Skip to main content
DGIM Innere Medizin
Info
Publiziert am: 01.04.2015

Nephrologische Diagnostik: Nierenbiopsie

Verfasst von: Kerstin Amann
Die Nierenbiopsie ist die diagnostische Entnahme von Nierengewebe zur Gewinnung einer Nierenhistologie und gilt als Goldstandard in der Diagnostik renaler Erkrankungen. Sie dient der Identifikation und Klassifikation von Nierenerkrankungen und stellt die Grundlage für die Durchführung standardisierter Therapiekonzepte dar. Die Aussagekraft der Nierenbiopsie hängt von der Grunderkrankung, der Größe der Biopsie, der technisch sauberen Aufarbeitung, der Erfahrung des bewertenden Pathologen und der interdisziplinären Kommunikation ab.

Einleitung

Die Nierenbiopsie, d. h. die diagnostische Entnahme von Nierengewebe zur Gewinnung einer Nierenhistologie, ist seit mehr als 50 Jahren der Goldstandard in der Diagnostik renaler Erkrankungen (Iverson und Brun 1951). Sie dient der Identifikation und Klassifikation von Nierenerkrankungen und stellt die Grundlage für die Durchführung standardisierter Therapiekonzepte dar. Nur die Nierenbiopsie liefert eine korrekte morphologische Klassifikation der zugrunde liegenden Nierenerkrankung. Die Technik ergänzt das Arsenal an diagnostischen Prozeduren, das dem Nephrologen für die Einordnung der Nierenerkrankung und der damit zusammenhängenden Therapieentscheidungen zur Verfügung steht. In der Praxis ist die Nierenbiopsie oft unerlässlich, um aus einer Reihe von klinischen Differenzialdiagnosen zur endgültigen Diagnose und damit einer spezifischen Prognose und Therapie für den Patienten zu gelangen.
Die Indikation zur Nierenbiopsie (Tab. 1) muss den möglichen diagnostischen Nutzen gegen die potenziellen Risiken und Komplikationen abwägen. Letztere sind heutzutage sehr gering (<0,1 %), da die Technik der Nierenbiopsie vor allem durch die Verwendung der Ultraschallsteuerung der Punktion deutlich verbessert wurde. Die ausgereifte Technik sowie die strenge Indikationsstellung führen dazu, dass die Qualität der Biopsie, gemessen anhand der Zahl der erfassten Glomeruli, meistens in der Größenordnung der gewünschten zehn Glomeruli liegt (Hergesell et al. 1998) und so in über 95 % aller biopsierten Patienten eine histologische Diagnose erzielt werden kann. Der zunehmende liberalere Einsatz der Nierenbiopsie und die Ausweitung der Fragestellungen stellen auch an die Aufarbeitung des Material höhere Ansprüche. Wie bei jeder anderen diagnostischen Technik hängt die Güte der ableitbaren Information von der vorhandenen Erfahrung und einer standardisierten Durchführung ab. Für die Nierenbiopsie sind dies vor allem die Gewinnung und adäquate Aufarbeitung von repräsentativem Nierengewebe.
Tab. 1
Indikationen zur Durchführung einer Nierenbiopsie. (Modifiziert nach Fuiano G. et. al. Am J Kidney Dis 2000;35:448-57)
GFR >60 ml/min
-Mikrohämaturie + Proteinurie >1 g/Tag trotz ACE-Hemmer oder ARB
-Proteinurie >3 g/Tag oder nephrotisches Syndrom
GFR 30–60 ml/min
-Hämaturie + Proteinurie (>1 g/Tag) + normal große Nieren
-Nephrotisches Syndrom + immunologische Auffälligkeiten (ANCA, DNA-AK etc.)
GFR <30 ml/min
-ANV + normal große Nieren + 4 Wochen ohne Remission
NTX
-Funktionslose NTX-Niere 1 Woche nach Transplantation
-Unerklärte Transplantatfunktionsverschlechterung
-Uneinheitliche Handhabung: routinemäßige Protokollbiopsien (z. B. 3, 6 und 12 Monate nach Nierentransplantation)
ANCA antineutrophile zytoplasmatische Antikörper, ANV akutes Nierenversagen, ARB Angiotensin-Rezeptorblocker, DNA-AK DNA-Antikörper, GFR glomeruläre Filtrationsrate, NTX Nierentransplantat
Tab. 2
Indikationen für eine transvenöse Nierenbiopsie.
-Gerinnungsprobleme
-Schwere, unkontrollierte Hypertonie
-Einzelniere (kontrovers)
-Erschwerte Biopsieverhältnisse (z. B. extreme Adipositas, ektope Lage der Niere, schwer zu punktierendes Nierentransplantat)
-Wiederholt frustrane perkutane Nierenbiopsie

