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Bilirubin

Verfasst von: A. M. Gressner und O. A. Gressner
Bilirubin
Synonym(e)
Bilirubin IXα
Englischer Begriff
bilirubin
Definition
Bilirubin ist ein rot-orange gefärbtes, lineares, apolares, lipophiles, in wässrigem Milieu nur sehr gering lösliches Tetrapyrrol, das zu 80 % aus dem Abbau der Hämkomponente des Hämoglobins (Hämoglobin) degradierter Erythrozyten stammt.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Bilirubin ist ein aus 4 mit Methyl-, Vinyl- und Propionsäuregruppen substituierten Pyrrolringen bestehendes, apolares und lichtempfindliches Molekül (Molmasse 585 g), dessen Pyrrolringe durch 3 Methinbrücken (β, γ, δ) verbunden sind. Die tägliche Produktionsrate von 250–400 mg beim Menschen geht zu 80 % auf den Abbau des Häms (Ferroprotoporphyrin IX) des Hämoglobins (1 g Hämoglobin ergibt ca. 35 mg Bilirubin) seneszenter Erythrozyten in den Makrophagen von Milz, Knochenmark und Leber (Kupffer-Zellen) und zu etwa 20 % auf den Katabolismus Häm-enthaltender Enzyme wie Zytochrome, Katalase, Peroxidase, Tryptophanpyrrolase und Myoglobin zurück. Eine kleine Bilirubinfraktion stammt aus dem Abbau des freien Häms bei ineffektiver Erythropoese mit zwar gebildetem, aber schnell wieder abgebautem Häm (Shunt-Bilirubin, „frühmarkiertes“ Bilirubin). Der Ferroprotoporphyrinring (Häm) wird oxidativ an der α-Methinbrücke unter Freisetzung von Kohlenmonoxid (CO) und Eisen katalytisch durch die mikrosomale Hämoxigenase in Anwesenheit von molekularem Sauerstoff (O2) und NADPH + H+ gespalten (Abb. 1).
Es entsteht das grün gefärbte Gallepigment Biliverdin, das durch die NADPH + H+-abhängige Biliverdinreduktase zu Bilirubin IX reduziert wird. Der Bilirubintransport des wasserunlöslichen, unkonjugierten Bilirubins vom Produktions- zum Eliminationsort (Leber) erfolgt durch reversible Bindung an Albumin. Nach Passage des Komplexes aus den Lebersinusoiden durch die Fenestrae der sinusoidalen Endothelzellen erfolgt eine Bindung an Hepatozyten, Bilirubin dissoziiert ab und wird überwiegend durch Carrier-freie transmembranöse Diffusion (möglicherweise wirkt der hochaffine Transporter OATP-C mit) zellulär aufgenommen und an das zytosolische Protein Ligandin (Glutathion-S-Transferase, Y-Protein) und in hohen Konzentrationen auch an Z-Protein gebunden. Die Exkretion von Bilirubin verlangt die Konversion in eine polare, hydrophile Struktur, die durch enzymatische Konjugation der Karboxylgruppen der beiden Propionsäurerester mit Glukuronsäure erfolgt. Die im endoplasmatischen Retikulum (ER) lokalisierte, in multiplen Formen auftretende UDP-Glukuronyltransferase katalysiert die Bindung von UDP-Glukuronsäure an das Aglykon-Substrat Bilirubin zum Bilirubindi- und -monoglukuronid. Diese Bilirubinglukuronide werden über die kanalikuläre Membran der Hepatozyten Carrier-vermittelt durch MRP-2 („multidrug resistance protein 2“) in die Galle ausgeschieden. Der Bilirubinkonjugat-Transporter MRP-2 ist eine multispezifische Pumpe mit Bedeutung für den Gallesalz-unabhängigen Gallefluss. Seine genetische Defizienz führt zum Dubin-Johnson-Syndrom, gekennzeichnet durch konjugierte Hyperbilirubinämie. In den Darm ausgeschiedenes konjugiertes Bilirubin wird im Wesentlichen nicht resorbiert, sondern in den bakterienhaltigen Abschnitten (terminales Ileum, Caecum, Kolon) durch bakterielle β-Glukuronidase dekonjugiert mit nachfolgendem oxidoreduktiven Abbau zu Urobilinogen (Urobilin(ogen)), Urobilin, Sterkobilinogen (Sterkobilin(ogen)) und Sterkobilin. Im Rahmen eines enterohepatischen Kreislaufs wird das farblose Urobilinogen resorbiert und über Leber und Galle erneut in den Darm exkretiert. Eine kleinere Fraktion des Urobilinogens wird zu dem gelben Urobilin oxidiert und mit dem Urin (täglich ca. 4 mg) und Stuhl (täglich 40–280 mg) als Sterkobilinogen, das unter Lufteinwirkung zum Sterkobilin autoxidiert und für das Nachdunkeln des Stuhls verantwortlich ist, ausgeschieden. Uro- bzw. Sterkobilinogen sind die natürlichen Endabbauprodukte des Bilirubins und bei Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs im Urin vermehrt.
