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Die Urologie
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Publiziert am: 21.10.2021

Neurogene Blasenfunktionsstörungen bei Querschnittlähmung

Verfasst von: Jürgen Pannek
Nahezu jede Person mit einer Querschnittlähmung entwickelt eine neurogene Blasenfunktionsstörung. Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Typische Symptome sind Inkontinenz, Harnretention und rezidivierende Infektionen. Die Klinik korreliert nicht mit dem Risiko, eine Nierenfunktionsstörung zu erleiden. Goldstandard der Diagnostik ist die video-urodynamische Untersuchung. Oberstes Therapieziel ist die Vermeidung von Nierenfunktionsstörungen durch adäquate Senkung des intravesikalen Drucks. Da eine suprasakrale Querschnittlähmung unbehandelt in ca. 50 % zu einer Nierenfunktionsstörung führt, ist eine zeitnahe adäquate Therapie essenziell. Wegen des dynamischen Verlaufs dieser chronischen Störung sind lebenslange Kontrollen erforderlich.

Epidemiologie

Genaue Zahlen zur Inzidenz und Prävalenz einer Querschnittlähmung im deutschsprachigen Raum sind nicht bekannt, da kein Register existiert. Am Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil waren 2012 ca. 45 % der Betroffenen Tetraplegiker, 55 % Paraplegiker. Circa 70 % waren Männer. Bei den Lähmungsursachen zeigt sich ein genereller Trend zu weniger unfallbedingten (50–60 %) und mehr krankheitsbedingten Lähmungen. Somit steigt auch das Alter bei Lähmungseintritt in den letzten Jahren an und liegt zurzeit bei über 40 Jahren.

Pathophysiologie

Der untere Harntrakt unterliegt einer komplexen nervalen Steuerung. Voraussetzung für eine Kontrolle der Speicher- und Entleerungsfunktion ist eine intakte Innervation. Bei einer Rückenmarkverletzung tritt ein partieller oder vollständiger Verlust der zentralen Steuerung des Harntrakts ein. Daher entwickeln nahezu alle Personen mit einer Rückenmarkverletzung („spinal cord injury“, SCI) eine neurogene Blasenfunktionsstörung (nBFS). Je nach Ausprägung der Funktionsstörung sind nBFS langfristig mit subjektiven (z. B. eingeschränkte Lebensqualität durch Inkontinenz oder symptomatische Harnwegsinfekte) und objektiven (Nierenschädigung durch Harnabflussbehinderung oder Reflux) Risiken verbunden.
Bei Patienten mit suprasakraler Querschnittlähmung stellten Komplikationen auf urologischem Gebiet lange Zeit die häufigste Todesursache dar. Erst durch Verständnis der Pathophysiologie und der Etablierung einer geeigneten Diagnostik konnte eine effiziente Therapie eingeleitet und somit die Mortalität substanziell reduziert werden.

Risikofaktoren

Die wichtigsten Risikofaktoren für eine Schädigung des oberen Harntrakts sind ein erhöhter Detrusordruck in der Speicherphase (>40 cm H2O), eine eingeschränkte Elastizität (Detrusor-Compliance <20 ml/cm H2O), ein vesikorenaler Reflux und das Vorliegen einer Detrusorüberaktivität in Kombination mit einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD).
Besonders die letztgenannte Kombination führt häufig zu einer Abflussstörung des oberen Harntrakts oder zum Reflux.

Diagnostik

Basisdiagnostik

Eine genaue Anamnese bezüglich Blasenmanagement, Infektfrequenz, Kontinenz und harntraktwirksamer Medikation ist essenziell für die Therapieplanung. Zudem sollte die Wahrnehmung der Blasenfüllung erfragt werden.
Cave: Eine indirekte Wahrnehmung der Blasenfüllung durch Schwitzen, Frösteln, Gänsehaut oder Kopfschmerz können Zeichen einer autonomen Dysregulation sein. Diese ist durch einen, mitunter krisenhaften, schnellen Blutdruckanstieg in Verbindung mit einer Bradykardie gekennzeichnet, die durch eine Irritation der viszeralen Organe (Blase, Darm) getriggert wird und mitunter lebensbedrohlich sein kann. Mit einer autonomen Dysregulation ist bei Betroffenen mit einer Läsion von Th6 und darüber zu rechnen.
Wesentlich ist ein Blasenprotokoll mit Registrierung der Trinkmenge und der entleerten Blasenvolumina (auch bei Personen, die den intermittierenden Katheterismus durchführen). Auch das Darmmanagement sollte erfragt werden, da eine Darmfunktionsstörung Auswirkungen auf die Blasenfunktion und die Infektfrequenz haben kann.

