Aggressive Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter sind zumeist das Ergebnis komplexer Entwicklungsprozesse, bei denen (biologische) Prädispositionen, psychosoziale Kompetenzen und Einflüsse der sozialen und familiären Umgebung zusammenwirken (Beelmann
2018; Beelmann und Raabe
2007, S. 111). So entwickeln später verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche aus frühen biologischen Prädispositionen (z. B. neurophysiologische Beeinträchtigungen) häufig Defizite in der eigenen Impulskontrolle (Raine et al.
2014), welche dann in einem rekursiven Zusammenhang durch ein oft überfordertes und teilweise selbst gewalttätiges soziales Umfeld verstärkt werden (Krahé
2015). Insbesondere bilden gewalttätige Familienhistorien einen problematischen sozialen Lernkontext, in welchem aggressive Kognitionen und Verhaltensreaktionen gefördert werden (Besemer et al.
2017; Derzon
2010). Aufbauend auf solchen dysfunktionalen Lernprozessen entwickeln Kinder und Jugendliche oft Defizite im moralischen Urteilsvermögen (Bandura
2002) und der sozialen Informationsverarbeitung (Crick und Dodge
1994). So attribuieren verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche ambivalente Situationen oft als feindselig, woraus sie ihrerseits aggressive Verhaltensreaktionen ableiten (Martinelli et al.
2018). Dieser Bias feindseliger Attributionen dient in der Folge der Rechtfertigung des eigenen aggressiven Verhaltens, um moralische Schuldgefühle nach der Tat zu unterdrücken (Gini et al.
2014). Metaanalytisch zeigen sich deutliche Unterschiede in der moralischen Urteilsfähigkeit zwischen delinquenten Jugendlichen und ihren nichtdelinquenten Peers (Stams et al.
2006). Dabei scheinen feindselige Attributionstendenzen und moralische Rechtfertigungsstrategien langfristig Risikofaktoren zu bilden, die den Zusammenhang zwischen erlebter Wut und aggressivem Verhalten verstärken (Bondü und Richter
2016; Wang et al.
2018) und damit die Schwelle aggressiver Verhaltensoptionen senken (Zelli et al.
1999). Gleichzeitig bestehen bei vielen verhaltensauffälligen Jugendlichen Defizite in sozialen Kompetenzen, insbesondere der Fähigkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen. So lassen sich metaanalytisch moderate Zusammenhänge zwischen Empathiefähigkeit und gewalttätigem Verhalten zeigen, wobei vor allem kognitive Empathie einen substanziellen Schutzfaktor darstellt (Jolliffe und Farrington
2004; Van Langen et al.
2014). Um Rückfällen jugendlicher Gewaltstraftäter*innen entgegenzuwirken, sollten daher zusätzlich zur kritischen Aufarbeitung der eigenen Taten (Klatt
2020) auch Trainings zur kognitiven Umstrukturierung dysfunktionaler Attributions- und Rechtfertigungstendenzen sowie zur Verbesserung der sozialen Kompetenzen – insbesondere der Empathiefähigkeit – angeboten werden (Lipsey
2009; Van der Stouwe et al.
2018).
Für die maximale Erfolgswahrscheinlichkeit der Rehabilitationsmaßnahme sollten diese kriminogenen Bedürfnisse („needs“) in einer Intensität entsprechend dem individuellen Rückfallrisiko der straffälligen Person („risk“) – hohe Intensität bei hohem Risiko – adressiert werden. Dabei sollten Techniken und Modalitäten zum Einsatz kommen, welche die Lernfähigkeiten der Jugendlichen optimal ansprechen („responsivity“). In diversen Studien zu den Annahmen des
Risk-Need-Responsivity Model konnte die Relevanz dieser 3 Komponenten für den Erfolg von Rehabilitationsmaßnahmen unterstrichen werden (Andrews et al.
1990).