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Praktische Schmerzmedizin
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Publiziert am: 10.11.2014

Schmerztherapie im Notarzt- und Notfalldienst

Verfasst von: Hans Anton Adams und Andreas Flemming
Die Schmerzbekämpfung zählt zu den wesentlichen, uralten und ursprünglichen ärztlichen Aufgaben in der Notfallmedizin. Während die medikamentöse Schmerztherapie mit Analgetika grundsätzlich dem Arzt vorbehalten ist, sind menschliche Zuwendung und Zuspruch unverzichtbare „Basisanalgetika“, die von jedermann einsetzbar sind und auch vom Arzt nicht vergessen werden dürfen. Weiter kann durch einfache Lagerungsmaßnahmen – wie die Unterstützung der spontanen Schonhaltung des Patienten bei Frakturschmerzen – sowie das Anlegen von Stützverbänden usw. oft eine deutliche Schmerzlinderung erzielt werden. Dieses Kapitel befasst sich vornehmlich mit der präklinischen Analgesie im Rahmen des Notarzt- und Notfalldienstes. Aufbauend auf der Pharmakologie der hierfür besonders geeigneten Analgetika wird die Anwendung dieser Substanzen bei typischen Krankheitsbildern dargestellt.

Zum Einstieg

Die Schmerzbekämpfung zählt zu den wesentlichen, uralten und ursprünglichen ärztlichen Aufgaben in der Notfallmedizin. Während die medikamentöse Schmerztherapie mit Analgetika grundsätzlich dem Arzt vorbehalten ist, sind menschliche Zuwendung und Zuspruch unverzichtbare „Basisanalgetika“, die von jedermann einsetzbar sind und auch vom Arzt nicht vergessen werden dürfen. Weiter kann durch einfache Lagerungsmaßnahmen – wie die Unterstützung der spontanen Schonhaltung des Patienten bei Frakturschmerzen – sowie das Anlegen von Stützverbänden usw. oft eine deutliche Schmerzlinderung erzielt werden. Dieses Kapitel befasst sich vornehmlich mit der präklinischen Analgesie im Rahmen des Notarzt- und Notfalldienstes. Aufbauend auf der Pharmakologie der hierfür besonders geeigneten Analgetika wird die Anwendung dieser Substanzen bei typischen Krankheitsbildern dargestellt.

Grundlagen

Spektrum und Anforderungen

In der präklinischen Notfallmedizin tätige Ärzte sehen sich einer Vielzahl von Krankheitsbildern mit ganz unterschiedlichem Schmerzcharakter und analgetischen Bedürfnissen gegenübergestellt (Adams 2011, Adams u. Werner 1997). In Abb. 1 ist beispielhaft die Verteilung von 5019 Notarzteinsätzen auf die verschiedenen klinischen Fachgebiete in einem gemischt städtisch-ländlichen Bereich dargestellt. Die Schädigungsmuster reichen vom akuten Myokardinfarkt bis zum schwersten Trauma und erfordern ein rasches und zielorientiertes Handeln, wozu neben der Sicherung der Vitalfunktionen auch die suffiziente Analgesie gehört.
Durch eine überlegt und kunstgerecht eingeleitete Analgesie wird der Patient nicht nur von seinen Schmerzen befreit; in vielen Fällen wird darüber hinaus die respiratorische und kardiozirkulatorische Gesamtsituation deutlich verbessert. Die mitunter geäußerte Befürchtung, die Analgesie könne die Diagnose verschleiern, ist regelmäßig unbegründet. Bei sorgfältiger Erhebung von Anamnese und Befund und korrekter – mündlicher und schriftlicher – Übergabe an den nachbehandelnden Arzt sind Übermittlungsdefizite und -fehler vermeidbar.
Im Gegensatz zur Analgesie ist die Durchführung einer Allgemeinanästhesie bei Notfallpatienten kein Wert an sich und bedarf einer kritischen Indikationsstellung. Die Allgemeinanästhesie dient vor allem der Sicherung oder Wiederherstellung der Vitalfunktionen und nur sekundär dem Schutz vor stärksten Schmerzen, die durch Gabe von Analgetika nicht zu beherrschen sind. Die Übergänge zwischen Analgesie, Analgosedierung und Anästhesie sind fließend; profunde pharmakologische Kenntnisse und praktische Erfahrungen bei Patienten aller Altersstufen sind daher unverzichtbar.
In der präklinischen Notfallmedizin haben die Nichtopioid-Analgetika nur einen begrenzten Stellenwert. Bei den vorherrschend akuten und starken Schmerzen erfolgt der Wirkungseintritt vielfach zu spät, und die analgetische Potenz ist oft zu gering. Verfahren der Leitungsanästhesie wie der 3-in-1-Block oder Blockaden des Plexus axillaris sind zwar grundsätzlich geeignet, können aber nur im Ausnahmefall von besonders geübten Ärzten bei geeigneten und kooperativen Patienten eingesetzt werden.