Funktion – Pathophysiologie
Störungen des Bilirubinstoffwechsels, die zu Hyperbilirubinämie (als Ikterus erkennbar ab einer Bilirubinkonzentration von ca. 2 mg/dL) führen, sind auf 3 Ebenen möglich (Abb. 2):
Prähepatische Hyperbilirubinämie (= Produktionsikterus)
Bei übermäßiger Bilirubinbildung, zum Beispiel in Form akuter Hämolyse oder Abbau extravasaler Blutmassen (hämorrhagischer Ikterus). Vorherrschend sind unkonjugiertes Bilirubin und erhöhte Urobilinogenurie bei fehlender Bilirubinurie.
Hepatische Hyperbilirubinämie
Kann als Störung der Bilirubinaufnahme (= Absorptionsikterus), der Bilirubinkonjugation (= Konjugationsikterus) oder der kanalikulären Exkretion (= Exkretionsikterus) auftreten. Je nach Feinlokalisation akkumuliert unkonjugiertes Bilirubin z. B. Gilbert-Syndrom, Meulengracht-Syndrom, Crigler-Najjar-Syndrom (UDP-Glukuronyltransferasemangel) oder konjugiertes Bilirubin (z. B. Dubin-Johnson-Syndrom, Rotor-Syndrom).
Posthepatische Hyperbilirubinämie (= Kanalisationsikterus)
Tritt bei Verschluss extrahepatischer Gallenwege (z. B. Steine, Pankreaskopfkarzinom) auf und bewirkt eine ausgeprägte konjugierte Hyperbilirubinämie, Bilirubinurie mit nahezu fehlender fäkaler Sterkobilinogenausscheidung (acholischer, heller Stuhl). Bilirubin im Blut ist ein wichtiges physiologisches Antioxidanz.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Serum, Heparin- oder EDTA-Plasma, Urin.
Präanalytik
Lichtexposition führt zu einer raschen Zerstörung von ca. 50 % pro Stunde bei Sonnenexposition. Hämoglobin (Hämolysen) und starke Lipämien führen zu falsch niedrigen Werten. Indikan und Indoxylderivate (urämische Proben) und einige Medikamente erzeugen falsch hohe Messergebnisse.
