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Varizella-Zoster-Viren

Verfasst von: W. Stöcker
Varizella-Zoster-Viren
Synonym(e)
VZV
Englischer Begriff
Varizella-zoster virus
Beschreibung des Erregers
Familie: Herpesviridae; Subfamilie: Alphaherpesviridae; Art: Varicella-Zoster-Virus. VZV wird auch als humanes Herpes-Virus 3 (HHV-3) bezeichnet.
Erkrankungen
Varizellen (Windpocken) und Herpes zoster (Gürtelrose). Die Viren werden durch Tröpfchen- oder Schmierinfektion von Mensch zu Mensch übertragen. VZV gelten als besonders kontagiös („Windpocken“), deshalb ist die natürliche Durchseuchung sehr hoch (bei 20-Jährigen 80–90 %). In Deutschland infizieren sich jedes Jahr 700.000 Menschen.
Bei der Erstinfektion mit VZV kommt es zu einer Replikation der Viren in den regionalen Lymphknoten, und nach 4–6 Tagen zu einer ersten Virämie. Eine zweite virämische Phase leitet das Prodromalstadium ein, mit unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Fieber und Abgeschlagenheit. Durch Befall der Haut und Schleimhäute kommt es anschließend zu einem schubweise auftretenden Exanthem (makulös, papulös, vesikulös, verkrustet; typisch ist das Vorliegen aller Stadien nebeneinander, im Gegensatz zu den Pocken mit gleichförmigen Effloreszenzen). Vielfältige Komplikationen:
Die Komplikationsrate ist besonders hoch bei Kindern ≤1 Jahr, sie sinkt im Kleinkindalter ab und steigt mit dem vierten Lebensjahr wieder an. Für abwehrgeschwächte Patienten können Varizellen lebensbedrohlich sein. Die Therapie erfolgt bei leichten Verläufen symptomatisch, bei Bedarf auch mit Virostatika.
Infizieren sich seronegative Frauen (Prävalenz um 5 % in Europa) in den ersten 20 Schwangerschaftswochen (SSW), kommt es bei 2 % der Kinder dieser Frauen (600 Fälle pro Jahr in Deutschland!) zu einem fetalen (kongenitalen) Varizellen-Syndrom, mit Mikrozephalie, Katarakt, Mikrophthalmie, Chorioretinitis, Hypoplasie der Extremitäten, Hautdefekten, Fehlbildungen des Intestinal- und Urogenitaltrakts sowie Skelett- und Muskelhypoplasien.
Konnatale (neonatale) Varizellen entwickeln das Neugeborene in den ersten 2 Lebenswochen, wenn die Mutter innerhalb der letzten 3 SSW an Varizellen erkrankt war. Die Erkrankung wird durch fehlende mütterliche Antikörper sowie ein unreifes Immunsystem des Neugeborenen begünstigt. Unbehandelt besteht eine Letalität von bis zu 30 %. In Deutschland ist jährlich mit etwa 40–90 Fällen konnataler Varizellen zu rechnen.
Postnatale Varizellen treten nach dem 12. Lebenstag auf. Während bei reifgeborenen Kindern meist keine Komplikationen zu erwarten sind, können sie bei Frühgeborenen in den ersten Lebenswochen einen schweren Verlauf nehmen.
Herpes zoster (Gürtelrose) entsteht durch die Reaktivierung persistierender Viren in den Nervenganglien, mit der Folge einer lokalisierten Neuritis in Verbindung mit typischen Effloreszenzen und Schmerzen im entsprechenden Dermatom (75 % Thoraxbereich). Komplikationen sind Post-Zoster-Neuralgien, Zoster-Meningoenzephalitis und bakterielle Superinfektionen. Bei Immunsupprimierten kann der Zoster langwierig verlaufen und rezidivieren.
Seit 2004 wird in Deutschland von der Ständigen Impfkommission die aktive Immunisierung gegen VZV empfohlen. Der attenuierte Lebendimpfstoff wird einzeln oder als Komponente der Masern-Mumps-Röteln-Varizellen-Impfung verabreicht. Auch Erwachsene mit negativem Serostatus können sich immunisieren lassen, insbesondere Frauen mit Kinderwunsch. Für die Impfung werden abgeschwächte Wildtypen eingesetzt, und man muss mit gelegentlichen Durchbruchsinfektionen rechnen, die untypische Symptome bieten und milder verlaufen, aber dennoch kontagiös sein können. Sind seronegative Schwangere mit einer Infektionsquelle in Berührung gekommen, sollten sie innerhalb 96 (besser 48) Stunden passiv immunisiert werden. Frauen im gebärfähigen Alter ohne VZV-Immunität sollten nicht in einem Kindergarten arbeiten (Abhilfe: aktive Schutzimpfung vor Beginn einer Schwangerschaft).
