Ambulanter Sektor
Die Sozialpsychiatrie-Vereinbarung
SPV („Vereinbarung gemäß § 85 Abs. 2 Satz 4 und § 43a SGB V über besondere Maßnahmen zur Verbesserung der sozialpsychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen“) enthält explizit eine Aufforderung zur Kooperation und einen dafür vorgesehenen Vergütungsanteil. An der SPV-Vereinbarung dürfen im übrigen auch Kinder- und Jugendärzte teilnehmen, die eine mindestens 2-jährige Erfahrung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufweisen. Kinder- und
Jugendmediziner machen jedoch nur einen kleinen Teil von 7 % der erfassten Ärzte mit Tätigkeit im Rahmen der SPV-Vereinbarung aus (Hagen
2015). Eine Ausweitung analoger Strukturen auch auf die Erwachsenenpsychiater wäre nach dem Gutachten des Sachverständigenrats erstrebenswert (SVR
2018).
Nach Hagens Evaluation der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxen mit Sozialpsychiatrie-Vereinbarung (Hagen
2015), in die Daten aus 487 SPV-Praxen mit 605 Ärzten eingingen, arbeiten 93 % der Praxen mit Kinder- und Jugendmedizinern zusammen. Dabei waren – anders als in der Erwachsenenmedizin mit der Gatekeeper-Funktion der hausärztlich tätigen Ärzte gedacht – Kinder- und Jugendärzte nur bei etwa einem Drittel der Erstvorstellungen diejenigen, die den Kontakt der Patienten zur Praxis initiiert hatten.
Offensichtlich ist die Kooperation in jedem Einzelfall nicht so intensiv wie die vorstehenden Zahlen annehmen ließen – ein Austausch zwischen Kinderarzt und Kinderpsychiater zur Fallbesprechung mit dem „Primärarzt“ scheint nicht regelhaft erforderlich, vielmehr eine Kooperation im besonderen Einzelfall.
Patientenbezogen sind 36,5 % der in sozialpsychiatrischen Praxen behandelten Kinder und Jugendlichen gleichzeitig bei einem Kinder- und
Jugendmediziner in Behandlung, am häufigsten beim Vorliegen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung
(45,6 %) oder einer hyperkinetischen Störung
. Allerdings suchen nur 2,2 % aller Patienten dabei die Kinderarztpraxis zur Verschreibung von
Stimulanzien auf. An dritter Stelle standen Patienten mit
somatoformen Störungen (39,7 %), gefolgt von Patienten mit
Essstörungen (35,7 %) (Hagen
2015).
Selbstverständlich ist die Kooperation mit einer Kinderarztpraxis unabdingbar zur weiter gehenden somatischen Differenzialdiagnose und zur Basisdiagnostik vor medikamentöser Behandlung, wie EEG- und EKG-Untersuchungen sowie für begleitende Kontrolluntersuchungen.
Ebenso unabdingbar ist die Behandlung durch den Kinder- und
Jugendmediziner bei somatischer Komorbidität. Eine besondere Abstimmung hinsichtlich der Kombination von
Psychopharmaka mit anderen Medikationen, bei der Interpretation abweichender Laborbefunde im Rahmen von Pharmakotherapie erhöht die Arzneimittelsicherheit.
Sehr naheliegend ist die enge Kooperation bei
somatoformen Störungen, wo Patienten im Rahmen ihrer Symptomatik regelmäßig somatische Untersuchungen einfordern, ggf. auch apparative und Laboruntersuchungen und ein ärztliches Gespräch erhalten müssen. Dabei ist der Austausch mit dem behandelnden Kinder- und Jugendpsychiater essenziell, um einen gemeinsamen, entaktualisierenden ruhigen Umgang mit den Körpersymptomen zu erreichen, unnötige Verordnungen zu vermeiden und die Dynamik von Patient und Familie konstruktiv im Sinne der psychotherapeutischen Behandlung zu lenken. Zur Vermeidung eines sich selbst verstärkenden „Schutz- und Schonungssystems“ seitens der Eltern kann der ermunternde Kinderarzt im Einzelfall mehr beitragen als der psychoedukativ tätige Kinder- und Jugendpsychiater.
