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Klinische Neurologie
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Publiziert am: 17.11.2018

Erkrankungen des N. trigeminus

Verfasst von: Peter Berlit
Leitsymptome der Trigeminusläsion sind Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und bei Beteiligung der motorischen Anteile Paresen der Kaumuskulatur. Das wichtigste Krankheitsbild des N. trigeminus ist die Trigeminusneuralgie mit einer jährlichen Inzidenz von 4–13/100.000 Personen.
Leitsymptome der Trigeminusläsion sind Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und bei Beteiligung der motorischen Anteile Paresen der Kaumuskulatur. Das wichtigste Krankheitsbild des N. trigeminus ist die Trigeminusneuralgie mit einer jährlichen Inzidenz von 4–13/100.000 Personen.

Trigeminusläsion

Anatomie
Der fünfte Hirnnerv ist zuständig für die sensible Versorgung des Gesichtes (mit Ausnahme des Kieferwinkels), Teilen des behaarten Kopfes, des Ohrtragus, der Vorderwand des äußeren Gehörgangs und der tympanischen Membran, der Schleimhäute von Nase, Mund und Nasennebenhöhlen sowie von Kornea und Konjunktiva. Darüber hinaus erfolgt auch die sensible Versorgung der Dura von vorderer und mittlerer Schädelgrube sowie der ipsilateralen Zunge und des weichen Gaumens. Motorisch versorgt der N. trigeminus die Kaumuskulatur, den M. tensor tympani und den M. tensor veli palatini.
Das Ganglion Gasseri (semilunare) des V. Hirnnervs liegt am Boden der mittleren Schädelgrube; die sensible Wurzel verläuft durch die laterale pontine Zisterne zur Brücke, wo kurze aufsteigende Fasern den mesenzephalen Nukleus vorwiegend für Berührungsempfinden und lange absteigende Fasern den spinalen Nukleus bis in Höhe C3 mit vorwiegender Schmerz- und Temperaturempfindungsleitung bilden. Nach Kreuzung verlaufen die sensiblen Bahnen im medialen Anteil des Tractus spinothalamicus und im seitlichen Lemniscus medialis – dem trigeminothalamischen Trakt. Die sensiblen Endäste des N. trigeminus sind der N. ophthalmicus mit Verlauf durch die Fissura orbitalis superior, der N. maxillaris mit Verlauf durch das Foramen rotundum und der N. mandibularis mit Verlauf durch das Foramen ovale. Mit dem N. mandibularis verläuft die motorische Wurzel, welche – vom motorischen Kerngebiet im mittleren Pons ausgehend – unterhalb des Ganglion Gasseri den III. sensiblen Trigeminusast erreicht.
Klinik und Diagnostik
Leitsymptome der Trigeminusläsion sind Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und bei Beteiligung der motorischen Anteile Paresen der Kaumuskulatur. Sensibilitätsstörungen im Gesichtsbereich können hervorgerufen werden durch Läsion der Trigeminuskerngebiete, der sensiblen Wurzel, des Ganglion Gasseri oder der sensiblen Endäste. Während periphere Trigeminusläsionen zu bandförmigen Gefühlsstörungen im Versorgungsgebiet des jeweiligen Trigeminusastes führen, ist die zentrale Repräsentation des N. trigeminus zwiebelschalenförmig um den Mund herum angeordnet (Abb. 1). Bei Läsionen des rostralen mesenzephalen Kerngebietes überwiegt die Hypästhesie, bei Schädigung des spinalen Kerngebietes die Beeinträchtigungen von Schmerz- und Temperaturempfinden. Da die Afferenzen des Kornealreflexes über den N. trigeminus laufen, kommt es in typischer Weise bei einer zentralen Trigeminusläsion oder einer Läsion des N. ophthalmicus zu einer Abschwächung des ipsilateralen Kornealreflexes. Die Efferenz dieses Reflexes läuft über den N. facialis. Die Auslösung erfolgt durch Berühren der Kornea von seitlich mit einem Haar oder feinen Gegenstand. Um Verwechslungen mit dem optischen Schutzreflex zu vermeiden, sollte die Kornea über der Pupille nicht berührt oder verdeckt werden.
Der motorische Trigeminusausfall bedingt eine Parese der Kaumuskulatur, wobei es bei Mundöffnung durch das Überwiegen der Pterygoidei der Gegenseite zu einer Abweichung des Unterkiefers zur gelähmten Seite kommt (Abb. 2). Die Parese der Mm. masseter und temporales lässt sich beim willkürlichen Kauen gut tasten – im Verlauf resultiert eine Atrophie.
Neben dem Kornealreflex spielen im klinischen Alltag als pontine Reflexe der Masseterreflex und der Blinkreflex eine Rolle. Bei entspannter Kaumuskulatur führt ein Beklopfen des Kinns zu einer Kontraktion der Masseteren. Der Reflexbogen verläuft über propriozeptive Afferenzen zum mesenzephalen Nukleus und von dort zum motorischen Kern des V. Hirnnerven im mittleren Ponsbereich. Der Blinkreflex wird ausgelöst durch Beklopfen der Glabella. Die Afferenzen gelangen zur Brücke und führen über den N. facialis als Efferenz zur Kontraktion des M. orbicularis oculi beidseits. Sowohl der Masseterreflex als auch der Blinkreflex können in der neurophysiologischen Diagnostik genutzt werden, um Hirnstammläsionen zu detektieren und bei Sensibilitätsstörungen im Gesichtsbereich die organische Genese zu belegen. Eine weitere hilfreiche neurophysiologische Untersuchungsmethode ist die Ableitung von somatosensibel evozierten Potenzialen (SEP) nach Stimulation von Trigeminusästen.