Analytik
Direktnachweis: Möglich ist die elektronenmikroskopische Darstellung der Viren. Die Virusanzüchtung ist aufgrund der Labilität des VZV zeitaufwendig (1–4 Wochen) und schwierig. Die PCR (Polymerase-Kettenreaktion) zeichnet sich demgegenüber durch bessere Sensitivität (90 %; Sensitivität, diagnostische) und Spezifität (99 %; Spezifität, diagnostisch) aus.
Serologie: Etabliert sind indirekte Immunfluoreszenz (Immunfluoreszenz, indirekte) und Enzymimmunoassay (u. a. Enzyme-linked Immunosorbentassay, Chemiluminszenz-Immunoassays). Die Quantifizierung erfolgt in internationalen Einheiten eines WHO-Standardserums.
Untersuchungsmaterial – Probenstabilität
Direktnachweis und Kultur: Untersucht werden Bläscheninhalt, Gewebe, Fruchtwasser, bronchoalveoläre Lavageflüssigkeit (bei Pneumonie) und Liquor (bei Verdacht auf Varizellen-Enzephalitis), für die PCR auch Abstriche aus untypischen Läsionen, insbesondere bei Immunsupprimierten. Das Material sollte bis zur Weiterverarbeitung bei +4 bis +8 °C aufbewahrt werden. Direktnachweise sind innerhalb von 24 Stunden durchzuführen. Bei längerer Transportzeit ist das Material einzufrieren.
Serologie: Serum oder Plasma für den Nachweis der Antikörper sind bei +4 °C bis zu 2 Wochen lang beständig, bei −20 °C über Monate und Jahre hinweg. Zur Tiefkühlkonservierung des IgM kann man den Proben 80 % gepuffertes Glyzerin beifügen.
Diagnostische Wertigkeit
Spezifische Antikörper lassen sich bei Varizellen etwa 3–4 Tage nach dem Ausbruch des Exanthems nachweisen. Bei primären Infektionen findet man in der Regel zunächst spezifische Antikörper der Klassen IgM und IgA. Eine Serokonversion oder ein signifikanter Titeranstieg des spezifischen IgG innerhalb von 7–10 Tagen bestätigen die Diagnose. Bei einer Reaktivierung kommt es meist zu einem starken Anstieg spezifischer Antikörper der Klasse IgA. Die Bestimmung der Avidität des spezifischen IgG ist ebenfalls etabliert und hilft, primäre von sekundären Infektionen serologisch zu differenzieren.
In die Differenzialdiagnose sind Infektionen mit anderen neurotropen Viren, Herpes-simplex-Viren (Herpes-simplex-Viren 1 und 2), Pocken und blasenbildenden Autoimmundermatosen einzubeziehen. Die Serologie spielt eine wichtige Rolle bei der Immunitätsbestimmung vor und während der Schwangerschaft.
Akute Erkrankungen an Varizellen sind laut Infektionsschutzgesetz meldepflichtig.
Literatur
Marre R, Mertens Th, Trautmann M, Zimmerli W (Hrsg) (2008) Varizellen (Windpocken). Klinische Infektiologie, 2. Aufl. Urban und Fischer, München, S 715–718
Robert-Koch-Institut Berlin. RKI-Ratgeber für Ärzte (2016) Herpes zoster (Gürtelrose), 30.03.2016, Windpocken. http://​www.​rki.​de/​DE/​Content/​Infekt/​EpidBull/​Merkblaetter/​Ratgeber_​Varizellen.​html. Zugegriffen am 15.03.2017
Wutzler P (2002) Herpesviren: Herpes-simplex-Virus Typ1 und 2, Varicella-Zoster-Virus. In: Doerr HW, Gerlich WH (Hrsg) Medizinische Virologie: Grundlagen, Diagnostik und Therapie virologischer Krankheitsbilder, 1. Aufl. Thieme Verlag, Stuttgart, S 378–381