Definition
Die akute interstitielle Nephritis (AIN) ist durch eine akute, oft reversible Entzündung des Nierenmarks (Interstitium) gekennzeichnet.
Pathophysiologie
Bei der Entzündungsreaktion handelt es sich vorwiegend um eine zelluläre Immunantwort, die am häufigsten durch ein Medikament oder ein infektiöses Agens ausgelöst wird. Sie kann folgenlos ausheilen oder über die Induktion einer interstitiellen
Fibrose zur chronischen Nierenschädigung führen (Kap. Chronische interstitielle Nephritis).
Klinik
Typischerweise kommt es zur plötzlichen Verschlechterung der Nierenfunktion, die in vielen Fällen mit einer
Oligurie und milden Proteinurie (<1 g/Tag) ohne
Ödeme assoziiert ist. Die Patienten beklagen häufig Flankenschmerzen. In der Hälfte der Fälle liegen eine Hämaturie und/oder eine Leukozyturie vor. Der Grad der Nierenfunktionseinschränkung variiert erheblich; bei etwa jedem 3. Patienten ist eine intermittierende
Hämodialyse notwendig.
Extrarenale Manifestationen als Folge der Hypersensitivitätsreaktion sind oft
Fieber, Arthralgien,
Eosinophilie und ein makulopapuläres Exanthem, seltener kommt es begleitend zur Hämolyse oder Hepatitis.
Symptome der AIN können stark variieren; maßgeblich ist hierfür die Ätiologie der AIN.
Medikamentös-assoziierte AIN
In 75–90 % der Fälle ist die AIN medikamentös induziert (Tab.
1). Die Symptome treten innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen nach Exposition auf. Unter Methicillin kommt es häufig zu ausgeprägten extrarenalen Manifestationen, während die Nierenfunktion in der Regel wenig beeinträchtigt ist. NSAR verursachen häufig ein
nephrotisches Syndrom ohne wesentliche extrarenale Symptome.
Tab. 1
Medikamente als potenzielle Auslöser einer AIN. Es sind nur die häufigsten Substanzen aufgeführt
| Ampicillin |
Methicillin |
Penicillin G |
Ciprofloxacin |
Cotrimoxazol |
Rifampicin |
Sulfonamide |
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) | |
Fenoprofen |
|
Naproxen |
Indomethacin |
Zomepirac |
Piroxicam |
|
Tolmetin |
Antikonvulsiva | |
| Furosemid |
Hydrochlorothiazid |
Antiulzerativa | Cimetidin |
Omeprazol |
Andere | Allopurinol |
Phenindion |
Infektiös assoziierte AIN
Durch den breiten Einsatz von
Antibiotika hat die Inzidenz deutlich abgenommen. Die Klinik wird vorwiegend durch die zugrunde liegende Infektion bestimmt.
Der wichtigste Verursacher einer infektiös induzierten AIN ist in Deutschland die Hanta-Virusinfektion. Typischerweise kommt es zu
Fieber, Kopf- und Rückenschmerzen,
Schwindel,
Visusstörungen (akute Myopie!),
Bauchschmerzen (v. a. im Flankenbereich; DD:
Nephrolithiasis), Übelkeit und Erbrechen sowie zur
Thrombozytopenie. Letztere ist für hämorrhagische Komplikationen verantwortlich, die aber bei dem in Deutschland dominierenden Serotyp Puumala nur selten auftreten. Das akute
Nierenversagen ist nahezu immer mit Proteinurie und Hämaturie vergesellschaftet.
Seltene Ätiologien der AIN
Selten können systemische Erkrankungen wie
Sarkoidose, M. Sjögren,
systemischer Lupus erythematodes oder neoplastische Erkrankungen zu einer AIN führen. Eine Sonderform stellt das sog. TINU (Tubulointerstitielle Nephritis- und
Uveitis)-Syndrom dar, das durch das gemeinsame Auftreten von AIN und anteriorer Uveitis definiert ist.
Diagnostik
Eine gründliche Anamnese kann häufig die Genese der AIN klären. Sonographisch imponieren bei der AIN normal große bis leicht vergrößerte Nieren bei gesteigerter kortikaler Echogenität. Der Nachweis einer Eosinophilurie oder von Leukozytenzylindern ist zwar diagnostisch hinweisend, aber nicht zum
Screening geeignet. Der sog. Gallium-Scan ist unpräzise. Diagnostischer
Goldstandard bleibt die
Nierenbiopsie.
Differenzialdiagnostik
Andere Formen eines akuten
Nierenversagens müssen stets ausgeschlossen werden. Zeichen der Hypersensitivität können auch bei Patienten mit einer medikamentös induzierten Tubulusnekrose auftreten. Eine durch NSAR getriggerte AIN ist von chronischen Nierenschäden im Rahmen einer NSAR-Therapie (Papillennekrose, NSAR-induzierte
Nephropathie) abzugrenzen.
Therapie
Wichtigste therapeutische Maßnahme ist die Identifikation und Entfernung des auslösenden Agens. Bei einer infektiös assoziierten AIN sollte die zugrunde liegende Infektion rasch behandelt werden. Für virale Infektionen wie die Hantavirus-Nephritis existiert meist keine kausale Therapie.
Die Evidenz für eine systemische Gabe von
Kortikosteroiden ist schwach. Sie kann bei initialer Dialysepflichtigkeit oder protrahiertem Verlauf erwogen werden, üblicherweise beginnend mit 1 mg/kg Körpergewicht Prednis(ol)on über ein bis zwei Wochen, mit anschließender Taperung der Dosis über 4 Wochen. Der Einsatz anderer
Immunsuppressiva wird nicht empfohlen.
Verlauf und Prognose
Während die methicillinassoziierte AIN fast immer reversibel ist, verlaufen andere medikamentös induzierte interstitielle Nephritiden weniger benigne: In 40–50 % der Fälle bleibt die Nierenfunktion dauerhaft eingeschränkt. Bei der Hantavirus-Nephritis kommt es regelhaft zur vollständigen Erholung der Nierenfunktion.
Leukozytäre Infiltrate, interstitielle Granulome oder tubuläre Atrophien sind ungünstige histologische Prognoseparameter, während der Grad der initialen Nierenfunktionseinschränkung kein Prädiktor für den Verlauf ist. Beste Prognosemarker sind Dauer des akuten
Nierenversagens sowie das Ausmaß der interstitiellen
Fibrose.