Analytik
Die meisten Methoden basieren auf der von Paul Ehrlich (Ehrlich, Paul) 1883 beschriebenen Derivatisierung mit Diazoreagenz, das Bilirubin in stabile diazotierte Azodipyrrole überführt (Azobilirubin). Van den Bergh und Müller (1916) sowie Jendrassik und Grof (1938) beschrieben bei der Reaktion mit diazotierter Sulfanilsäure (p-Aminobenzolsulfonsäure) 2 Typen: Eine direkte, innerhalb von 30 Sekunden zur Farbentwicklung führende Reaktion erfasst konjugiertes („direktes“) Bilirubin, eine indirekte, erst nach Zugabe von Methanol oder Koffein ablaufende Reaktion erfasst die nicht glukuronidierte, proteingebundene („indirekte“) Bilirubinfraktion. Als Akzeleratoren der Reaktion sind neben Methanol und Koffein auch Ethanol, Diphyllin, Natriumbenzoat und -azetat wirksam (häufig Koffein-Natriumbenzoat als Akzelerator). Die Diazo-Reaktion wird durch Zugabe von Askorbinsäure gestoppt und nach Zugabe einer stark alkalischen Tartratlösung als blaues Azobilirubin bei 600 nm photometrisch gemessen. Indirekt reagierendes Bilirubin ergibt sich aus der Differenz von Gesamt-Bilirubin (nach Zugabe eines Akzelerators) und direkt reagierendem Bilirubin (ohne Akzelerator). Es handelt sich um einfache, praktikable, gut mechanisierbare Standardmethoden mit einer Unpräzision von weniger als 3 %. Darüber hinaus existieren spektrophotometrische (455/575 mm) und enzymatische (Bilirubinoxidase-abhängige Konversion zu Biliverdin) Methoden.
Referenzbereich – Erwachsene
Erwachsene
(μmol/L)
(mg/dL)
Gesamt
3,4–18,8
0,2–1,1
Unkonjugiert
3,4–13,7
0,2–0,8
Konjugiert
0–5,1
0–0,3
Referenzbereich – Kinder
Alter
Termingerechte Geburten
(μmol/L)
(mg/dL)
(μmol/L )
(mg/dL)
24 Stunden
17,1–136,8
1–8
34,2–102,6
2–6
48 Stunden
102,6–205,2
6–12
102,6–171,0
6–10
3–5 Tage
171,0–239,4
10–14
68,4–136,8
4–8
Säuglinge >1 Monat:
 
(μmol/L)
(mg/dL)
Gesamt
3,4–18,8
0,2–1,1
Unkonjugiert
3,4–13,7
0,2–0,8
Konjugiert
0–5,1
0–0,3
Indikation
Objektivierung, Verlaufskontrolle und Differenzialdiagnose des prähepatischen, hepatischen und posthepatischen Ikterus bei gleichzeitiger semiquantitativer Teststreifenbestimmung von Urobilinogen und Bilirubin im Urin.
Interpretation
Ein Anteil des konjugierten (direkten) Serumbilirubins von < 20 % am Gesamtbilirubin spricht für eine prähepatische, ein Anteil von >50 % für eine hepatische oder posthepatische Hyperbilirubinämie (Ikterus) (s. Tabelle).
In der folgenden Tabelle sind typische Veränderungen der Serumbilirubinzusammensetzung und der Urobilinogenausscheidung zur Differenzialdiagnose der Ikterusformen zusammenstellt:
Ikterusform
Konjugiertes Bilirubin
(direktes)/unkonjugiertes (indirektes) Bilirubin
Bilirubin
Urin
Urobilinogen
Fäzes
Sterkobilinogen
Prähepatisch
<0,20
0
↑ oder normal
Hepatisch
0,20–0,70
(+)
↑ oder normal
↓ oder normal
Posthepatisch
>0,50
+
↓ oder normal