Bei
Essstörungen wird evtl. die Kinderarztpraxis zum Wiegen und zur Kontrolle der Laborwerte aufgesucht, wenngleich die Trennung von Gewichtskontrolle und
Psychotherapie kontrovers gesehen werden kann. Hoch bedeutsam ist eine enge Kooperation zwischen Kinderarzt und Kinderpsychiater bei denjenigen Patienten, bei denen eine
Essstörung im Rahmen eines juvenilen
Diabetes hinzutritt, wofür ein deutlich erhöhtes Risiko besteht, das sich allerdings eher auf bulimische Störungen bezieht. Gleichzeitig erhöht eine zu einem Diabetes mellitus Typ 1
hinzutretende
Bulimia nervosa das Risiko für eine früher auftretende Retinopathie und weitere Komplikationen, einschließlich Stoffwechselentgleisungen, Herzkomplikationen,
Nierenversagen, und tödlichem Verlauf (Übersicht bei Toni et al.
2017). Selbst durch moderne Möglichkeiten der kontinuierlichen Blutzuckerüberwachung kann ein gestörtes Essverhalten verschlechtert werden. Eine über Jahre ausgelegte kollegiale Zusammenarbeit ist für den Langzeitverlauf bei diesen Patienten essenziell, und auch international wird eine interdisziplinäre Zusammensetzung für „Diabetesteams“ empfohlen (Toni et al.
2017).
Nicht zuletzt ist eine kinder- und jugendärztliche Kooperation mit engem und kontinuierlichem Austausch mit dem Gebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie gefordert im Zusammenwirken bei neuropädiatrischen Störungen und bei körperlichen und Mehrfach-Behinderungen. Daher ist die Leitung von Sozialpädiatrischen Zentren
(SPZ nach § 119 SGB V) durch Kinder- und Jugendpsychiater, zumindest aber die kinder- und jugendpsychiatrische Mitwirkung in diesen Zentren, durchaus üblich.
Aus der Perspektive der Kinder- und Jugendärzte
und nicht zuletzt der Patienten gesehen ist eine Kooperation mit einem oder mehreren Kinder- und Jugendpsychiatern von großem Vorteil. So schreibt die wissenschaftliche kinderpsychiatrische Fachgesellschaft in den USA AACAP (American Academy of Child and Adolescent Psychiatry): „Twenty-five percent of children and adolescents seen in the primary care setting and about half of all pediatric office visits involve behavioral, emotional, developmental, psychosocial, and/or educational concerns. Approximately 75 % of children and adolescents with psychiatric disorders are seen in in the pediatrician’s office“ (AACAP
2012, S. 3). Somit kommt Kinder- und Jugendärzten eine wichtige Rolle in der frühen Identifizierung von kinderpsychiatrischen Störungen zu, mit dem Ziel einer besseren Frühintervention und einer Reduzierung der unbehandelten Zeit einer manifesten Störung – damit auch Verhinderung von Chronifizierung. Die AACAP entwickelte eine 4-stufige Skala der Verantwortungsverteilung für die Patienten: von Level 0: „Prävention und Screening“ über Level 1 „Frühintervention und Routineversorgung durch den Pädiater“, dann Level 2 „Kinderpsychiatrische Konsultation, Behandlung und Koordination“ mit gleich großer Verantwortung beider Fachgebiete, bis zum Level 3 mit „Intensiver Behandlung für komplexe psychiatrische Probleme“ und mehr kinder- und jugendpsychiatrischer Fallverantwortung als pädiatrischer. Lange hat die Kinder- und
Jugendmedizin in der generellen Versorgung der Kinder psychische Belastungen eher stiefmütterlich behandelt. 2010 war ein ganzes Themenheft (Herausgeber Reinhardt u. Petermann) der Zeitschrift Kinderheilkunde den sog. „neuen Morbiditäten
“ in der Pädiatrie gewidmet. Gemeint war damit die zunehmende „Verschiebung des Krankheitsspektrums von den akuten Kinderkrankheiten zu chronischen Krankheiten und von den somatischen zu psychischen Störungen“. Auch im Rahmen des
Präventionsgesetzes sind chronische und psychische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter stärker in den Blick geraten. Insofern ist die kooperative interdisziplinäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit gestuften Versorgungsmodellen der indizierten Prävention und Frühintervention eine wichtige Zukunftsherausforderung, der sich beide Fachdisziplinen der Kinder- und Jugendmedizin stellen müssen.
