Pathophysiologie
Knollenblätterpilze lassen sich in verschiedene Unterarten unterteilen. In Deutschland spielt die Intoxikation durch den Grünen Knollenblätterpilz
(
Amanita phalloides) die größte Rolle. Schon die Ingestion von nur 5–7 mg kann für Erwachsene letal sein. Im Grünen Knollenblatterpilz kommen zwei Toxingruppen vor: die
Phalloidine und die Amatoxine α-, β- und γ-Amanitin. Man geht davon aus, dass Phalloidine
, wenn überhaupt, nur an der Erzeugung gastrointestinaler Beschwerden beteiligt sind. Die Schwere der Erkrankung, insbesondere die Schädigung von Leber und Nieren, wird jedoch durch die aufgenommene Menge an Amatoxin vermittelt. Amatoxin
wird durch das intestinale Epithel resorbiert und gelangt über den portalvenösen Kreislauf in die hepatische Zirkulation. Durch aktiven Transport (über OATP 1B3 und NTCP) gelangt es in die Hepatozyten, wo es die DNA-abhängige RNA-Polymerase II und damit die mRNA-Synthese und konsekutiv auch die Proteinsynthese irreversibel hemmt. In der Folge kommt es zur hepatischen Zellnekrose und je nach Menge des aufgenommenen
Toxins zur schweren Hepatitis bis hin zum akuten Leberversagen. Aufgrund einer toxischen Wirkung auf die Zellen des proximalen und distalen Tubulus kommt es häufig auch zur Entwicklung eines akuten
Nierenversagens.
Klinik
Die
Vergiftung durch
Toxine des Grünen Knollenblätterpilzes verläuft akut und typischerweise in drei Phasen. Nach einer initialen Latenzphase von circa 6–12 Stunden kommt es zu gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, abdominellen
Schmerzen und Diarrhö. Diese Symptome bestehen in der Regel für 12–24 Stunden. Anschließend erfolgt eine Phase der vermeintlich klinischen Rekonvaleszenz mit Sistieren oder deutlicher Besserung der klinischen Beschwerden. In dieser Phase kommt es jedoch zu einer meist klinisch zunächst noch inapparenten hepatorenalen Schädigung. Als Korrelat finden sich ansteigende Transaminasen und eine Erhöhung des Serumkreatinins. Schließlich kommt es 2–4 Tage nach Ingestion auch zu klinischen Zeichen des Leberversagens. Erste Zeichen sind die Entwicklung einer schweren Koagulopathie. Die eingeschränkte hepatische Entgiftungsfunktion manifestiert sich nachfolgend mit Entwicklung eines
Ikterus und einer rasch progredienten
hepatischen Enzephalopathie. Das
Nierenversagen äußert sich durch eine nachlassende Diurese, Zeichen der Überwässerung, Elektrolytentgleisungen und damit assoziierte Komplikationen. Ein Teil der Patienten entwickelt im Verlauf auch eine
akute Pankreatitis.
Diagnostik
Bei klinischem Verdacht auf eine Knollenblätterpilzintoxikation sollte eine laborchemische Diagnostik und engmaschige klinische Kontrolle erfolgen. Aufgrund des dreiphasigen Verlaufs erfordert dies in der Regel eine stationäre Aufnahme. Typische laborchemische Zeichen einer Intoxikation mit Amatoxin ist eine Erhöhung der Transaminasen, die häufig sehr ausgeprägt ist (AST, ALT >1000–2000 U/l) und in der Regel nach 24–36 Stunden nachzuweisen ist. Im weiteren Verlauf kommt es zu laborchemischen Zeichen eines akuten Leberversagens mit Koagulopathie und
Hyperbilirubinämie. Das akute
Nierenversagen äußert sich laborchemisch durch eine Erhöhung des
Kreatinins mit Entwicklung einer metabolischen Azidose und von
Elektrolytstörungen. Eine Erhöhung der Lipase über das Dreifache der oberen Norm im Zusammenhang mit klinischen Beschwerden spricht für eine
akute Pankreatitis.
Amatoxin kann in den meisten Fällen 48–72 Stunden nach Einnahme in
Serum und
Urin nachgewiesen werden. Aufgrund der nur kurzen Serumhalbwertzeit empfiehlt sich in der Regel eine Bestimmung im Urin. Für den Fall, dass noch Pilzreste vorhanden sind, ist das Hinzuziehen eines Pilzexperten zu empfehlen, insbesondere bei unklaren Fällen.
