Die variable Ausprägung einer
malignen Hyperthermie stellt hohe diagnostische Anforderungen. Augenscheinliche, initiale Symptome einer malignen Hyperthermie müssen Anlass sein, umgehend eine MH-Krise durch die Suche nach weiteren Symptomen und durch diagnostische Maßnahmen zu bestätigen oder zu widerlegen.
EKG, Blutdruck,
Pulsoxymetrie, Kapnometrie,
Blutgasanalyse, Elektrolyt- und Kreatinkinasebestimmung, Temperaturmessung sowie ein bierbrauner
Urin sind oft wegweisend. Klinisch präsentiert sich die MH in 60 % der Fälle durch respiratorische (Hyperkapnie, Tachypnoe) und muskuläre (Masseterspasmus, muskuläre Rigidität) Symptome, in weiteren 20 % durch eine zusätzliche metabolische Entgleisung [
20]. Bereits die Verdachtsdiagnose einer malignen Hyperthermie muss zu einer sofortigen Therapie führen.
Fulminante maligne Hyperthermie
Die fulminante MH-Krise präsentiert sich am deutlichsten. Einmal in Gang gekommen, entwickelt sie sich rasant mit einem arteriellen pCO2 > 60 mmHg, einem Basendefizit >5 mval/l und einem Temperaturanstieg >1 °C/5 min.
Das klinische Bild ist eindeutig, es bleibt jedoch nur wenig Zeit, um schwerwiegende Schäden bis hin zum Tod abzuwenden. Neben der generalisierten muskulären Rigidität führt die exzessive muskuläre Stoffwechselsteigerung zu Tachykardie, Hyperkapnie,
Hypoxämie, respiratorischer sowie metabolischer Azidose und in der Folge zur Hyperthermie mit rapidem Temperaturanstieg. Selbst bei ausreichender intravasaler Oxygenierung kann sich aufgrund des extrem erhöhten muskulären O
2-Bedarfs eine zelluläre
Hypoxie entwickeln. Dem Verbrauch muskulärer Energiereserven und der Störung der zellulären Homöostase folgt eine Rhabdomyolyse mit Anstieg von
Kalium,
Kreatinkinase und Myoglobin im
Serum. Bei einem Anstieg der Kreatinkinase über 5000–10.000 U/l droht ein
akutes Nierenversagen.
Ausgelöst durch den Hypermetabolismus des Skelettmuskels kann sich initial eine hyperdyname, sympathoadrenerge Kreislaufreaktion mit Anstieg der Herzfrequenz, des Blutdrucks, der Myokardkontraktilität, des Herzzeitvolumens und einer erheblichen Zunahme des myokardialen O2-Verbrauchs entwickeln. Gleichzeitig führt der periphere O2-Bedarf zur systemischen Vasodilatation und zu einer Bedarfstachykardie.
Hypoxie, Azidose und sympathoadrenerge Überstimulation sind für eine zunehmende Kreislaufdepression mit Tachyarrhythmie, Blutdruckabfall und myokardialer Ischämie verantwortlich. Dies mündet schließlich, zusammen mit einer Hyperkaliämie, in ein Herz-Kreislauf-Versagen [
28]. Ein perakuter Verlauf kann sogar zum unmittelbaren Herz-Kreislauf-Versagen
ohne ausgeprägte systemische Hyperkapnie und Azidose führen.
Häufige Komplikationen sind ein Kompartmentsyndrom
aufgrund der Muskelschwellung, ein Hirnödem mit Anstieg des Hirndrucks
, ein
akutes Nierenversagen sowie eine disseminierte intravaskuläre Gerinnung
durch Freisetzung von Gewebethromboplastin [
10].
Abortive und moderate maligne Hyperthermie
Schwieriger zu diagnostizieren, klinisch jedoch weitaus häufiger sind abortive
oder moderate Verlaufsformen mit nur mäßigem Hypermetabolismus, larviertem Beginn und protrahiertem Verlauf. Einzelne Symptome wie Tachykardie, mäßige metabolische Azidose, geringe Hyperkapnie oder postoperative Myoglobinurie lassen oft nur eine abortive MH vermuten, z. B. wenn der MH-Trigger nach kurzer Narkosedauer wieder entfernt wurde. In seltenen Fällen wird eine
maligne Hyperthermie erst Stunden später im
Aufwachraum apparent. Larvierte Verläufe können aber auch innerhalb kurzer Zeit exazerbieren.