Gerade auch unter versorgungspolitischen Gesichtspunkten wäre ein sparsamer Umgang mit der Ressource Kinderpsychiatrie im ambulanten Rahmen anzustreben. Immer noch ist eine ungleich verteilte Versorgung mit Kinder- und Jugendpsychiatern im Sinne des „inverse care law
“ festzustellen (d. h. Ressourcen sind eher dort angesiedelt wo die Hochrisikogruppe mit hohem Versorgungsbedarf nicht wohnt) und eine schlechtere Erreichbarkeit gegenüber allen anderen Facharztgruppen, wie das Gutachten des G-BA zur Bedarfsplanung
jüngst feststellte (Sundmacher et al.
2018). 20 % der Patienten in Deutschland brauchen über 60 Minuten, um einen Kinder- und Jugendpsychiater zu erreichen (Sundmacher et al.
2018, S. 44). Das ist der Fall, obwohl verglichen mit anderen spezialisierten Arztgruppen der Anteil von 49,9 % ambulant tätiger Fachärzte an allen berufstätigen Kinder- und Jugendpsychiatern recht gut ist. Überdies sprechen sich 63 % der Kinder- und Jugendpsychiater dafür aus, bei der Bedarfsplanung Subspezialisierungen ihrer Praxen zu berücksichtigen, was das Angebot für bestimmte Patientengruppen noch weiter verringern bzw. was eine gute Informationsbasis der Zuweisenden erfordern würde. Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums hat die Aktion Psychisch Kranke (APK) ein Projekt zur Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher in Deutschland durchgeführt und entsprechende Daten veröffentlicht (
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/praevention/details.html?bmg[pubid]=3135). Dort dargestellt wird auch eine Inzidenzkohorten-Analyse der kassenärztlichen Bundesvereinigung. Demnach werden ca. 2 % der gesetzlich krankenversicherten Kinder und Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 20 Jahre in einem Jahr zum ersten Mal mit einer F-Diagnose diagnostiziert und das am häufigsten bei Kinderärzten oder Hausärzten.
Hierzu wären Strategien hilfreich, die Rate an Zuweisungen zu Kinderpsychiatern zu senken, Fehlzuweisungen zu vermeiden und Kinderärzte im Umgang mit einfachen kinderpsychiatrischen Störungen sowie vor allem in deren Prävention sicherer zu machen.
Ein innovatives Modell aus Norwegen mit „joint consultations“ (Patientenuntersuchungen durch einen Kinderpsychiater in der Primärarztpraxis mit diesem gemeinsam, wobei die Verantwortung für Fallführung und Dokumentation beim Primärarzt verbleibt) mit hoher gegenseitiger Zufriedenheit wird von Seierstad et al. (
2017) beschrieben. Die qualitativ evaluierten 100 Konsultationen
hätten sich nachhaltig auf die erlebte Kompetenz der Primärärzte ausgewirkt, zu explorieren, zu beraten und zu selektieren, wer weiterverwiesen werden solle. Besonders effektiv wurden diese Konsultationen bei psychosomatischen Symptombildungen erlebt und die Niederschwelligkeit für die Patienten hervorgehoben. Allerdings wäre dieses Modell im Rahmen unseres Versorgungssystems ohne Abrechnungsmöglichkeit für die Kinderpsychiater nicht realisierbar und ist es jenseits von Modellen auch in den USA nicht.
Vielversprechend sind telemedizinische
Projekte aus den USA, für ländliche Gegenden zugeschnitten, wie das „Massachussetts child psychiatry access project“ das Kinderärzten für 95 % der Kinder des Bundesstaates eine Telefon-Hotline für gemeinsame Konsultationen anbietet. Auch hier wird von einer starken Verbesserung der Fähigkeit der Kinderärzte berichtet, den psychiatrischen Bedarfen ihrer Patienten nachzukommen (Straus und Servet
2014). Weitergehend wurden in einem ähnlichen Projekt die Kinderärzte in „behavioral health“ geschult (Walter et al.