Trigeminusneuralgie

Das wichtigste Krankheitsbild des N. trigeminus ist die Trigeminusneuralgie mit einer Inzidenz von 4–13/100.000 Personen und Jahr, wobei besonders Personen jenseits des 50. Lebensjahres und Frauen häufiger als Männer betroffen sind. Charakteristischerweise betreffen die sekundenlang einschießenden Schmerzattacken den zweiten und/oder dritten Trigeminusast, und sie werden durch bestimmte Bewegungen oder Berühren von Haut-/Schleimhautarealen des sensiblen Versorgungsgebietes (Triggerpunkte) ausgelöst. Die idiopathische Form des höheren Lebensalters zeigt ein saisonal gehäuftes Auftreten mit monate- und jahrelangen freien Intervallen; sie wird auf einen pathologischen Gefäß-Nerv-Kontakt im Bereich des Hirnstammes zurückgeführt (Abb. 3). Bei Versagen einer medikamentösen Monotherapie mit Carbamazepin, Lamotrigin, Pimozid oder Baclofen können die Substanzen auch mit Pregabalin oder Gabapentin kombiniert werden (Solaro und Ferriero 2018). Neben Carbamazepin können auch Oxcarbazepin oder Eslicarbazepin versucht werden (Sanchez-Larsen et al. 2018). Misoprostol ist zur Behandlung der Trigeminusneuralgie bei multipler Sklerose wirksam. Schließlich kommt eine Behandlung mit Botulinumtoxin in Frage (Safarpour und Jabbari 2018).
Neurochirurgische Behandlungsoptionen sind die Operation nach Jannetta und die Thermokoagulation. Der Langzeiteffekt der mikrovaskulären Dekompression ist günstig (Gronseth et al. 2008); der Eingriff ist auch jenseits des 65. Lebensjahres vertretbar (Wallach et al. 2018). Eine Alternative stellt die Gamma-Knife-Radiochirurgie mit Dosen bis 89 Gy dar (Faraj et al. 2018; Sheehan et al. 2005).
Ist der erste Trigeminusast mitbetroffen oder tritt eine Trigeminusneuralgie vor dem 50. Lebensjahr auf, so ist an eine symptomatische Genese zu denken: Die wichtigsten Ursachen sind Demyelinisierung (multiple Sklerose, ggf. auch beidseitig!), sonstige Entzündungen (systemischer Lupus erythematodes, Sjögren-Syndrom), Durchblutungsstörungen, Tumoren und traumatische Läsionen.
Therapie der Trigeminusneuralgie
Medikamentös
Tagesdosis
 
600–1500 mg
Effektiv bei ca. 75 % der Patienten, einschleichende Gabe; alternativ Oxcarbazepin 900–1800 mg
300–400 mg
Cave: Ataxie; initial ggf. auch parenteral (250 mg langsam i. v.)
200–400 mg
Keine zuverlässige Wirkspiegel-Effekt-Beziehung; ggf. mit Pregabalin kombinieren
Baclofen
40–80 mg
Cave: Müdigkeit, Verwirrtheit
Operativ
Mikrovaskuläre Dekompression (Jannetta)
Effektiv bei ca. 90 % der Patienten, nach 10 Jahren 75 %; Mortalität 0,2 %, Morbidität 1 %
Perkutane Thermokoagulation des Ggl. Gasseri
Effektiv bei ca. 80 % der Patienten, Mortalität <1 %, Anaesthesia dolorosa bei ca. 5 %, Rezidive bei ca. 20 %
Gamma-Knife-Radiochirurgie (89 Gy)
Effektiv innerhalb 4 Monaten bei 75 % der Patienten

