Kommentar
Der Begriff der Lebensqualität ist in der Onkologie zunehmend aus der Mode gekommen und wird in den letzten Jahren vor allem durch das „patient-reported outcome“ (PRO) und dessen elektronische Messung ersetzt. Deren Berücksichtigung im Behandlungsablauf kann die Überlebensprognose der Patienten verbessern [
4]. Beiden Konzepten ist gemein, dass die von den Patienten gemachten Angaben (in Papierform oder elektronisch auf einem Smartphone oder Tablet-PC) bei Verwendung validierter Fragebögen ohne eine weitere Zwischenbewertung durch medizinisches Personal in aussagekräftige Scores übersetzt werden.
Die Betrachtung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität („health-related quality of life“ [HRQOL]) wird dadurch erschwert, dass sie multidimensional ist, also nicht durch einen, sondern durch eine Gruppe von Scores beschrieben wird. Das führt dazu, dass in der (radio-)onkologischen Literatur Lebensqualitätsstudien oft schwer lesbar sind, da unübersichtliche Tabellen generiert werden und durch multiples Testen „immer irgendetwas signifikant“ ist.
Die Situation der Langzeitüberlebenden nach Therapie des Hodgkin-Lymphoms steht schon lange im Fokus. Denn die Patienten sind überwiegend jung, die Therapien intensiv und die Heilungsraten hoch. Relevante Spätfolgen der Chemotherapie oder der Strahlentherapie wie Zweittumoren oder Kardiotoxizität können nach Jahren bis Jahrzehnten auftreten [
5]. Eine Deeskalation der Therapie mit Absenkung der Spätfolgenrisiken bei Erhalt der onkologischen Therapieeffektivität steht deshalb im Fokus der Studienaktivitäten in den jetzt betrachteten erwachsenen Kollektiven. Im pädiatrischen Bereich wird noch stärker sogar die Inkaufnahme einer erhöhten frühen Rezidivrate (bei bestehender Salvage-Option) als akzeptabler Preis für vermiedene Spätfolgen diskutiert [
6].
Die vorliegende Arbeit ist zunächst von der Methodik der Auswertung und Ergebnisdarstellung ein Meilenstein. Im Mittelpunkt steht der klinisch relevante Effekt, also das Ausmaß der Abweichung vom Mittelwert der Normalbevölkerung. Dieser wird – trotz der großen Datenmenge – stratifiziert nach Studie, Symptomatik und Zeitpunkt (sowie im Appendix nach Altersgruppe) anschaulich in farbcodierten Heatmaps dargestellt, die für den Strahlentherapeuten intuitiv sind und die „Hot Spots“ der Probleme schnell erkennbar machen.
Die Erkenntnis, dass die Patienten sich von den extremen Belastungen der Therapie zwar partiell erholen, aber in fast keinem Bereich in den ersten fünf Jahren wieder in die Nähe der Normalwerte kommen, ist nicht überraschend. Diese Patienten bedürfen einer Langzeitnachsorge und einige neue Strukturen der letzten Jahre, z. B. die Children-adolescent-young-adult(CAYA)-Einheiten an den Kliniken oder Unterstützungsangebote für junge Erwachsene der Landeskrebsgesellschaften, unterstützen diese Patientengruppe.
Da die Therapieintensität in allen Stadiengruppen auf einen ähnlichen Zielwert titriert wurde (progressionsfreies Überleben 90–95 %), erhalten die Patienten, die aufgrund der Tumorausdehnung schon bei Diagnose die stärkste Einschränkung der Lebensqualität hatten, auch die intensivste Therapie mit den höchsten weiteren Belastungen. Dass innerhalb der einzelnen Studiengenerationen der jeweils beste Studienarm nicht zu einem anderen Lebensqualitätsprofil führte als der jeweilige Vergleichsarm, ist erfreulich, denn dieser Befund bestätigt, dass ein früher Vorteil in onkologischen Outcomes nicht mit späteren Belastungen der Lebensqualität erkauft wurde.
Leider ermöglicht die aktuelle Studie keine Betrachtung der oft kontrovers diskutierten Frage, welchen Beitrag in der Behandlung des Hodgkin-Lymphoms die Chemotherapie bzw. die Strahlentherapie zu den Spätfolgen und den Veränderungen der Lebensqualität leistet, denn in keiner der inkludierten Studien wurde bezüglich des Einsatzes der Strahlentherapie randomisiert. Hier werden erst Lebensqualitätsdaten der darauf folgenden Studiengeneration interessante Einblicke liefern. Bisherige Studien zur Lebensqualität von Patienten mit Hodgkin-Lymphomen lassen jedenfalls keinen deutlichen Effekt der einzelnen Therapiemodalitäten ausmachen (Übersicht in [
7]).
Wir wissen jedoch aus Langzeitdaten, dass auch die alleinige Strahlentherapie des Morbus Hodgkin (wenngleich mit höheren Dosen, größeren Zielvolumina und heute obsoleten Techniken) klinisch relevante Auswirkungen auf die Lebensqualität haben kann [
8]. Inwiefern die heute im adulten oder pädiatrischen Bereich eingesetzten Strahlentherapieverfahren (z. B. 20 Gy mit Involved-node- oder Involved-site-Konzept) einen detektierbaren Einfluss auf die Lebensqualität haben, wird zukünftig von großem Interesse sein.
Fazit
Erwachsene Patienten mit Hodgkin-Lymphom, die mit einer Kombination aus Chemotherapie und Involved-field-Strahlentherapie behandelt wurden, weisen bis zu fünf Jahre nach Therapieabschluss erhebliche Einschränkungen in den meisten Bereichen der Lebensqualität auf. Die Daten verdeutlichen den Unterstützungsbedarf dieser Gruppe von Langzeitüberlebenden. Welchen Einfluss die in den letzten zwei Jahrzehnten etablierten Modifikationen der Strahlentherapieverfahren beim Morbus Hodgkin auf Spätfolgen und Lebensqualität haben, ist aufgrund der unterschiedlichen Studiendesigns aus diesen Daten noch nicht zu entnehmen.
Dirk Vordermark, Halle/Saale
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