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Wolf-Hirschhorn-Syndrom

Verfasst von: Heike Kaltofen, Dierk A. Vagts, Uta Emmig und Peter Biro
Wolf-Hirschhorn-Syndrom.
Synonyme
Wolf-Sy; Chromosom-4p-Sy; WHS; distale Monosomie 4p
Oberbegriffe
Chromosomenanomalie, Gendefekt.
Inzidenz
Ca. 1:50.000. Das weibliche Geschlecht ist etwa doppelt so häufig betroffen. Ein Drittel der Betroffenen verstirbt in den ersten zwei Lebensjahren, meist infolge von Herzversagen aufgrund eines Herzvitiums oder infolge von pulmonalen Infektionen.
Ätiologie
Partielle distale Deletion am kurzen Arm des Chromosom 4 (p16). Ca. 85 % der Fälle sind De-novo-Deletionen. In ca.15 % der Fälle Verursachung durch balancierte Translokation bei einem Elternteil. Hierbei kann die Erkrankung zu 50 % Wahrscheinlichkeit weitervererbt werden.
Verwandte Formen/ Differenzialdiagnosen
Rubinstein-Taybi-Sy, Pitt-Rogers-Danks-Sy, Opitz-G -Sy, Seckel’s-Sy, Cri-du-Chat-Sy, Trisomie 9, Trisomie 18, Fryns-Sy, Jacobsen-Sy.

Symptome

Das Syndrom kann multiple Fehlbildungen in verschiedenen Körpersystemen aufweisen, die jedoch je nach Ausprägung der Deletion nicht bei allen Patienten in gleicher Art und Weise in Erscheinung treten.
ZNS: Schwere mentale Retardierung, Epilepsie, Kleinhirnhypoplasie, Balkenagenesie, strukturelle Hirnfehlbildungen, fehlendes Sprachverständnis.
Faziale Dysmorphie: Mikrozephalie, Hypertelorismus, Ptosis der Augenlider, abfallende Lidachse, Exophthalmus, Epikanthus, breite Nasenwurzel, Mikrognathie, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, kleines Philtrum, kurze Oberlippe, hohe Stirn mit prominenter Glabella, Skalpdefekte, Zahnanomalien.
Muskulatur: muskuläre Hypotonie.
Sinnesorgane: Ohrfehlbildungen, Schwerhörigkeit, Iriskolobom, Mikrophthalmus, Strabismus, Glaukom, Katarakt.
Herz: AV-Kanal, Herzklappenfehler, offener Ductus Botalli, Herzrhythmusstörungen.
Urogenitalsystem: Fehlbildungen der ableitenden Harnwege sowie der Nieren, Kryptorchismus, Hypospadie, Pubertas praecox.
Skelettsystem: Kyphose oder Lordose mit malformierten Wirbelkörpern, akzessorische Rippen, Klumpfuß, Spalthand.
Allgemein: Wachstumsretardierung, Immundefizienz, Infektanfälligkeit, Schluckstörungen, gastroösophagealer Reflux.

Anästhesierelevanz

Die vielfältigen Fehlbildungen müssen ihre Berücksichtigung in der Anästhesiedurchführung finden. Alle gängigen Anästhesieverfahren sind bisher erfolgreich angewendet werden. Allerdings existieren auch 2 Fallberichte, die die Entwicklung einer Malignen Hyperthermie unter Inhalationsanästhesie beschreiben. Eine direkte Assoziation zur Malignen Hyperthermie gilt eher als unwahrscheinlich. Dennoch empfiehlt es sich, eine triggerfreie (total intravenöse Anästhesie) zu bevorzugen.
Spezielle präoperative Abklärung
Infektparameter, Nierenfunktionsparameter, EKG, Herzechokardiografie.
Wichtiges Monitoring
EKG, Pulsoximetrie, Kapnometrie, Temperatur.
Vorgehen
Aufgrund der fazialen Dysmorphien ist mit einer erschwerten Atemwegsicherung zu rechnen, obwohl mehrere konventionell durchgeführte endotracheale Intubationen ohne größere Schwierigkeiten berichtet wurden. Das Vorgehen der Atemwegssicherung sollte entsprechend umsichtig unter Vorhaltung von optischen Intubationshilfen geplant werden, auch unter Berücksichtigung des erhöhten Aspirationsrisikos sowie häufiger Atemwegsinfekte. Infolge der Wachstumsretardierung ist häufig ein dünnerer Endotrachealtubus adäquat als nach Alter errechnet.
Bei Vorliegen eines kongenitalen Vitiums empfiehlt sich je nach Schweregrad ein erweitertes hämodynamisches Monitoring.
Eine antikonvulsive Dauertherapie sollte perioperativ weitergeführt werden. Pharmakologische Nebenwirkungen der Medikation können den hepatischen Metabolismus sowie eine Einschränkung der Gerinnungsfunktion betreffen. Muskelrelaxanzien sind wegen der muskulären Hypotonie sparsam einzusetzen.
Weiterführende Literatur
Boesenberg AT (2007) Anesthesia and Wolf-Hirschhorn-Sy. SAJAA 13(3):31–34
Choi J, Kim J, Park Y et al (2011) Anesthetic experience using total intra-venous anesthesia for a patient with Wolf-Hirschhorn syndrome. Korean J Anesthesiol 60(2):119–123CrossRefPubMedPubMedCentral
Hulin J, Veyckemans F (2012) Anesthestic management of the Wolf-Hirschhorn syndrome: a report of two cases. Ann Fr Anesth Reanim 31:86–926CrossRef
Humston C, Bernard R, Khan S, Tobias J (2016) Perioperative care of an infant with Wolf-Hirschhorn syndrome: is there a risk of malignant hyperthermia? J Med Cases N Am 7(4):126–129CrossRef
Mohiuddin S, Mayhew J (2005) Anesthesia for children with Wolf-Hirschhorn syndrome: a report and literature review. Pediatr Anesth 15:254–255CrossRef
Paradowska-Stolarz A (2014) Wolf-Hirschhorn Syndrome (WHS) - literature review on the features of the syndrome. Adv Clin Exp Med 23(3):485–489CrossRefPubMed
Tsukamoto M, Yamanaka H, Yokoyama T (2017) Anesthetic considerations for a pediatric patient with Wolf-Hirschhorn syndrome: a case report. J Dent Anesth Pain Med 17(3):231–233CrossRefPubMedPubMedCentral