Standards der Nierenbiopsiediagnostik

Eine Nierenbiopsie erfordert zunächst die sachgerechte Durchführung durch die Nephrologie bzw. bei transvenösen Nierenbiopsien durch die Radiologie (Hohenstein et al. 2007). Tabelle 2 listet einige Indikationen für eine transvenöse Nierenpunktion durch die Radiologie auf. Die nachfolgende Aufarbeitung, Diagnostik und Interpretation der Befunde ist Sache der Pathologie. Hieran sollte sich dann eine interdisziplinäre Kommunikation zwischen Nephrologie und Pathologie anschließen. Die dafür notwendigen Kriterien bzw. Algorithmen umfassen die folgenden Aspekte („standard procedures for renal biopsy handling and processing“, EU Consensus Meeting, 25.02.2000, Wien, vgl. ausführliche Darstellung in (Topham und Chen 2010; Amann und Haas 2006; Furness 2000; Amann und Büttner 2011): Biopsieentnahme, Transport der Nierenbiopsie, Aufteilung der Nierenbiopsie, Fixation des Gewebes, Schneiden und Färben der Nierenbiopsie, Befundbericht und Diagnose.
Wenn diese Punkte entsprechend berücksichtig werden, besteht – in Abhängigkeit von der Indikationsstellung – eine ca. 40–50%ige Chance, dass das Ergebnis der Nierenbiopsie einen direkten Einfluss auf die Therapie nimmt. Besonders wichtig ist hierbei, dass dem Pathologen alle zum Zeitpunkt der Biopsie verfügbaren Informationen zu Klinik und Anamnese sowie zu aktuellen Laborwerten mitgeteilt werden (Tab. 3), da das Ausmaß der klinischen Information direkten Einfluss auf die Qualität und Geschwindigkeit der pathologischen Diagnostik hat.
Tab. 3
Wichtige klinische Informationen für die Interpretation einer Nierenbiopsie.
Urinbefunde
-Proteinurie
-Hämaturie (Akanthozyten?)
-Leukozyturie
-Zylindrurie
Serumparameter
-Gesamtprotein
-Kreatininclearance
-C3, C4
-ANA, ANCA, Anti-GBM-Titer, ASL-Titer (falls vorhanden)
Zusatzinformationen
-Diabetes mellitus
-Bluthochdruck
-Andere relevante Erkrankungen (z. B. Leichtkettenerkrankungen, chronisch entzündliche Erkrankungen)
-Familienanamnese
-Momentane Therapie
ANCA antineutrophile zytoplasmatische Antikörper, ANA antinukleäre Antikörper, ASL Antistreptolysin, GBM glomeruläre Basalmembran
Weiterhin wichtig ist die korrekte Fixierung des Materials, die im Wesentlichen davon abhängt, ob eine lokale Aufarbeitung oder eine Versendung erfolgt. Im ersten Fall ist die Übermittlung in isotoner Kochsalzlösung (NaCl) ideal geeignet, um alle Möglichkeiten der weiteren Aufarbeitung zu haben. Im Falle einer externen Versendung muss das Nierenbiopsiematerial bereits in einer Fixationslösung (Paraformaldehyd oder Formalin) versandt werden, das alle notwendigen Untersuchungen (Licht- und Elektronenmikroskopie, Immunhistologie) ermöglicht (Triplediagnostik). Eine elektronenmikroskopische Untersuchung ist zwar nicht bei jeder Nierenbiopsie unbedingt notwendig. Da das Ergebnis der pathomorphologischen Untersuchung jedoch nicht vorhergesagt werden kann, ist es in jedem Fall sinnvoll, das Biopsiematerial so aufzuarbeiten, dass eine ergänzende elektronenmikroskopische Untersuchung im Anschluss möglich ist. Für die folgenden Nierenerkrankungen ist eine endgültige Diagnose nur nach Durchführung elektronenmikroskopischer Untersuchungen möglich:
  • Hereditäre Typ-IV-Kollagenerkrankungen (Syndrom der dünnen Basalmembranen, Morbus Alport)
  • Fibrilläre Glomerulopathien/Leichtkettenerkrankungen
  • Fußfortsatzverschmelzung bei Minimal-Change-Glomerulonephritis
  • Frühstadien der diabetischen Nephropathie
  • Speicherkrankheiten (z. B. Morbus Fabry)

Fazit für die Praxis

In den Händen eines erfahrenen Nephrologen stellt die Nierenbiopsie eine Standardprozedur mit überschaubarem Risiko für den Patienten bei gleichzeitig hohem Maß an diagnostischer und therapeutischer Zusatzinformation dar. Die Aussagekraft der Nierenbiopsie hängt von der Grunderkrankung, der Größe der Biopsie, der technisch sauberen Aufarbeitung, der Erfahrung des bewertenden Pathologen und der interdisziplinären Kommunikation ab. Nicht umsonst hat sich hier mit der Nephropathologie eine Subspezialisierung in der Pathologie ergeben, die dem hohen Standard der Nierenbiopsiediagnostik gerecht wird und die als Ansprechpartner für den intensiven Dialog mit der Nephrologie fungiert. Je besser das Verständnis von klinischer Seite und die mitgeteilten klinischen Informationen, desto umfassender und hilfreicher sind die Biopsieergebnisse, die vom Pathologen bezogen werden können.
Literatur
Amann K, Büttner M (2011) Evaluation of a renal biopsy: what information is important for nephrologists? Pathologe 32(Suppl 2):361–369CrossRefPubMed
Amann K, Haas CS (2006) What you should know about the work-up of a renal biopsy. Nephrol Dial Transplant 21:1157–1161CrossRefPubMed
Furness PN (2000) Acp. Best practice no 160. Renal biopsy specimens. J Clin Pathol 53:433–438CrossRefPubMedCentralPubMed
Hergesell O, Felten H, Andrassy K et al (1998) Safety of ultrasound-guided percutaneous renal biopsy-retrospective analysis of 1090 consecutive cases. Nephrol Dial Transplant 13:975–977CrossRefPubMed
Hohenstein B, Uder M, Willam C, Amann KU, Eckardt KU, Hugo CP (2007) Transvenous renal biopsy of a kidney transplant in a patient with a suspected bleeding disorder. Am J Transplant 7:2052–2053CrossRefPubMed
Iverson P, Brun C (1951) Aspiration biopsy of the kidney. Am J Med 11:324–330CrossRef
Topham PS, Chen Y. (2010) Renal biopsy. In: Fehally J, Floege J, Johnson RJ (Hrsg) comprehensive clinical nephrology, 4. Aufl. Elsevier Saunders 75–82