2018).
Die US-Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie fordert in einem Positionspapier die zunehmende Verzahnung kinder- und jugendpsychiatrischer Expertise mit pädiatrischer Basisversorgung (AACAP
2012).
Eine
Metaanalyse aus Kalifornien über 31 randomisierte Studien mit mehr als 13.000 Kindern und Jugendlichen (Asarnow et al.
2015) konnte klar die Überlegenheit integrierter psychiatrisch-therapeutisch-pädiatrischer Interventionen gegenüber der pädiatrischen Routineversorgung hinsichtlich des psychischen Gesundheitsstatus belegen. Die besten Ergebnisse wurden bei manifesten
psychischen Störungen einerseits und gemeinsamen Versorgungsangeboten andererseits erzielt.
Kooperative Versorgung mit Kinder- und Jugendmedizinern im stationären Sektor
Die kooperative Versorgung richtet sich an vielen Formen aus, je nach den Bedarfslagen der Patienten, dies reicht von Konsiliartätigkeit in einer Kinderklinik durch Kinder- und Jugendpsychiater über Liaisondienste bis hin zu gemeinsamen interdisziplinären Teams und Kinderpsychosomatikstationen.
Konsiliar- und Liaisondienst
Ein Konsiliardienst besteht typischerweise darin, dass ein Arzt einer bestimmten Fachrichtung im Krankenhaus auf Anforderung in einer anderen Fachrichtung aufsuchend diagnostisch, danach auch auf den Patienten bezogen therapeutisch tätig wird. Dazu werden regelhaft Konsiliardienstverträge abgeschlossen.
Im psychiatrischen Konsiliardienst geht es zusätzlich darum, die Aufteilung in „Organmedizin“, „Körpermedizin“ und „Seelenmedizin“ wieder zu überwinden. Die „psychosomatische Grundversorgung“, obwohl Teil der Facharztweiterbildung für Allgemeinärzte und Gynäkologen, ist bei Kinderärzten auch in der 2017 verabschiedeten, aber noch nicht umgesetzten neuen Muster-Weiterbildungsordnung weiterhin nicht verpflichtend. Kompensatorisch zu einer Qualifikation der Kinderärzte sind begleitende „psychologische Dienste“ in Kinderkliniken aktiv, z. B. um mit Patienten Coping-Strategien bei chronischen Erkrankungen zu erarbeiten.
Ein Liaisondienst geht über den Konsiliardienst definitionsgemäß hinaus dadurch, dass ein Facharzt einer anderen Fachrichtung regelhaft stunden- oder tageweise in der entsprechenden Klinik tätig ist. Dadurch kann er eigene Empfehlungen umsetzen und selbst aktiv in die Fallgestaltung eingreifen (z. B. hinsichtlich des Entlassmanagements) und des Weiteren dadurch, dass der externe Facharzt an Teamgesprächen, Teamfortbildungen und Visiten teilnimmt.
Im Rahmen der Psychoonkologie
für Erwachsene beispielsweise ist das Vorliegen eines Konsiliar- und Liaison-Vertrages Voraussetzung für eine
Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft. Das Qualitätssiegel der Gesellschaft für Kinderkliniken in Deutschland (GKinD), das 2007 von allen pädiatrischen Fachverbänden verabschiedet wurde, sieht als eines der Kriterien das Vorliegen einer kinder- und jugendpsychiatrischen Kooperationsvereinbarung einschließlich eines Konsiliardienstes
vor (GKinD
2018).
Zunächst sind Konsiliarärzte in Notaufnahmesituationen, etwa bei der Einschätzung von
Suizidalität und weiterer Behandlungsbedürftigkeit, sehr effektiv – dadurch hat sich an den kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen, die an Allgemeinkrankenhäusern mit oder ohne Kinderkliniken situiert sind, eine Hinzuziehung des diensthabenden Kinder- und Jugendpsychiaters im Falle der Vorstellung nach Suizidversuch stark bewährt. Durch die unterschiedliche Allokation der stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Einheiten ist eine solche Unterstützung nicht unaufwändig, aber medizinisch sinnvoll (Berk und Asarnow
2015). Auch zum Krisenmanagement in akut eskalierenden Situationen in der Kinderklinik, die in der Frequenz zunehmen sollen, ist der kinder- und jugendpsychiatrische Konsiliarius gefragt. Malas et al. (
2017) geben hierfür eine typische Frequenz von monatlichen Ereignissen bei 84 % der Befragten an, die regional bis zu wöchentlichem Vorkommen geschätzt wurde.
