer (körperliche Untersuchung, Entwicklung der Kreislaufparameter, Ein- und Ausfuhr) und laborchemischer Parametern (
Elektrolyte, Blutzuckerspiegel) beurteilt. In besonderen Situationen wie Herz- oder
Niereninsuffizienz sind ein erweitertes
hämodynamisches Monitoring und ggf. eine langsamere Flüssigkeitsgabe nötig.
Die Insulingabe als kausale Therapie sollte bei einer schweren DKA intravenös erfolgen. Zuvor muss jedoch eine Hypokaliämie ausgeglichen werden. Zunächst wird ein Bolus von 0,1 IE
Insulin/kg Körpergewicht (KG) verabreicht, gefolgt von einer kontinuierlichen Infusionsrate von 0,1 IE/kg KG/h. Alternativ kann auf eine Bolusgabe verzichtet werden, wenn die intravenöse Insulindosierung 0,14 IE/kg KG/h beträgt. Zu berücksichtigen sind bereits prästationär verabreichte Insulindosen, die mit Verbesserung der Hämodynamik aus dem subkutanen Fettgewebe mobilisiert werden. Empfohlen wir ein kontrolliertes Absenken des Blutzuckerspiegels um 50 mg/dl/h (3 mmol/h) bis zu einem Wert von etwa 250 mg/dl (14 mmol/l) innerhalb der ersten 24 h. Anschließend wird eine 10% ige Glucoselösung infundiert, um den Blutzuckerspiegel bei fortgesetzter Insulingabe zu stabilisieren. Mit der Metabolisierung der im Blut vorhandenen
Ketonkörper bildet sich die Azidose zurück. Die kontinuierliche Insulingabe kann beendet werden, wenn zwei der folgenden Kriterien zutreffen:
Durch die Insulingabe und den Ausgleich der Azidose kommt es zu einer Verschiebung von
Kalium von extra- nach intrazellulär. Deshalb ist eine Kaliumsubstitution bereits unterhalb eines Serumwerts von 5,0 mmol/l, abhängig vom aktuellen Serumkaliumspiegel und dem vorherrschenden pH-Wert, notwendig (Tab.
4). Dies kann die Anlage eines zentralen Venenkatheters erfordern.
Tab. 4
Kaliumsubstitution, abhängig von Serumkalium und aktuellem pH-Wert. (Nach Lehnert und Beyer
1995)
>6,0 | 0 | 0 |
5,0–5,9 | 10 | 20 |
4,0–4,9 | 10–20 | 20–30 |
3,0–3,9 | 20–30 | 30–40 |
2,0–2,9 | 30–40 | 40–60 |
Bicarbonat sollte nur bei einer vital bedrohlichen Azidose mit einem pH <7,0 substituiert werden, da es zu einer Verstärkung einer Hypokaliämie, einer
Linksverschiebung der Sauerstoffbindungskurve des
Hämoglobins mit einer verminderten Gewebeoxygenierung und bei Gabe von Natriumbicarbonat zu einer Natriumüberladung führt.
Ein Phosphatmangel entsteht im Rahmen des Ausgleichs der Ketoazidose. Lebensbedrohliche Komplikationen wie Arrhythmien, Muskelschwäche, ZNS-Störungen, reduzierte ATP-Bildung und Abnahme des 2,3-Bisphosphoglyceratgehalts der
Erythrozyten werden jedoch erst bei einer schweren
Hypophosphatämie beobachtet. Liegt der Serumphosphatwert unterhalb von 1,0 mg/dl (0,4 mmol/l) und finden sich Zeichen muskulärer Schwäche, können z. B. 20–30 mmol Kaliumphosphat pro Tag verabreicht werden. Die Phosphatzufuhr sollte 4,5 mmol/h nicht überschreiten. Es drohen eine
Hypokalzämie, eine osmotische Dehydratation und bei längerfristiger Gabe extraossäre Verkalkungen.
Ein möglicherweise zugrunde liegender bakterieller Infekt muss antibiotisch behandelt werden. Durch proinflammatorische, prokoagulatorische
Zytokine und die Dehydratation besteht eine erhöhte Thromboseneigung, weshalb eine Thromboseprophylaxe
indiziert ist.
Verlauf und Prognose
Die Gesamtletalität der DKA liegt etwa zwischen 5 und 8 %. Insbesondere die Frühletalität (in den ersten 3 Tagen) ist durch eine adäquate Volumensubstitution und niedrig dosierte kontinuierliche Insulingaben deutlich zurückgegangen, die Spätletalität durch begleitende oder auslösende Erkrankungen hat sich dagegen kaum geändert. Alter und Schwere der Vorerkrankungen sind Prädiktoren für eine erhöhte Mortalität.
Besondere Aspekte: Hirnödem
Diese Komplikation der DKA tritt gehäuft bei Kindern und selten bei Erwachsenen auf. Durch die erhöhte
Osmolalität im
Serum kommt es nach einer länger bestehenden Hyperglykämie zu einer intrazerebralen Dehydratation. Wird die Hyperglykämie zu rasch korrigiert, verlagert sich mit sinkender Serumosmolalität Flüssigkeit nach intrazerebral und führt zu einer Hirnschwellung.
Klinisch ist das Hirnödem
durch
Kopfschmerzen, Erbrechen, zunehmende Desorientiertheit,
Störungen der Pupillomotorik, Bradykardien, Blutdruckschwankungen und zerebrale Krampfanfälle gekennzeichnet. Die Diagnose wird anhand einer zerebralen Bildgebung (CT, MRT) gestellt. Die Therapie erfolgt durch Gabe von Mannitol oder hypertoner Kochsalzlösung.