Trigeminusneuropathie

Wenn Sensibilitätsstörungen mit oder ohne Dauerschmerzen (keine neuralgiformen Schmerzattacken!) vorliegen, so handelt es sich um eine Trigeminusneuropathie. Bei dieser lassen sich typischerweise im Rahmen der neurologischen klinischen Untersuchung umschriebene Sensibilitätsstörungen dokumentieren, die neurophysiologischen Zusatzuntersuchungen zeigen pathologische Befunde. Zu den häufigsten Ursachen zählen Herpesinfektionen (Zoster segmentalis, Herpes simplex), Teilläsionen nach zahnärztlichen Behandlungen (N. mentalis), traumatische Läsionen und Tumoren. Wenn eine Taubheit im Kinnbereich auftritt, ohne dass eine zahnärztliche Behandlung oder ein Trauma vorausgegangen ist, so ist – insbesondere bei älteren Patienten – stets ein Malignom (Schädelbasismetastasen, maligne Lymphome, HNO-Tumoren) auszuschließen (Numb-chin-Syndrom; Lossos und Siegal 1992).
Die idiopathische Trigeminusneuropathie macht stets den Ausschluss eines Tumors (MRT), einer Entzündung (Lumbalpunktion, BSG, ANA und ENA) und je nach Lokalisation von HNO-ärztlichen oder zahnärztlichen Erkrankungen erforderlich. Bei persistierenden Sensibilitätsstörungen und Schmerzen sind MRT-Kontrollen in halbjährlichen Abständen erforderlich, um ein Trigeminusschwannom mit sehr langsamem Wachstum nicht zu übersehen (Abb. 4).
Eine Übersicht über die Differenzialdiagnose von Trigeminusläsionen gibt Tab. 1.
Tab. 1
Ätiologie von Trigeminusläsionen
Lokalisation
Ursache
Mesenzephales Kerngebiet (Hypästhesie)
Hirninfarkt, Tumor, multiple Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD), Syringobulbie, Blutung, Enzephalitis
Spinales Kerngebiet (Hypalgesie, Thermhypästhesie)
Tumor, Hirninfarkt, Nucleus-pulposus-Prolaps, Syringobulbie, Blutung, multiple Sklerose, kongenital
Kleinhirn-Brücken-Winkel/ hintere Schädelgrube
Tumor (Akustikus-, Trigeminusschwannom, Meningeom, Dermoid), Meningitis, Gefäßkontakt (Trigeminusneuralgie), Granulom, Aneurysma (Kleinhirnarterie, A. basilaris), kraniozervikale Anomalien
Felsenbeinspitze (Gradenigo)
Tumor, Entzündung, Granulom
Schädelbasis
HNO-Tumoren, Metastasen (Garcin-Syndrom), Trauma, Numb-chin-Syndrom, zahnärztliche Eingriffe, Weisheitszahn, Metastase (nur N. mandibularis), Sinus cavernosus (nur N. ophthalmicus), Aneurysma (A. carotis interna), Carotis-cavernosus-Fistel, Tumor (Meningeom), Entzündung (septische Thrombose, Tolosa-Hunt), Thrombose
Unklare variable Lokalisation
Vaskulär (diabetisch), bei rheumatoiden Erkrankungen (Sjögren, systemischer Lupus erythematodes, Mixed connective tissue disease, Sklerodermie), Lepra, toxisch (Trichloräthylen, Stilbamid), Zoster, Borreliose, Herpes simplex, idiopathisch, Amyloidose, Sarkoidose
Während dieses Krankheitsbild in unseren Breiten sehr selten ist, dürfte weltweit die Lepra häufigste Ursache von Sensibilitätsstörungen im Gesichtsbereich sein. Die idiopathische Trigeminusneuropathie muss abgegrenzt werden von funktionellen Sensibilitätsstörungen im Gesichtsbereich, welche sich nicht an anatomische Grenzen halten, oft von einem atypischen Gesichtsschmerz begleitet sind und normale neurophysiologische Befunde aufweisen. Die Behandlung erfolgt mit trizyklischen Thymoleptika.
Wenn motorische Trigeminusausfälle vorliegen, so muss stets in erster Linie an ein Tumorleiden gedacht werden. Nur sehr selten sind die motorischen Trigeminusfasern bei der idiopathischen Trigeminusneuropathie mitbetroffen. Obwohl bekannt ist, dass die Sensibilitätsstörungen dieses Krankheitsbildes oft persistieren, sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen erforderlich, um andere Ursachen (Trigeminusschwannom, rheumatologische Erkrankungen) nicht zu übersehen. Eine wirksame Therapie der Trigeminusneuropathie ist nicht bekannt – wichtig ist bei Miteinbeziehung des N. ophthalmicus der Schutz der Kornea durch Augensalben und -tropfen.

Facharztfragen

1.
Nennen Sie Symptome und Ursachen einer Trigeminusneuropathie.
 
2.
Welche Behandlungsmöglichkeiten sind bei der Trigeminusneuralgie gegeben?
 
Literatur
Berlit P (2007) Basiswissen Neurologie, 5. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/Tokio
Faraj MK, Naji NA, Alazawy NM (2018) The efficiency of the prescribed dose of the gamma knife for the treatment of trigeminal neuralgia. Interdisciplinary Neurosurg Adv Tech Case Manag 14:9–13CrossRef
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Sanchez-Larsen A, Sopelana D, Diaz-Maroto I, Perona-Moratalla AB, Gracia-Gil J, García-Muñozguren S, Palazón-García E, Segura T (2018) Assessment of efficacy and safety of eslicarbazepine acetate for the treatment of trigeminal neuralgia. Eur J Pain (United Kingdom) 22:1080–1087
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Wallach J, Ho AL, Kim LH, Chaudhuri AA, Chaudhary N, Vaz-Guimaraes F, Chang SD (2018) Quantitative analysis of the safety and efficacy of microvascular decompression for patients with trigeminal neuralgia above and below 65 years of age. J Clin Neurosci 55:13–16CrossRef