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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 08.03.2022

Bruxismus

Verfasst von: Peter Young und Geert Mayer
Als Bruxismus wird eine stereotype orale Bewegungsstörung bezeichnet, die durch Zähneknirschen oder Zusammenbeißen der Zähne gekennzeichnet ist. Wenn der Bruxismus vorzugsweise im Schlaf auftritt, wird er auch als nächtlicher Bruxismus bezeichnet. Bruxismus führt zu übermäßiger Abnutzung der Zähne, verursacht laute Geräusche und hat über die verstärkte Anspannung der Kaumuskulatur häufig Kiefergelenkbeschwerden und Kopfschmerzen zur Folge. Vom primären Bruxismus spricht man, wenn weder Fehlokklusionen noch anderweitige Erkrankungen oder die Einnahme psychoaktiver Substanzen den Bruxismus auslösen.

Synonyme

Nächtlicher Bruxismus; Schlafbezogener Bruxismus; Zähneknirschen

Englischer Begriff

bruxism; sleep related bruxism

Definition

Als Bruxismus wird eine stereotype orale Bewegungsstörung bezeichnet, die durch Zähneknirschen oder Zusammenbeißen der Zähne gekennzeichnet ist. Wenn der Bruxismus vorzugsweise im Schlaf auftritt, wird er auch als nächtlicher Bruxismus bezeichnet. Bruxismus führt zu übermäßiger Abnutzung der Zähne, verursacht laute Geräusche und hat über die verstärkte Anspannung der Kaumuskulatur häufig Kiefergelenkbeschwerden und Kopfschmerzen zur Folge. Vom primären Bruxismus spricht man, wenn weder Fehlokklusionen noch anderweitige Erkrankungen oder die Einnahme psychoaktiver Substanzen den Bruxismus auslösen.
In der „ICSD-3“ (2014) wird der Schlafbezogene Bruxismus der Kategorie „Schlafbezogene Bewegungsstörungen“ zugeordnet.

Genetik, Geschlechterwendigkeit

Bei ca. 20–50 % aller Betroffenen leiden ein oder mehrere Angehörige unter Bruxismus. Ein bestimmter Vererbungsmodus ist nicht bekannt. Es existiert keine Geschlechterwendigkeit.

Epidemiologie

Nächtlicher Bruxismus tritt mit ca. 14–17 % am häufigsten im Kindes- und Jugendalter auf. Mit zunehmendem Alter tritt die Erkrankung seltener auf, bei über 60-Jährigen wird die Prävalenz auf 3 % geschätzt.

Pathophysiologie

Ca. 60 % der gesunden Personen haben in der Nacht rhythmische Aktivität der Kaumuskulatur, die nicht als pathologisch zu werten ist. Diese Aktivität ist bei nächtlichem Bruxismus um das Dreifache erhöht. Interaktionen zwischen dem limbischen, motorischen und autonomen System aktivieren die für die Kaumuskulatur verantwortlichen Neurone wahrscheinlich entweder direkt oder durch eine begünstigende Aktivierung eines zentralen Generators für rhythmische Aktivität der Kaumuskulatur, wie sie auch bei Atmung und Bewegung auftritt. Zwei pathophysiologische Modelle nehmen an, dass kortikobulbäre Einflüsse auf den kontralateralen Hirnstamm zunächst ein Relais in der medialen pontomedullären Formatio reticularis aktivieren, das vermutlich motorische Kerne des Nervus trigeminus erreicht und die Kaumuskulatur aktiviert. Patienten mit Bruxismus sind häufig ängstlicher und stärker aufgabenorientiert als die Normalbevölkerung. Beziehungen von Stress zu Wachzeiten mit Veränderungen im Elektroenzephalogramm der Schlafenden wurden nicht gefunden. Das Vorhandensein von Parasomnien ist ein prädisponierender Faktor.

Symptomatik

Das Zähneknirschen wird von den Betroffenen nicht unmittelbar wahrgenommen, oft werden sie erst vom Zahnarzt auf ihre abgeschliffenen Zähne angesprochen. Gelegentlich sind es die Partner, die sich über die lauten nächtlichen Knirschgeräusche beklagen. Kopfschmerzen oder Kiefergelenksschmerzen infolge des nächtlichen Knirschens sind nicht selten. Nur wenige Patienten klagen über Schlafstörungen beziehungsweise nicht erholsamen Schlaf.
Der Bruxismus muss nicht in jeder Nacht auftreten. Mit zunehmendem Alter lässt die Symptomatik nach. Bei manchen Patienten tritt die Erkrankung lebenslang in gleicher Intensität auf.