Konsiliarverträge wurden des Weiteren nicht zuletzt durch die medizinischen Fortschritte in der Behandlung chronischer Erkrankungen des Kindesalters erforderlich. Damit einhergehend ist ein enormer Wissenszuwachs über die Anpassungsleistungen von Kindern an schwere körperliche Erkrankungen entstanden (Cardona
2018). Es ist unabweisbar, dass eine schwere körperliche Krankheit eines Kindes sich auch auf seine familiäre Umgebung – Eltern und Geschwister – auswirkt und dass die Anpassungs- und Verarbeitungsfähigkeit der Patienten Zuflüsse aus dem sozialen Nahfeld (Microsystem), aber auch dem weiteren Umfeld (Mesosystem) und dem Exosystem einschließlich sozialer Netzwerke bis hin zum Makrosystem hat. Für die Berücksichtigung all dieser Einflüsse, die Unterstützung von Ressourcen und ggf. Hilfen im Falle von maladaptiven Strategien ist der Kinder- und Jugendpsychiater prädestiniert. So haben sich Konsiliardienste auf Neonatalstationen, onkologischen Einheiten, Beatmungseinheiten und Intensiveinheiten bewährt.
Cardona (
2018) beschreibt den Ablauf einer Konsiliaruntersuchung
folgendermaßen:
Der kinderpsychiatrische Konsiliarius sollte sich zunächst ein Bild der impliziten und expliziten Aufträge des pädiatrischen Behandlungsteams machen (es kommt vor, dass das Behandlungsteam sich eigentlich mehr Sorgen um die Copingfähigkeiten
der Eltern macht als über die Stabilität des Kindes). Des Weiteren sollten dem Konsiliararzt die medizinische Situation und die derzeitige Behandlungsstrategie vertraut sein – insbesondere alle eingesetzten Medikamente, wozu ein Einblick in die aktuellen Behandlungsunterlagen notwendig ist. Nicht zuletzt sollte Sicherheit bestehen, dass die Sorgeberechtigten der kinder- und jugendpsychiatrischen Vorstellung zugestimmt haben. Aus rechtlichen Gründen sollten beide sorgeberechtigten Eltern eingewilligt haben, idealiter auch beide anwesend sein. Die Konsultation beginnt folgerichtig nach Cardona (
2018) mit einem Gespräch mit den primären Bezugspersonen, ihren Sorgen, ihrer Einschätzung und ihren Überzeugungen hinsichtlich der Erkrankung des Kindes, wobei auch die Entwicklungsgeschichte und evtl. psychiatrische Vorgeschichte des Kindes erhoben wird. Das anschließende psychiatrische Interview mit dem Kind sollte sich auf die aktuelle Befindlichkeit, Ängste,
Schmerzen, die Haltung zur Erkrankung und mögliche Ressourcen fokussieren. Ein differenzierter psychopathologischer Befund ist immer erforderlich, um später Verlaufsbetrachtungen erstellen zu können. Es folgen diagnostische und therapeutische Überlegungen mit dem Behandlungsteam und die Mitteilung eines konsentierten Vorgehens an die Eltern und Diskussion mit diesen. Ohne Frage muss die Konsiliaruntersuchung zeitnah verschriftlicht und kommuniziert werden.
Das größte Hindernis in der Zusammenarbeit sei laut Cardona (
2018) die unterschiedliche Taktung des pädiatrischen und des kinder- und jugendpsychiatrischen Vorgehens.
Liaisondienste
haben sich bewährt für Spezialisierungen in Kinderkliniken wie Diabetologie oder
Essstörungen. Sie sind mittlerweile auch in der Psychoonkologie
für Kinder verbreitet.
