Zwei Techniken der Neuromodulation kommen in der Behandlung der Stuhlinkontinenz zur Anwendung, die sakrale Neuromodulation (SNM, auch Sakralnervstimulation (SNS) genannt) und die N.-tibialis-posterior-Stimulation (PTNS).
Sakrale Neuromodulation (SNM)
Seit 1995 hat sich die sakrale Neuromodulation insbesondere aufgrund des konstanten Behandlungserfolgs im Kurz- und Langzeitverlauf sowie geringer Morbidität zu dem zentralen chirurgischen Behandlungsverfahren der Stuhlinkontinenz entwickelt (Abrams et al.
2017).
Die SNM kann in Lokal- oder
Allgemeinanästhesie durchgeführt werden. Das Verfahren besteht üblicherweise aus 2 Schritten. Zunächst erfolgt im 1. Schritt eine sogenannte perkutane Nervenevaluation (PNE). Hierfür werden perkutan mit Stimulationsnadelelektroden von dorsal die sakralen Foramina S3 oder S4 punktiert, sodass die Spitze der Nadelelektroden an den Sakralnerven im Bereich der ventralen Öffnung der sakralen Foramina S3 oder S4 zu liegen kommen. Bei adäquater analer Sphinkterantwort auf die Stimulation werden die Nadelelektroden mittels Seldinger-Technik entweder durch vorübergehende Testelektrode/n oder eine
Elektrode, die im Falle einer erfolgreichen Probestimulation zur Dauerstimulation weiterverwendet werden kann, ersetzt.
Nach Konnektion dieser
Elektrode mit einem externen Impulsgeber folgt anschließend eine Testphase mit chronischer Niederfrequenzstimulation. Für den möglichen Erfolg der Probestimulation gibt es keine prädiktiven klinischen Faktoren. Bei mindestens 50 %iger Symptomverbesserung (Inkontinenzepisoden oder Tage mit Inkontinenzepisoden während des Beobachtungzeitraumes) während der Testphase wird in einem 2. Schritt eine permanente Elektrode implantiert (sofern die Testung mit vorübergehenden Elektroden durchgeführt worden war) und mit einem subkutan, in der Regel gluteal implantierten Impulsgeber verbunden. Sollte die Testung bereits mit einer permanent zu benutzenden Elektrode durchgeführt worden sein, erfolgt lediglich die Konnektion und Implantation eines permanenten Impulsgebers. Eine klinisch erfolgreiche Probestimulation hat eine hohe Voraussagekraft für die Wirksamkeit der endgültigen chronischen Stimulation mittels permanentem Elektrodensystem (Altomare et al.
2015). Etwa 25 % der Probestimulationen bleiben ohne ausreichende klinische Wirkung (Altomare et al.
2015).
Vorteile der SNM sind die geringe Invasivität und hohe klinische Wirksamkeit sowie die Möglichkeit, mittels Probestimulationsphase die therapeutische Wirkung im Vorfeld zu prüfen. Zudem ist die sakrale Neuromodulation aufgrund der Wirksamkeit bei einigen Formen der Urininkontinenz für Patienten mit Doppelinkontinenz von besonderem Interesse.
Initial beschränkte sich das Indikationsspektrum der SNM auf die idiopathische Stuhlinkontinenz bei morphologisch intaktem Sphinkter. Heutzutage ist das Indikationsspektrum weit und umfasst multiple Entitäten der Stuhlinkontinenz – u. a. iatrogene, neurogene, kongenitale, LARS(„low anterior resection syndrome“)
– sowie spinale Läsionen (Altomare et al.
2015). Auch beim Vorliegen eines analen Sphinkterdefekts kann eine SNM therapeutisch effektiv sein.
Die therapeutische Wirksamkeit der SNM hinsichtlich Symptomlinderung und Lebensqualitätssteigerung ist sowohl im Kurzzeit- wie auch im Langzeitverlauf wiederholt nachgewiesen. Untersuchungen der letzten Jahre mit größeren Fallzahlen und Follow-ups von über 5 Jahren haben die Evidenz der SNM vor allem im Hinblick auf Langzeitergebnisse weiterentwickelt. Erfolgsraten von 89 % und das Erreichen einer vollständigen Kontinenz bei 36 % der Patienten 5 Jahre nach Implantation eines permanenten Elektrodensystems (Hull et al.