Sonografie

Die Sonografie der Nieren liefert einen Überblick über die Morphologie des oberen Harntrakts. Neben einer Ektasie des Nierenbeckenkelchsystems sollten vor allem Parenchymnarben und Steine ausgeschlossen werden. Die Sonografie der Harnblase ermöglicht eine Beurteilung der Blasenwandmorphologie und bezüglich intravesikaler Raumforderungen (Tumoren, Steine). Die Messung der Detrusorwanddicke mit hochauflösenden Schallsonden kann Informationen zur Blasenfunktion liefern (Pannek et al. 2013).

Funktionsdiagnostik unterer Harntrakt

Das einzige Verfahren zur Quantifizierung der funktionellen Risikofaktoren für den oberen Harntrakt (Detrusordruck, Compliance) stellt die Urodynamik dar.
Idealerweise erfolgt diese in Kombination mit einer radiologischen Bildgebung (Video-Urodynamik), um die morphologischen Veränderungen (z. B. vesikorenaler Reflux) einem spezifischen Funktionsmuster zuordnen zu können (Abb. 1). Hierbei sollte die Füllung der Blase in mittelschneller Füllgeschwindigkeit (20–30 ml/min) erfolgen.
Goldstandard zur sicheren Bestimmung der Nierenfunktion ist eine seitengetrennte nuklearmedizinische Clearance, alternativ kann eine Kreatinin-Clearance aus Serum und Sammelurin durchgeführt werden. Die Serum-Kreatinin-Messung ist wegen der fehlenden Muskelmasse der meisten Patienten ungeeignet, da sie die Nierenfunktion überschätzt; die Bestimmung des Serum-Cystatin C scheint etwas genauer zu sein.

Therapie

Therapieziele

Überblick Therapieziele
Wichtigstes Therapieziel ist die Protektion des oberen Harntrakts. Die größte Gefahr einer Nierenfunktionsschädigung besteht in einem permanent erhöhten intravesikalen Druck. Häufigste Ursache ist eine Detrusorüberaktivität in Kombination mit einer DSD (Groen et al. 2016). Die Definition eines Cut-off-Werts für einen physiologischen Speicherdruck basiert auf nur wenigen Studien mit kleiner Patientenzahl. Allgemein wird ein Speicherdruck von <40 cm H2O während der Speicherphase als sicher bezüglich einer Nierenfunktionsschädigung angesehen. Als weiteres prognostisches Kriterium gilt die Detrusor-Compliance (Norm: > 20 ml/cm H2O).
Therapie der ersten Wahl ist die maximale Senkung des Detrusordrucks. Durch physiologische Speicherdrucke können eine Protektion des oberen Harntrakts und oft auch Kontinenz erreicht werden.
Weitere wesentliche Therapieziele sind die Vermeidung von Sekundärschäden am unteren Harntrakt, eine willkürliche selbstbestimmte Blasenentleerung in physiologischen Intervallen, Kontinenz und ein möglichst weitgehender Erhalt der Lebensqualität der Betroffenen. Da die subjektiven Symptome nicht mit den objektiven Risikofaktoren korrelieren, ist eine Funktionsdiagnostik essenziell; eine ausschließlich symptomorientierte Therapie ist kontraindiziert.
Einen Überblick über Diagnostik und Therapie bei Detrusorüberaktivität geben Abb. 2 und Tab. 1.
Tab. 1
Blasenfunktionsstörung nach Querschnittlähmung: Charakteristika, Diagnostik und Therapie
Periode
Charakteristika
Diagnostik
Therapie
Spinale Schockphase (bis ca. 6. Wochen nach Rückenmarktrauma)
Areflexiver Detrusor, insuffizienter Sphinkter
Video-Urodynamik, Sonografie Harntrakt
Sichere Harnableitung (ISK, IFK, ggf. SPF)
Nachweis spinaler Reflexe
Suprasakrale Läsion:
Detrusorüberaktivität und DSD
(Video-)Urodynamik
Festlegung Konzept: Therapie NDO und ISK/Reflexmiktion und Reduktion Auslasswiderstand
3 Monate nach QSL
Abhängig von Läsionstyp
Urodynamik, Sonografie Harntrakt
Überprüfung Konzept, ggf. Anpassung Therapie
6 Monate nach QSL
Abhängig von Läsionstyp
Urodynamik
Überprüfung Konzept, ggf. Anpassung Therapie
1 Jahr nach QSL
Abhängig von Läsionstyp
Video-Urodynamik, Nierenfunktionsprüfung (Clearance)
Überprüfung Konzept, ggf. Anpassung Therapie
Risikoadaptiert; primär jährlich
Abhängig von Läsionstyp
Video-Urodynamik,
Sonografie Harntrakt, Nierenfunktionsprüfung (Clearance) (alle 2–3 Jahre)
Überprüfung Konzept, ggf. Anpassung Therapie
Nach 5 Jahren: je nach Risiko oberer Harntrakt alle 2–3 Jahre
 
