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Reaktive Stickstoffspecies

Verfasst von: H. Fiedler
Reaktive Stickstoffspecies
Synonym(e)
RNS; RSS
Englischer Begriff
reactive nitrogen species; reactive nitrogen-containing species (RNS)
Definition
Als reaktive Stickstoffspecies (RNS) bezeichnet man sauerstoffhaltige Stickstoffverbindungen, die eine wichtige Rolle bei (patho-)physiologischen und (patho-)biochemischen Vorgängen spielen. Verstärkte Bildung und Aktivität von RNS führen, oft gemeinsam mit reaktiven Sauerstoffspecies (ROS, Reaktive Sauerstoffspecies), zu nitrosativem Stress (Stress, nitrosativer).
Beschreibung
Wichtiges Ausgangsprodukt der RNS ist das kurzlebige Radikal Stickstoffmonoxid (NO), das aus Arginin und O2 durch eine der 3 Isoformen der NO-Synthasen gebildet wird. Neben der Synthese durch die endothelialen und neuronalen Isoformen können in Phagozyten durch die induzierbare NO-Synthase größere Mengen NO als Immunantwort auf Bakterien und Parasiten produziert werden. Ein anderer Syntheseweg ist die stufenweise Reduktion (Nitratreduktase) von Nahrungsnitrat über Nitrit zu NO. Infolge der freien Diffusion und einer Halbwertszeit von ca. 1 Sekunde gelangt ·NO in die Mitochondrien und inhibiert die OXPHOS-Komplexe. Dadurch und auch durch Entkopplung der endothelialen NO-Synthase werden vermehrt Superoxidanionen (·O2) und weniger NO gebildet (Stress, oxidativer). Das Superoxidanion oxidiert NO zu Peroxynitrit ONOO und hebt damit die Bioaktivität von NO auf. Peroxynitrit (Redoxpotenzial +1300 mV, Halbwertszeit ca. 10 ms) und daraus entstehende Radikale sind aggressive Oxidationsmittel, die mit (ungesättigten) Lipiden (zu Peroxiden und Nitraten), Proteinen (Nitrate, SH-Oxidation), DNA (zu 8-Hydroxydesoxyguanosin oder 8-Nitroguanin) und Antioxidantien (Glutathion und Thioredoxin) reagieren und in Hämproteinen Fe2+ zu Fe3+ oxidieren. Mit Kohlendioxid bildet Peroxynitrit ein Nitrosoperoxykarbonat (ONOOCO2), das in die Radikale ·CO3 (Karbonatanion) und ·NO2 (Stickstoffdioxid) zerfällt. Peroxisalpetersäure (ONOOH) ist membrangängig und zerfällt in hydrophober Phase in NO2 und·OH (Hydroxylradikal) und oxidiert und nitriert Lipide und Proteine. Durch Reaktion mit anderen kleinmolekularen Verbindungen werden weitere RNS, ROS und freie Radikale gebildet, wie NO2, N2O3, Karbonatradikal und Superoxidanion. In den Luftwegen reagiert das über NO gebildete NO2 mit Lipiden und Antioxidantien und führt zu Bronchokonstriktion, reduzierter Schleimentleerung und allergischen Prozessen (Asthma).
Die reaktiven Stickstoffspecies nitrosylieren Proteine an SH-Gruppen (Modifikation, posttranslationale). Die S-Nitrosylverbindungen (RSNO) können NO speichern und wieder abspalten (2RSNO → RSSR + 2NO), sind an Signalkaskaden und an der Regulierung von Ionenkanälen beteiligt. Fe- und Cu-haltige Enzyme, wie Aconitase und Ribonukleotid-Reduktase, werden durch Nitrosylierung und/oder Oxidation inaktiviert. Nitritativer Stress und das Folgeprodukt 3-Nitrotyrosin sind mit zerebraler Ischämie, Rheumatoidarthritis, Infektionen, terminaler Niereninsuffizienz und Sepsis assoziiert. Peroxynitrit aktiviert über den nukleären Faktor NFκB proinflammatorische Gene, inaktiviert die Calciumpumpe und erhöht die intrazelluläre Calciumkonzentration. Die veränderten Proteine unterliegen einer negativen Regulation durch denitrosylierende und (bisher wenig bekannte) denitrierende Enzyme, wie S-Nitrosoglutathion-Reduktase und Thioredoxine.
Als Radikal wird ·NO durch Elektronenspinresonanz und Spin-Trapping mit Eisendithiocarbamatkomplexen erfasst. Das im Bronchialsystem gebildete und exhalierte NO wird mit Ozon in angeregtes NO2 umgewandelt und mittels Chemolumineszenz gemessen (20–30 ppb). Dieser Atemtest ist für die Diagnose und Verlaufskontrolle von Asthma geeignet. Fluoreszenzindikator für NO ist 4,5-Diaminofluoreszein. Nitrotyrosin wird mit einem ELISA gemessen, der mit Rinderserumalbumin standardisiert wird. Im Plasma vieler gesunder Personen ist Nitrotyrosin nicht messbar, bei Patienten mit Diabetes, Zöliakie und Nierenversagen werden Werte um 0,25 μmol/L gefunden. Spezifischer sind allerdings Messungen mit HPLC oder GC-MS.
Literatur
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