Grundregeln

Bei der analgetischen Versorgung von Notfallpatienten sind einige Grundregeln zu beachten.
Grundregeln bei der analgetischen Versorgung von Notfallpatienten
  • Zur Vermeidung unkalkulierbarer Resorptionsphänomene sind die Analgetika grundsätzlich über einen sicheren venösen Zugang zu applizieren. Im Einzelfall (z. B. im Kindesalter) können Medikamente wie Esketamin und Midazolam auch nasal oder i. m. appliziert werden.
  • Analgetika werden grundsätzlich titrierend verabreicht. Der Übergang zwischen ausreichender Analgesie und relativer Überdosierung mit Bedrohung der Vitalfunktionen ist schleichend; hier sind Erfahrung sowie aufmerksame Beobachtung und Überwachung des Patienten unverzichtbar.
  • Je nach Allgemeinzustand wird regelmäßig mit der Hälfte der Normaldosis oder weniger begonnen.
  • Insbesondere bei Verwendung von Opioiden ist Geduld erforderlich, um das volle Einsetzen der Medikamentenwirkung abzuwarten und übereilte Nachinjektionen zu vermeiden.
  • Bei allen mit Opioiden versorgten Patienten soll Sauerstoff über eine Maske oder auch Nasensonde mit etwa 5 l/min appliziert werden.
  • Eine Absaugung, ein Intubationsbesteck, eine Sauerstoffquelle und ein Beatmungsbeutel müssen unmittelbar verfügbar sein.
  • Neben der unverzichtbaren klinischen Überwachung ist regelmäßig auch eine technische Überwachung mittels Pulsoxymetrie und Blutdruckmessung erforderlich.

Pharmakologie

Allgemeines

Die Patientensicherheit wird durch bewusste Beschränkung des pharmakologischen Repertoires mit entsprechend höherer Erfahrungsdichte gefördert. Nachfolgend werden daher nur 6 Substanzen vorgestellt, die – einzeln oder in Kombination eingesetzt – ausreichen, um die präklinische Versorgungs- und Transportphase der Patienten von 30–60 min zu überbrücken (Tab. 1):
Tab. 1
Zur Analgesie und Sedierung in der Notfallmedizin besonders geeignete Medikamente
Präparat
Indikationsbereich
Analgetikum bei leichten und mittelschweren Schmerzen
Analgetikum bei mittelschweren Schmerzen
Morphin
Analgetikum bei stärksten Schmerzen, insbesondere bei internistischen Patienten
Esketamin
Analgetikum und Anästhetikum, vornehmlich bei traumatologischen Patienten
Midazolam
Sedativum zur Sedierung in Spontanatmung und bei totaler intravenöser Anästhesie (TIVA) sowie bei Intoxikation mit Psychostimulanzien
Butylscopolamin
Spasmolytikum bei Kolikschmerz
  • Metamizol (z. B. Novalgin),
  • Tramadol (z. B. Tramal),
  • Morphin (z. B. Morphin Merck 10),
  • Esketamin (Ketanest S),
  • Midazolam (z. B. Dormicum),
  • Butylscopolamin (z. B. Buscopan).
Die nachfolgend benutzte Abkürzung RDE gibt die Richtdosis für einen Erwachsenen von etwa 75 kg Körpergewicht (KG) an. Die angegebenen Dosierungen sind in jedem Einzelfall kritisch zu prüfen.