Diagnostik

Die Diagnose ergibt sich aus der Anamnese, dem Zahnstatus und, sofern notwendig, aus der „Polysomnographie“. Bruxismus findet meist im REM-Schlaf statt. Bei ca. 80 % der Patienten finden sich vorausgehende und begleitende Aktivierungen von „Elektroenzephalogramm“ und „Elektromyogramm“ im Rahmen von zentralnervösen Aktivierungen („Aufwachen und Hirnaktivierung“). Sie sind häufig assoziiert mit Schlucken. Polysomnographisch zeigt sich eine vermehrte Aktivität der Kaumuskulatur im Schlaf (Abb. 1). Definitionsgemäß sollte die Aktivität 40 % höher als die maximale Willkürkontraktion sein. Dabei sollen mindestens 3 Entladungen einer Dauer von mehr als 0,25 Sekunden und weniger als 2 Sekunden vorliegen. Diese Bewegungen werden auch als Rhythmische Mastikatorische Muskelaktiviät (RMM) bezeichnet. Bei einer Dauer von mehr als 2 Sekunden wird von einem tonischen Ereignis ausgegangen. Ca. 88 % des nächtlichen Bruxismus ist vom phasischen oder gemischten Typ. Die rhythmischen zentralnervösen Aktivierungen sind assoziiert mit K-Komplexen, denen eine kurzdauernde Alphaaktivität unmittelbar folgt und die motorische Entladungen bahnt.

Differentialdiagnostik

Vom primären Bruxismus abzugrenzen ist die Aktivierung der Kaumuskulatur im Rahmen anderer Erkrankungen. Bruxismus kann symptomatisch auftreten bei schlafmedizinischen Erkrankungen wie Obstruktiver Schlafapnoe (OSA; siehe „Obstruktive Schlafapnoe“), „Restless-Legs-Syndrom“, „Periodic Limb Movement Disorder“ (PLMD) und „REM-Schlaf-Verhaltensstörung“. Er kann ferner auftreten bei „Alkoholabhängigkeit“, bei zerebralen Ischämien (siehe „Zerebrale Ischämie“) und Blutungen und bei neurologischen Erkrankungen wie nächtlicher „Epilepsie“, Meige-Syndrom, Tics, Chorea Huntington, „Parkinson-Syndrome“, Gesichtsmyoklonus, Enzephalopathie und tardiver Dyskinesie.

Komorbide Erkrankungen

Bei Kindern besteht eine Assoziation mit „Somniloquie“ und Enuresis (siehe „Enuresis und Harninkontinenz“), bei Erwachsenen mit Restless-Legs-Syndrom.

Therapie

Die Patienten werden vorwiegend von Zahnärzten gesehen und behandelt. Indikatoren sind sogenannte Schlifffazetten. Fehlokklusionen sollten beseitigt werden. Aufbissschienen verhindern das Knirschen und seine Folgen, nicht jedoch den Aufbissdruck der Kaumuskulatur und die damit verbundenen Schmerzen und Beschwerden. Biofeedback wirkt nur sehr kurzfristig, akustisches Feedback kann Schlafstörungen verschlimmern. Die elektrische Stimulation der Haut über dem Musculus submentalis zur exterozeptiven Reflexunterdrückung von Muskelaktivität wird zurzeit noch geprüft. Pharmakologisch können Benzodiazepine die Bruxismusfrequenz verringern, stellen aber keine Dauerlösung dar. Der Effekt von Dopaminagonisten ist noch nicht gesichert, es liegen Berichte über Verschlimmerungen vor. Gammahydroxybuttersäure kann Bruxismus deutlich reduzieren. Behandlung mit Botulinumtoxin kann zu einer Besserung führen. Biofeedbackverfahren werden diskutiert und können im Einzelfall probatorisch eingesetzt werden.
Regelmäßige Untersuchungen zur Kontrolle des Behandlungserfolgs und Prävention einer Verschlimmerung sind angezeigt.

Zusammenfassung, Bewertung

Der Bruxismus stellt eine behandelbare Erkrankung dar. Die Auswirkungen auf die Schlafqualität werden als gering angesehen. Die Therapie ist besonders dann indiziert, wenn er chronische Schmerzen mit muskulärer Verspannung im Bereich der Kiefergelenke verursacht oder wenn die Mahlbewegungen der Zähne im Schlaf das Gebiss der Betroffenen nachhaltig schädigen.
Literatur
Castrillon EE, Ou KL, Wang K et al (2016) Sleep bruxism: an updated review of an old problem. Acta Odontol Scand 74:328–334CrossRef
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Manfredini D, Ahlberg J, Winocur E et al (2015) Management of sleep bruxism in adults: a qualitative systematic literature review. J Oral Rehabil 42:862–874CrossRef
Wang LF, Long H, Deng M et al (2014) Biofeedback treatment for sleep bruxism: a systematic review. Sleep Breath 18:235–242CrossRef