Die Versorgung von Patienten mit chronischen Entzündungserkrankungen (engl. „immune-mediated inflammatory diseases“ [IMID]) ist herausfordernd und bezieht mehrere medizinische Fachgebiete mit ein. Auf Basis gesetzlicher Krankenkassendaten aus dem Kalenderjahr 2018 wurden gehäufte IMID-Kombinationen, das Auftreten weiterer Begleiterkrankungen sowie die spezifische Arzneimittelversorgung von IMID untersucht. Die Analysen deuten auf eine potenzielle Unterversorgung und eine teilweise nicht leitlinienkonforme Behandlung hin. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines umfassenden, interdisziplinären Managements von Patienten mit IMID.
Hintergrund und Fragestellung
Chronische Entzündungserkrankungen bilden eine klinisch heterogene Erkrankungsgruppe, die immunologische Gemeinsamkeiten aufweisen können. Dazu zählen u. a. die Erkrankungen Psoriasis (Pso), Psoriasisarthritis (PsA), Spondylitis ankylosans (SpA), rheumatoide Arthritis (RA), Morbus Crohn (MC), Colitis ulcerosa (CU) und Kollagenosen.
Die Heterogenität der IMID stellt das Versorgungsmanagement, in welches diverse medizinische Fachdisziplinen involviert sind, vor große Herausforderungen. Insbesondere IMID-Kombinationen erfordern ein gutes interdisziplinäres, diagnostisches und therapeutisches Management und eine sehr gute Zusammenarbeit der verschiedenen Fachgruppen [
20]. Laut Studien weisen Patienten mit IMID ein erhöhtes Risiko für weitere IMIDs auf und sind häufiger von Begleiterkrankungen (v. a. kardiovaskuläre Erkrankungen, Depressionen) betroffen [
3,
20,
25,
30]. Je nach Erkrankungsschweregrad und zusätzlich auftretenden Begleiterkrankungen leiden Patienten mit IMID unter erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität [
14,
31]. Es ist erstrebenswert, dass Patienten mit IMID frühestmöglich von einem Spezialisten behandelt werden [
14,
27,
32]. Arzneimitteltherapien sind für eine optimale Behandlung von wesentlicher Bedeutung und können das Fortschreiten von IMIDs aufhalten, Komplikationen der IMIDs, aber auch Komorbiditäten, wie z. B. kardiovaskuläre Ereignisse, verhindern, eine klinische Remission induzieren und die Lebensqualität verbessern [
20,
27,
35].
Ziel der Arbeit
Ziel der Studie war es, basierend auf Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), die Krankheitslast und die aktuelle medikamentöse Versorgungsrealität bei Patienten mit IMIDs zu beschreiben. Die Krankheitslast wurde anhand von häufig auftretenden IMID-Kombinationen sowie anhand der Prävalenz weiterer Begleiterkrankungen im Vergleich zu einer Referenzpopulation beschrieben. Die Arzneimitteltherapie von IMID-Patienten wurde anhand der Verschreibung vordefinierter Gruppen medikamentöser Therapien beschrieben.
Diskussion
Die Analyse widmete sich den Fragen, welche IMID-Kombinationen gehäuft auftreten, in welchem Ausmaß Patienten mit IMID von weiteren Begleiterkrankungen betroffen sind und inwieweit spezifische medikamentöse Therapieformen in dieser Patientenpopulation eingesetzt werden.
Die für die einzelnen Erkrankungen berechneten Prävalenzen lagen im Bereich zuvor publizierter Daten mit 1,8 % für Pso (2,0–2,1 % [
18]), 0,3 % für PsA (0,2–0,3 % [
7,
33]), 0,3 % für SpA (0,1–0,8 [
7,
33]), 1,3 % für RA (0,8–1,2 % [
2]), 0,8 % für Kollagenosen (0,2–0,3 % [
38]), 0,4 % für CU (0,5 % [
29]) und 0,4 % für MC (0,32 % [
29]).
Die häufigsten in Kombination mit PsA auftretenden IMID waren Pso und RA. Eine hohe Kombinationsrate von PsA und Pso ist erwartbar, da die Pso häufig einer PsA vorausgeht oder gleichzeitig auftritt [
3]. Die in der Literatur berichtete Prävalenz von PsA bei Pso-Patienten schwankt stark zwischen 6 und 42 % und liegt damit teilweise deutlich über der Prävalenz in dieser Studie [
11,
15]. Es ist daher möglich, dass Patienten mit Pso bezüglich PsA teilweise unzureichend diagnostiziert und therapiert werden. Das beobachtete gemeinsame Auftreten von PsA und RA lässt hingegen eher Fehldiagnosen oder Schwierigkeiten in der klinischen Differenzierung vermuten. In seltenen Fällen, wenn z. B. eine Pso erst nach Beginn der Arthritis auftritt, kann eine Unterscheidung von anderen Gelenkerkrankungen (z. B. RA) erschwert sein [
19]. Zudem sind einzelne Fälle von Overlap-Syndromen mit der entsprechenden HLA-Konstellation beschrieben.
Auffallend war, dass fast 10 % der Patienten mit MC auch eine CU-Diagnose aufwiesen. Das gemeinsame Auftreten von MC- und CU-Diagnosen könnte auf eine erschwerte diagnostische Unterscheidung aufgrund ähnlicher Symptome und Krankheitsverläufe zurückzuführen sein [
37]. Es besteht die Notwendigkeit, basierend auf Veränderungen im endoskopischen Bild, die Diagnose zu revidieren.