Eine über einen Liaisondienst noch etwas hinausgehende Kooperation besteht in der Gründung interdisziplinärer psychosozialer Teams – so wurde etwa an der Universitätsklinik Heidelberg eine „Kooperationseinheit Pädiatrische Psychoonkologie“ gegründet. Dort ist „eine Kinder- und Jugendpsychiaterin der Kinderklinik fachlich eng mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie verbunden (…) und leitet das interdisziplinär besetzte psychosoziale Team der pädiatrischen Onkologie, das Kinder und Jugendliche mit onkologischen und schweren hämatologischen Erkrankungen und ihre Familien in Therapie und Nachsorge betreut, begleitet und unterstützt. Hilfe bei der Krankheitsbewältigung und Ressourcenförderung, psychotherapeutische Begleitung und sozialrechtliche Beratung sind integrativer Bestandteil des Behandlungskonzeptes bei krebskranken Kindern“.
Kooperative Versorgung als gemeinsam verantwortete Stationseinheit
Die letzte und systematischste Form einer kooperativen Versorgung besteht in einer Versorgungsform, wie sie von Thoms und Schepker (
2009) in den Grundzügen verschriftlicht worden ist: Zwei Chefärzte leiten fachlich gleichberechtigt eine interdisziplinäre psychosomatische Station. Diese kann räumlich in der Kinderklinik oder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie angesiedelt sein – je nachdem, ob das Bundesland im Rahmen der Krankenhausplanung „Kinderpsychosomatik
“ in der Kinderklinik oder in der Kinderpsychiatrie strukturell verortet sieht und ob die Leistungsabrechnung entsprechend im DRG- oder im Psych-VVG-System angesiedelt ist. Eine solche Station hat sowohl Personal aus der Kinderklinik als auch aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie, hat ärztlich-psychiatrisch-psychotherapeutische und pädiatrische Kompetenz, verfügt über Fachtherapeuten und ein aus beiden Fachrichtungen gemischtes Pflege- und Erziehungsteam. Es finden gemeinsame Visiten der Chefärzte statt. Ideales Klientel für solche interdisziplinären Stationen sind Patienten mit
somatoformen Störungen, mit chronifizierten somatischen Störungen (wie
Diabetes oder
Colitis ulcerosa), mit chronischen
Schmerzen und mit
Essstörungen. Depressionen mit somatischem Syndrom finden sich ebenfalls regelhaft an. Sehr oft ist es für Familien von Kindern, deren psychische Störung sich primär mit Körpersymptomen manifestiert, gut vermittelbar, dass eine weitere Behandlung auf einer spezialisierten Station stattfinden sollte, auf der eine sorgfältige somatische Differenzialdiagnostik und Behandlung der Symptomatik gleichzeitig mit Stressreduktion und der Erfahrung günstigerer Bewältigungsstrategien geschieht. Eine Schule für Kranke darf auf einer solchen Station ebenso wenig fehlen wie eine (somatisch orientierte) Physiotherapie. So besagt ein verbändeübergreifendes Positionspapier (Medizinische Fachverbände
2016) dazu: „Dabei sind die (stationäre) Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit psychosomatischen Störungen ohne formale kinder- und jugend(lichen)psychotherapeutische Kompetenz nicht denkbar. Generell sind kinder- und jugendmedizinische sowie kinder- und jugend-psychiatrische Kompetenz erforderlich. Daher muss das multiprofessionelle Team ärztlich letztverantwortlich geleitet werden. Bei allen Beteiligten muss (übereinstimmend mit den Vorgaben der UN-KRK) eine fachliche Qualifikation für die Behandlung von Kindern vorliegen, d. h. Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit den für Kinder und Jugendlichen elementaren Systemen Jugendhilfe und Schule. Zusätzlich sind Kenntnisse und Fähigkeiten in der Versorgung behinderter Kinder sowie in der Einbeziehung der Eltern erforderlich.“ Das Papier nimmt ebenfalls eine Abgrenzung zwischen kinderpsychosomatischen Abteilungen und Abteilungen mit kinder- und jugendpsychiatrischer Pflichtversorgung vor und legt Standards für die räumliche Ausstattung fest.