Allgemeines Vorgehen bei Leberwerterhöhungen auf Intensivstation
Erhöhte Leberwerte bei Intensivpatienten finden sich häufig. Meist sind diese nur passager erhöht in nur geringer Ausprägung. Zu unterscheiden ist zunächst, ob es sich um eine akute Leberschädigung, erhöhte Werte im Rahmen einer chronischen Lebererkrankung oder um eine Erhöhung der Transaminasen durch andere Ursachen wie z. B. einem akuten Muskelschaden mit stark erhöhter CK und entsprechender Freisetzung von GOT/AST aber auch GPT/ALT handelt. Hier kann, falls die Anamnese diesbezüglich unauffällig ist, häufig nur der kurzfristige Verlauf helfen. Massive Leberwertanstiege sprechen dabei immer für ein Akutgeschehen, wobei dadurch eine chronische Hepatopathie nicht auszuschließen ist. Grundsätzlich sollte die Störung anhand der Laborkonstellation weiter eingegrenzt werden. Betonte Erhöhung der Transaminasen sprechen für einen hepatozellulären Schaden, wie bei der
akuten Hepatitis oder der Ischämie. Erhöhung der GGT und AP mit oder ohne
Hyperbilirubinämie sind in der Regel Ausdruck einer
Cholestase, wobei diese sowohl mechanisch als auch auf zellulärer Ebene vorliegen kann (z. B. Toxizität). Bei eingeschränkter Gerinnung, Hyperbilirubinämie oder Hypalbuminämie ist von einer reduzierten Leberfunktion, klassischerweise im Rahmen einer
Leberzirrhose oder eines akuten Leberversagens auszugehen.
Neben dem Labor und einer ggfs. weiterführenden laborchemischen Diagnostik ist eine Bildgebung der Leber, in erster Linie Ultraschall mit Duplexsonographie, unabdingbar. Hierbei ist die Abklärung einer mechanischen
Cholestase, das Vorliegen einer chronischen Lebererkrankung (Zirrhose) und Durchblutungsstörungen der Leber vordergründig.
Im Folgenden soll auf typische Ursachen bei Intensivpatienten eingegangen werden.
Typische Intensivmedizinische Krankheitsbilder beim „Lebergesunden“
Akut-auf-chronisches Leberversagen (ACLV)
Von der akuten Dekompensation einer
Leberzirrhose spricht man vor allem beim Auftreten einer gastrointestinalen Blutung,
hepatischen Enzephalopathie und/oder
Aszites bei vorbestehender Lebererkrankung bzw. Leberzirrhose. Diese Dekompensationen treten bei einem Teil der Patienten wiederholt auf, ohne dass es zu einer Verschlechterung der Organfunktionen kommt und die Patienten daher eine relativ geringe Ein-Jahres-Mortalität aufweisen (stabile oder instabile Dekompensation). Eine Gruppe von Patienten jedoch mit vorbestehender Lebererkrankung, zeigt einen von der natürlichen Progression einer Leberzirrhose distinkten Verlauf: Das akut-auf-chronische Leberversagen (ACLV) ist als akute Verschlechterung bei vorbestehender chronischer Lebererkrankung mit einer hohen 3-Monats-Mortalität definiert und ist durch eine hohe inflammatorische Aktivität, einen zeitlichen Zusammenhang zu einem auslösenden Ereignis und ein Ein- oder Mehrorganversagen charakterisiert (Jalan et al.
2012; Arroyo et al.
2020). Kürzlich ließ sich noch eine weitere Patientengruppe charakterisieren, die bei hepatischer Dekompensation bereits hohe inflammatorische Marker aufwiesen ohne ein Organversagen, aber hierdurch eine hohe Gefahr der Entwicklung eines ACLV aufwiesen (sog. Pre-ACLV) (Trebicka et al.
2020).
In einer prospektiven Studie bei 1343 Patienten mit chronischer Lebererkrankung und hepatischer Dekompensation lag bei 30,4 % ein ACLV vor. Die 28-Tages-Mortalität war mit 32,8 % (90-Tages-Mortalität 51,2 %) gegenüber 1,9 % (90-Tages-Mortalität 9,7 %) bei Patienten mit einfacher Dekompensation der Zirrhose ohne Vorliegen eines ACLV mehr als 15-fach erhöht. Als präzipitierende Faktoren eines ACLV fanden sich meist Infektionen (32,6 %), Alkoholabusus mit Alkoholhepatitis (24,5 %) und gastrointestinale Blutungen (13,2 %). Bei 43,6 % der Patienten fand sich kein auslösendes Ereignis. Interessanterweise war der Verlauf bei Patienten mit erstmaliger Dekompensation, die häufig auch jünger waren, am schwerwiegendsten. (Moreau et al.