Differenzialdiagnose
Mögliche Differenzialdiagnosen
der
malignen Hyperthermie sind:
-
flache Narkose, Beatmungsprobleme (z. B. CO
2-Rückatmung, Tubusfehllage),
Hypoxie,
Hypovolämie,
Sepsis, allergische Reaktion, laparoskopische Eingriffe mit iatrogen induzierter Hyperkapnie,
-
Hyperthermie durch Wärmestau, Belastungshyperthermie, Hitzschlagsyndrom, benigne familiäre Hyperthermie u. a.,
-
-
Differenzialdiagnostische Überlegungen müssen eine Reihe von wesentlich häufigeren Problemen mit einbeziehen. Dabei bilden die Symptome, wie sie bei einer
malignen Hyperthermie auftreten, die gemeinsame Endstrecke metabolischer Entgleisungen zahlreicher anderer Krankheitsbilder, ohne dass eine genetische Veranlagung zur malignen Hyperthermie vorliegt.
Die nachfolgenden Fallberichte dokumentieren verschiedene Verlaufsformen
der
malignen Hyperthermie:
-
Ein 21-jähriger Patient entwickelt nach Narkoseeinleitung u. a. mit Succinylcholin und 3-stündiger Sevofluraninhalationsanästhesie plötzlich einen raschen Anstieg des etCO
2 auf 85 mmHg und einen Abfall der S
pO
2 auf 93 %. Zudem fallen eine Rötung von Kopf und Thorax und ein Anstieg der Herzfrequenz bis 100/min auf. Es lässt sich keine metabolische Azidose nachweisen. Nach Unterbrechung der Triggerzufuhr und 2-maliger Gabe von 240 mg Dantrolen normalisiert sich die etCO
2-Konzentration. Postoperativ bestehen starke Myalgien in den Beinen und im Rücken mit einem Anstieg der Kreatinkinaseaktivität auf 21.000 U/l und einem Serumkaliumwert bis 6,4 mmol/l. Der Koffein-Halothan-Kontrakturtest sichert den MH-Verdacht. Besonderheiten: Als Kind waren zwei
Allgemeinanästhesien mit Halothan anamnestisch unauffällig verlaufen. Schwester und Bruder des Großvaters sind während einer Narkose verstorben.
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Bei einer 19-jährigen Patientin fällt bei der Narkoseeinleitung zur Notsektio mit Thiopental und Succinylcholin bereits ein mäßiger Masseterspasmus auf. Unter Aufrechterhaltung der Narkose mit Isofluran und Fentanyl entwickeln sich innerhalb 5 min nach Induktion eine persistierende Tachykardie von >140/min und ein Anstieg des etCO
2 auf >60 mmHg. Trotz Hyperventilation mit 18 l Sauerstoff/min tritt keine Besserung ein, und es kommt zu einem Temperaturanstieg auf 39,2 °C. In der
Blutgasanalyse aus periphervenösem Blut wird eine kombinierte Azidose mit einem pH-Wert von 7,22, einem pCO
2 von 56 mmHg und einem pO
2 von 17 mmHg (!) gemessen. Es erfolgt ein Wechsel von Isofluran auf Midazolam, außerdem eine Dantrolengabe (2-mal 200 mg). Daraufhin ist die Tachykardie rückläufig und etCO
2 und Temperatur normalisieren sich. Postoperativ kommt es zu einem Anstieg der
Kreatinkinase auf 22.000 U/l. Die MH-Diagnostik weist eine kausale MH-Mutation nach [
37].
Durch die zunehmende Verbreitung inhalativer Sedierungssysteme wird die
maligne Hyperthermie auch für
Intensivmediziner relevant:
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Bei einem 59-jährigen beatmeten Patienten mit
respiratorischer Insuffizienz aufgrund einer Influenzapneumonie wurde am 4. Beatmungstag die Analgosedierung um die inhalative Applikation von Sevofluran erweitert. Fünf Stunden nach Beginn der Sevofluransedierung kam es bei dem Patienten zu einer Sinustachykardie >110/min sowie zu einem Abfall des systolischen Blutdruckes <80 mmHg. In der
arteriellen Blutgasanalyse fiel eine metabolische-respiratorische Azidose mit einem pH-Wert von 7,17, einem p
aCO
2 > 70 mmHg sowie einen negativen Base-Exzess von −9,8 auf. Die Körperkerntemperatur stieg rapide auf 40,7 °C. Laborchemisch imponierte eine
Kreatinkinase >3000 U/l. Bei Verdacht auf maligne Hyperthermie wurde die Sevofluransedierung beendet, 225 mg Dantrolen intravenös appliziert und der Patient hyperventiliert. Hierauf normalisierte sich die metabolische und respiratorische Situation zügig. Die MH-Veranlagung des Patienten konnte mittels In-vitro-Kontrakturtest bestätigt werden [
34].