Erschienen in:
06.11.2020 | Leichenschau | Originalien
Sterbefälle Münchner Altenheimbewohner und betagter Allgemeinbevölkerung – ein Vergleich ausgestellter Todesbescheinigungen
verfasst von:
PD Dr. med. habil. S. Gleich, M. Graw
Erschienen in:
Rechtsmedizin
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Ausgabe 1/2021
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Zusammenfassung
Hintergrund
In Deutschland ist der demografische Wandel angekommen ,jeder fünfte Bürger ist älter als 66 Jahre. Der weitere Anstieg der Anzahl Hochbetagter und Pflegebedürftiger in der Bevölkerung ist unstrittig. Eine unzureichende Qualität der ärztlichen Leichenschau und fehlerhafte Ausfertigungen der Todesbescheinigungen werden seit vielen Jahren wiederholt konstatiert.
Methode
Eingeschlossen wurden die Todesbescheinigungen aller Münchner Sterbefälle der Jahre 2013 und 2014. Es erfolgte eine nach Schlüssel standardisierte, anonymisierte Dateneingabe in Excel (Microsoft Office 2011). Zielkollektiv (ZK = verstorbene Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen) und Kontrollkollektiv (KK = kein Pflegeheimbewohner, Sterbealter mehr als 75 Jahre) wurden deskriptiv mit SPSS (IBM, Version 23) ausgewertet.
Ergebnisse
Im Studienzeitraum verstarben 4740 Altenheimbewohner und 11.929 Personen mit einem Alter von mehr als 75 Jahren. Das durchschnittliche Sterbealter des ZK betrug 85 Jahre, des KK 84 Jahre. Weiblich waren 69 % des ZK und 53 % des KK . Beim ZK verstarben 75 % in der Pflegeeinrichtung, beim KK 68 % im Krankenhaus. Die attestierten Todesarten verteilten sich bei ZK und KK unterschiedlich: natürlich 96 % vs. 85 %, ungeklärt 3 % vs. 11 %, nichtnatürlich 1 % vs. 3 %. Beim ZK wurden als dem Versterben zugrunde liegende Grunderkrankungen am häufigsten attestiert: Krankheiten des Kreislaufsystems (46 %) und Krankheiten des Nervensystems (11 %), beim KK Krankheiten des Kreislaufsystems (34 %) und bösartige Neubildungen (21,5 %). Leichenschauende Ärzte strebten im ZK bei 3 % eine Obduktion an, im KK bei 13 %. Tatsächlich obduziert wurden 1 % des ZK und 6 % des KK.
Diskussion
Die Studie ermöglichte in beiden Kollektiven die erstmalige Beantwortung wichtiger Fragen zu Sterbealter und -orten, Todesart und -ursache sowie zur Obduktionshäufigkeit. Es konnte gezeigt werden, dass sich beide Kollektive in allen untersuchten Fragestellungen statistisch signifikant voneinander unterscheiden. Ebenso gelang der Nachweis, dass die Todesursachen das Zielkollektivs von der amtlichen Todesursachenstatistik abweichen. Es ergaben sich Hinweise auf eine schlechte Qualität der Leichenschau: Das betraf insbesondere niedergelassene Ärzte, die bei nahezu allen in ihrer Einrichtung verstorbenen Altenheimbewohnern eine natürliche Todesart bescheinigten und gleichzeitig bei knapp 20 % als unmittelbare Todesursache eine ungenau bezeichnete bzw. ungeklärte angaben.