Perioperatives Management: Präoperative Risikoevaluation und Risikominimierung
Verfasst von: Jörg Winckelmann
Bereits seit dem Jahr 2010 existiert eine von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Chirurgie (DGCH) und Innere Medizin (DGIM) gemeinsam erarbeitete Empfehlung zur „Präoperativen Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen“. Diese wurde im Jahr 2017 erstmals überarbeitet und ergänzt. Sie bietet einen strukturierten Überblick unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs sowie des individuellen Risikoprofils des Patienten.
Bereits seit dem Jahr 2010 existiert eine von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Chirurgie (DGCH) und Innere Medizin (DGIM) gemeinsam erarbeitete Empfehlung zur „Präoperativen Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen“. Diese wurde im Jahr 2017 (Zwissler et al. 2017) erstmals überarbeitet und ergänzt. Sie bietet einen strukturierten Überblick unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs sowie des individuellen Risikoprofils des Patienten und sei dem speziell interessierten Leser ans Herz gelegt.
Kardiovaskuläre und pulmonale Risikoevaluation
Aus den zentralen Punkten einer
strukturierten Anamnese (inklusive Blutungsanamnese) zum Zustand der wichtigen Organsysteme (Herz-Kreislauf, Lunge, Leber, Niere, Neurologie, metabolische Störungen) sowie einer
gewissenhaften körperlichen Untersuchung
die idealerweise 4–6 Wochen vor dem geplanten Eingriff stattfinden sollten, lassen sich individuelle Aussagen vor allem zum
kardiovaskulären Risikoprofil sowie
zur körperlichen Belastbarkeit
des jeweiligen Patienten treffen. Gerade letztgenannter Punkt hat sich als geeigneter Prädiktor eines guten perioperativen Outcomes herauskristallisiert.
Körperliche Belastbarkeit und kardiales Risikoprofil lassen sich mit den folgenden Scoring-Systemen klassifizieren.
Kardiale Risikofaktoren* (Revised Cardiac Risc Index, RCRI nach Lee)
Gehen mit normaler Geschwindigkeit, 2 Stockwerke ohne Pause – MET: 4–5
Sportliche Aktivität – MET: 5–10
Ausdauer-/Leistungssport – MET: > 10
*1 MET = Verbrauch von ca. 3,5 ml O2/kg KG/min = Ruheumsatz
Eine strukturierte Anamnese und gründliche körperliche Untersuchung sind der wichtigste Bestandteil der präoperativen Risikoevaluierung.
Zur Beurteilung der pulmonalen Funktion stehen neben Anamnese und körperlicher Untersuchung einige apparative Untersuchungsmethoden (SaO2; Spirometrie, BGA, R-TX) zur Verfügung. Dabei ist vor allem für die Anordnung eines R-TX eine akute Symptomatik bzw. klare Verdachtsdiagnose (Pneumonie, Atelektase etc.) mit Konsequenzen für das operative Vorgehen zu fordern. Eine klinisch stabile COPD oder ein Asthma bronchiale allein erfüllen diesen Sachverhalt nicht.
Somit könnte eine kardiopulmonale Risikoevaluation unter dem primären Aspekt der körperlichen Belastbarkeit folgendermaßen strukturiert sein (Abb. 1).
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Ein solches Vorgehen soll unselektierte apparative Untersuchungen oder sog. Routinescreenings, deren Nutzen für den Patienten in den meisten Fällen nicht belegt ist, vermeiden oder dem individuellen Risiko adaptiert nach sich ziehen.
Konsequent umgesetzt führt dies zu einem hohen Maß an Patientenorientierung, Verschlankung von Prozessen und letztlich auch zur Reduktion von Kosten.
Ergänzend sei an dieser Stelle die Problematik zerebraler Ischämien in Zusammenhang mit der Implantation einer Hüft-TEP erwähnt. Evidenzbasierte Empfehlungen zur präoperativen Abklärung von Pathologien der hirnversorgenden Arterien fehlen jedoch.