2013), eine signifikante Abnahme der Inkontinenzepisoden (16,1 auf 3,0 Episoden in 3 Wochen) bei einem Follow-up von über 7 Jahren (Janssen et al.
2017), eine signifikante Verbesserung, den einsetzenden Stuhldrang länger zu verzögern (1,5 auf 7,5 min) sowie eine mit der Normalbevölkerung vergleichbare
Lebensqualität (gemessen mittels SF-36 und FIQoL-Score) bei Therapiewirkung (Janssen et al.
2017) bestätigen die hervorragende Wirksamkeit der SNM. Die klinische Wirksamkeit ist zudem mit einer nachhaltigen Steigerung der Lebensqualität vergesellschaftet (Tan et al.
2011).
Die Therapieadhärenz ist hoch: Nach 7 Jahren ist die Therapie noch bei 76 % der Patienten aktiv (Widmann et al.
2019). Das Komplikationsrisiko ist moderat, z. B. liegt die Explanationsrate aufgrund von Infektionen zwischen 1,7% (Maeda et al.
2011) und 6,25 % (Wong et al.
2012).
Reprogrammierungen des Impulsgebers können notwendig werden, Impulsgeberwechsel bei Erschöpfung der Impulsgeberbatterie sind notwendig. Die Lebensdauer der aktuell verwendeten Impulsgeberbatterie liegt bei 5–7 Jahren (Knowles et al.
2020).
Die Technik der Elektrodenimplantation wurde jüngst modifiziert und verbessert (Matzel et al.
2017). Es ist zu erwarten, dass eine optimierte Elektrodenposition zu niedrigeren Stimulationsintensitäten und in der Folge zu verlängerter Batterielebensdauer, zu weniger unerwünschten Nebenwirkungen, zu geringerem Versagen der Probestimulation und zu verbessertem klinischen Ergebnis führt.
N.-tibialis-posterior-Stimulation(PTNS)
Zur Reduktion der ohnehin geringen Invasivität und Morbidität der SNM wurde als alternative Neurostimulationsmethode die Stimulation des Nervus tibialis posterior – eines gemischt sensorischen und motorischen Nervs, der seinen Ursprung im lumbosakralen Bereich (L4–S3) hat – über eine transkutane Pflasterelektrode oder eine perkutane Nadelelektrode über dem medialen Malleolus medialis entwickelt. Das Verfahren erfolgt ambulant. Die angewendeten Stimulationsprotokolle variieren hinsichtlich der Dauer der einzelnen Anwendungen, der Intervalle zwischen den einzelnen Anwendungen, der Gesamtzahl der Stimulationsapplikationen sowie der Gesamtzeit, über die sich die Stimulationsapplikationen erstrecken. In der Behandlung der Stuhlinkontinenz wurden in initialen Kohortenstudien die Kurzzeiterfolge mit 59–71 % beschrieben. Diese Ergebnisse wurden 2015 durch eine randomisierte Multicenter-Studie in Frage gestellt: Eine mindestens 50 %ige Reduktion der Stuhlinkontinenzepisoden nach 12 Zyklen Stimulation mittels Nadelelektrode à 30 min einmal pro Woche zeigte sich im Vergleich zu einer Scheinbehandlung nicht signifikant unterschiedlich (38 % vs. 31 %, p = 0,396) (Knowles et al.
2015). Dieses Ergebnis wurde durch eine weitere randomisiert-kontrollierte Studie bestätigt (van der Wilt et al.
2017). Eine Ex-post-Subanalyse der Daten der oben genannten, multizentrischen Untersuchung deutet darauf hin, dass das Verfahren möglicherweise bei Drangstuhlinkontinenz effizienter sein kann (Horrocks et al.
2017). Der Stellenwert der PTNS ist damit eingeschränkt.