Substanzen

Metamizol
Metamizol (z. B. Novalgin) ist ein Pyrazolonderivat mit relativ starker analgetischer und antipyretischer Wirkung und zusätzlicher spasmolytischer Komponente.
Metamizol (Mutschler et al. 2001, Rote Liste 2012) ist in der allgemeinen und postoperativen Schmerztherapie verbreitet, während es in der präklinischen Notfallmedizin weniger etabliert ist. Der analgetische Wirkmechanismus ist nicht vollständig geklärt; diskutiert werden eine zentrale Hemmung der Prostaglandinfreisetzung und verminderte Ansprechbarkeit der peripheren Nozizeptoren. Die Wirkung setzt innerhalb weniger Minuten ein und hält etwa 2 h an. Metamizol wird hepatisch metabolisiert; die Ausscheidung der Metaboliten erfolgt überwiegend renal. Die Metaboliten gehen in die Muttermilch über.
Bei zu schneller i.v.-Injektion kann Metamizol eine Schockreaktion mit Blutdruckabfall und Tachykardie auslösen. Die Substanz soll daher langsam injiziert werden. Darüber hinaus kann, v. a. bei längerfristiger Anwendung, eine allergische Agranulozytose ausgelöst werden (Arzneimittelkommission 2011).
Wesentliche Indikationen für Metamizol in der präklinischen Notfallmedizin sind:
  • Kolikschmerz,
  • Gichtanfall,
  • Traumaschmerz und
Darüber hinaus wird Metamizol zur Fiebersenkung eingesetzt.
Relevante Kontraindikationen in der präklinischen Notfallmedizin sind:
  • Pyrazolon- und Pyrazolidinallergie,
  • Störungen der Knochenmarkfunktion,
  • Alter <3 Monate oder KG <5 kg,
  • 1. und 3. Trimenon; strenge Indikation im 2. Trimenon,
  • Stillzeit.
Dosierung beim Erwachsenen
  • Analgetische Einzeldosis 6–12,5 mg/kgKG i. v. (RDE 500–1000 mg).
  • Bei starken Schmerzen (Kolik) bis 30 mg/kgKG i. v. (2,5 g) Gesamtdosis.
Tramadol
Tramadol (z. B. Tramal) ist ein schwachwirksames Opioid, das der einfachen Rezeptpflicht unterliegt.
Tramadol (Mutschler et al. 2001, Rote Liste 2012) hat wegen der unproblematischen Verschreibung und der oralen, rektalen und parenteralen Applikationsmöglichkeit weite Verbreitung gefunden. Die analgetische Wirkung beruht auf der – insgesamt schwachen – Stimulation von Opioidrezeptoren und darüber hinaus auf einer Verstärkung der zentralen monoaminergen Übertragung infolge Hemmung der Wiederaufnahme. Die analgetische Potenz und die atemdepressive Wirkung sind wesentlich schwächer als die von Morphin, und auch das Suchtpotenzial ist gering. Die Wirkung setzt langsam ein und ist erst nach 20–30 min voll ausgeprägt. Die Wirkdauer beträgt 2–4 h. Die Substanz wird mit einer Halbwertszeit (HWZ) von etwa 5 h vorwiegend renal eliminiert und geht in die Muttermilch über.
Bei zu schneller i.v.-Injektion und in höherer Dosierung kann Tramadol Übelkeit und Erbrechen auslösen.
Die wesentlichen Indikationen für Tramadol in der präklinischen Notfallmedizin entsprechen weitgehend denen von Metamizol:
Relevante Kontraindikationen in der präklinischen Notfallmedizin sind:
  • akute Intoxikationen mit zentral dämpfenden Substanzen,
  • Störungen des Atemzentrums und der Atemfunktion,
  • Alter <1 Jahr.
Dosierung
  • Analgetische Einzeldosis beim Erwachsenen 1,5 mg/kgKG i. v. (RDE 100 mg).
  • Kinder ab 1 Jahr 1–2 mg/kgKG i. v.
Die Wirkung von Tramadol kann durch Naloxon spezifisch antagonisiert werden.
Morphin
Morphin (z. B. Morphin Merck) ist das älteste verfügbare Opioid und findet heute noch unverändert breite Verwendung. Die Substanz wird sowohl in der präklinischen und klinischen Notfallmedizin als auch in der postoperativen und chronischen Schmerztherapie eingesetzt.
Wie alle Opioide setzt Morphin (Mutschler et al. 2001, Rote Liste 2012) durch Stimulation zentraler (und auch peripherer) Opioidrezeptoren das Schmerzempfinden herab. Spinale Schmerzimpulse werden unterdrückt und das absteigende schmerzhemmende System aktiviert; darüber hinaus wird das Schmerzerleben durch Modulation des limbischen Systems mit anxiolytischer und teilweise euphorisierender Komponente erleichtert. Die Wirkung setzt innerhalb weniger Minuten ein und hält etwa 4 h an. Morphin wird hepatisch metabolisiert und zu 90 % renal eliminiert. Die Substanz geht in die Muttermilch über.
