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Gaucher-Krankheit

Verfasst von: Heike Kaltofen, Dierk A. Vagts, Uta Emmig und Peter Biro
Gaucher-Krankheit.
Synonyme
Morbus Gaucher; Gaucher-Schlangenhaufer-Sy; Lipidhistozytose vom Kerasintyp; Glukozerebridose; Glukozerebrosidasemangel
Oberbegriffe
Enzymopathie, Gangliosidose, Zerebrosidose, Lipidosen (Sphingolipidose), lysosomale Speicherkrankheiten, Thesaurismosen.
Organe/Organsysteme
ZNS, Lunge, Leber, Milz, Skelettsystem.
Inzidenz
Im Mittel 1:40.000, neuronopathische Form (Typ II) 1:100.000. Häufiger in der aschkenasisch-jüdischen und türkischen Bevölkerung (1:1000). Die Gaucher-Krankheit ist die häufigste Form der Lipidosen.
Ätiologie
Hereditär mit autosomal-rezessivem Erbgang (pränatale Diagnose möglich). Es liegt eine verminderte Aktivität der Glukosylceramidase (Glukozerebrosidase) und intrazelluläre Speicherung von Glukosylceramid (Glukozerebrosid) im retikuloendothelialen System vor, insbesondere in Leber, Knochenmark, Milz und Lunge.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Andere mit einer Hepatosplenomegalie einhergehende Speicherkrankheiten: Wilson-Sy, Glykogenosen (v.-Gierke-Sy), Lipidosen (z. B. Niemann-Pick-Sy, Tay-Sachs-Sy), Cholesterinlipidose (HandSchüller-Christian-Sy), Hämochromatose, Malaria, chronische lymphatische Leukämie, Lymphome.

Symptome

Unterschieden wird eine nicht-neuronopathische Form (Typ I) von neuronopathischen Formen (Typ II). Die nicht-neuronopathische Form ist die häufigste Manifestation (ca. 95 % aller Fälle) und kann in allen Altersgruppen in variierenden Schweregraden auftreten.
Die neuronopathischen Formen sind durch die ZNS-Beteiligung gekennzeichnet. Es wird eine akute, vorwiegend Kinder betreffende und rasch tödlich verlaufende Form (Typ II), von der neuronopathisch-chronischen Verlaufsform (Typ III) unterschieden, die in der frühen bis späten Kindheit auftritt und die Lebenserwartung verkürzt. Die neuronopathische Form ist durch progredienten Zerebralabbau mit fortschreitender starrer Lähmung gekennzeichnet.
Bei allen Patienten finden sich typische Speicherzellen („Gaucher-Zellen“) in Lunge, Leber, Milz, Skelettsystem und Bindegewebe. Gehäufte bronchopulmonale Infekte können auftreten.
Neben einer unspezifischen Hyperpigmentation der Haut, Abgeschlagenheit und Hepatosplenomegalie kann die Beteiligung des Skeletts als milde Osteopenie, avaskuläre Nekrose der großen Gelenke, pathologische Frakturen und Osteolyse klinisch in Erscheinung treten. Darüber hinaus kann ein Hypersplenismus mit Anämie und Thrombozytopenie vorliegen.
Die exakte Diagnose erfolgt durch die laborchemische Bestimmung der β-Glukozerebrosidase im Blut, welche stark vermindert ist sowie durch genetischen Nachweis. Gewebeentnahmen sind nicht erforderlich.
Vergesellschaftet mit
Sekundäre Anämie. Gelegentlich finden sich Hinweise auf einen Aszites oder eine portale Hypertension sowie auf eine pulmonale Hypertonie. Kalzifizierende konstriktive Perikarditiden sowie Kalzifikationen der Aorta ascendens und der Mitralklappe sind beschrieben. Sekundäre Lymphome treten gehäuft auf.
Therapien
Adulter Typ (Typ I): Parenterale Enzymersatztherapie mit Glukozerebrosidase (Imiglucerase, Velaglucerase). Alternativ kann durch die Gabe von Eliglustat bzw. Miglustat die Bildung der Glukozerebroside gehemmt werden (Substratreduktionstherapie). Eine Verbesserung der Symptome nach Knochenmarkstransplantation wurde beschrieben. Jedoch ist ihr Einsatz wesentlich risikoreicher und weniger effektiv als die medikamentösen Therapien.
Bei frühzeitiger Therapie kann nahezu ein normales Lebensalter erreicht werden.
Die Prognose der juvenilen Form ist jedoch weiterhin früh infaust.