Video-Urodynamik, Sonografie Harntrakt, Nierenfunktionsprüfung (Clearance) (alle 2–3 Jahre)
 
Wichtig: bei neu aufgetretener Inkontinenz, rezidivierenden Harnwegsinfekten, neu aufgetretener autonomer Dysregulation, erhöhter Katheterisierungsfrequenz bzw. erschwerter Reflexmiktion zeitnahe neurourologische Abklärung! (Warnsymptome!)
DSD Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie, IFK intermittierender Fremdkatheterismus, ISK intermittierender Selbstkatheterismus, NDO „neurogenic detrusor overactivity“, QSL Querschnittlähmung, SPF suprapubischer Harnblasenfistelkatheter.

Maßnahmen zur Senkung des intravesikalen Drucks

Antimuskarinika

Antimuskarinika sind heute die Medikamente der ersten Wahl zur Therapie der Detrusorüberaktivität. Sie blockieren muskarinerge afferente und efferente Rezeptoren. Während für die Substanzen Oxybutynin, Propiverin, Tolterodin und Trospium ausreichende Daten zur Therapie von Patienten mit nBFS vorliegen, ist die Datenlage bei den neueren Substanzen (Darifenacin, Fesoterodin, Solifenacin) in dieser Patientengruppe noch begrenzt. Eine Dosiseskalation verbessert die Wirksamkeit, führt aber zur Zunahme der Nebenwirkungen. Bei gebräuchlicher Dosierung sind die Nebenwirkungsprofile für Darifenacin, Fesoterodin, transdermales Oxybutynin, Propiverin, Solifenacin, Tolterodin und Trospium vergleichbar, lediglich eine orale nicht retardierte Oxybutynintherapie ≥10 mg/Tag führt zu signifikant mehr Nebenwirkungen (Buser et al. 2012).
Antimuskarinika wirken über Muskarinrezeptoren, von denen 5 Subtypen existieren. Eine effektive Blockade der M3-Rezeptoren am Detrusor ist oft mit signifikanten unerwünschten Wirkungen (z. B. Obstipation, Mundtrockenheit) verbunden. Gerade bei älteren Patienten stellen zentrale Nebenwirkungen der Antimuskarinika, die über den M1-Rezeptor vermittelt werden, ein klinisch relevantes Problem dar. Mögliche Lösungsansätze bei Risikopatienten sind die Verwendung von Medikamenten mit M3-Selektivität (z. B. Darifenacin), welche mit den zentralen M1-Rezeptoren nicht interagieren, oder die Verwendung quarternärer, polarer Amine (Trospium), die bei intakter Blut-Hirn-Schranke nicht liquorgängig sind.
Erste Erfahrungen mit dem Beta-3-Adrenorezeptor-Agonisten Mirabegron als Second line Therapie bei nicht ausreichender Behandlung mit Antimuskarinika zeigen bei nBFS eine effiziente Suppression der Detrusorüberaktivität mit einem günstigen Nebenwirkungsprofil (El Helou et al. 2019). Eine Kombination mit Antimuskarinika, sowohl zur Optimierung der Wirkung als auch zur Reduktion der Nebenwirkungen durch Reduktion der Antimuskarinikadosis ist möglich.