Wichtigste Nebenwirkung ist die Dämpfung des Atemzentrums mit vermindertem Atemantrieb und Gefahr der Asphyxie; darüber hinaus wird das Brechzentrum stimuliert, und es tritt eine Miosis auf.
Bei starken Schmerzen und adäquater analgetischer Dosierung ist die Gefahr der respiratorischen Insuffizienz insgesamt gering. Die Motilität des Gastrointestinaltrakts wird vermindert und damit auch die Magenentleerung verzögert. Durch Tonisierung der glatten Muskulatur des Intestinaltraktes kommt es zur spastischen Obstipation und zur Kontraktion des Gallen- und Blasensphinkters sowie des Pylorus. Die durch Morphin induzierte Histaminfreisetzung vermindert den Vasomotorentonus mit nachfolgendem Blutdruckabfall; daneben können Urtikaria und eine Bronchokonstriktion auftreten.
Wesentliche Indikationen für Morphin in der präklinischen Notfallmedizin sind:
  • Angina pectoris und
  • sonstige starke Schmerzzustände,
  • Atemnot in palliativen Situationen.
Die euphorisierende und anxiolytische Wirkung ist beim Myokardinfarkt besonders erwünscht. Wegen der Tonussteigerung der glatten Muskulatur ist Morphin nicht zur Primärtherapie von Kolikschmerzen geeignet. Die Anwendung bei Patienten mit Asthma bronchiale oder allergischer Diathese soll zurückhaltend erfolgen. Wegen der Gefahr des Blutdruckabfalls ist bei hypovolämischen Patienten auf ausreichende Volumenzufuhr zu achten.
Wichtige relative Kontraindikationen sind:
  • Störungen des Bewusstseins,
  • Störungen von Atemantrieb und -funktion,
  • manifeste Hypotension und Hypovolämie.
Dosierung beim Erwachsenen
Einzeldosis 0,06–0,125 mg/kgKG i. v. (RDE 5–10 mg).
Die Wirkung von Morphin kann durch Naloxon spezifisch antagonisiert werden. Da die HWZ von Naloxon nur 3–4 h beträgt, ist mit einem Wiedereinsetzen der Morphinwirkung zu rechnen.
Esketamin
Esketamin (Ketanest S) ist das rechtsdrehende Isomer des Ketaminrazemats mit doppelter analgetischer und anästhetischer Potenz des Razemats.
Der wesentliche Wirkmechanismus von Esketamin (Adams et al. 2011, Rote Liste 2012) ist der nichtkompetitive Antagonismus für die exzitatorische Aminosäure Glutamat an der Phencyclidin-Bindungsstelle des N-Methyl-D-Aspartat (NDMA-)Rezeptors im ZNS. Esketamin kann dosisabhängig zur Analgesie, Analgosedierung und Anästhesie eingesetzt werden. Der analgetische Effekt ist bereits in subanästhetischen Dosen ausgeprägt, während die nach höheren Dosen einsetzende Ketamin-Mononarkose ein vom gewohnten Bild der Allgemeinanästhesie abweichender Zustand mit unvollständigem Bewusstseinsverlust und fehlender Assoziations- und Kooperationsfähigkeit ist (dissoziative Anästhesie). Neben den analgetischen und anästhetischen Effekten ist die Verstärkung der zentralen und peripheren monoaminergen Übertragung relevant. Dieser sympathomimetische Effekt von Esketamin steigert Blutdruck und Herzfrequenz und gilt darüber hinaus als Ursache der broncholytischen Substanzwirkung.
Esketamin kann i. v. sowie – im Ausnahmefall bei fehlendem venösem Zugang – auch i. m. oder nasal appliziert werden. Nach i.v.-Zufuhr setzt die analgetische Wirkung innerhalb einer Kreislaufzeit ein und hält etwa 15 min an. Bei i.m.-Injektion ist der Wirkungseintritt mit 2–5 min entsprechend verzögert und die Wirkdauer durch den Depoteffekt auf etwa 30 min verlängert. Esketamin wird mit einer HWZ von 2–3 h hepatisch metabolisiert und vorwiegend renal eliminiert.
Die Monoanästhesie mit Esketamin führt häufig zu teilweise albtraumartigen Traumreaktionen, die in anästhetischer Dosierung regelmäßig die Kombination mit einem Sedativum wie Midazolam erfordern. Beim präklinischen Einsatz in analgetischer Dosierung ist diese Kombination nicht zwingend erforderlich.