2013). Pathophysiologisch ist die systemische Inflammation im Rahmen der Dekompensation der Haupttrigger, der zu einer metabolischen Dysregulation führt, was wiederum die Organdysfunktion begünstigt (Jalan et al.
2021).
Der CLIF-SOFA-Score erlaubt vor allem an Tag 3–7 nach Diagnose des ACLF eine valide Abschätzung der Prognose. Wenn mindestens 4 Organversagen vorliegen, ist die Mortalität ohne
Lebertransplantation nahezu 100 %, so dass in diesen Fällen die europäische Lebergesellschaft (EASL) eine Beendigung der Therapie empfiehlt. Neben der Anzahl an Organversagen wird der sog. CLIF-C-Score noch von dem Patientenalter und der Leukozytenzahl beeinflusst. Ein Wert >64 sollte ebenso zum Abbruch der Therapie führen (Kalkulator unter
https://www.efclif.com/scientific-activity/score-calculators/clif-c-aclf) (European Association for the Study of the Liver
2018).
Aufgrund der hohen Mortalität sind Patienten, die für eine
Lebertransplantation (LTX) infrage kommen, rechtzeitig zu identifizieren. Das Ein-Jahres-Überleben bei ACLV-Patienten nach
Lebertransplantation liegt bei mehr als 80 % (Belli et al.
2021). Die wichtigsten Kontraindikationen zur LTX stellen eine akute, unkontrollierte Infektion (insbesondere
Sepsis), eine maligne Tumorerkrankung, eine fortgeschrittene Herz- oder Lungenerkrankung und in den meisten Ländern auch ein florider Alkoholabusus dar. Die Möglichkeit einer HU-Listung analog des ALV besteht bei vorbestehender chronischer Lebererkrankung nicht.
Die Allokation von Spenderorganen in Deutschland erfolgt über die Stiftung Eurotransplant. Zur Bemessung der Dringlichkeit einer LTX wird aktuell der
MELD-Score, welcher anhand des Bilirubin-,
Kreatinin und INR-Wertes berechnet wird, herangezogen. Dieser korreliert mit der 3-Monats-Mortalität des Empfängers (Wiesner et al.
2003). Zur weiteren Verbesserung der Prognoseabschätzung wird zukünftig möglicherweise der MELD-Score um den Parameter
Natrium (MELD-Na) erweitert. Je höher der MELD-Score, umso größer ist die Chance für den Patienten, auf der Warteliste eine Leber zu erhalten, umso höher jedoch auch die Gefahr, kurzfristig zu versterben. Auch der Verlauf nach LTX ist ungünstiger, je höher der MELD bei Transplantation ist (Saab et al.
2003). Patienten mit einer möglichen LTX-Option sollten daher frühzeitig an ein Transplantationszentrum überwiesen werden. Hier stehen in der Regel auch extrakorporale Leberersatzverfahren zur Verfügung, die auch beim ACLV eingesetzt werden. Bereits frühzeitig müssen hier jedoch bei Patienten mit hohem MELD-Score und Multiorganversagen ohne LTX-Option die begrenzten Aussichten des Einsatzes berücksichtigt werden („bridging-to-nowhere“). Es wird zur ausführlichen Besprechung auf Kap. „Extrakorporale Verfahren zur Unterstﺰtzung bei Leberversagen“ verwiesen.
Operative Therapie bei Patienten mit Lebererkrankungen
Patienten mit einer kompensierten chronischen Lebererkrankung können durch einen operativen Eingriff eine Verschlechterung der Leberfunktion im Sinne eines ACLV erfahren. Gelegentlich ist die Lebererkrankung präoperativ nicht im Bewusstsein der behandelnden Ärzte und eine Dekompensation zeigte sich z. B. im intensivmedizinischen Verlauf postoperativ. Es gilt daher, sorgsam das postoperative Risiko der Patienten abzuschätzen. Einige Situation gelten gemeinhin als Kontraindikation für elektive Operationen (ausgenommen die
Lebertransplantation), hierzu zählen:
Die Risikoabschätzung kann anhand des Child-Pugh oder MELD Scores erfolgen. Hier zeigt sich eine zufriedenstellende Diskrimination des perioperativen Risikos. Dieses lässt jedoch die Eingriffsschwere und –Art außer Acht. Der Mayo-Score berücksichtig noch den funktionellen Status durch die adaptierte ASA-Klassifikation. Eine aktuelle retrospektive Analyse mit 3785 Patienten und mehr als 4000 Eingriffen entwickelte den VOCAL-Penn Score, der neben Leberfunktion, ASA-Status auch die Eingriffsart sowie die Akuität einfließen lässt. Er lässt sich online einfach berechnen (
www.vocalpennscore.com) und zeigte eine bessere Vorhersage der postoperativen Outcomes als Child-Pugh-, MELD und Mayo-Score (Mahmud et al.
2021).