Erschienen in:
01.06.2008 | Originalien
Versorgungszeiten bei Traumapatienten im Luftrettungsdienst
Implikationen für die Disposition?
verfasst von:
Prof. Dr. A. Gries, DEAA, M. Sikinger, C. Hainer, N. Ganion, G. Petersen, M. Bernhard, U. Schweigkofler, P. Stahl, J. Braun
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 6/2008
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Zusammenfassung
Hintergrund
Bei der Versorgung polytraumatisierter Patienten spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle, und Zeitverzögerungen verschlechtern die Prognose. Aktuelle Studien zeigen darüber hinaus, dass Traumapatienten von der primären Zuführung in ein Traumazentrum profitieren. In Deutschland kommen daher bodengebundene und luftgestützte Notarztsysteme, allein oder gemeinsam, mit dem Ziel zum Einsatz, die Patienten qualifiziert zu versorgen und in ein geeignetes Traumazentrum zu verbringen. Ziel dieser Studie war es nun, die prähospitalen Versorgungszeiten von Traumapatienten im Luftrettungsdienst in Abhängigkeit von einem bereits an der Einsatzstelle befindlichen bodengebundenen System im Hinblick auf Disposition und Effizienz zu untersuchen.
Methodik
In einer bundesweiten multizentrischen Analyse wurden die durch das medizinische Datenerfassungssystem MEDAT der Deutschen Rettungsflugwacht erfassten Primäreinsätze bei traumatologischen Notfällen von 28 Luftrettungszentren (LRZ) des TeamDRF und 6 LRZ des Bundes des Jahres 2006 ausgewertet. Dabei wurden die RTH-Versorgungszeiten bei Kombinationseinsätzen mit (Gruppe MEDAT 1) und ohne beim Eintreffen des RTH bereits an der Einsatzstelle befindlichem bodengebundenen Notarztsystem (Soloeinsätze, Gruppe MEDAT 2) untersucht. Darüber hinaus wurden die Gesamtversorgungszeiten von Kombinations- (Gruppe MAN 1) und Soloeinsätzen (Gruppe MAN 2) bei polytraumatisierten Patienten in einer prospektiven regionalen Untersuchung am LRZ Heidelberg/Mannheim „Christoph 53“ im Zeitraum 01.05.2006–31.01.2007 erfasst.
Ergebnisse
Bundesweit konnten 26.010 Primäreinsätze ausgewertet werden. Davon erfolgten 11.464 Einsätze bei traumatologischen Notfällen (44,1%) mit 2229 Einsätzen (19,4%) in der Gruppe MEDAT 1 und 9235 Einsätzen (80,6%) in der Gruppe MEDAT 2. Die RTH-Versorgungszeiten waren in beiden Gruppen von der Verletzungsschwere (NACA-Klassifikation) abhängig und in der Gruppe MEDAT 1 mit 17±12 min (NACA I) bis 34±19 min (NACA VII) gegenüber der Gruppe MEDAT 2 mit 21±10 min bis 36±19 min um durchschnittlich 2,8 min (NACA VII) bis 8,1 min (NACA VI) signifikant kürzer. Darüber hinaus konnten in der Gruppe MEDAT 1 ein signifikant höherer Versorgungsaufwand (Intubation, Thoraxdrainage und Reposition) und ein größerer Anteil mit dem RTH in die Klinik transportierter Patienten als in der Gruppe MEDAT 2 beobachtet werden.
In der regionalen Untersuchung konnten 670 Primäreinsätze mit 382 traumatologischen Notfällen (57%) ausgewertet werden. Neunzig an der Einsatzstelle nichtreanimierte bzw. verstorbene Patienten mit Polytrauma (NACA V) wurden näher untersucht: 58 der Gruppe MAN 1 und 32 der Gruppe MAN 2. Die RTH-Versorgungszeiten lagen bei 26±12 min bzw. 35±20 min (p<0,05) und waren mit den bundesweit erfassten vergleichbar. In der Gruppe MAN 1 betrug die Versorgungszeit des bodengebundenen Notarztsystems bis zum Eintreffen des RTH durchschnittlich 22±11 min, und die Gesamtversorgungszeit war mit 48±15 min signifikant und um durchschnittlich 12±8 min länger als in Gruppe MAN 2. Die Alarmierung des RTH in der Gruppe MAN 1 erfolgte durchschnittlich 17±15 min nach Eintreffen des bodengebundenen Systems an der Einsatzstelle. Auch war in Gruppe MAN 1 die Versorgung seitens des RTH signifikant aufwendiger.
Schlussfolgerung
Zwar verringern sich die RTH-bezogenen Versorgungszeiten bei einem beim Eintreffen des RTH bereits an der Einsatzstelle befindlichen bodengebundenen System um einige Minuten; es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass bei diesen Einsätzen die prähospitale Gesamtversorgungszeit signifikant verlängert ist. Diese Ergebnisse haben unmittelbaren Einfluss auf die Disposition der Rettungsmittel und deuten darauf hin, dass der RTH bei bestehender Indikation für einen luftgestützten Transport in eine weiter entfernte Zielklinik frühzeitiger alarmiert werden sollte. Vor diesem Hintergrund erscheint es wahrscheinlich, dass eine entsprechende Einsatzdisposition die Prognose schwer verletzter Patienten verbessern und Kosten sparen kann.