Eine seltener auftretende Hypersalivation kann mit Atropin kupiert werden. Ein Anstieg des intrakraniellen Drucks ist nur bei Mononarkose ohne adäquate Beatmung zu erwarten.
Wesentliche Indikationen zur Analgesie mit Esketamin in der präklinischen Notfallmedizin sind:
  • Frakturschmerzen,
  • sonstige Wundschmerzen und
  • Verbrennungsschmerzen.
Wichtige Kontraindikationen für eine Analgesie mit Esketamin sind:
Dosierung zur intravenösen Analgesie
0,125–0,25 mg/kgKG i. v. (RDE 10–20 mg).
Dosierung zur intramuskulären Analgesie:
0,25–0,5 mg/kgKG i.m. (RDE 20–40 mg).
Bei Bedarf wird Esketamin mit Midazolam kombiniert; in diesen Fällen handelt es sich um eine Analgosedierung mit schleichendem Übergang in die intravenöse Anästhesie, was entsprechende Erfahrung und eine erweiterte Überwachung usw. erfordert.
Midazolam
Midazolam (z. B. Dormicum) ist ein wasserlösliches Benzodiazepin mit sedierender, anxiolytischer, antikonvulsiver und amnestischer Wirkung.
Midazolam (Mutschler et al. 2001, Rote Liste 2012) ist wegen seines schnellen Wirkungseintritts sowie der relativ kurzen Wirkdauer und hohen Potenz besonders für den Einsatz in der Notfallmedizin geeignet. Der Wirkort ist der GABAA-Rezeptor im ZNS (GABA: „gamma-amino-butyric-acid“, γ-Aminobuttersäure). Die Wirkung wird jedoch nicht direkt, sondern über den Neurotransmitter GABA vermittelt; die Wirkstärke wird daher durch die vorhandene GABA-Konzentration limitiert und ist auch durch Erhöhung der Dosis nicht weiter zu steigern (Ceiling-Effekt). Nach i.v-Zufuhr setzt die Wirkung nach 30–60 s ein und ist erst nach 2–3 min voll ausgeprägt. Midazolam wird hepatisch metabolisiert und mit einer HWZ von etwa 2 h renal eliminiert. Die klinische Wirkdauer nach einmaliger Bolusinjektion liegt bei 30 min.
Nach i.v.-Zufuhr kann insbesondere bei geriatrischen Patienten und Patienten in reduziertem Allgemeinzustand ein Atemstillstand eintreten. Die Wirkdauer kann bei eingeschränkter Leberfunktion und älteren Patienten nicht abschätzbar verlängert sein. Bei Kindern und geriatrischen Patienten sind paradoxe Effekte (Agitiertheit usw.) möglich.
Wesentliche Indikationen für Midazolam im Rahmen der präklinischen Analgesie – in Verbindung mit einem Analgetikum – sind:
  • Sedierung und
  • Anxiolyse.
Wichtige Kontraindikationen sind:
Dosierung zur Sedierung beim Erwachsenen
Intravenöse Bolusinjektionen von jeweils 1–2 mg, bis der Patient verwaschen spricht oder schlafend-weckbar ist (Gesamtdosis etwa 0,03–0,1 mg/kgKG i. v.).
Midazolam kann durch Flumazenil spezifisch antagonisiert werden. Die Wirkdauer von Flumazenil ist mit 30–60 min allerdings relativ kurz, sodass nach diesem Zeitraum mit einem Wiedereinsetzen der Benzodiazepinwirkung gerechnet werden muss.
Butylscopolamin
Butylscopolamin (z. B. Buscopan) ist ein Spasmolytikum und führt insbesondere bei spastischen Kontraktionen zur Erschlaffung der glatten Muskulatur von Gallen- und Harnwegen.
Butylscopolamin (Mutschler et al. 2001, Rote Liste 2012) wird regelmäßig in Kombination mit einem Analgetikum, hier insbesondere mit Metamizol, eingesetzt. Die spasmolytische Wirkung beruht auf der kompetitiven Hemmung von Acetylcholin an postganglionären parasympathischen Synapsen. Die Wirkung setzt nach der Injektion rasch ein und hält etwa 4 h an. Die HWZ beträgt etwa 5 h.
Unerwünschte Wirkungen von Butylscopolamin sind insbesondere Blutdruckabfall, Tachykardie und Mundtrockenheit.
Wesentliche Indikationen von Butylscopolamin in der präklinischen Notfallmedizin sind:
  • spastische Schmerzzustände im Bereich von Magen, Darm und Gallenwegen,
  • Koliken im Bereich des Urogenitaltrakts.
Wichtige Kontraindikationen sind z. B.:
Dosierung
  • Erwachsene 20–40 mg i. v.
  • Kinder und Jugendliche 0,3–0,6 mg/kgKG i. v.

Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit

Grundsätzlich können fast alle Medikamente zur Schädigung von Fetus, Neugeborenem oder Säugling führen. Auch passieren die meisten Medikamente die Plazentaschranke oder gehen in die Muttermilch über.
Analgetika sollen insbesondere in der Zeit der Embryogenese und frühen Fetalperiode bis etwa zur 16. Schwangerschaftswoche nur bei strenger Indikation eingesetzt werden. Die entsprechenden Herstellerangaben sind in der Regel spärlich, weil positive Aussagen juristisch bedenklich sind und nur wenige gesicherte Daten über die teratogene Wirkung von Analgetika und Anästhetika vorliegen. Es bietet sich daher an, mit wenigen und gut etablierten Substanzen zu arbeiten, zumal der präklinisch in einer Notfallsituation tätig werdende Arzt oft erst nachträglich von der Schwangerschaft einer Patientin erfährt.
Weniger problematisch ist der Einsatz in der Stillzeit. Hier liegen meist ausreichende pharmakologische Erkenntnisse vor; darüber hinaus ist häufig schon krankheitsbedingt eine Stillpause erforderlich.
Anwendung von Analgetika und Sedativa in der Schwangerschaft und Stillzeit (nach Rote Liste 1/2012)
Schwangerschaft:
  • Metamizol ist im 3. Trimenon kontraindiziert; im 1. und 2. Trimenon ist eine strenge Indikationsstellung erforderlich. Durch die Hemmung der Prostaglandinsynthese kann es beim Neugeborenen zum vorzeitigen Verschluss des Ductus Botalli kommen.
  • Tramadol soll nur bei strenger Indikation eingesetzt werden.
  • Für Morphin sind die Herstellerangaben widersprüchlich; zumindest ist eine strenge Indikationsstellung erforderlich. Die Verwendung unter der Geburt kann zur Atemdepression des Neugeborenen führen.
  • Esketamin soll nur bei strenger Indikation eingesetzt werden.
  • Midazolam soll nur bei strenger Indikation eingesetzt werden. Bei hochdosierter Anwendung kurz vor der Geburt besteht die Gefahr des Floppy-Infant-Syndroms mit schlaffem Muskeltonus und Atemdepression des Neugeborenen.
  • Für Butylscopolamin wird eine strenge Indikationsstellung empfohlen.
Stillzeit:
  • Die Anwendung von Metamizol ist kontraindiziert.
  • Tramadol soll nur bei strenger Indikation eingesetzt werden.
  • Morphin soll nur bei strenger Indikation eingesetzt werden, bei einmaliger Anwendung ist keine Stillpause erforderlich.
  • Esketamin soll nur bei strenger Indikation eingesetzt werden.
  • Midazolam kann zu Sedierung sowie Atemdepression und Trinkschwäche des Säuglings führen und ist in der Stillzeit kontraindiziert bzw. macht eine Stillpause erforderlich.
  • Butylscopolamin vermindert die Milchproduktion, geht in die Muttermilch über und gilt als kontraindiziert.