Therapie
Das Erkennen und die frühzeitige Behandlung einer Knollenblätterpilzintoxikation sind von entscheidender prognostischer Bedeutung. Die Evidenz beruht dabei im Wesentlichen auf Fallserien und gesammelten retrospektiven Analysen. Prospektiv-randomisierte Studien liegen nicht vor.
Schon bei klinischem Verdacht empfiehlt sich bis zum Beweis des Gegenteils eine aggressive supportive Behandlung in Kombination mit einer antidotalen Behandlung. Die häufig aufgrund der gastrointestinalen Symptomatik exsikkierten Patienten sollten eine ausreichende intravenöse Flüssigkeitssubstitution erhalten. Amatoxin wird primär unverändert renal eliminiert. Ein Erhalt der Diurese trägt somit zur Giftelimination bei. Zur gastrointestinalen Dekontamination sollte die Gabe von Aktivkohle erfolgen (z. B. 50 g alle 4 h). Dieses bindet Amatoxin und verhindert eine Resorption sowie eine enterohepatische Zirkulation. Allein durch diese Maßnahme ließ sich in einzelnen Serien die Mortalität von ca. 50 % auf ca. 10 % senken. Bei sehr früher Vorstellung ist weiterhin eine
Gastroskopie zur Bergung möglicher Pilzreste zu diskutieren.
Zur antidotalen Behandlung
stehen mit Silibinin, einem Inhaltsstoff der Mariendistel, und Penicillin G zwei verschiedene Therapeutika zur Verfügung. Die Behandlung erfolgt in der Regel über 3–5 Tage bzw. bis zur klinischen Besserung. Tab.
1 gibt einen Überblick über die Behandlungsschemata. Der genaue Wirkmechanismus ist unklar, beide blockierten jedoch in experimentellen Untersuchungen die Aufnahme von Amatoxin in den Hepatozyten. In einer großen retrospektiven Analyse von 2108 Fällen aus den letzten 20 Jahren zeigte sich, dass die Mortalität bei Patienten, die mit Silibinin behandelt wurden, am geringsten war: Nur 5,4 % der Patienten verstarben oder mussten mit einer
Lebertransplantation behandelt werden, im Gegensatz zu 11,6 %, die mit Penicillin G behandelt wurden. Patienten, die nur supportiv behandelt wurden, verstarben in 47 % der Fälle. Einen Vorteil einer Kombinationsbehandlung mit Silibinin
und Penicillin G
konnte in retrospektiven Analysen bislang nicht gezeigt werden. Aufgrund der besseren Verträglichkeit empfiehlt sich daher der Einsatz von Silibinin zur antidotalen Behandlung. Bei fehlender Verfügbarkeit ist eine Behandlung mit Penicillin G zu empfehlen.
Tab. 1
Therapeutika zur antidotalen Behandlung bei Knollenblätterpilzintoxikation.
Silibinin (Legalon®) | 20 mg/kg KG/Tag (als kontinuierliche Infusion oder in 4 Einzeldosen) für 3–5 Tage |
Penicillin G | 300.000–1 Mio. I.E./kg KG/Tag (maximale Dosis 40 Mio. I.E./Tag) für 2–3 Tage |
Neben der Behandlung mit Silibinin oder Penicillin G empfiehlt sich auch die Gabe von Acetylcystein. Die Dosierung erfolgt analog wie bei der akuten Paracetamolintoxikation.
Frühzeitig, insbesondere bei schwerem Verlauf, sollte der Kontakt zu einem Lebertransplantationszentrum hergestellt werden. Prinzipiell basiert die Indikation zur
Lebertransplantation im Falle eines akuten Lebersagens in Deutschland auf den Kings-College-Kriterien bzw. den Clichy-Kriterien (Kap. Akutes Leberversagen). Beide wurden jedoch bislang nicht bei Patienten mit schwerer Knollenblätterpilzintoxikation evaluiert. Die Aussagekraft ist in diesem Patientenkollektiv folglich eingeschränkt. Im Einzelfall kann es daher schwierig sein, abzuschätzen, wie der weitere Verlauf ist und ob ein Patient zur hochdringlichen („high-urgency“, HU) Lebertransplantation gelistet werden sollte oder nicht. Eine retrospektive Studie kam zu dem Schluss, dass die Kombination aus dem Vorliegen einer schweren Koagulopathie (Quick <25 %) und einem Serumkreatinin >106 μmol/l am besten einen fatalen Verlauf voraussagt (Sensitivität 100 %, Spezifität 98 %).