Patienten mit Pso, PsA, SpA und RA wiesen oft Begleiterkrankungen wie Hypertonie auf. Auch in der Literatur wurde von einem erhöhten Hypertonierisiko und einem erhöhten kardiovaskulären Risiko bei Patienten mit Pso sowie RA, SpA und PsA berichtet [
1,
8,
10,
30]. Laut der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) sollen Patienten mit RA und anderen entzündlichen Gelenkerkrankungen wie SpA und PsA deshalb besonders auf dieses Risiko hin beobachtet und ggf. therapiert werden [
1]. Weiterhin litten Patienten mit MC, CU und SpA im Vergleich zu den jeweiligen Referenzpopulationen häufiger an einer depressiven Episode. Dies kann in Übereinstimmung mit aktuellen Studien auf erhöhte psychische Belastungen mit chronischem Stress, veränderter Stressbewältigung/Stressreaktion, Einnahme oder Absetzen von Medikamenten (z. B. Glukokortikoide) oder Veränderung von Zytokinen im Rahmen der Grunderkrankung (welche auch in der Pathogenese von Depressionen eine wichtige Rolle spielen) hindeuten [
6,
17,
21,
26].
DMARDs werden bei der Behandlung von PsA und RA als Erstlinientherapie empfohlen [
13,
16,
34]. Eine Behandlung mit Biologika oder JAKi wird in der Regel bei Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf und bei Patienten, die auf die erweiterte Gruppe der csDMARDs und klassische systemische Therapien (Tab. S1) unzureichend angesprochen haben, empfohlen [
16,
34]. Zwar waren DMARDs und klassische systemische Therapien sowohl bei RA- als auch bei PsA-Patienten die häufigste verordnete Therapieform, dennoch fiel der Anteil dieser Patienten mit entsprechender Verordnung eher gering aus. Auch erhielten in dieser Studie nur etwa 10 % der RA-Patienten eine Verordnung mit Biologika/JAKi, während z. B. in Irland und den Niederlanden bereits im Jahr 2010 etwa 35 % der RA-Patienten mit Biologika therapiert wurden [
23].
NSAR waren bei Patienten mit SpA die häufigste angewandte Therapieform. Dies deckt sich mit der S3-Leitlinie, in der NSAR als Erstlinientherapie empfohlen werden [
22]. Biologika werden hingegen bei Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf und unzureichendem Ansprechen auf eine NSAR-Therapie empfohlen [
22]. Der Anteil der mit Biologika/JAKi behandelten Patienten fiel geringer aus. NSAR werden in den kürzlich publizierten GRAPPA-Empfehlungen bei PsA nur noch bedingt für die Arthritismanifestation empfohlen, können jedoch bei Enthesitiden zur Anwendung kommen [
9].
Der Anteil der IMID-Patienten mit Verordnungen von Biologika/JAKi fiel insgesamt gering aus. Zum einen waren JAKi 2018 noch nicht in allen betrachteten Entitäten zugelassen [
5,
36]. Zum anderen werden Biologika nur bei schweren Krankheitsverläufen sowie bei unzureichendem Ansprechen auf andere konventionelle Therapieformen empfohlen. Da die Information zum Krankheitsschweregrad in dieser Analyse nicht vorlag, ist eine Einordnung der beobachteten Anteile nur begrenzt möglich.
Seit 2004 wurden diverse Biologika für die Pso-Therapie zugelassen, deren Einsatz neben csDMARDs und klassischen systemischen Therapien zur Behandlung einer mittelschweren und schweren Psoriasis vulgaris empfohlen wird [
24,
28]. Dennoch waren NSAR bei Pso-Patienten die häufigste verordnete Therapieform. Auch bei MC und CU fiel auf, dass ein wesentlicher Anteil der Patienten mit NSAR behandelt wurde, obwohl diese aufgrund ihrer schubauslösenden Wirkung bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen als kontraindiziert gelten [
12]. Da NSAR auch rezeptfrei verfügbar sind, erscheint dieser Anteil an NSAR-Verordnungen alarmierend. Eine Erklärung könnte die Behandlung von Gelenkschmerzen sein, z. B. bei einer zeitgleich vorliegenden RA, ohne Berücksichtigung des Gesamtzustandes des Patienten. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit eines interdisziplinären Therapiemanagements bei Patienten mit IMID.
Die Stärke der Studie stellt die zugrunde liegende umfangreiche repräsentative Datenbasis dar, welche den Vorzug bietet, das Versorgungsgeschehen authentisch abzubilden. Aufgrund des Querschnittdesigns sind Analysen zum Krankheits- und Therapieverlauf und eine kausale Interpretation der Ergebnisse nicht zulässig. Gleichzeitig stellt die Art des Datensatzes auch dessen größte Einschränkung dar. Bei der Erfassung lässt sich naturgemäß nicht nachvollziehen, welche Facharztgruppe die Diagnose kodiert hat. Der teilweise hohe Anteil an Patienten, die offenbar nicht leitliniengerecht behandelt werden, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Diagnose in vielen Fällen nicht durch die entsprechende Facharztgruppe gestellt bzw. kodiert wurde.
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