Anästhesierelevanz

Typische Eingriffe mit erforderlicher anästhesiologischer Betreuung sind insbesondere bei Kindern die Anlage von Gefäßzugängen, partiale Splenektomie, Versorgung von Frakturen, Gelenkersatz sowie verschiedene nicht primär mit der Erkrankung assoziierte Operationen. Von Bedeutung ist die primär gestörte oder als Nebenwirkung der Enzymersatztherapie auftretende pathologische Gerinnung und eine beeinträchtigte Thrombozytenfunktion.
Spezielle präoperative Abklärung
Ziel der präoperativen Vorbereitung ist es, das Ausmaß der Organbeteiligung genau zu erfassen, insbesondere inwieweit das ZNS beteiligt ist. Vor allem stellen sich Fragen nach zentral bedingten Schluckstörungen und Anhaltspunkten für eine erschwerte Intubation durch Glukozerebrosidablagerung in den oberen Atemwegen. Eine Splenomegalie kann einen Hypersplenismus zur Folge haben, der in Thrombozytopenie, hämolytischer Anämie und Leukopenie resultiert.
Detaillierte Blutungsanamnese (Nasen- oder Schleimhautblutung, auffällige Menstruation). Bei veränderter PT- oder PTT-Bestimmung der Gerinnungsfaktoren, Untersuchung der Thrombozytenfunktion mittels Plättchen-Aggregationstest (Ristocestin, ADP, Kollagen oder Epinephrin-Test) oder Thrombelastogramm. Liegt eine Thrombozytopenie vor, kann durch Gabe von Desmopressin ein Anstieg der Thrombozytenzahl erreicht werden. Präoperativ müssen Blut- und Thrombozytenpräparate bereitgestellt werden.
Eine retikuläre Zeichnung im Thoraxröntgenbild kann ein Hinweis auf eine Lungenspeicherung sein. Zusammen mit einem durch die Hepatomegalie bedingten Zwerchfellhochstand führen diese Veränderungen meist zu erheblichen Einschränkungen der Lungenfunktion. Darüber hinaus muss echokardiographisch untersucht werden, ob eine pulmonale Hypertonie oder eine Beteiligung der Herzklappen vorliegt.
Wichtiges Monitoring
Pulsoxymetrie, Kapnographie, Atemwegsdruck, erweitertes hämodynamisches Monitoring beim Vorliegen einer pulmonalen Hypertonie, Thrombelastogramm.
Vorgehen
Das anästhesiologische Management muss an die Anforderungen der Operation angepasst sein und die Besonderheiten der Erkrankungen berücksichtigen. Wenn möglich, sollte der Patient von den Vorteilen einer Regionalanästhesie profitieren, jedoch kann die neurologische Beteiligung eine Allgemeinanästhesie zwingend erforderlich machen. Vor Durchführung einer rückenmarknahen Anästhesie muss eine Gefährdung des Patienten durch Blutungen aufgrund einer Thrombozytopenie oder pathologischen Blutgerinnung ausgeschlossen sein. Die sorgfältige neurologische Befundung und Dokumentation des Patienten vor der Anästhesie ist dringend zu empfehlen. Im Rahmen der Geburtshilfe sind komplikationslose Epiduralanästhesien beschrieben. Ist eine Allgemeinanästhesie erforderlich, muss bei der Narkoseeinleitung aufgrund des erhöhten intraabdominellen Druckes durch Hepatosplenomegalie mit einem erhöhten Aspirationsrisiko gerechnet werden. Dementsprechend sollte eine „Rapid Sequence Induction“ durchgeführt werden. Die Lagerung der Patienten muss der vermehrten Knochenbrüchigkeit und verminderten Gelenkbeweglichkeit gerecht werden. Zentralnervös bedingte Schluckstörungen gehen für die gesamte perioperative Phase mit einem erhöhten Aspirationsrisiko einher. Ist mit erhöhtem Blutverlust zu rechnen (z. B. bei orthopädischen Operationen), sollte eine Blutaufbereitung mittels maschineller Auto- bzw. Retransfusion durchgeführt werden. Beim Vorliegen einer Thrombozytopenie und möglicherweise pathologischer Plättchenfunktion sollte die postoperative Schmerztherapie unter Verzicht auf nichtsteroidale Analgetika durchgeführt werden. Postoperativ sind erhöhte Raten an Wundinfektionen und schwere pulmonale Infektionen beschrieben, die unter anderem auch auf eine verminderte Immunkompetenz zurückgeführt werden.
Cave
Lagerungsschäden, Aspiration, Blutungsneigung, Infektionen. Selten, aber wenn auftretend, schwerer pulmonaler Hypertonus.
Weiterführende Literatur
Lebel E, Ioscovich A, Itzchaki M et al (2011) Hip arthroplasty in patients with Gaucher disease. Blood Cells Mol Dis 46:60–65CrossRefPubMed
Mireles S, Seybold J, Williams G (2010) Undiagnosed type IIIc Gaucher disease in a child with aortic and mitral valve calcification: perioperative complications after cardiac surgery. J Cardiothorac Vasc Anesth 24:471–474CrossRefPubMed
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Zhang Y, Mao F, Du J (2015) Case report serious pulmonary infection in a splenectomized patient with adult type I Gaucher disease. Genet Mol Res 14:3338–3344CrossRefPubMed