In der Praxis hat sich folgendes Vorgehen etabliert:
Bei in den letzten 6 Monaten asymptomatischen Patienten bezüglich einer zerebralen Ischämie führt eine Sonografie der Halsgefäße selbst bei Stenosegeräuschen zu keiner Risikominderung für einen perioperativen Schlaganfall.
Keine Elektiv-OP im Zeitraum von 6 Monaten nach TIA, sondern erst Abklärung und eventuell Intervention.
Elektivpatienten nach zerebrovaskulärer Intervention unter temporär dualer Thrombozytenaggregationshemmung sollten bis zum Ende dieser Periode – in der Regel 6 Monate – verschoben werden.
Laboruntersuchungen
Prinzipiell sollten auch präoperative Laboruntersuchungen an die individuellen Vorerkrankungen und die evtl. eingenommene Medikation des Patienten angepasst werden.
Im Rahmen der Hüftendoprothetik sollte bei einer Transfusionswahrscheinlichkeit > 10 % ein Blutbild bestimmt werden. Dies führt in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen zur Aufdeckung einer Anämie, die unter Umständen im Vorfeld der OP gut behandelbar ist.
Wenig sinnvoll erscheint hingegen eine generelle Bestimmung von Gerinnungsparametern wie INR und PTT, außer bei positiver Blutungsanamnese oder der Einnahme gerinnungshemmender Medikamente.
Eine tabellarische Übersicht über individuelle, je nach betroffenen Organsystemen sinnvolle Laboruntersuchungen, gibt Tab. 1.
Tab. 1
Organsystemadaptierte Laboruntersuchungen. (Modifiziert nach (Zwissler et al. 2017)
Eine präoperative Bestimmung des Blutzuckers wird, unabhängig vom eventuellen Vorliegen eines Diabetes mellitus, empfohlen. Außerdem sollten eine Blutgruppenbestimmung und ein Antikörper-Suchtest durchgeführt werden.
Umgang mit Dauermedikation
Weiterer wesentlicher Bestandteil der präoperativen Beurteilung des Patienten ist die Erfassung der Dauermedikation vor dem Hintergrund der Frage wie mit dieser perioperativ verfahren werden soll. Dies ist für die allermeisten Substanzen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten nur unzureichend untersucht, sodass generell eine individuelle Entscheidung unter Berücksichtigung von Empfehlungen getroffen werden muss.
Eine orientierende Übersicht soll folgende, an die Implantation einer Hüft-TEP angepasste, Tabelle liefern (Tab. 2).
Tab. 2
Umgang mit Dauermedikation, modifiziert nach (Bischoff et al. 2019)
*BMS = Bare metal stent, ** DES = Drug eluting stent
Sämtliche in den vorangegangenen Abschnitten getroffenen Aussagen und Empfehlungen stellen den gegenwärtigen Stand der Erkenntnis dar und bedürfen der kontinuierlichen Überprüfung und gegebenenfalls Überarbeitung unter Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Ergebnisse.
Fazit für die Praxis
Die Ermittlung der körperlichen Belastbarkeit des Patienten aus Anamnese und körperlicher Untersuchung stellt den zentralen Baustein der präoperativen Risikoevaluation dar. Ergebnisabhängig können sich daran weitere (apparative) Zusatzuntersuchungen anschließen. „Routinescreenings“ sind wenig prädiktiv und verursachen vermeidbare Kosten.
Literatur
Beise U (2018) MEDIX Guideline Präoperative Untersuchungen. online veröffentlicht
Bischoff M et al (2019) Perioperativer Umgang mit Begleitmedikation. Anasth Intensivmed 60:560–571
Zwissler B et al (2017) Präoperative Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen. Gemeinsame Empfehlung der DGAI, DGCH und DGIM. Anästh Intensivmed 58:349–364