Die prähepatische Hyperbilirubinämie (= Produktionsikterus) tritt bei übermäßigem Anfall von Bilirubin dann auf, wenn die Bilirubineliminationskapazität der Leber von etwa 1700 μmol/Tag, die unter physiologischen Bedingungen nur zu etwa 25 % ausgelastet ist, überschritten wird. Der reine Produktionsikterus kann somit bei gesunder Leber erst manifest werden, wenn die tägliche Bilirubinbildung mindestens das 4-Fache der Norm übersteigt. Er geht einher mit einer meist erhöhten Urobilinogenurie und fäkalen Sterkobilinogenausscheidung bei fehlender Bilirubinurie. Ursachen und Krankheitsbilder sind Tab. 1 zu entnehmen. Eine hepatische (hepatozelluläre) Hyperbilirubinämie führt zu einer Vermehrung des unkonjugierten Bilirubins, wenn eine Störung der Bilirubinaufnahme und/oder -konjugation vorhanden ist, die hereditär (genetisch) oder erworben sein kann. Eine überwiegend konjugierte Hyperbilirubinämie weist auf eine Störung bei der biliären Exkretion durch Hepatozyten oder auf eine Obstruktion extrahepatischer Gallenwege (Kanalisationsikterus) hin. Dieser posthepatische Ikterus geht mit Bilirubinämie bei gleichzeitig verminderter Urobilinogenausscheidung im Urin und Sterkobilinogenexkretion mit dem Fäzes einher. Bei vollständiger Obstruktion tritt eine Entfärbung des Stuhles aufgrund fehlender fäkaler Sterkobilinogenausscheidung auf (acholischer, heller Stuhl). Auch bei dieser Form der konjugierten Hyperbilirubinämie sind hereditäre, auf Mutationen spezifischer Transporter zurückzuführende Ursachen von erworbenen Erkrankungen zu unterscheiden (Tab. 1). Sowohl bei extra- als auch intrahepatischer Cholestase kann eine als Delta-Bilirubin (Bilirubin, Delta-) bezeichnete Fraktion des konjugierten Bilirubins erhöht sein, die kovalent an Albumin gebunden ist und deshalb eine deutlich verlängerte Eliminationskinetik (die des Albumins) aufweist.
Tab. 1
Einteilung und Ursachen der Hyperbilirubinämien
Vorwiegend konjugiertes („direktes“) Bilirubin
Vorwiegend unkonjugiertes („indirektes“) Bilirubin
Einschränkung der biliären Exkretion
- Rekurrierender Schwangerschaftsikterus
- Rekurrierende familiäre Cholestase (polyätiologisch)
- Leberzellschäden (Hepatitis, Leberverfettung, Zirrhose u. a.)
- Medikamente (Kontrazeptiva, Methyltestosteron u. a.)
Obstruktion extrahepatischer Gallenwege
- Konkremente
- Tumoren
- Strikturen
- Konnatale Gallengangsatresie
Gesteigerte Bilirubinproduktion
- Hämolytische Anämie
- Shunt-Hyperbilirubinämie bei ineffektiver Erythropoese (z. B. perniziöse Anämie, Thalassämie)
- Abbau extravasaler Blutmassen (hämorrhagischer Ikterus)
Einschränkung der hepatozellulärenBilirubinaufnahme
- Gilbert-Syndrom
- Typ I: vollständiges Fehlen der Glukuronyltransferase
- Typ II: partieller Mangel der Glukuronyltransferase
- Icterus neonatorum (mit Hyperhämolyse)
- Brustmilch-Ikterus
- Lucey-Driscoll-Syndrom
- Medikamente (Chloramphenicol, Vitamin K, Novobiocin)
- Leberzellschäden verschiedener Ursachen
Diagnostische Wertigkeit
Gesamtbilirubin und seine Fraktionen gehören zu den Basiskenngrößen der Leberdiagnostik, insbesondere derer mit cholestatischer Komponente. In Verbindung mit der semiquantitativen Bestimmung von Urobilinogen und Bilirubin im Urin gestattet die fraktionierte Messung eine wichtige differenzialdiagnostische Aussage über die Störungsebene des Bilirubinstoffwechsels.
Literatur
Fujiwara R, Haas M, Schaeffeler E et al. (2017) Systemic regulation of bilirubin homeostasis: potential benefit of hyperbilirubinemia. Hepatology https://​doi.​org.​10.​1002/​hep 29599. Epub ahead of print
Fevery J (2008) Bilirubin in clinical practice: a review. Liver Int 28:529–605CrossRef
Thaler M, Luppa PB, Schlebusch H (2008) Die Bilirubinbestimmung– Eine aktuelle Übersicht. Bilirubin measurement – An updated survey. J Lab Med 32:1–10