Onabotulinumtoxin

Die Injektion von Botulinumtoxin A (z. B. Onabotulinumtoxin, BOTOX) in den Detrusor führt zu einer effektiven, reversiblen Unterdrückung der Detrusorüberaktivität für im Mittel 8–9 Monate (Linsenmeyer 2013). Für die neurogene BFS ist die Dosierung von 200 IE Botox zugelassen worden, obwohl die bis dahin gängige Dosis 300 IE betrug. Wiederholte Injektionen sind ohne strukturelle Veränderungen möglich. Die Erfolgsquote bei Langzeittherapie beträgt ca. 75 %; die klinische Relevanz einer Antikörperbildung ist noch ungeklärt. Eine Zulassung für die Anwendung bei Inkontinenz durch nBFS besteht heute lediglich für das Präparat Botox. Eine Therapie ist bei unzureichender Wirkung oder Unverträglichkeit der oralen Medikation indiziert.

Operative Therapie

Bei nicht ausreichender Effektivität der konservativen oder minimal invasiven Therapie stellt die Ileumaugmentation der Harnblase das Verfahren der Wahl bei therapierefraktärer Detrusorüberaktivität bzw. Low-Compliance-Blase dar. Bei Patienten mit Problemen, die Blase mittels intermittierendem Katheterismus über die Urethra zu entleeren, kann diese Technik mit einem katheterisierbaren Stoma kombiniert werden. Im Langzeitverlauf sind Elektrolytverschiebungen und Schleimhautveränderungen möglich, sodass regelmäßige Kontrollen erforderlich sind. Zu beachten ist, dass bei bereits vorbestehender neurogener Darmfunktionsstörung diese durch die Operation verstärkt werden kann.

Blasenentleerung

Nach suffizienter Senkung der Detrusoraktivität oder bei primär akontraktilem Detrusor erfolgt die Blasenentleerung idealerweise mittels intermittierendem Katheterismus (Groen et al. 2016). Primär sollte der intermittierende Selbstkatheterismus etabliert werden, in Ausnahmen ist der Fremdkatheterismus erforderlich.
Die Dauerkatheterversorgung ist wegen gravierender Langzeitfolgen (Steinbildung, Harnröhrendestruktion, Harnwegsinfekte, Septitiden, Nierenfunktionsstörungen, maligne Entartung) wenn immer möglich zu vermeiden. Falls nicht zu umgehen, ist der suprapubische Katheter weniger komplikationsträchtig als der transurethrale Katheter.

Eingriffe an der nervalen Steuerung

Nur wenige der multiplen Versuche, durch Eingriffe in das Nervensystem die Steuerung des unteren Harntrakts zu retablieren, werden heute im klinischen Alltag eingesetzt. Die Wirksamkeit neuroregenerativer Verfahren, Stammzellen oder Nerventranspositionen konnte bisher nicht evidenzbasiert nachgewiesen werden und muss deshalb in klinischen Studien evaluiert werden. Die Effizienz der sakralen Neuromodulation bei Querschnittlähmung ist bis heute noch nicht umfassend geprüft worden. Die wenigen vorhandenen Daten deuten darauf hin, dass die Therapie bei inkompletten Läsionen, nicht aber bei kompletter Querschnittlähmung indiziert ist (Kessler et al. 2010).
Bei kompletter Querschnittlähmung kann eine intradurale sakrale Deafferentation in Kombination mit einem Vorderwurzelstimulator (Brindley-Procedure) durchgeführt werden (Abb. 3). Durch dieses Verfahren kann sowohl eine vollständige Ruhigstellung der Blase in der Speicherphase als auch eine willkürliche Miktion mittels eines externen Steuerungsgeräts erzielt werden. Die Notwendigkeit der Deafferentation führt dazu, dass dieses Verfahren nur bei kompletter Läsion möglich ist; die resultierende erektile Dysfunktion und die Notwendigkeit einer Nervenresektion in einer Ära, in der viele Betroffene auf eine Neuroregeneration nach Querschnittlähmung in naher Zukunft hoffen, haben die Verbreitung dieses Verfahrens zunehmend eingeschränkt (Krasmik et al. 2014). Versuche, die Deafferentation durch eine Stimulation der Nerven, also durch eine elektronische Impulsblockade zu ersetzen, um den Eingriff somit weniger invasiv zu gestalten, waren bisher nicht erfolgreich.
Eine supravesikale Harnableitung wegen irreversibler Schäden am Harntrakt ist heute bei regelmäßiger urologischer Betreuung dieser Patientengruppe nur noch selten erforderlich.