Spezielle Situationen und Krankheitsbilder

Traumatologie

Polytraumatisierte Patienten weisen häufig ein deutlich herabgesetztes Schmerzempfinden auf; dies kann so weit gehen, dass die subtotale Amputation einer Extremität vom Patienten nicht bemerkt wird. Zur Sicherung der Oxygenierung des Patienten wird regelmäßig eine Allgemeinanästhesie eingeleitet, die sekundär der Analgesie dient; darüber hinaus werden Lagerungs- und Repositionsmanöver bedeutend erleichtert.
Bei eingeklemmten Personen müssen Analgesie und Anästhesie mit größter Zurückhaltung erfolgen, solange kein freier Zugang zum Patienten gewährleistet ist. Allenfalls kann Esketamin in geringer Dosis i. v. (nur ersatzweise i. m.) verabfolgt werden.
Patienten mit isolierten Frakturen werden analgetisch mit kleinen Dosen von Esketamin versorgt, alternativ kommt bei geringen Schmerzen Tramadol und bei starken Schmerzen Morphin in Betracht. Der Vorteil von Esketamin liegt hier insbesondere im schnelleren Wirkungseintritt. Dasselbe gilt für Patienten mit Verbrennungen, sofern bei größerer Ausdehnung nicht die Narkoseeinleitung vorzuziehen ist.

Internistische Krankheitsbilder

Akutes Koronarsyndrom

Patienten mit Angina pectoris und Myokardinfarkt werden grundsätzlich mit Morphin versorgt; Tramadol ist wegen seiner geringen Potenz nicht geeignet. Eine zusätzliche Sedierung mit kleinen Dosen von Midazolam ist sehr wertvoll.

Kolikschmerzen

Bei Patienten mit Kolikschmerzen infolge von Nieren- oder Gallensteinleiden werden zunächst Metamizol und Butylscopolamin i. v. injiziert; bei mangelndem Erfolg wird zusätzlich Tramadol verwendet. Bei stärksten Schmerzen kann die i.v.-Zufuhr kleiner Dosen von Esketamin wegen des schnellen Wirkungseintritts eine Alternative darstellen.

Notfälle im Kindesalter

Auch bei kindlichen Notfällen aller Art sind Esketamin und Tramadol Mittel der Wahl; ggf. ergänzt durch eine Sedierung mit Midazolam.

Fazit

Die Analgesie in der Notfallmedizin erfordert ein hohes Maß an menschlicher und ärztlicher Kompetenz, klinische Erfahrung und ausgeprägte pharmakologische Kenntnisse. Gerade für den Anfänger ist es nicht immer leicht, sowohl die ängstliche Nichtbehandlung mit unzureichender Analgesie als auch die Überbehandlung mit Selbstbestätigung zu vermeiden.
Die Beschränkung auf eine überschaubare Anzahl von Medikamenten ist wichtig, um genügend Erfahrung mit den Einzelsubstanzen zu gewinnen. Esketamin ist im traumatologischen Bereich führend; bei der Mehrzahl der internistischen Krankheitsbilder mit stärksten Schmerzen ist Morphin das Mittel der Wahl. Tramadol und Butylscopolamin werden bei leichteren Schmerzen oder in bestimmten Einzelfällen eingesetzt. Eine zusätzliche Sedierung mit Midazolam ist in vielen Fällen hilfreich.
Literatur
Adams HA (2011) Analgesie, Sedierung und Anästhesie. In: Adams HA, Flemming A, Ahrens J, Seebode R (Hrsg) Kursbuch Notfallmedizin – Fibel für angehende Notärzte, 16. Aufl. Lehmanns Media, Berlin, S 99–1091
Adams HA, Werner C (1997) Vom Razemat zum Eutomer: (S)-Ketamin – Renaissance einer Substanz? Anaesthesist 46: 1026–1042PubMedCrossRef
Adams HA, Flemming A, Friedrich L, Ruschulte H (2011) Taschenatlas Notfallmedizin. Thieme, Stuttgart
Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (2011) Agranulozytose nach Metamizol - sehr selten, aber häufiger als gedacht. Dtsch Ärztebl 108: A 1758–A1759
Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer HK, Schäfer-Korting M (2001) Arzneimittelwirkungen: Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart
Rote Liste® (1/2012) Version 4.15. Rote Liste® Service GmbH, Frankfurt/Main