Alternative Konzepte

Für männliche Patienten, denen eine Blasenentleerung mittels intermittierendem Katheterismus nicht möglich ist, besteht die Möglichkeit eines alternativen Blasenmanagementkonzepts. Durch eine Sphinkterotomie des externen Sphinkters kann der Auslasswiderstand so weit gesenkt werden, dass sich bei hohen intravesikalen Drücken der Urin spontan über die Harnröhre entleert. Dies gewährleistet eine Protektion des oberen Harntrakts, macht aber wegen der resultierenden Inkontinenz eine Kondomurinalversorgung nötig und ist daher nur bei Männern etablierbar (Reynard et al. 2003). Die Botox-Injektion in den Sphinkter oder die Einlage eines Stents in den Sphinkterbereich stellen reversible Alternativen zur Sphinkterotomie dar.

Belastungsinkontinenz

Eine etablierte konservative Therapie der Belastungsinkontinenz bei Querschnittlähmung existiert nicht. Beim Mann stellt der artifizielle Sphinkter aktuell die Methode der Wahl dar. Aufgrund der Druckbelastung beim Sitzen im Rollstuhl, der Notwendigkeit des intermittierenden Katheterismus und der häufig vorliegenden Blasenhalsinsuffizienz erfolgt bei Querschnittgelähmten die Implantation nicht bulbär, sondern am Blasenhals.
Bezüglich weniger invasiver Alternativen existieren nur wenige Studien. Der Erfolg alloplastischer suburethraler Schlingen wird kontrovers beurteilt. Die Faszienzügelplastik stellt bei Frauen eine valide Alternative zum artifiziellen Sphinkter dar.

Harnwegsinfektionen

Harnwegsinfekte treten bei Personen mit nBFS gehäuft auf. Mögliche Ursachen hierfür sind eine nicht ausgeglichene Speicherung und Entleerung von Urin. Auch durch den intermittierenden Katheterismus ist das Risiko für Infekte erhöht.
Tipp
Es besteht Einigkeit darüber, dass nur symptomatische Infekte therapiert werden sollen, eine Therapie einer asymptomatischen Bakteriurie ist nicht indiziert und induziert mittelfristig multiresistente Keime. Auch Querschnittgelähmte entwickeln bei Harnwegsinfekten Symptome, die sich jedoch von denjenigen Nichtgelähmter unterscheiden (z. B. Inkontinenz, erhöhte Spastik, Fieber, allgemeines Krankheitsgefühl; für eine genaue Zusammenstellung s. Goetz et al. 2013).
Rezidivierende Harnwegsinfekte können die Lebensqualität Querschnittgelähmter massiv einschränken; Evidenz für die Wirksamkeit einer spezifischen Prophylaxemaßnahme besteht bis heute nicht, sodass verschiedenste Verfahren zur Anwendung kommen (Pannek 2012).

Kontrollen

Die neurogene Blasenfunktionsstellung bei Querschnittlähmung stellt ein dynamisches Geschehen dar. Die urodynamischen Veränderungen korrelieren nicht mit den klinischen Symptomen. Daher sind regelmäßige urodynamische Kontrollen obligat (Nosseir et al. 2007). Diese sollten erstmals nach Abklingen der spinalen Schockphase (nach ca. 6 Wochen) erfolgen, im ersten Jahr sind je nach Resultat der Erstuntersuchung weitere Kontrollen erforderlich. Die Frequenz der Kontrollen ist von Typ der nBFS und den aktuellen Untersuchungsergebnissen abhängig. Als generelle Regel sollte aber zumindest in den ersten 5 Jahren nach Querschnittlähmung eine jährliche urodynamische Kontrolle erfolgen. Bei asymptomatischen Personen mit einem urodynamischen Befund ohne Risikofaktoren für die Nierenfunktion können ab diesem Zeitpunkt die Intervalle ggf. verlängert werden.

Zusammenfassung

  • Suprasakrale Blasenfunktionsstörungen bei Rückenmarkschädigung führen unbehandelt in 50 % zur Niereninsuffizienz.
  • Protektion des oberen Harntrakts wird durch adäquat gesenkte intravesikale Drucke erreicht.
  • Subtile urodynamische Diagnostik essenziell für adäquate Therapie.
  • Aktuelle Therapieformen erlauben neben Protektion der Nierenfunktion auch Erhalt der Lebensqualität.
  • Eine Dauerkatheterversorgung unbedingt vermeiden.
  • Neurogene Blasenfunktionsstörungen: dynamisches Geschehen, lebenslange Kontrollen erforderlich.
Literatur
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